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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Danzig-Auswanderer als Pioniere in Brasiliens Urwald



Wolfgang
16.08.2013, 16:26
Schönen guten Nachmittag,

in drei Artikeln wurde in "Unser Danzig" über Danziger Auswanderer berichtet, die in den brasilianischen Urwald gingen und dort die Siedlung "Neu-Danzig" bzw. "Nova Dantzig" gründeten. Aus dieser von Pionieren unter härtesten Bedingungen aufgebauten Ortschaft entstand die heutige Großstadt "Cambé".

In den nachfolgenden Beiträgen veröffentliche ich die drei Artikel.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Wolfgang
16.08.2013, 16:28
Aus "Unser Danzig", 1959, Ausgaben Nr. 14-17

Danziger gründen eine Stadt im Urwald
Ein Bericht von der Siedlung "Neu-Danzig" in Brasilien
von Arnold Klawitter

Das Jahr 1932 brachte auch der Freien Stadt Danzig den Kampf mit der großen Krise. Die Arbeitslosigkeit nahm immer größere Ausmaße an. Es sah fast nach einem Zusammenbruch aus. Das war wohl einer der Gründe, der manchen Danziger zur Auswanderung veranlasste. Eines Tages lasen wir in den "Danziger Neuesten" von einer Siedlungsgenossenschaft "Neu-Danzig", die unter dem Motto "Freier Mann auf eigener Scholle" Interessenten warb, und zwar zur Auswanderung nach Brasilien. Mein Vater interessierte sich gleich so dafür, dass wir noch am gleichen Nachmittag nach Neufahrwasser fuhren, wo in der Auswandererberatungsstelle Vorträge über diese Sache liefen. Schnell waren wir Mitglied dieser Genossenschaft und von dem Sachbearbeiter in alles eingeweiht. Zu dieser Zeit waren schon einige Familien nach drüben gefahren und schilderten das dortige Leben in vielen Briefen in den rosigsten Farben. Sie arbeiteten dort zum Teil schon auf ihren eigenen Farmen im Urwald des Staates Parana. Die Gesamtplanung war sehr gut ausgedacht. Wenn es später an der Befolgung und Durchführung sehr haperte, lag es z.T. daran, dass viele der Siedler mit ganz ungenügenden Mitteln, dafür aber mit um so mehr Illusionen, das Leben in einer deutschen Großstadt mit dem Urwaldleben und der dortigen Arbeit verwechselt hatten.

Die Siedlungsgenossenschaft hatte mit Hilfe des Senats über eine Landgesellschaft in London große Ländereien für Danziger reservieren lassen und angezahlt und suchte nun Interessenten. Grundstücke ab 50 Morgen konnte man auf einer Karte aussuchen, die zu sehr günstigen Preisen bei 50 Prozent Anzahlung verkauft wurden. Dazu kam noch eine Pauschalsumme für Verpflegung auf neun Monate (für eine vierköpfige Familie gerechnet), zehn Morgen Waldschlag, sämtliches dort übliches Handwerkszeug sowie zehn Hühner, vier Schweine, ein Pferd oder Esel. Natürlich musste jeder Siedler seine Überfahrt bezahlen. Die ausreisenden Danziger sollten die Gewissheit haben, dass sie eine eigene Landwirtschaft aufbauen könnten und auch in der Zeit bis zur ersten Ernte gut durchkommen würden. So kamen tatsächlich etwa 30 Familien zusammen, die ihr Glück im Urwald versuchen wollten. Es wird sich später zeigen, dass es nur drei oder vier Familien zu wirklichem Wohlstand brachten, das lag z.T. an menschlichem Versagen, in der Hauptsache aber daran, dass man bei der Auswahl der Auswanderer keinerlei berufliche Qualifikation verlangte, sondern einfach zuriet, wenn der Betreffende nur das Geld aufbringen konnte. Das Fehlen jeder späteren Beratung und die Veruntreuung von Geldern bedeutete nachher fast eine Katastrophe für unsere Landsleute.

Damals war ich 16 Jahre alt und wurde im April 1932 mit meinem Bruder sozusagen als Vorkommando auf die Reise nach Brasilien geschickt, während meine Eltern unsere Geschäfte und Grundstücke verkaufen wollten, um dann nachzukommen. Wir verließen Bremerhaven mit dem "Antonio Delfino", einem 9.000-Tonner des Norddeutschen Lloyd. Die Reise ging über La Corunha, Vigo nach Lissabon und weiter zum Endziel der Seereise, nach Santos. Trotz der herrlichen Fahrt waren meine Gedanken immer weit voraus im Urwald, und ich war froh, als wir in Santos das Schiff verlassen konnten. Von hier ging es nun per Bahn nach Sao Paulo Wir nahmen Quartier im Hotel Astoria und besichtigten die herrliche Stadt, in der sich sehr viele Deutsche befinden.

Nach drei Tagen machten wir uns auf, die letzte Strecke zu bezwingen. Jetzt hatten wir noch etwa 20 Stunden Bahnfahrt vor uns. Vom Bahnof Sorocabana fuhren wir in Gemeinschaft der Danziger Familien Kück, Bloch und Neudamm, die wie wir Neusiedler werden wollten, pünktlich ab. Die Fahrt durch den Urwald hatte begonnen. Auf dieser Strecke bekam ich den ersten Einblick in das Leben der Brasilianer und der dort zugewanderten Italiener, Spanier, Portugiesen, Japaner, Russen und Polen. Es herrschte bald reger Betrieb in den großen Eisenbahnwagen. Da diese keine Zwischenwände hatten, konnte sich jeder mit seinen Nachbarn unterhalten. Mancher Fahrgast machte es sich gleich unter der Bank bequem, um die Nacht zu verschlafen. Andere holten Essvorräte hervor und boten den Mitreisenden an, einige Mütter nährten ihre Säuglinge auf die natürlichste Weise, ohne Anstoß zu erregen. Wir Danziger hatten uns zusammengesetzt und beobachteten das bunte Treiben. Von dem öfter durchkommenden Kellner ließ ich mir einen herrlichen "Cafe" kommen und kaufte auch auf den Stationen Bananen und Apfelsinen zu mir sehr billig vorkommenden Preisen. Mit fortschreitender Nacht wurde es ruhiger, nur an den Haltepunkten brandeten immer wieder die Stimmen auf, wenn neuer Zuzug in unseren Wagen kam.

Bis zum frühen Vormittag ging es dann so weiter, aber wir konnten endlich auch was von der Landschaft sehen. Auf beiden Seiten der Bahn zogen sich endlos Kaffeeplantagen hin, denn wir waren immer noch im Staate Sao Paulo, der der größte Kaffeeproduzent Brasiliens ist. Nur selten wurden diese Plantagen von Urwaldstücken oder Kleinstädten unterbrochen. Gegen 10 Uhr erreichten wir das Städtchen Ourinhos, wo wir in eine Schmalspurbahn umstiegen, die in den Staat Parana führte. Damit näherten wir uns endlich unserer neuen Heimat.

Schlagartig änderte sich die Landschaft. Jetzt gab es nur noch Urwald, und ich stand stundenlang auf der Plattform und konnte nicht genug sehen. Bald war ich mit einer dicken Staubschicht roter Erde bedeckt, der gleichen Erde, deren unerhörte Fruchtbarkeit wir später feststellten. Oftmals blieb
der Zug stehen, um Heizmaterial für die Maschine aufzunehmen. Holz dazu war auf den Stationen in großen Mengen aufgestapelt. Gegen Abend trafen wir am damaligen Endpunkt der Bahnlinie, in Jatahy, ein. Jetzt waren es noch ca. 65 Kilometer bis nach "Neu-Danzig", aber gerade diese letzte Strecke hatte es in sich.

Es ging nun im offenen Omnibus weiter, nachdem wir noch vorher mit einer Fähre über den etwa 100 Meter breiten Fluss Tybagy übergesetzt waren. Der Fahrer des alten Ford hatte es scheinbar eilig, denn es ging ab, wie mit der Feuerwehr. Tage vorher hatte es geregnet, deshalb war die Straße in einem schaurigen Zustand. Schlagloch an Schlagloch, jedes wohl einen halben Meter tief. Der Schlamm spritzte uns um die Ohren, doch der Chauffeur gab Gas. Für uns ein Rätsel, wie der Mann in dem Schlammsee, den wir vor uns in den Scheinwerfern sahen, vorwärts kam. Wir fielen bald rechts, bald links in ein Loch, mir wurde furchtbar übel, aber ich merkte auch, dass sich manch anderem Fahrgast der Magen umdrehte. Als es plötzlich nicht mehr weiterging, mussten die Fahrgäste den Bus aus dem Schlamm schieben. Der Humor ging trotzdem nicht unter.

Um Mitternacht langten wir in Londrina an. Hier sollte nach der englischen Landgesellschaft die erste Stadt entstehen. Ein Holzhaus war bereits vorhanden, das sich Hotel nannte. Heute dagegen hat Londrina ca. 80 000 Einwohner, einen Flugplatz und alle modernen Einrichtungen einer Großstadt. Damals dachte noch niemand an diesen Aufschwung. Wir wurden also dort untergebracht und von dem deutschen Verwalterehepaar mit einem guten Nachtessen bewirtet. Zur Begrüßung der neuen Kolonisten hatten sich auch einige Danziger eingefunden, so die Familien Lapuse, Axt, Matschoß und Katzor. Das gab natürlich ein großes "Hallo", aber wir waren so müde, dass wir bald schlafen gingen.

Am nächsten Morgen begab ich mich auf Entdeckungsreise in die nähere Umgebung. Der Wirt hatte mir sein Pferd geliehen, so saß ich sogar an diesem Tage zum ersten Male im Sattel. Nach dem Mittagessen erschien wieder das Gefährt der vergangenen Nacht, um uns 16 Kilometer weiter nach "Neu-Danzig" zu bringen. Besser als auf der ersten Autobusfahrt bewältigte der Wagen diese Strecke, auf der zu beiden Seiten der Urwald uns begleitete. Wohlbehalten gelangten wird endlich auf dem Stadtplatz "Neu-Danzig" an. Auch der Fleiß unserer Danziger Landsleute hat hier mitten im Urwald ein Städtchen aufgebaut, das heute etwa 30 000 Einwohner umfasst.

Seit der Abreise waren jetzt vier Wochen vergangen. Wir waren am Ziel. Wir hätten aber auch nicht mehr weiter können, denn die Straße endete hier. Was jetzt kam, war nur noch Urwald. Es standen zwar schon zwei sehr nette Holzhäuser, eins für den Landagenten, das andere gehörte einem deutschen Kaufmann, der hier ein Lebensmittelgeschäft eröffnet hatte. Die Landwirtschaften der Danziger lagen etwa 5 km südwärts, gleichfalls die Gemeinschaftsunterkunft mit dem hochtrabenden Namen "Danziger Hof".

Die Familien blieben im Hause des Agenten, nur mein Bruder und ich packten unser ganzes Gepäck auf einen Eselskarren und machten uns auf den Marsch. Stolz gürtete ich mir meine Pistole um, weil ich gesehen hatte, dass alle Männer bewaffnet umherliefen. Eine schmale Landstraße führte bis zum "Danziger Hof", sodass der Weg nicht zu verfehlen war. Nach einer guten Stunde kamen wir dort an. Voller Interesse betrachtete ich das Gemeinschaftshaus, denn es war ja jetzt unsere vorläufige Unterkunft. Eine Siedlerfrau kochte für alle, und jeder wohnte dort, bis sein eigenes Haus fertig war. Einige Familien waren auch schon ganz auf ihr Land gezogen, andere kamen nur noch zum Essen zum "Danziger Hof".

Das Gebäude war ein großer Schuppen ohne Fußboden, die Wände aus gespaltenen Pinienbrettern roh zusammengefügt, und die Fensterlöcher wurden abends durch Holzläden verschlossen. Die Einrichtung bestand aus einem großen Tisch und zwei langen Holzbänken. Bettgestelle waren nicht vorhanden, dafür hatte man je vier Gabeläste in die Erde geschlagen, darüber zwei Stangen quer und hierüber wieder einige Palmenlatten gelegt, darauf eine Matratze und fertig waren die Betten. Die Primitivität verblüffte uns anfangs, aber schließlich befanden wir uns ja auch im Urwald und nicht in einem Luxushotel. 20 Morgen Wald waren ringsherum geschlagen. Die Baumriesen lagen kreuz und quer übereinander. In 150 Meter Entfernung floss ein Bach, der das Wasser zum Essen und Waschen lieferte. Die nächsten Tage verbrachte ich auf den Anwesen verschiedener Siedler und half hier und dort bei der Zurichtung der Hölzer für den Hausbau. Hierbei waren die Leute sehr schlecht beraten, denn anstatt so schnell wie möglich die Kultivierung des Landes zu betreiben und zu pflanzen, um mit der ersten Ernte ihren weiteren Lebensunterhalt zu garantieren, verwandten sie viele Monate für den Bau. Dabei verbrauchten sie ihre knappen Geldmittel, und als diese alle waren, hatten sie meist das Haus noch nicht fertig, aber auch keine Pflanzung angelegt und somit nicht mal für den Eigenbedarf die notwendigsten Lebensmittel.

Für mich war nun die Hauptsache, auf unser Land zu kommen, das ich bisher nur auf der Karte kannte. Ich ließ mir die Richtung weisen und bahnte mir den Weg dorthin selbst durch den Urwald mit dem Buschmesser. Bald stieß ich auf den Bach, der auch unser Land an einer Seite begrenzte. Nach zwei Stunden fand ich auch endlich den Markierungspfahl mit der Nummer unserer Grundstücke. Mit feierlichen Gefühlen nahm ich so unser Land in Besitz. Die Tage vergingen, und wir sahen und lernten viel Neues, Endlich erreichte uns die Nachricht von der Abreise unserer Eltern aus Danzig. Zwei Wochen, danach holte ich sie und den jüngsten Bruder vom Schiff ab. Noch immer sehe ich ihre erstaunten Augen, als sie mich in Santos am Kai warten und winken sahen. Nach der Begrüßung an Land erstattete ich meinem Vater den ersten Bericht; Nach Erledigung der Zollkontrolle im Hafen fuhren wir nach Sao Paulo, um noch einiges Handwerkszeug zu kaufen, und reisten dann ins Innere des Landes weiter.

Endlich war die ganze Familie zusammen, und die Farm "Oliva", wie wir stolz unser Land in Größe von 80 ha nannten, sollte angelegt werden. Schon vorher hatten wir 30 Morgen Wald von Brasilianern schlagen lassen. Dieses Stück musste zum Trocknen zwei Monate liegen bleiben, denn erst dann kann Feuer angelegt werden. Meine Eltern und mein jüngerer Bruder wohnten bei einem Siedler, der sein Haus fast fertig hatte und ein Zimmer abgab. Ich blieb noch in der Gemeinschaftsunterkunft und holte mir jeden Morgen die Arbeitsanweisungen von meinem Vater. Leider konnte er selbst keine schwere Arbeit mehr verrichten, weil er herzkrank war. Vor allen Dingen mussten wir einen Weg zu unserem Land haben, deshalb war das auch die erste Arbeit. Die Farm lag zwischen einer nur projektierten Straße und dem parallel laufenden Bach und stieg, von diesem aus gesehen, zur "Straße" leicht an.

Wir begannen, von der höchsten Stelle in Richtung auf den Wasserlauf einen drei Meter breiten Weg durch den Urwald zu schlagen, um so das geschlagene Waldstück, die "Roca", zu erreichen. Der Waldbestand war zum größten Teil "palmital", d.h. dass hier viele Palmen standen und wenig Unterholz vorhanden war. Das erleichterte die Arbeit ungemein. Dicke Bäume ließen wir stehen und führten den Weg um sie herum. Später würde sich zur Begradigung schon Zeit finden. Mitten bei dieser Arbeit traf uns ein Schlag, der die weitere Tätigkeit in Frage stellte.

An einem Morgen, als wir gerade alle bei den Eltern versammelt waren und mein ältester Bruder sich mit meinem Vater unterhielt, brach dieser plötzlich zusammen und wir trugen ihn ins Haus. Trotz stundenlanger Bemühungen konnten wir ihn nicht mehr zu Bewusstsein bringen. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. So standen wir nun plötzlich allein da, und es fehlte uns vor allen Dingen die Person, die den Zusammenhalt der Familie begründete und uns die Anleitung in allen landwirtschaftlichen Arbeiten geben sollte. Die Beerdigung musste in 24 Stunden vollzogen sein, und sie fand unter den schwierigsten Umständen statt, da es ja nicht einmal Bretter für den Sarg gab, sondern diese erst aus Baumstämmen gehauen werden mussten. Wir fuhren unseren Vater, dessen Sarg mit einer großen Danziger Flagge bedeckt war, zurück nach Londrina. Dort wurde er mitten im Urwald im Beisein aller Kolonisten und des Auswanderungskommissars Greiser aus Danzig beerdigt. An dieser Stelle wurde später auch der erste Friedhof angelegt.

Wir entschlossen uns dennoch zum Aufbau unserer Siedlung, um schnellstens auf das eigene Land zu ziehen. In der Nähe des Baches räumten wir die geschlagenen Hölzer fort und verbrannten das Holz, um einen Platz von 100 Quadratmetern freizubekommen. Gleichzeitig gaben wir an zwei Danziger Zimmerleute den Auftrag, einen Rancho, das ist eine Hütte, in der Größe von 4x6 Metern zu bauen. Während wir Brüder weiter den Hausplatz aufräumten, schleppten die beiden Handwerker Palmenstämme und andere Hölzer für den Rancho herbei und stellten ihn auf. Die Holzschindeln für das Dach wurden mit einem geliehenen Tragesel von einem Nachbarn geholt, da wir auf unserem Land kein Pinienholz dazu hatten. Nach einer Woche war der Rancho bezugsfertig, und wir, wohnten endlich gemeinsam im eigenenHaus. Für den Herd gruben wir uns Steine aus dem Bach und legten aus handgeschnittenen Brettern einen Fußboden. Damit war unser erstes Heim im Urwald für dortige Verhältnisse schon sehr komfortabel eingerichtet.

So wurde es August, und die Zeit kam heran, dass der geschlagene Wald gebrannt werden musste. Bei 35 Grad Hitze legten wir mittags das Feuer an einer Längsseite an, und der Wind blies es bald zu mächtigen Flammen an. Für die späteren Arbeiten des Pflanzens, Sauberhaltens und Erntens ist es sehr wichtig, dass die ganze Fläche möglichst gleichmäßig abbrennt. Wir halfen deshalb nach, indem wir hochstehende Äste abschlugen und wieder ansteckten. Wenn so ein Feuer über eine große, gut getrocknete Fläche braust, dann kann man das sehr gut mit Maschinengewehrfeuer vergleichen, so laut knallt und knattert es. Wir befürchteten, dass die hohen Flammen auch den noch stehenden Wald vernichten würden, aber der Brand erstickte, nachdem er knapp drei Meter eingedrungen war. Nach Abschluss dieser Vorbereitungen konnten wir damit beginnen, das Saatgut in die Erde zu bringen.

Der Leser wird nun sagen, dass man in diesem wüsten Durcheinander doch unmöglich pflanzen könne. Daher müssen die dortigen landwirtschaftlichen Verhältnisse beschrieben werden. Für jeden Auswanderer ist es auch heute noch unbedingt notwendig, dass er die Arbeitsmethoden des Gastlandes übernimmt. Wenn z.B. ein Landwirt nach deutschem Muster dem dortigen Urwald zu Leibe gehen wollte oder deutsche Landkultivierung einführen würde, so würde es Jahre dauern, bis er auch nur den kleinsten Nutzen aus der Pflanzung ziehen könnte. Die Art der Landgewinnung ist in Brasilien erprobt, und nur in gleicher Weise kann der neue Siedler etwas erreichen und zu Wohlstand kommen. Das gilt auch für die Anpassung des europäischen Kolonisten an die dortige Ernährung und verschiedene andere Probleme.

Die gewonnenen 30 Morgen wurden mit Mais bepflanzt. Die Arbeit war sehr mühselig, da ich dauernd über Stämme und Äste klettern musste. In der rechten Hand hielt ich einen langen Stock, an dessen unterem Ende ein geschärftes Eisen befestigt war. Am Gürtel hing ein Beutel mit Saatgut. Meter für Meter stieß ich das Eisen in die Erde und warf mit der linken Hand drei bis vier Maiskörner in das Loch. Der Reihenabstand betrug mindestens einen Meter. Nach einiger Zeit hatte ich das ganz gut heraus, und die Arbeit ging flott vorwärts. Meine Brüder waren ein Stück oberhalb von mir mit der gleichen Arbeit beschäftigt. Der Schweiß lief uns in Strömen herab, trotz der zehn Liter kalten Kaffees, die wir am Vormittag getrunken hatten. Wir bekamen das vorgesehene Stück bepflanzt und waren stolz auf unsere Leistung. Anschließend bauten wir noch Reis und Baumwolle an. Von dem Siedler einer Nachbarkolonie kaufte meine Mutter eine Ziege, die bald darauf zwei Lämmer warf. Zehn Hühner und ein Hund vervollständigten unseren ersten Viehbestand. Als Ersatz für die europäische Kartoffel pflanzten wir Mandioka an, auch Bananenstecklinge und Ananaspflanzen kamen in die Erde, und alles gedieh in dem erstklassigen Boden sehr gut.

Den großen Vorteil hatten wir vor vielen Auswanderern der früheren Jahre: Unser Boden war nicht nur den Prospekten nach sehr gut, sondern tatsächlich so fruchtbar, wie man sich das in Deutschland gar nicht vorstellen kann. Wir düngten und pflügten nicht und erzielten doch Jahr für Jahr hervorragende Ernten. Deshalb sollte sich jeder Auswanderer, der drüben eine Farm gründen will, vor Beginn davon überzeugen, ob der Boden auch tatsächlich ertragreich ist. Es gibt in Brasilien viel Land, das noch urbar zu machen ist und das man auch billig bekommen kann. Aber entweder sind es abgewirtschaftete Kaffeefarmen mit ausgesaugtem Sandboden, oder es liegt im Norden des Landes mit seinem für Deutsche unerträglich heißen Klima, oder auch fernab jeden Verkehrs ohne Anschluss an eine Eisenbahn und ohne gute Straßen. Sitzt man auf solchem Platz, so sind die Kosten des Transportes so hoch, dass der Erlös der Erzeugnisse dadurch und durch die aufgewandte Zeit gleich Null ist. Der Kolonist sinkt von Stufe zu Stufe und verkommt schließlich. Wir konnten beruhigt unserer Arbeit nachgehen, da die englische Landgesellschaft, von der wir das Land hatten, in vorbildlicher Weise für die Erschließung sorgte. Sie baute sehr gute Autostraßen, legte in Abständen von 20 Kilometern neue Stadtplätze an und baute die begonnene Eisenbahnlinie weiter durch unser Gebiet. So kam es, dass wir schon nach drei Jahren von "Neu-Danzig" per Bahn nach Sao Paulo fahren konnten.

Nach dem Pflanzen hatten wir Zeit, an den Bau eines richtigen Hauses zu gehen. Der erste Rancho war nur eine Notlösung und sollte später als Stall dienen. Man baut im Urwald alles aus Holz, das der billigste Rohstoff ist. Da mein ältester Bruder inzwischen nach Sao Paulo abgereist war und dort in einer Bierbrauerei Arbeit gefunden hatte, musste ich mit meinem zwölfjährigen Bruder den Bau in Angriff nehmen. Wir fällten einige Bäume, behauten diese auf zwei Seiten und rollten sie auf ein 1 1/2 Meter hohes Gerüst. Mein Bruder stand oben, ich darunter, und dann teilten wir mit der Brettsäge den Stamm in Kanthölzer auf. Das hört sich alles sehr einfach an, war aber eine richtige Schinderei. Die ersten Hölzer waren alles andere als gerade: doch mit der Zeit hatten wir den Bogen raus und sägten mehrere Wochen Bretter. Zu unserer Erleichterung hatte meine Mutter noch zwei Arbeiter eingestellt, die auch Holz zum Bau sägten. Während dieser Zeit gedieh unsere Pflanzung prächtig. Der Mais, die Baumwolle, der Reis und die Bohnen waren gut aufgegangen. Doch auch das Unkraut wuchs leider viel schneller, besonders der wilde Tabak. Bis zur Ernte musste deshalb die ganze Pflanzung zweimal durchgehackt werden. Das ist wohl die schlechteste Arbeit, die ich in Brasilien kennengelernt habe. Ein Teil der Roca war trotz aller Bemühungen bald von diesem Unkraut überwuchert, und die Ernte später auf diesem Teil natürlich schlecht.

Das war das erste Lehrgeld, aber später kam noch viel dazu. Unsere Unkenntnis zeigte sich besonders deutlich bei folgendem Vorfall. Da wir Baumaterial und Lebensmittel auf dem Rücken heranschleppen mussten, wollten wir uns ein Pferd kaufen, um Zeit und Mühe zu sparen. Eines Tages bot uns ein Kolonist eine Stute an. Das Tier war schön fett, hatte ein glänzendes Fell und war auch nicht scheu, wie viele Pferde dort, die nur zum Reiten taugten. Nach langem Handel kauften wir das Pferd. Aber wie sah es nach 14 Tagen aus? Es war so mager geworden, dass ein Hut auf seinen Hüftknochen hängen blieb, auf einem Auge war es blind und das ganze Ansehen schrecklich. Wohin ich auch damit kam, überall gab es großes Gelächter. Später habe ich festgestellt, dass der Verkäufer die Stute mit verdorbenen Bohnen gefüttert hatte, bis sie dadurch aufgebläht wurde und zum Verkauf taugte. Natürlich verlor sie bei normaler Fütterung und Arbeit sehr schnell an Gewicht und Aussehen. Auf alle Fälle waren wir unser gutes Geld los und hatten noch den Spott zu tragen. Eines tröstete uns dabei, dass andere Siedler auch ähnliche Pannen erlitten.

Um ein naturgetreues Bild zu geben, dürfen auch nicht das Ungeziefer und Wild vergessen werden. Mücken, Ameisen und Sandflöhe waren als Hauptplagegeister in ungeheurer Zahl vorhanden. Die Moskitos belästigten uns hauptsächlich im ersten Jahr sehr, später haben wir das dann nicht mehr so stark empfunden. Anscheinend hatte sich unser Blut den neuen Umständen angepasst und war den Biestern nicht mehr so begehrenswert. Schon nach kurzer Zeit hatten sie unsere Arme ganz zerstochen, und diese juckten sehr. Wenn man dann noch kratzte, entstanden bald die schönsten Geschwüre, die bei der Arbeit sehr behinderten. In unserem Falle hatte nur meine Mutter das Pech, an den Unterarmen größere Wunden zu bekommen, mein Bruder und ich blieben davon verschont. Von den vielen Arten Ameisen, die wir bald kennenlernten, waren die sogenannten Wanderameisen die unangenehmsten. So passierte es uns oftmals am Tage und auch mitten in der Nacht, dass wir von Millionen dieser Tierchen besucht wurden. Die Ameisen marschierten in ein Meter breiten und viele Meter langen Kolonnen aus dem Walde heraus und waren durch nichts aufzuhalten. Die erste Bekanntschaft machten wir in einer Nacht, als wir plötzlich erwachten, weil wir überall gezwickt und gebissen wurden. Natürlich hatten wir von den älteren Siedlern schon von den Wanderern gehört und beeilten uns, in unsere Kleidung zu kommen und das Haus fluchtartig zu verlassen. Dabei hatte ich das Pech, dass die Ameisen schon in meinen Hosen waren und ich daher draußen einen Veitstanz aufführte, weil die Beißerei nicht aufhören wollte. So saßen wir in dieser Nacht wohl drei Stunden im Freien, hatten ein Feuer angezündet und warteten, bis der üble Besuch verschwunden war. Einmal hielten sich diese Quälgeister sogar einen ganzen Tag im Haus. Wie sahen unsere Lebensmittelvorräte aus, als wir wieder herein konnten! Viele Ameisen waren in den Zuckersack hineingekommen, hatten aber den Weg nicht mehr herausgefunden. Das gleiche galt für die Schmalztöpfe. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich auch daran, mitunter eine Ameise aus dem Essen zu fischen.

Die Ameisen waren nur ein zeitweiliges Übel, das man ohne großen Schaden über sich ergehen lassen musste, dagegen verhielt es sich mit den Sandflöhen ganz anders. Die winzigen Tierchen drangen in der Hauptsache unter die Fußnägel und legten dort ihre Eier ab. Auch in die Fußsohlen und Fersen bohrten sie sich gerne. Hier musste man nun mit der Nähnadel herangehen und die meist schon vereiterten Eiernester herausnehmen. Natürlich war das eine schmerzhafte Angelegenheit. Mein Bruder hatte einmal 55 solcher Nester an einem Fuß und konnte fast eine Woche keinen Schuh anziehen. Wir lernten bald, dass man sich vor den Sandflöhen schützen konnte, wenn man die Strümpfe mit Petroleum einspritzte. Jedenfalls überstanden wir alle Tücken des Urwaldes und arbeiteten weiter an der Verbesserung unserer Farm.

Trotz aller Mühe stellten wir aber bald fest, dass die Pflanzunq allein sich niemals ohne Kapitalzuschuss aus der Heimat rentieren würde, denn unsere Arbeitskraft reichte nicht aus und die Zuhilfenahme von bezahlten Arbeitskräften wurde auf die Dauer zu teuer. Dazu kam noch, dass die Preise für unsere Erzeugnisse von den Aufkäufern ganz willkürlich gemacht wurden. War die Ernte unserer Produkte gut ausgefallen, so war der Preis niedrig, dass sich die ganze Arbeit nicht gelohnt hatte und wir mit dem Erlös auf keinen Fall bis zur nächsten Ernte auskamen, geschweige noch eine Vergrößerung des Viehbestandes vornehmen konnten. Nach drei Jahren legten wir noch immer große Summen zu. Wohl erzeugten wir schon einen Teil unserer Lebensmittel selbst, aber viel musste noch gekauft werden, und unser Geld reichte auch nicht ewig. Inzwischen waren schon viele Danziger zurückgefahren, denn sie schafften es einfach nicht mehr und waren vor allen Dingen von Hause aus nicht gewöhnt, ständig schwerste Arbeit zu verrichten. Mancher Familienvater hatte sich dem Alkohol ergeben mit dem Resultat, dass die ganze Familie in bitterste Not und in Schulden geriet.

Das von uns gegründete Städtchen Neu-Danzig wuchs aber trotzdem und bestand jetzt schon aus etwa 100 Häusern. Die Gebrüder Neudam hatten eine Fleischerei eröffnet und befassten sich außerdem noch mit Autotransporter. Sie bauten in der Hauptstraße ein sehr geräumiges Steinhaus mit Laden und Wohnung und richteten dazu noch ein großes Schlachthaus ein. Das Geschäft schlug gut ein, weil es die einzige Fleischerei am Platze war. Der Mechanikermeister Nilson übernahm das Herstellen der gesamten Wasserleitung in den Häusern und Straßen des immer größer werdenden Ortes. Ein weiterer Danziger, früher Baumeister, fertigte sämtliche Zeichnungen für die Neubauten an. Sie alle hatten die Landwirtschaft aufgegeben und verdienten trotzdem sehr gut. Einige deutsche Kaufleute, in der Hauptsache aber Brasilianer, Italiener, Japaner und Portugiesen, machten gute Geschäfte. Zu den ersten 20 Danziger Siedlerfamilien hatten sich wohl noch 60 bis 80 Familien anderer Nationen gesellt. In einer deutschen Schule wurden die Kinder unterrichtet. Mit einigen Nachbarn verbanden uns freundschaftliche Beziehungen, und wir besuchten uns an Sonntagen oder zu manchen besonderen Anlässen.

Eine der schönsten Abwechslungen war für mich die Jagd. Wild gab es in großer Menge. Außer den verschiedenartigsten Vögeln konnte man Wildschweine, Rehe und Tapire schießen. Von letzterer Art habe ich in den sieben Jahren drei Exemplare selbst erlegt, davon wog das schwerste Tier mehr als 7 12 Zentner. Die Jagd ging meist so vonstatten, dass man mit seinen Hunden in den Wald ging und diese dann das Wild aufspürten. Der Jäger hatte ein Blashorn mit, aus dem Horn eines Ochsen angefertigt. Die damit abgegebenen Signale wurden von den Hunden, beachtet. Bald hörte man ihr Hetzen und Bellen und hatte nur noch für freies Schussfeld zu sorgen, denn die Hunde trieben das aufgespürte Wild in Richtung des Schützen, der die Signale gab.

Ein besonderes Erlebnis hatte ich einmal, als ich mit meinem Bruder durch Zufall eine "Anta" (Tapir) aufgespürt und angeschossen hatte. Das verwundete Tier war in den Urwald geflüchtet und ohne Hunde nicht mehr zu finden. Ich ließ deshalb meinen Bruder an der Stelle warten und holte unsere vier Hunde, die sofort die Fährte des Wildes aufnahmen. Wir warteten noch eine Weile, bis sich die Hunde meldeten und wir heraushörten, dass sie von einem Standort Laut gaben. Jetzt machten wir uns durch das Dickicht auf den Weg. Als wir jedoch über den Bach mussten und Unterholz und Bambusgebüsch noch dichter wurden, gab ich meine Flinte meinem Bruder, der am Fluss blieb, und schlängelte mich, nur mit Buschmesser und Revolver bewaffnet, weiter. Endlich lichtete sich der Wald wieder etwas, und ich sah die Hunde bellend und jaulend toben. Ein großer Ameisenbär beschäftigte sie stark. Der Ameisenbär stand aufgerichtet und teilte den um ihn herumspringenden Kötern kräftige Hiebe aus. Zwei bluteten schon stark, doch durch mein Erscheinen bekamen sie wieder neuen Mut. Ich musste jetzt schnell einspringen, um größeren Schaden zu verhindern. Drei Schüsse aus dem Trommelrevolver zeigten nicht die geringste Wirkung, obwohl sie auf Grund der kurzen Entfernung gut getroffen hatten. Mein Gewehr hatte ich ja nicht zur Hand, also musste ich anders helfen. Mit einem armdicken Ast zog ich dem Ameisenbär einige wuchtige Schläge über den Kopf. So erlegte ich das Tier und schaffte es mit Hilfe meines Bruders zu unserem Haus, wo ich es abzog und das Fell zur späteren Präparation an der Hauswand aufspannte.

Bei dem erlegten Tier handelte es sich um die große Art der Ameisenbären mit langem und sehr breitem Schwanz. Über Schulter und Rücken lief auf jeder Seite ein weißer Streifen. Aufgerichtet war das Tier ungefähr 1 1/2 Meter hoch. Es hat einen spitz zulaufenden Kopf, und an seinen sehr kräftigen Armen sitzen 8 bis 10 Zentimeter lange, gebogene Krallen, seine gefährlichen Waffen. Im allgemeinen greift der Ameisenbär niemals an, doch was er in seinen Armen hat, ist rettungslos verloren. Wir haben später nie mehr solch ein Tier erlegt, denn als Ameisenvertilger konnten sie uns nur von Nutzen sein.

An diesem Tage blieb die Arbeit liegen, denn wir wollten unbedingt noch die angeschossene Anta finden und begaben uns mit den Hunden weiter auf die Suche. Noch vor Beginn der Dunkelheit hatten wir sie verendet gefunden und ausgenommen. Mehrere Zentner Fleisch waren uns an diesem Tage ohne Kosten in die Hände gefallen und wurden zum Teil eingesalzen, der Rest wurde an die Nachbarn verteilt.

Ein weniger schönes Getier waren die Schlangen, in großer Zahl und verschiedenen Arten in Feld und Wald vorhanden. Ich habe es nie erlebt, dass mich eine Schlange angegriffen hat, sondern sie versuchte meistens zu flüchten. Auch in all den Jahren wurde kein Siedler von einer Schlange gebissen. Im Laufe der Zeit haben wir viele dieser Reptilien getötet, denn sie waren uns widerlich, und wir fragten nicht erst, ob sie giftig waren oder nicht. Von den vielen anderen Tieren will ich nur noch die Affen erwähnen, die manchmal in großen Rudeln bis an den Rand der Pflanzung kamen und dort in den Baumkronen ihr Unwesen trieben. Da ihr Fleisch nicht essbar war, ließen wir sie ungeschoren und ergötzten uns nur an ihren possierlichen Sprüngen. In der Nacht hörten wir oft die Brüllaffen schreien; es war für uns die Begleitung zu dem Konzert, das das andere Getier des Waldes veranstaltete.

Doch nun zurück zur Landwirtschaft. Wir versuchten durch Vergrößerung der Anbaufläche die Rentabilität des Betriebes zu steigern, aber das Resultat befriedigte uns nicht, denn die aufgewandten Löhne verschlangen den Gewinn. Der Viehbestand war bedeutend gewachsen. 20 Schweine wurden gefüttert, an Stelle der Ziege war eine Kuh angeschafft worden, und viele Hühner sowie sechs Schafe bevölkerten die Weide. Nun kam unser Hauptfehler zum Vorschein. Während z.B. die italienischen Siedler eine Dauerpflanzung angelegt hatten (Kaffee) und sich die ersten vier Jahre bis zur Kaffee-Ernte mit Zwischenpflanzungen durchschlugen, hatten wir uns verzettelt, indem wir alles versuchten und doch keinen durchschlagenden Erfolg erzielten. Eine Umstellung des Betriebes war daher notwendig, wollten wir vorankommen. Die Kaffeepflanzung lag uns nicht, viel mehr hatten wir mit der Viehhaltung erreicht, und beschlossen deshalb, eine richtige Milchwirtschaft aufzubauen. Zu dieser Zeit lebten auf dem Stadtplatz von Neu-Danzig schon 400 bis 500 Menschen, die eine Menge Milch gekauft hätten, wäre sie vorhanden gewesen.

Wir vergrößerten unsere Weide um zehn Morgen und zäunten alles mit Stacheldraht ein. Dann fuhren meine Mutter und ich nach Sao Paulo und kauften dort Zentrifuge, Buttermaschine, Milchkannen und andere notwendige Geräte ein. Auch einen neuen Sattel und einen Federwagen erstanden wir. Nach der Rückkehr schafften wir noch zwei diesmal wirklich gute Pferde an. Mein Bruder und ich wollten versuchen, durch den Urwald nach einem Viehzuchtgebiet zu reiten, wo es billige Kühe geben sollte. Wir schätzten den Weg auf ungefähr 150 Kilometer, davon waren 23 Kilometer Autostraße, dann ging es auf schmalem Pfad durch den Wald. Sehr früh brachen wir auf, um bei Tagesbeginn die Straße hinter uns zu haben. Das ganze Gebiet war unbewohnt, und stundenlang ritten wir ohne Behinderung bergauf, bergab. Zweimal versperrten uns breite Flüsse den Weg, und nur mit Mühe brachten wir die Pferde durch das Wasser.

In der Abenddämmerung suchten wir einen Platz zum übernachten. Verpflegung hatten wir genügend mit, auch Maiskolben für die Pferde. Auf einer Lichtung sattelten wir die Pferde ab und gaben ihnen zu fressen. Ein großer Rhizinusstrauch erschien uns mit seinen breiten Blättern genügenden Schutz gegen den am Morgen fallenden Tau zu bieten. Die Sättel als Kopfkissen benutzend, schliefen wir in der Einsamkeit, bis wir gegen Morgen zähneklappernd aufwachten und nach einem Imbiss weiterritten. Noch einmal mussten wir übernachten, bis wir endlich aus dem Urwald heraus waren und auf eine brasilianische Vieh-Fazenda kamen. Nach Landessitte machten wir uns durch Händeklatschen zehn Meter vor dem Wohnhaus bemerkbar und wurden von dem Hausherrn eingeladen, näherzutreten. Auf der Veranda des langgestreckten Farmhauses wurden wir von ihm begrüßt. Mehrere andere Männer, die zu seiner zahlreichen Verwandtschaft gehörten, kamen dazu und mischten sich in unsere Unterhaltung. Die Gastfreundschaft der Brasilianer ist sehr bekannt, und gerade diese Menschen, die weitab jeder Zivilisation leben, freuen sich besonders, wenn Besuch in ihre Abgeschiedenheit kommt. Wir hatten dem Besitzer unsere Pistolen abgegeben und durch diese Anstandspflicht seine Achtung erworben. Bald brachte eine Frau den unvermeidlichen Mocca, der aus kleinen Tässchen mit sehr viel Zucker getrunken wird. Danach wurden wir mit überschwänglichen Worten zum Essen und zur Übernachtung eingeladen.

Am Abend saßen wir noch mit dem Besitzer und seiner großen Familie mehrere Stunden zusammen, erzählten ihnen aus Danzig und trugen ihnen unsere Absicht, einige Milchkühe zu kaufen, vor. Noch mehr erregte eine Taschenlampe, die ich mithatte, die Bewunderung aller Anwesenden. Immer wieder ging sie von Hand zu Hand, wurde an und ausgeknipst, bis wir sie schließlich dem Hausherrn schenkten und er sie schnell in eigene Verwahrung nahm. Inzwischen wurde auch das landesübliche Getränk, der Chimerao, ein sehr bitterer Tee, herumgereicht. Für uns war diese Angelegenheit wenig appetitlich, denn jeder trank aus demselben Gefäß und benutzte dazu dieselbe Saugröhre. In Gedanken verglich ich diese Prozedur mit dem Rauchen der Friedenspfeife bei den Indianern Nordamerikas. Wir baten unseren Wirt, uns am nächsten Morgen einige frischmelkende Kühe zu zeigen, und legten uns danach in die schon vorbereiteten Betten.

Der andere Tag sah meinen Bruder und mich schon früh auf den Beinen, aber wieder mussten wir erst frühstücken und ein langes, freundliches Palaver über uns ergehen lassen, ehe einige Leute des Farmers eine Menge Kühe und Kälber vor die Veranda trieben, von denen wir uns fünf Kühe mit Jungtieren aussuchten und kauften. Dabei hatten wir tatsächlich etwa 1.200 Milreis gespart, da der Preis der Kühe hier um 50 Prozent niedriger war. Eigentlich wollten wir jetzt gleich den Heimritt antreten, aber unser Gastgeber war damit nicht einverstanden. Ich hatte mit meinem Fotoapparat von ihm und seinen Leuten noch einige Aufnahmen gemacht, und er bat uns, bis zum nächsten Morgen zu bleiben. Die Brasilianer inszenierten am Abend ein kleines Fest, auf dem sie uns bei dauerndem Herumreichen der Schnapsflasche einige ihrer Lieder vorsangen, die durch zwei Gitarrespieler begleitet wurden. Der Heimweg am nächsten Tag verlief unter mancherlei Zwischenfällen, denn die erstandenen zehn Rindviecher versuchten oft, in den Urwald auszubrechen. Trotzdem gelangten wir nach insgesamt acht Tagen Abwesenheit wohlbehalten zu Hause an. Als ich später nochmals denselben Fazendeiro besuchte und ihm die damaligen Aufnahmen brachte, wurde ich schon als alter Freund begrüßt. Verwundert betrachteten die Leute die Bilder und schüttelten immer wieder die Köpfe, dass sie auf der Rückseite der Fotos nicht von hinten zu sehen waren.

Zu Hause hatten wir nun viel zu tun, und der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Die Arbeit und das aufgewandte Geld hatten sich gelohnt. Jeden Morgen ritt ich mit 25 Liter Milch zum Stadtplatz, und an jedem Wochenende verkaufte ich einige Kilogramm Butter dorthin. Dadurch erzielten wir eine feste monatliche Einnahme bei bedeutend verringertem Risiko und weniger Arbeit. Das Vieh war das ganze Jahr über auf der Weide und bedurfte keiner besonderen Wartung. Neben Obst und Lebensmitteln für den Eigenbedarf bauten wir nur noch Mais als Viehfutter an, und errichteten einen großen Stall, der zur Hälfte zum Melken der Kühe bei Regenwetter gebraucht wurde, und in dem auch der geerntete Mais lagerte. Das Wohnhaus vergrößerten und verschönten wir durch den Anbau einer zweiten Veranda und einer Küche.

Damit hatten wir es innerhalb von fünf Jahren geschafft, aus dem Urwald eine blühende und einträgliche Landwirtschaft zu machen. Alle Schicksalsschläge und Nöte waren jetzt durch unsere Ausdauer überwunden. Auf Grund der nationalsozialistischen Propaganda zur Rückwanderung Ende 1938 traten wir die Heimreise nach Danzig an, und unser erworbenes Vermögen ging durch den schlimmen Ausgang des Krieges wieder verloren.

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Wolfgang
16.08.2013, 16:35
Aus "Unser Danzig", Ausgabe Nr. 4 vom 20. Februar 1986, Seiten 7-8

Ein Danziger in Brasilien
Wie wir uns wiederfanden
von Tillner/Tkotz

Es war im März 1928. Ich, Heinz Tillner, war damals in der 5. Klasse der neuen Katholischen Volksschule in Oliva, die am Markt lag. Die alte Volksschule befand sich im Domgelände, dort wurde ich eingeschult. Lehrer Zacholl nahm uns, nach der Begrüßung durch den Rektor Riebandt, in Empfang. Als Lehrer bekamen wir dann Herrn Dudeck, der in der Waldstraße wohnte und einen großen Garten hatte, der fast bis zum Nonnenhof ging.

In diesem Garten machten wir Schüler oft freiwillig Gartenarbeit. Dabei betraten wir eine besondere Stelle des Gartens stets mit besonderer Ehrfurcht, denn nach Meinung des Lehrers ruhten dort zwei russische Soldaten. Lehrer Dudeck nannten wir nur "Jerumchen". Wie kam er zu diesem Spitznamen? Nun, hatte einer der Schüler eine Frage falsch beantwortet, dann klang es obligatorisch aus dem Munde des Lehrers: "Jerumchen, du dummer Mitteleuropäer"!

"Jerumchen" fand es richtig, dass meine Eltern mich in die Mittelschule in Danzig-Langfuhr umschulten. Nach erfolgter Prüfung kam der Tag der Einschulung. Mit der Linie 2 ging es in Richtung Langfuhr bis zum Heiligenbrunner Weg, dort war die Fahrt beendet. An der Hand meiner Mutter lag noch ein weiter Marsch vor mir, denn der Heiligenbrunner Weg wollte kein Ende nehmen. Endlich hatten wir die Blindenanstalt erreicht, wo sich die neuen Schüler auf dem Schulhof versammelten. Dr. Wagner begrüßte uns, Klassenlehrer Konefke führte uns in das Klassenzimmer. In Doppelsitzer-Schulbänken nahmen wir Platz, neben mir Ronald Tkotz (ich nannte ihn nur "Peter"), vor uns beiden Bruno Liedtke und Paul Gehrke.

Peter und ich waren uns sofort sympathisch, und das sollte bis zum heutigen Tag andauern. Er wohnte im Coselweg 3 in Langfuhr. Sein Vater hatte eine Fabrik für Fahrräder in der Hauptstraße von Langfuhr. Unsere Freundschaft vertiefte sich mehr und mehr. Wir unternahmen manche Radtouren in die herrlichen Wälder Olivas, durch das Reineketal, nach Goldkrug und Freudental, vorbei an der Danzhöhe, die es heute nicht mehr gibt, die Birken am Abhang sind alle gefällt.

Dort wurde auch Geburtstag gefeiert, bei dem die jüngere Schwester Gitta auch dabei war. Heute wohnt sie in Brasilien und sie war es, die uns nach 1945 zwei Pakete schickte, wodurch ich ihre Anschrift erfuhr. Doch noch hatte ich meinen Freund Peter nicht gefunden. Erst über das Konsulat in Sao Paulo konnte ich auf Grund des Bekanntheitsgrades der Familie Tkotz die richtige Adresse erfahren. Groß war die Freude, als der erste Brief aus Cambé kam, der ehemaligen "Kolonie Nova Danzig". Heute besuchen wir uns trotz der riesigen Entfernung voneinander wieder gegenseitig getreu unserem Versprechen, das wir uns damals in Danzig gegeben haben, und das war so: Nachdem sich die Eamilie Tkotz wegen der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage zur Auswanderung nach Brasilien entschlossen hatte, kam Peter zu mir nach Oliva zum Abschiednehmen. Ich begleitete ihn bis Friedensschluss, Kronprinzenstraße, Heimstätte, 4. Hof. Wir stiegen von unseren Fahrrädern, lehnten sie an das Wartehäuschen, dann gaben wir uns feierlich das Versprechen, dass unsere Freundschaft nie enden dürfe, denn es könne kein Abschied für immer sein!

Und wir haben uns wiedergefunden. Peter (Ronald Tkotz) schrieb mir in seinem ersten Brief aus Brasilien am 30. September 1984: "Ich sitze hier und denke, was hat wohl der Heinz diese vielen Jahre getan, wie ist sein Leben verlaufen?" Wie schön, den Lebensbericht von "Peter" zu lesen!

In Brasilien
Seit 52 Jahren lebe ich in Brasilien. Viele Geschehnisse verlieren sich natürlich in der vergangenen Zeit, jedoch einige unvergessliche Erfahrungen prägten meinen Lebenslauf.

Am 25. Mai 1918 wurde ich in der Freien Stadt Danzig geboren, wo ich dann auch später die Schule besuchte. 1932, als ich 14 Jahre alt war, brachte das damals herrschende politische Chaos die Industrie meines Vaters an den Rand des Ruins. Auch der Verkaufsladen für Fahrräder, Grammophone und Waffen schwankte. Durch diesen unhaltbaren Zustand entschlossen sich meine Eltern, alles aufzugeben und nach Brasilien auszuwandern. Von dem Erlös des Verbliebenen wurden (über London) 10 "alqueires" oder 25 Hektar Land in der Zukunftssiedlung Sao Domingos in "Neu-Danzig" im Bundesland Parana gekauft. Um einen Umzug realisierbar zu machen, ließ meine Mutter große Kisten anfertigen, welche mit soliden Scharnieren versehen waren. Alles, was meine Mutter nun für den Urwald als lebens- und überlebenswichtig hielt, wurde vorsichtig in diese Kisten gepackt. Sie packte mit derartiger Genauigkeit und Sorgfalt, dass es tatsächlich bei der langen, umständlichen Reise keine einzige Scherbe gab. Mit Recht war sie damals stolz darauf. Außer einem vollständigen Haushalt enthielten die Kisten auch noch ein Motorrad, verschiedene Fahrräder, Grammophone und eine Auswahl an Jagdwaffen mit der entsprechenden Munition. Die Waffen siedelten mit um, da der Verkauf in Europa damals undurchführbar war. Es handelte sich um zu hohe Werte für eine Krisenzeit. Niemand hatte für Safaris in Afrika Geld. Nun, vielleicht gab es in Brasilien dafür einen Markt.

Nachdem alles in die Wege geleitet war, begaben wir uns Ende 1932 auf die irrsinnige Abenteuerfahrt nach Südamerika. Wir überquerten den Atlantik und gingen im Hafen von Santos an Land. Dort wurden wir von einem Vertreter der Compania de Terras Norte do Parana empfangen. Der Hauptsitz dieser vorbildlichen Kolonisationsfirma war in London "Parana Plantations". Nach einigen Tagen Aufenthalt in der Stadt Sao Paulo setzten wir uns in den Zug, der uns nach Jataizinho brachte (etwas über 500 km - 24 Stunden) und das Ende der Eisenbahn bedeutete. Es galt noch den Tibagi-Fluss mit einer primitiven Fähre zu überqueren, um dann im offenen Omnibus nach Londrina (Klein London) zu gelangen. Im Hotel Luxemburg konnten wir erschöpft übernachten. Londrina bestand zu der Zeit aus ein paar Holzhäusern, einer roten Staubschicht und viel Abenteuergeist. Am folgenden Tag kamen wir auf unser Land. Dort trafen wir meinen Bruder, der schon einige Monate vorher dort war und mit Hilfe eines Einheimischen eine provisorische Behausung erbauen konnte. Es war eigentlich eher ein Holzverdeck.

Da waren wir nun, mitten im Urwald, exotisch eingeschlossen und ziemlich ahnungslos. Wir erlebten den gigantischsten Kontrast, den man sich vorstellen kann. Eine völlig neue Welt, fern von Telefon mit Sonderanschluss direkt von der Firma zur Wohnung, Straßenbahnen mit automatischen Türen, Gas für den Herd und Elektrizität für den Komfort. Wir kämpften gegen Mücken und jede Art von Stechinsekten, holten das Wasser aus dem Bach, wohnten in einer bescheidenen Hütte und kochten auf offenem Holzfeuer. Die gutgebauten Reisekisten dienten als Wäscheschrank und als Anrichte. Nichts, rein gar nichts war auch nur im entferntesten so ähnlich, wie wir es bis dahin gekannt hatten...

Das völlig Neue und Fremde gehörte von da an zu unserem Alltag. Wie konnte man den Wald schlagen? Wie sollte man pflanzen? Wir stellten uns dieser Herausforderung, denn ein Mais- und ein Bohnenacker, eine Weide und die Tiere bedeuteten zweifelsohne unser Überleben. Zucker und Salz konnte im Dorf Neu-Danzig bei Alberto Koch gekauft werden. Unser Kontakt zur Außenwelt beschränkte sich auf ein paar Briefe, die gelegentlich in der Dorfpost ankamen oder abgingen. Ein Jahr später gab es dort schon einen zweiten Laden dazu. Ein Basar mit lauter Kleinkram. Während der darauffolgenden Jahre änderte sich jedoch nichts mehr und die Aussichten schienen gering.

Mein Vater, der ein halbes Jahr nach uns herübergekommen war, da ihn die Auflösung der Geschäfte etwas länger zurückhielt, erkannte seine Begrenzungen bei der Arbeit mit Land und Vieh bald und beschloss, versuchsweise in das Dorf zu ziehen, um eine Werkstatt zu eröffnen. Es waren schon mehr Ländereien erschlossen, und so reparierte man Kochtöpfe, Hacken und sogar mitunter Waffen. Eine Wendung war eingetreten und schon nach kurzer Zeit war es möglich, ein Grundstück zu erwerben und die Werkstatt zu vergrößern. Es wurde auch ein Verkaufsladen eingerichtet und erneut Fahrräder, Grammophone und dergleichen angeboten. Die Ware kam nun aus Sao Paulo.
Viele Auswanderer waren in den verstrichenen Jahren in die Heimat zurückgekehrt. Die Lage in Deutschland hatte sich gebessert und man verließ das Land der großen Anforderungen aber auch gleichzeitig das Land der Sicherheit. Es geschah der Zweite Weltkrieg, und viele fanden einen frühen Tod. Diejenigen, die ihrem Entschluss zur neuen Heimat treu geblieben waren, wie zum Beispiel unsere Familie, hatten zu der Zeit eine ganz neue Situation zu verkraften: die Verfolgung der Pseudo-Achsenanhänger. Japaner, Italiener und Deutsche hatten sich plötzlich polizeilicher Haussuche zu unterwerfen. Man fahndete nach kompromittierenden Beweisen, dass es sich um Landesfeinde handle. Der geringste Anlass bedeutete Gefängnisstrafe, und zwar mit den niedrigsten Kriminellen zusammen. Da erinnere ich mich besonders an den Fall eines Emigranten, der hier gut bekannte Herr Flatau, Ex-Polizeikommissar in Deutschland und jüdischer Herkunft. Flatau musste Europa verlassen, um sein Leben zu retten. Einige Propagandaflugblätter aus der Hitlerzeit waren damals bei seinem Umzugsgut dabei. Genau diese Unterlagen sollten ihm hier mehrere Monate Arrest bringen mit der Anklage, ein Nazi zu sein.

In der damals sehr heiklen Situation war jede Vorsicht ratsam. Es wurde kein Deutsch mehr gesprochen und alles, was eventuell falsch ausgelegt werden könnte, musste vernichtet werden. Die Waffen, die nicht verkauft worden waren, verschwanden fürsorglich. Auch unser Haus, wie so viele andere, wurde durchwühlt und man drang in jede Ecke, aber trotz Spannung und Sorge konnten wir jederzeit mit dem Zuspruch und dem Verständnis der hier gewonnenen Freunde rechnen.

Schon immer hieß es, die Not sei die Mutter der Erfindung. Genau so geschah es wohl auch bei uns. In der kontrovertierten Entwicklungszeit wurde sehr viel gelernt und improvisiert. Neue Aufgaben hatte auch in Brasilien eine Treibstoffrationierung bewirkt. Alle Kraftfahrzeuge mussten den Verkehr, wegen Benzinmangel, stark reduzieren oder sogar einstellen. Die Transportschwierigkeiten brachten wiederum die Sägewerke zum Stehen. Da kam in der Großstadt, als Alternative, ein Holzkohleaggregat auf. Cambé war von den Großstädten enorm weit entfernt. Es gab nur eine Lösung: Diese Aggregate müssen eben hier fabriziert werden! Aber wie? Durch ein wenig verfügbares Schriftenmaterial und durch ständige Aufmerksamkeit bei jedem Gespräch über das Thema entstand der Mut zu einem eigenen Versuch. Mein Endresultat, nach langen Tüfteleien, ergab eine Heimarbeit mit den Eigenschaften und der Qualität einer industriell hergestellten Ausrüstung. Meinen Holzkohlenvergaser baute ich in unseren "Pontiac"-Wagen ein und übergab ihn Antonio Takahashi, einem Japaner, der während vieler Jahre mit diesem Auto in der Stadt Taxi fuhr.

Mit der Zeit bestätigte das Experiment die Funktionsfähigkeit immer mehr, und ich wendete mich zufrieden neuen Programmen zu. Wir besaßen zum Beispiel einen Stromgenerator, der einen Benzinmotor als Antrieb benötigte. Wir hatten ihn von einem Pater aus der Nachbarstadt gekauft. Dieser Generator hatte Deutschland im Kriege 1914 als Energiequelle für Scheinwerfer beim Flugzeugfahnden gedient. Wir benutzten ihn, um damit Autobatterien aufzuladen. Ohne erhältlichen Treibstoff war dieser durch Jahre hindurch geleistete Dienst ins Stocken geraten. Da beschloss ich, 20 Autobatterien aneinander zuschließen, um auf 120 Volt zu kommen. Ein Holzkohlenaggregat ließ den Generator den ganzen Tag über laufen, und abends hatten wir dann Licht. Von da an baute ich diese Aggregate für mehrere Zwecke, besonders für die Lastkraftwagen der Sägewerke. Für mich selbst konnte ich einen Ford 1939 schön herrichten und bin dann mit diesem Auto 40 000 km auf den besten und auf den schlechtesten Straßen bis nach Curitiba und bis nach Sao Paulo gefahren.

Mit dem Kriegsende kam auch das Ende des "Gasogenio", so nannte man dieses Vergasersystem hierzulande. Die nun wieder anlaufende Wirtschaft wirkte sich in Nord-Parana ganz besonders stark aus. Reiche Kaffee-Ernten brachten den landwirtschaftlichen Fortschritt und somit emsigen Transport über mangelhafte Verkehrswege. Reparaturwerkstätten für Lkw und Autos waren sehr bald große Notwendigkeit. So entstand die Firma "Pedro Tkotz & Cia. Ltda". Pedro Tkotz, mein Vater, mit Auto und Kleinteilhandel und die Cia. Ltda. ich, mit einer Werkstatt im Hof. Wir besaßen eine elementare Drehbank, einen elektrischen Schweißapparat und ein halbes Dutzend Werkzeuge.
1948 heiratete ich. Meine Frau tauschte die Großstadt Sao Paulo gegen den unbeschreiblichen Staub in Nord-Parana, ähnlich wie meine Mutter 1932 den modernen Komfort gegen ein äußerst rustikales Leben getauscht hatte. Aber nun gab es bald Verbesserungen. Wir hatten in Cambé ein Telefon, und zwar mit Kurbel, Nummer 36, und von der Zentrale aus von einer freundlichen Mädchenstimme bedient.

Schon sechs Monate später beschloss ich, mich selbständig zu machen. Nach ausführlichen Gesprächen mit meinem Vater sah er meinen Wunsch wohl ein, aber wie diese Partnerschaft aufgelöst werden könnte, schien ziemlich unklar. Es gab praktisch nichts, was aufgeteilt werden könnte, auch kein Bargeld. Nun, ich erklärte, dass die Drehbank, das Schweißgerät und die Erlaubnis, die Werkstatt weiterhin zu benutzen, zu meinem Start genüge. Etwas ungläubig willigte mein Vater ein. Auf diese schlichte Weise fing ich damals, mit dreißig Jahren, mein Unternehmen an. Ein paar Werkzeuge, ein paar Pfennige und jede Hoffnung.

Es wurde jegliche Arbeit genommen und alles gemacht. Dampfkessel, welche Reis und Kaffeemaschinen antrieben, wurden zurechtgeschweißt, Stromanlagen mit Wasserrädern wurden installiert, man lernte beim Reparieren... In Büchern und Zeitschriften nachgeschlagen und gesucht und immer überall gefragt und aufgepasst. Am allermeisten beschäftigte mich das Problem der Federung mit der Aufhängung der Fahrzeuge. Durch die schlechten Straßen gab es da ständig große Pannen für den Transport. Wie groß ein Federnstock auch sein mochte, und wie vielseitig sortiert, er konnte nie ausreichen. Die Vehikel waren alle importiert, und bei der Fabrikation verwendete man andere Typen und Maße. Immer öfter war ich gezwungen, Federn zu zerschneiden oder zusammenzuschweißen. Also, was war naheliegender, als an Ort und Stelle selbst Federn zu fabrizieren! Dieser Gedanke verfolgte mich lange, sehr lange, bis ich beschloss, mir die notwendigen Grundkenntnisse zu beschaffen. Wie wird Stahl behandelt? Wie baut man einen Härteofen? Wer verkauft in Säo Paulo Stahl? Die ersten Kontakte wurden mit den Firmen Aliperti und Scripiliti aufgenommen, wo ich schon länger Federn kaufte. Als dort mein Vorhaben bekannt wurde, versuchte man mir zu erklären, dass es wohl leicht wahnsinnig sei, mitten im Wald etwas zu fabrizieren, das genaueste Technologie verlangt. Trotzdem blieb ich dabei und hielt an meinem Plan fest.

Praktisch alles, was ich bis dahin besaß, investierte ich in einen Dieselbrenner und Schamottsteine für die wichtigsten Teile des Ofens. Vervollständigt mit schlichten Bausteinen und einem Staubsauger. Ja, einem Staubsauger der Marke Elektrolux, welcher mit unserem Umzugsgut aus Deutschland mitgekommen war. Er arbeitete jahrelang im umgekehrten Verfahren, als Ventilator mit Hochdruck. Es wurde Stahl gekauft, und die Schmiedearbeit begann. In Cambé entstand die erste Metallindustrie, und sie beanspruchte meinen vollen Einsatz und meine vollständige Zeit. Ich widmete mich nun ausschließlich der Produktion und härtete jedes Teil selber. Das Geheimnis der guten Feder liegt an der Härtung, und bald waren meine Federn für den Ford 46 und 48 bekannt und gesucht. Man kam von weit her, um sie einbauen zu lassen.

In kurzer Zeit benötigte ich Helfer, aber die Schwierigkeit lag, wie schon gesagt, beim Härten. Es war nicht möglich, diesen Arbeitern beizubringen, wann der ideale Zeitpunkt der Bearbeitung erreicht war. Die Fabrik wurde oft von Neugierigen und von "Schlaubergern" aufgesucht, und an den verschiedensten Ratschlägen und Kommentaren fehlte es nie. Eines Tages fiel mir eine so dahinerzählte Geschichte besonders auf. Ein Besucher rühmte sich, den allerbesten Schmied zu kennen. "Ja, dieser Schmied", meinte er, "dieser Schmied kann wirklich Stahl härten, der härtet mit Horn!" Wie und was ich auch immer weiterfragte, er konnte sich nicht besser erklären. Er wiederholte nur "der härtet mit Horn". Dieser Satz beschäftigte mich auch zu Hause noch und ließ mir am Abend keine Ruhe. Dann hielt ich das ganze für Unsinn. Plötzlich in der Nacht kam mir blitzartig die Antwort. Der Schmied wird mittels Horn die Temperatur des Stahles feststellen können. Sofort am nächsten Morgen ließ ich vom Schlachthof einige Hörner holen. Eine Feder wurde erhitzt und als die nach meiner Erfahrung richtige Temperatur erreicht war, fuhr ich mit dem Horn über die glühende Oberfläche des Stahles. Ès schmolz das Horn und glitt sanft über das Material. Der Schmied hatte recht, der Zufallsbesucher sprach richtig und meine Fantasie hatte es zusammengereimt. Wenn die Temperatur nicht stimmte, schmolz das Horn nicht. Von da an verwendeten wir die moderne Technik der "Homologie" zur Verarbeitung von Stahl, und ich konnte meine Helfer mit einem überaus originellen Präzisionsmessgerät an den Härteofen stellen: ein Horn. Auf diese Weise wuchs die Produktion, und die Fabrik breitete sich aus. Ich kann mich noch erinnern, damals zu meiner Frau gesagt zu haben: "Wenn wir es fertigbringen, 10 Tonnen im Monat zu fabrizieren, pensioniere ich mich". Heute verarbeiten wir 400 Tonnen, und ich sehe meinen Ruhestand in immer weitere Ferne rücken, er muss irgendwo bei den 10 Tonnen verlorengegangen sein.

Unsere Stadt entwickelte sich, vergrößerte sich (heute 60.000 Einwohner), und wir lagen mitten im Zentrum. Ein unhaltbarer Zustand, also zogen wir um. Es konnte ein größeres Grundstück am Stadtrand gekauft werden, und ich baute eine kleine Halle und ein Büro. Dieses geschah 1960-61. Es war der Kern der Automo las Equipamentos und fiel genau in die Zeit, da die Schule und die Ausbildung meiner drei Kinder besondere Sorgfalt verlangten. Die große Lücke, die mir durch den Mangel an Gelegenheit einer orientierten Ausbildung einiges erschwerte, ließ mich aufmerksam entscheiden, dass sich dieses bei Vicki, Klaus und Thomas nicht wiederholen sollte.

Zu der Zeit hatte Vicki in einer guten Schwesternschule unserer Stadt, dem Colegio Maria Auxiliadora, die vier Grundschuljahre besucht und zog dann anschließend zu den Großeltern nach Sao Paulo, um auf eine doppelsprachige Schule zu gehen. Die Landessprache und die Sprache der Eltern sollte gepflegt werden. Das gleiche sollten die anderen beiden auch, immer dem Wunsch folgend, ihnen das bestmögliche zu bieten.

1961 zogen wir nach Säo Paulo um, obwohl wir wussten, welche Risiken damit zusammenhängen, 520 km vom eigenen Betrieb entfernt zu leben. Wir wohnten in einem Apartment in Stadtzentrumsnähe, aber schon nach zwei Jahren, eigentlich von den Kindern dazu angespornt (sie wohnten ungern in einer Etagenwohnung), begann ich mit dem Bau eines Eigenheimes in der Südzone von Säo Paulo.

Nach unzähligem Kommen und Gehen zwischen Sao Paulo und Cambé, in einer Zeit größter und schwierigster Inflation, konnten wir nach zwei weiteren Jahren jedoch unser Haus mit Garten in der Granja Julieta beziehen. Heute, 20 Jahre später, liegt unser Haus in einer vollbebauten Wohngegend und ist von jeder Annehmlichkeit umgeben.

Vicki absolvierte 1974 die Medizinische Hochschule, Klaus 1978 die Technische Hochschule und Thomas wurde 1983 Maschinenbauingenieur. Alle Kinder kamen langsam wieder nach Cambé zurück, ohne jedoch ihre Ziele aus den Augen zu lassen. Selbst die Enkel schließen sich schon freiwillig der Weiterführung des Unternehmens an.

Es existiert die Firma Automolas seit 1961 und das kleine Walzwerk "Laminacao Sao Pedro" seit zwei Jahren. Die Philosophie der technischen Unabhängigkeit und der Wertung des Mannes durch seine Arbeit wird von einer Familie vertreten, die sich bemüht, mit vereinten Kräften diese Ideale aufrechtzuerhalten.
Heute kann ich mich mit ein wenig Stolz vorstellen: Ronald Tkotz, in der Lebensschule ausgebildet und nicht allein!

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Wolfgang
16.08.2013, 16:38
Aus "Unser Danzig", Heft Nr. 12 vom 20. Juni 1992, Seiten 6-7

60 Jahre Neu-Danzig in Brasilien
von Helmut Roick

Im Frühsommer dieses Jahres sind 60 Jahre ins Land gegangen, seit sich Auswanderer aus Danzig in der Provinz Parana in Brasilien eine neue Heimat schaffen konnten. Zu Beginn der dreißiger Jahre herrschten, hervorgerufen durch die Weltwirtschaftskrise, sowohl im Deutschen Reich als auch in Danzig wirtschaftliche Verhältnisse, die es nahelegten, Angeboten in Übersee zu folgen, die eine bessere Situation versprachen. Aus einem Bericht des deutschen Konsulats in Parana vom Oktober 1931 geht bereits hervor, dass es eine "Siedlungsgemeinschaft Neu-Danzig e.G.m.b.H." gab, die mit der englischen Gesellschaft "Parana Plantagen-Companie Terras" in Verhandlungen stand, um dort Land zu erwerben. Eingeschaltet in diese Verhandlungen waren der Senat der Freien Stadt Danzig und das Auswärtige Amt in Berlin, beide Institutionen legten Wert darauf, dass die Verhandlungen auf der Basis der bereits vorher mit anderen deutschen Siedlungswilligen geübten Regularien geführt werden sollten, wobei eine Übereinstimmung mit der Organisierung einer planmäßigen Auswanderung durch das Auswärtge Amt erzielt werden sollte.

Der dann geschlossene Vertrag mit der englischen Gesellschaft ergab nun die Möglichkeit, Land zu erwerben. Von April bis zum Dezember 1932 konnte an 37 Siedler Land verkauft werden, 32 von ihnen waren Deutsche. Der Kaufpreis lag offensichtlich sehr niedrig. Das geht aus einem Bericht des Präsidenten des Werberates der deutschen Wirtschaft, Dr. Freiherr von Bodenhausen, hervor. Er führt u.a. aus: "Abschließend kann gesagt werden, dass die Siedlungsmöglichkeiten im dortigen Konzessionsgebiet ganz ungewöhnlich günstig liegen, dass für tüchtige Menschen auch mit geringem Kapital ein Fortkommen garantiert ist und dass man zur Erweiterung dieser Siedlungsunternehmen unbedingt zuraten kann."

Das angesprochene Konzessionsgebiet beträgt 600.000 Alqueiren (1 Alqueire = 10 preussische Morgen) und liegt zwischen den Flüssen Parana - Ttahy - Pranapanema. Die Bodenqualität ist durchweg hervorragend. Eine benachbarte bereits bestehende Kolonie Rolandia galt für Verwaltung und Verfassung als Vorbild und wurde als Muster auch für Neu-Danzig angesehen. Die in der Kolonie erzeugten Produkte der Bauern-Siedlung werden zum Zeitpunkt 1935 genossenschaftlich erfasst und vermarktet. Der Anfang des landwirtschaftlichen Anbaus beschränkte sich zunächst auf die Eigenversorgung: Mais und Bohnenfelder, eine Weide und Tiere mussten genügen. Gewohnt wurde in Hütten, die mitgebrachten Kisten mit Hausrat dienten als Schränke. Es war eine völlig neue entbehrungsreiche Welt, in der die Siedler den Kampf gegen die Unbilden des Urwaldes zu bestehen hatten.

Die Reise in dieses fremde Land erfolgte zu Schiff über den Atlantik. Nach der Landung in Santos ging es nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Sao Paulo mit dem Zug 500 km weiter nach Westen bis zum Ende der Eisenbahnstrecke, eine Fahrt von 24 Stunden Dauer. Die letzte Etappe führte über die bereits bestehende Kolonie Londrina schließlich in das Dorf Neu-Danzig.

Nur allmählich wuchs die Siedlung, es wurden weitere Ländereien erschlossen, dennoch war die Verbindung mit der Außenwelt äußerst gering. Aber nicht jeder vermochte der neuen Arbeit mit Land und Vieh zu entsprechen. Andere Betätigungen ließen sich nur in geringem Umfang finden. Ein Laden und ein Basar sowie eine Werkstatt für einfache landwirtschaftliche Geräte boten die Chance zum Überleben.

Die Verbesserung der Lebensverhältnisse in Deutschland nach 1933 veranlasste viele Auswanderer, in die Heimat zurückzukehren. Diese Tatsache führte zu einer Stagnation des Aufbaus. Diejenigen, die ihrem Entschluss zur neuen Heimat treu geblieben waren, hatten mit Beginn des Zweiten Weltkrieges eine ganz neue Situation zu verkraften. Die Verfolgung der Deutschen, Italiener und Japaner äußerte sich in Hausdurchsuchungen, ihrer Verdächtigung als Landesfeinde. Damals wurde kein Deutsch mehr gesprochen und alles, was eventuell falsch ausgelegt werden könnte, wie z.B. Schriften, musste vernichtet werden, so auch die Waffen, die man zur Jagd benötigte. Ergebnis dieser Entwicklung war schließlich, dass der Name Neu-Danzig nicht mehr erwünscht war, die Stadt erhielt den Namen Cambé. Gegenwärtig hat die Stadt 60.000 Einwohner, eine Entwicklung, die in den Nachkriegsjahren rasch voranging.

Von dem Willen, das deutsche Volkstum zu bewahren, zeugen der Bau der ersten Schule, der Kirche und auch des Bahnhofs. Eine der großen Schulen trägt z.B. den Namen "Escola Pedro Tkotz", jenes Mannes, der sich auch in hohem Maße um die Stadt verdient gemacht hat. Als nach dem Kriege die wieder anlaufende Wirtschaft sich auch in Nord-Parana auswirkte, in der Landwirtschaft reiche Kaffee-Ernten zu verzeichnen waren und im Verkehrsbereich ein hoher Bedarf eintrat, gründete sich die Firma "Pedro Tkotz & Cia. Ltda." Sie befasste sich zunächst mit Reparaturarbeiten für Lkw und Pkw, bis sie später zum ersten Produzenten der Stahlverarbeitung wurde. Seit 1961 erweiterte Tkotz seine Aktivitäten und gründete die Firma Automolas und das kleine Walzwerk "Laminacao Sao Pedro".

Indessen hatte sich auf landwirtschaftlichem Sektor manches getan. Die Besitzverhältnisse hatten sich erweitert, sodass die jetzigen Eigentümer von Grund und Boden auf Hazienden wirtschaftlichen Erfolg anstreben konnten, obgleich die hohen Inflationsraten in Brasilien Sorge bereiteten. Unter den Hazienda-Besitzern ist Herr Löb-Caldenhoff hervorzuheben. Seiner Initiative ist es zu danken, dass auf seinem Anwesen ein umfangreiches Museum entstanden ist, dessen Konzeption darauf ausgerichtet ist, die Geschichte der Siedlung Neu-Danzig zu dokumentieren, wobei auch Wert darauf gelegt wird, die heimatlichen Wurzeln sprechen zu lassen. Es ist zu hoffen, dass dieses deutsche Volksgut auch über die gegenwärtige Generation hinaus bewahrt werden kann.

Aus der Ferne gelten den Nachkommen der Gründer der Stadt herzliche Glückwünsche zum Gedenken des 60jährigen Bestehens, verbunden mit dem Wunsch für eine gute Entwicklung in der Zukunft.

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MueGlo
16.08.2013, 23:03
Moin,

auf meinem Weg von Fortaleza, Ceará, im Nordosten Brasiliens, nach Patagonien und Feuerland --- mit 11-jährigem Zwischenstopp in Santa Catarina, der Bundesstaat südlich von Paraná, bin ich Ende 1990 an Cambé vorbeigefahren ... ohne natürlich zu wissen, dass es sich um eine Danziger Siedlung handelt.

Mit jetzt knapp 100.000 Einwohnern gilt Cambé eher als Kleinstadt denn als Großstadt.

Der brasilianische Wikipedia-Artikel über Cambé geht kurz auf den Danziger Teil der Geschichte ein:

http://pt.wikipedia.org/wiki/Cambé

Beste Grüße,

Rainer MueGlo

Ulrich 31
16.08.2013, 23:50
Hier die holprige deutsche Google-Übersetzung des von Rainer per Link eingestellten Cambé-Artikels in Portugiesisch. Der rote Kreis in Flagge und Wappen von Cambé (ursprünglich "Nova Dantzig") ist übrigens eine stilisierte Kaffeebohne.

http://translate.google.de/translate?hl=de&sl=pt&u=http://pt.wikipedia.org/wiki/Camb%C3%A9&prev=/search%3Fq%3Dnovo%2Bdantzig%2Bcamb%C3%A9%2Bbrasili en%26biw%3D1280%26bih%3D669.