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Helga +, Ehrenmitglied
12.02.2008, 14:36
Reise in die Vergangenheit

Mein Vater stammt aus Danzig. Danzig, das war mir immer ein Begriff. Seit früher Kindheit wußte ich von der Schönheit dieser Stadt, von der Trauer, nicht mehr in dieser Stadt zu leben, von der Hoffnung, irgendwann zurückzukehren. Das Krantor, die Lange Brücke und die Mottlau wohlvertraut, denn ein Foto hing immer in unserer Wohnung. Ich kannte die Langgasse, die Frauengasse, den Langen Markt und so vieles mehr. Natürlich nur vom Hörensagen, denn ich wurde erst 1949 in Essen geboren. Aber in mir war immer die Sehnsucht nach diesem Osten, nach diesem Danzig. Und eigentlich wollte ich immer einmal hin.

Aber irgendwie war wohl nie die Zeit, bis ich eines Morgens ganz klar wußte, ich fahre nach Danzig. Nicht irgendwann in irgendeiner fernen Zukunft, sondern jetzt. Als ich meiner Tochter davon erzählte, war für sie klar, mitzukommen. Mein Vater, der nach einem Besuch 1992 nicht mehr in seine Heimatstadt fahren wollte, hatte nur einen Wunsch: "Nehmt ihr mich mit?" "Ja, ja und nochmals ja und mit tausend Freuden." Etwas Schöneres als diese Reise mit meinem Vater konnte ich mir kaum denken. Innerhalb kürzester Zeit hatte meine Tochter Zimmer und Flüge gebucht, ich einen Reiseführer und ein Wörterbuch gekauft und gelernt, einige polnische Wörter auszusprechen. Schon saßen wir im Flugzeug und hörten mit Freude die Ansage des Piloten: "Wir werden einen guten Flug haben, denn wir fliegen in die Sonne, wir fliegen nach Danzig." So war es und nach gut einer Stunde waren wir dort. Es stand zwar Gdansk, aber das war nicht wichtig, ich las Danzig; und wir waren in Danzig. Mein Papa, meine Tochter und ich.

Wir wohnten in der wunderschönen Frauengasse in einem typischen schmalen Danziger Haus. Ganz schnell machten wir uns auf zum ersten Rundgang. Mein Vater führte uns an der mächtigen Marienkirche vorbei auf die Jopengasse Richtung Zeughaus und auf die Langgasse, die genau so wunderschön aussah wie ich sie von alten Bildern kannte. Dieses wunderschöne Rathaus, der Lange Markt, vorbei am Neptunsbrunnen und am Artushof und dann runter durch das Grüne Tor an die Mottlau. Längs der Langen Brücke dann vorbei am Heiliggeist Tor und jetzt standen wir endlich vor dem berühmten Krantor. Dann aber weiter zum Häkertor, in die Häkergasse und dann befanden wir uns dort, wo einst meines Vaters Vaterhaus stand. Die Häuser gibt es nicht mehr. Das war ein bewegender und ein schlimmer Moment, tausend Gedanken, die plötzlich in mir waren. Erinnerungen und Tränen bei meinem Vater, aber auch bei uns, meiner Tochter und mir. Plötzlich hatte alles ein Gesicht und auch vor meinem Auge entstand das, was ich doch nie erlebt hatte. Eine schöne Stadt, das Leben dort, eine glückliche Kindheit in Liebe und Geborgenheit - dann Schnitt - eine brennende Stadt, Flucht, Verzweiflung und Schmerz, der nie mehr vergehen wird.

Der nächste Tag war knackig kalt, aber wunderschön, so daß mein Vater meinte, wir sollten bei diesem herrlichen Wetter auf jeden Fall nach Zoppot fahren. Ein Traumtag und wir standen an der Ostsee, an diesem endlosen Seesteg. Es war eiskalt aber wunderbar. Ein blauer Himmel mit weißen Wolken, eine blaue Ostsee, schreiende Möwen und Schwäne, die stolz daher schwammen. Natürlich erst einmal den Seesteg rauf und 'runter, dann am Strand entlang und noch einen Rundgang durch Zoppot bevor es wieder nach Danzig ging, wo wir durch die vielen kleinen Gassen liefen. Meine Tochter und ich hatten Fragen über Fragen, die mein Vater zwar alle beantwortete, was ihm aber oft sehr schmerzlich war, wobei ihm aber immer wieder immer mehr Erinnerungen aufstiegen, mit denen er uns fütterte.

Was meinem Vater wichtig war, ein Besuch in Heubude. Dort waren sie als Jungen immer mit dem Rad hin. Wir fuhren mit dem Taxi und einem Fahrer, der ganz gut deutsch sprach. Aber Heubude, das kannte er nicht. Erst nach Beschreibungen fiel ihm dann ein, das könnte Stogi sein. Ja Stogi war Heubude. Einiges hatte sich auch dort verändert, aber die Ostsee war da. Selige Erinnerungen. Das Taxi brachte uns zwei Stunden später zur Westerplatte. Ich wollte sehen, wo damals dieser unselige Krieg begonnen hatte. Ich wollte auch Neufahrwasser sehen, von wo aus meine Großeltern 1945 mit einem Schiff nach Dänemark flüchteten.[/FONT]

Nur noch ein Tag Danzig. Noch einmal Papas altvertraute Wege gehen, die täglichen Gänge, der Weg zur Schule, zum Sport, zum Bootssteg, immer wieder die alten Gassen, noch einmal die Häkergasse, Brausendes Wasser und Fischmarkt, noch einmal durch alle Tore und abends noch einmal längs der Mottlau nach Hause gehen. Wir haben alle Gassen und Orte besucht, die mir aus Erzählungen schon lange bekannt und vertraut waren, alles das, was meinem Vater als Kind und sehr jungem Mann lieb und teuer war. Es war eine Reise in die Vergangenheit, verbunden mit vielen Erinnerungen und Freude aber auch mit viel Trauer, Schmerzen und Tränen, aber wichtig. Ich denke, wichtig für meinen Vater, noch einmal in der Heimat gewesen zu sein und sie wiederzuerkennen. Für mich und meine Tochter als Nachgeborene ein wichtiger Blick in die Vergangenheit. Wir können uns jetzt vorstellen, wie unsere Familie damals gelebt hat.

Ich verstehe jetzt so manches viel besser; wie schrecklich es für meine Großeltern gewesen sein muß, in Ungewißheit die Heimat zu verlassen, irgendwann als unwillkommene Ostdeutsche in den Westen zu gelangen und nach vielen Jahren der Hoffnung irgendwann einsehen zu müssen, daß es kein Zurück mehr geben würde.

Am nächsten Morgen verließen wir Danzig mit Tränen in den Augen. Für mich war diese Reise mit meinem Vater die wichtigste und interessanteste meines Lebens und sie wird mir zeitlebens unvergessen bleiben. Das Stück Bernstein, welches mein Vater mir in der Frauengasse schenkte, gehört seitdem zu meinen wichtigsten Besitztümern.

Ich habe mich in diese Stadt verliebt, ich spüre eine Verbindung in mir zu Danzig und ich werde wiederkommen. Wieder und wieder ... und wieder.

Wolfgang
12.02.2008, 17:43
Hallo Helga,

ein wunderbarer Beitrag den ich immer wieder gerne lese!!!


Am nächsten Morgen verließen wir Danzig mit Tränen in den Augen. Für mich war diese Reise mit meinem Vater die wichtigste und interessanteste meines Lebens und sie wird mir zeitlebens unvergessen bleiben. Das Stück Bernstein, welches mein Vater mir in der Frauengasse schenkte, gehört seitdem zu meinen wichtigsten Besitztümern.

Ich habe mich in diese Stadt verliebt, ich spüre eine Verbindung in mir zu Danzig und ich werde wiederkommen. Wieder und wieder ... und wieder.

Du spürst Verbundenheit zu Danzig. Kannst Du Dir das erklären, ist das für Dich nachvollziehbar? Ist es, weil Du mit Deinem Vater dort warst? Ist es, weil Du spürtest, dass Unerklärbares in Dir aufwachte und ein Band zur Heimat Deines Vaters, Deiner Urheimat, knüpfte?

Für mich ist Danzig Heimat. Bis vor ca. 15 Jahren wusste ich nichts mit dem Begriff "Heimat" anzufangen. Dann war ich in Danzig. Und wusste, was Heimat ist. Über Wissen zu verfügen bedeutet, einen Schlüssel in der Hand zu halten. Dieser Schlüssel ermöglichte es mir, etwas Licht in mein eigenes Ich, meine Neigungen, unerklärbaren Vorlieben und Sehnsüchte zu bringen.

Es klingt verrückt, aber so wie sich ein Pomuchel nur im Wasser wohl fühlt, fühle auch ich mich nur wohl, wenn ich in Danzig bin oder zumindest von Danzig träume. Danzig ist in mir, Tag für Tag, Nacht für Nacht.

Schöne Grüße
Wolfgang

Frischula
12.02.2008, 22:45
Helga,

das stimmt: wer einmal in Danzig/ Gdansk war, der will immer wieder dort hin! So geht es mir: 2002 das erste mal in Danzig meiner Vorfahren gewesen,
dann 2004, dann 2006, 2007 und jetzt wieder in 2008! Die Abstände werden immer kürzer ...

Ich freue mich schon wieder auf einen neuen Besuch im Mai!!!

Greetings Frischula

Beate
13.02.2008, 00:46
Hallo Helga, ein schöner Bericht, und wie schön für euch, dass ihr zusammen reisen konntet. Dadurch war es sicher für deinen Vater auch leichter, mit mancher Enttäuschung fertig zu werden.
Seid ihr inzwischen noch mal in Danzig gewesen?

Helga +, Ehrenmitglied
13.02.2008, 04:22
Hallo Wolfgang,



Du spürst Verbundenheit zu Danzig. Kannst Du Dir das erklären, ist das für Dich nachvollziehbar?........

Für mich ist Danzig Heimat. Bis vor ca. 15 Jahren wusste ich nichts mit dem Begriff "Heimat" anzufangen. Dann war ich in Danzig......

Danzig ist in mir, Tag für Tag, Nacht für Nacht.

Nein, erklären kann ich das nicht. Ich kann es nur fühlen und empfinden. Nachdem Zeit meines Lebens diese latente Sehnsucht in mir war, stand ich dann plötzlich dieser Stadt und in mir war das Gefühl, in dieser Stadt bin ich zuhause, irgendwie war ich angekommen. Tut mir leid, ich kann es nicht besser erklären, auch wenn sich das vielleicht merkwürdig anhört.

Daß ich mit den Erinnerungen meiner Verwandten an Danzig und Ostpreussen groß geworden bin, ist zu wenig an Erklärung, denn ich habe 3 Geschwister, die genauso aufgewachsen sind, denen das alles reichlich egal ist.

Was ist Heimat. Heimat ist für mich Deutschland, ist für mich das Ruhrgebiet. Eigentlich. Tatsächlich hat es mich immer wieder fortgezogen, Richtung Norden, Richtung Meer. Und jetzt zieht meine Sehnsucht nach Osten. Was immer du über deine Gefühle über Danzig berichtest, kann ich soooo gut verstehen. Und ich beneide dich ein bißchen darum, daß du das alles so intensiv denken, leben und lieben kannst. Ich denke auch jeden Tag an Danzig, träume auch des öfteren davon, aber während ich noch auf der Reise bin, bist du angekommen. Und das ist schön. Und gut. Genieße es weiterhin. Und irgendwann werden wir uns dort treffen. In deinem, meinem, unseren Danzig. Da mußt du dann wohl durch:):):)

Gisela Schwetje
01.03.2008, 18:02
Liebe Helga, wunderbar Dein emotionaler Reisebericht. Liebe Grüße

Helga +, Ehrenmitglied
01.03.2008, 21:29
Liebe Helga, wunderbar Dein emotionaler Reisebericht. Liebe Grüße

Liebe Gisela,

vielen Dank, es war halt auch eine sehr emotionale Zeit, die wir in Danzig verbracht haben. Die Beziehung zu meinem Vater hat sich nach unserer Reise auch sehr intensiviert, was ich wunderschön finde.

Aussie
07.03.2008, 08:44
vielen Dank, es war halt auch eine sehr emotionale Zeit, die wir in Danzig verbracht haben. Die Beziehung zu meinem Vater hat sich nach unserer Reise auch sehr intensiviert, was ich wunderschön finde.
Mein Papa, meine Tochter und ich in Zoppot
Aha! Du hast also Versteck mit mir gespielt. Sehr huebsche Maedchen, netter Papa!! Ledig???
Gruesse von Christa.

wollflocke
08.07.2012, 00:45
Liebe Helga,
vielen dank für Deine nette mail mit dem hinweis auf Eure gemeinsame reise in die vergangenheit, zugegeben, der bericht hat mich sehr berührt.
Meine mutter hat uns viel aus ihrer Danziger jugendzeit erzählt, doch sie wollte niemals wieder dorthin. Vielleicht hätte eine reise in ihre vergangenheit nur alte wunden wieder aufbrechen lassen. Gut, jeder mensch reagiert anders - für mich ist heimat nicht "grund u. boden", den wir nun mal verloren haben, sondern ich fühle mich allerorten wohl, für mich gehören dazu freunde, einfach nette menschen - DA bin ich zu-hause.

Gisela Schwetje
08.07.2012, 10:46
Hallo an Alle, habe heute in unserer Tageszeitung v. 07.07.2012 folgende Neuigkeit gelesen: Von sofort an können Touristen Danzig mit dem Wassertaxi erkunden. Zwei Routen wurden jetzt für den Publikumsverkehr freigegeben, teilte das Polnische Fremden- verkehrsamt mit. Eine Strecke führt von der Straße "Zabi Kruk" in der Vorstadt auf der Mottlau vorbei am mittelalterlichen Stadtzentrum und dem Danziger Hafen bis zur Westerplatte. Die andere Route verläuft vom Fischmarkt zum Segelzentrum an der Mündung der Kühnen Weichsel in die Ostsee. Die Fahrt mit dem Wassertaxi dauert rund zwei Stunden und kostet pro Richtung umgerechnet 2,30 Euro. Elf Taxistationen an der Strecke werden eingerichtet.

Vielleicht ein interessanter neuer Tip?

Lb. Grüße
Gissela Schwetje

Gisela Schwetje
08.07.2012, 10:50
Melde mich noch einmal, wo ist die Straße "Zabi Kruk", wie hieß diese Straße früher und von der "Kühnen Weichsel" habe ich auch noch nichts gehört.
Bin eben ein bißchen d....
Vielleicht bekomme ich ja hierauf eine Antwort.
Grüße
Gisela

Rahmenbauer14, + 1.11.2021
08.07.2012, 11:05
Hallo Gisela,

Zabi Krug hieß früher "Poggenpfuhl". Sie führt von der "Podwale Przedmiejskie" über die "Torunska" bis zur " Jana Augustynskiego". Oder von der Alten Mottlau (linke Seite) aus: 1. Targ Maslany (Winterplatz?), 2. Lastadia (Lastadie), 3. Zabi Krug.

Die "Kühne Weichsel" heißt heute "Wisla Smiala".

Schönen Sonntag

Rainer

Gisela Schwetje
08.07.2012, 13:17
Hallo Rainer, danke für die prompte Antwort.
Auch dir einen schönen Sonntag,
Gisela

Ulrich 31
08.07.2012, 18:47
Hallo Gisela,

zu Deiner Information über die neuen Wassertaxis in Danzig siehe auch das Forum-Thema "Danzig auf dem Wasser"
(http://forum.danzig.de/showthread.php?8462-Danzig-auf-dem-Wasser). Dort findest Du auch die betr. Fahrpläne.

Viele Grüße und noch einen schönen Sonntagabend
Ulrich