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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ferien in Laschkenkampe (Łaska Kępa )



Wolfgang
23.11.2013, 16:35
Vierteilige Serie aus "Unser Danzig"
Nr. 16 vom 20. August 1962, Seite 11,
Nr. 17 vom 05. September 1962, Seite 8
Nr. 18 vom 20. September 1962, Seite 10
Nr. 19 vom 05. Oktober 1962, Seite 8

Ferien in Laschkenkampe
von Ernst Lucks

"Am brausenden Wasser" lag Dampfer "Kronprinz" bereit zum Ablegen, er hatte schon zweimal die Dampfpfeife betätigt. Vom Fischmarkt her klangen die gewohnten Geräusche des Marktes herüber. Sowohl an den offenen Verkaufsständen wie an den festgemachten Fischerkähnen drängten sich die Käufer und Neugierigen. Alles Lärmen aber übertönte das Ausrufen der Marktfrauen: "Flingern, scheene Flingern, kaufen se doch, Madamchen!" Zum dritten Male tutete der Dampfer, dann wurden die Leinen los geworfen, das Landebrett eingezogen und die Kette vorgemacht. Die blanke Messingschraube des blauen Dampferchens wirbelte am Heck das Schmutzwasser der Mottlau zu quirrelndem Schaum auf. Kapitän Martin Schmidt aus Grenzdorf A verstand sein Handwerk, er zog das schwankende Schiff rückwärts in den Fluss, machte dann eine elegante Wendung und nahm den Kurs flussabwärts.

An diesem Julitage des Jahres 1914 brannte die Sonne heiß vom wolkenlosen Himmel herab. Der faulige Geruch des Mottlauwassers stieg mir vertraut in die Nase. Mit Aufmerksamkeit hatte ich das Manöver der Abfahrt des "Kronprinz" verfolgt und warf nun noch einen letzten Blick auf die Stadt zurück. Dort zog sich die Lange Brücke hin mit Krantor und Frauentor. Auf der gegenüber liegenden Seite standen in langer Zeile die Fachwerkspeicher im Sonnenschein. Auf dem leicht gewellten Wasser der Mottlau funkelten Sonnenspritzer. Inzwischen nahm der Dampfer seine Fahrt auf und fuhr, immer schneller werdend, am Pumpwerk und am Klubhaus des Danziger Rudervereins vorbei, um darauf an Milchpeter in die Tote Weichsel einzuschwenken. Die Bugwelle schäumte, der Schornstein qualmte!

Zuerst kletterte ich die steilen Stufen in die Vorderkajüte hinunter, um Mutters Gebot befolgend, nachzusehen, ob auch mein Gepäck noch vorhanden war. Mein Koffer und Rucksack lagen prall gefüllt auf dem Bord der Kajüte. Trotz des schönen Wetters war die verqualmte Kajüte voll von Passagieren. Meist waren es Bauern und Bäuerinnen, oder ein Viehhändler, die ihre Angelegenheiten und Käufe in der Stadt erledigt hatten. Drei Bauern, dicke Zigarren im Munde, hatten es sich an der einen Ecke des Tischchens der Kajüte bequem gemacht und spielten dort Skat oder "Olscherbaster". Auf der langen Fahrt würden sie manch einen Machandel kippen und sich manches Bierchen genehmigen. Bis zur Endstation dauerte die Fahrt gute fünf Stunden. Die Frauen unterhielten sich und strickten. Dabei tranken sie Kaffee aus dicken Tassen. Als ich alles gesehen hatte, kletterte ich wieder frohgemut auf Deck zurück. Ein frischer Fahrwind hatte die wenigen Passagiere, die oben geblieben waren, in den Windschatten der Aufbauten und des Schornsteins vertrieben. Jetzt war die Hitze des Julitages nicht mehr zu spüren.

Ich freute mich schon sehr auf meine Ferien auf dem Lande, für die ich eine Einladung von August Görtz von der Laschkenkampe erhalten hatte. Wie jedes Jahr wollte ich mich bei der Erntearbeit nützlich machen, besonders auf das Rapsreiten freute ich mich. Seit meinem sechsten Lebensjahr konnte ich fahren und reiten. Ich hatte dieses bei meinem Onkel Max Eggert in Klein Lichtenau gelernt. Nichts Schöneres gab es für mich, als auf einem Pferderücken zu sitzen. Da ich klein und mager war, werde ich wohl kaum einen herrlichen Anblick abgegeben haben, viel mehr ähnelte ich wohl dem Äffchen auf dem Kamel. Aber ich konnte gut mit den Pferden umgehen und hatte niemals Schaden angerichtet. Gewiss war ich schon einige Male abgeworfen worden, aber dieses tat meiner Liebe zu den Pferden keinen Abbruch. Einmal war ich beim Rapsreiten gestürzt und unter mein Pferd gekommen, aber mir war nichts geschehen, ich krabbelte wieder heraus, stäubte mich ab und kletterte wieder aufs Pferd.

Dampfer "Kronprinz" sollte für die ganze Strecke von Danzig bis Grenzdorf A ungefähr fünf Stunden Fahrzeit brauchen. Meist dauerte es aber länger, denn das Schiffchen hielt an jedem Heuhaufen und an jeder Flussbiegung an. Hier wurden einige Kistchen Kolonialwaren oder Spirituosen für ein Gasthaus abgeladen, dort nahm man mehrere Klattke mit Geflügel und Ferkeln an Bord, an jenem Anlegeplatz lud man Milchkannen aus, leere, die zurück geschafft wurden, und volle für die nächste Molkerei. An allen Anlegestellen stiegen Menschen aus oder zu, es herrschte ein buntes, fröhliches Treiben. Grußworte flogen hin und her, eine Bestellung wurde ausgerichtet, kurz, es war das muntere heitere Treiben, wie es bei Fahrten von Tourenschiffen überall üblich ist, wo bald Jeder Jeden kennt. Mit weithin wehender Rauchfahne passierte Dampfer "Kronprinz" die Durchbruchstelle der Weichsel, wo sie sich im Jahre 1840 durch Sprengung der Dämme Luft gemacht und einen Ausgang in die Ostsee erzwungen hatte. Die Regulierung der Stromweichsel und ihrer Nebenarme ging bis in die Zeit der Ordensritter zurück, war aber im Laufe der Zeit besonders durch die Mennoniten erheblich verbessert worden, sodass die Hochwasser der Weichsel kaum noch Gefahren mit sich brachten.

Inzwischen fuhr das flinke Schiffchen weiter die Danziger Weichsel hinauf und passierte schnell hintereinander Bohnsack und Bohnsackerweide, während sich auf der rechten Flussseite das Danziger Werder ausbreitete, flach und eben wie eine grasgrüne Schüssel mit nur geringen Erhebungen, auf denen ein Gehöft oder eine Windmühle standen, von Bäumen umhegt.

Auf den satten Weiden weidete schwarzweiß geflecktes Rindvieh, und dazwischen grasten einige braune Jährlinge, die die Fron der Arbeit noch nicht zu spüren bekamen. Kapitän Schmidt, dem die Mütze schon ein wenig schief auf dem grauen, borstigen Schädel saß, winkte dem Schiffsjungen, und der brachte gleich darauf etwas Trinkbares ins Steuerhäuschen, was bestimmt weder Limonade noch Milch war.

Ich saß nun ganz vorne an der Schiffsspitze und blickte gedankenverloren in das am Vordersteven vorüber rauschende grüne Wasser der Weichsel. Nun würde ich bald wieder für einige Wochen barfuß über die Wiesen laufen, frische, warme Milch trinken können! Wenn es in der Stadt auch sehr schön und abwechslungsreich war, besonders zu Haus bei Eltern und Geschwistern, auch in der Untertertia der Realschule des Königlichen Gymnasiums in der Weidengasse, - die Ungebundenheit und Freiheit wie auf dem Lande hatte man nicht in der Stadt.

Gerne betätigte ich mich bei allen landwirtschaftlichen Verrichtungen, im Garten ebenso wie auf dem Felde oder im Stall. Wie nett auch die Ferkel und Kälbchen waren, wie drollig das bunte Federvieh, wie gut ich mich mit Hund und Katze verstand oder wie herrlich eine stille Kahnfahrt im verschilften Gewässer eines Seitenarmes der Elbinger Weichsel und auf dieser selbst auch sein mochte, am liebsten war ich bei den Pferden. Konnte es etwas Schöneres geben als reiten und fahren den ganzen Tag lang? Ein lebendes Pferd, dieses kluge und eigenwillige Geschöpf, einen Braunen, einen Rappen, einen Goldfuchs oder die Krone aller Pferde, einen herrlichen Schimmel mit weichem, gebogenem Hals und lang wehendem Schweif und Mähne als Reitpferd ganz für sich allein zu besitzen, dieses deuchte mir damals das herrlichste auf der weiten, bunten Erde zu sein. Allein durch die grünen Felder, das wogende Korn oder über lehmige Triften zu schweifen auf dem Rücken eines so edlen Tieres, wie es ein Pferd ist, an einem alten Weidenbaum anzuhalten, das Pferd anzubinden und ein wenig im dürftigen Schatten der Zweige zu träumen, von der Zukunft, vom Glück!

Der Dampfer "Kronprinz" keuchte weiter stromauf, kurz vor der Schleuse von Einlage verlangsamte sich jedoch die Fahrt. Diese Schleuse sollte das Schiffchen in die Stromweichsel bringen, die einen ungleich höheren Wasserstand hatte als die Danziger Weichsel, deren weiterer Lauf für Schiffe mit einem gewissen Tiefgang nicht mehr passierbar war. Und dann taten sich die hohen Eisentore auf, und ganz tief unten zwischen die Mauern des Ungetüms lief der Dampfer vorsichtig ein. Nahezu geräuschlos schlossen sich die hohen Eisentore der Schleuse und langsam und glucksend lief das Wasser ein und hob allmählich das Schiff höher und höher. Nun konnte ich schon über den Rand des Beckens blicken, und da hatte unser Schiff in der Schleuse die gleiche Höhe des Wasserspiegels wie die Stromweichsel erreicht. Knarrend öffneten sich die breiten Außentore und gaben einen grandiosen Blick auf die grüne, breite, ruhig dahin strömende Weichsel frei. Dem Strom, der am Durchstich zwischen Schiewenhorst und Nickelswalde einige hundert Meter breit ist, wurde dort ein künstlicher Ausfluss in die Ostsee geschaffen, um eigenmächtige Durchbrüche wie den von 1840 zu verhindern.

Das Dampferchen bog wie ein kleines Spielzeug eilig in die Stromweichsel ein, um nun stromaufwärts zu dampfen, bis es bei Käsemark in die Elbinger Weichsel einbiegen würde. Das Schiff musste alles hergeben, was es leisten konnte. Aus dem Schlot quoll schwarzer Qualm, die Maschine stampfte und zitterte, aber stetig überwand Dampfer "Kronprinz" die Stärke des Gegenstromes. Inzwischen war es Kaffeezeit geworden. Da kam Frau Julius Foth aus Gruben-Kädingskampe an Deck und holte mich ab, um mit ihr in der Kajüte Kaffee zu trinken. Aus einer Luschke kramte sie die herrlichsten Dinge ans Tageslicht, als da sind Streuselkuchen und Porzeln, außerdem dick bestrichenes und belegtes Landbrot. Dazu bestellte ich mir einen Kaffee, obgleich Frau Foth mich auch hierzu einladen wollte. Ich hatte ja ein Paket Stullen mit und von Vater einen Taler Zehrgeld. Die Einladung von Frau Foth, die mit meinen Eltern befreundet war, durfte ich aber nicht abschlagen, da wäre sie beleidigt gewesen.

Schließlich war ich so voll guter Sachen gestopft, dass nicht ein Krümchen mehr in mein Bäuchlein hineingehen wollte. Ich bedankte mich daher artig für die Einladung und lief auf Deck, um wiederum meinen schönen Aussichtsposten am Vordersteven des Schiffes einzunehmen.

Meine Augen flogen über die Flussufer dahin, es hatte sich inzwischen nichts geändert: Weite, flache Wiesen, durch Drahtzäune aufgeteilt, weidendes Vieh, hier und da ein Bauerngehöft, ein Baumhaufen. Dort drüben einige hohe Pappeln in langer Zeile als Begleiter des Stromes. Ab und zu eine Windmühle, ein Dörfchen. So ging es unverändert bis zum "Danziger Haupt".

In Laschkenkampe bei Familie Görtz würde ich nun bald tagaus, tagein mit der jüngsten Tochter Erna wieder zusammen sein. Wie mir die Gespielin doch in der Stadt immer gefehlt hatte! Trotz aller Arbeit würden wir genug Zeit haben, um miteinander zu spielen, um die Wette zu laufen und baden zu gehen. Mit Erna Görtz' Bild verband sich in mir eine deutliche Vorstellung von Licht und Sonne und Lachen. Puck a puck, puck a puck, tuckerte das Dampferchen, und aus dem kleinen, runden Seitenloch im Bauch des Schiffes floss im Kreislauf der Arbeit der Maschine das heiße Kühlwasser ab. Puck a puck, puck a puck!

Die Maschine vibrierte, ab und zu ertönte die heisere Dampfpfeife, Warnung für entgegenkommende Schiffe. Zeichen für Schlepper, die einige Weichselkähne am Seil hatten, welche Kapitän Schmidt überholen wollte. Einmal kam dem Schiffchen eine tiefgeladene Lomme entgegen, aber der "Kronprinz" umschiffte geschickt alle Hindernisse. Endlich fuhr der Dampfer in elegantem Schwung in die Elbinger Weichsel ein. Nun ging es wieder flußabwärts und damit leichter. Die Geschwindigkeit des Schiffes erhöhte sich beträchtlich. Jetzt aber verlangte die Beachtung der Untiefen und Schilfränder des Flusses die allergrößte Vorsicht, und Kapitän Schmidt nahm noch einmal "Zielwasser". Bei niedrigem Wasserstand wie jetzt war der "Kronprinz" schon früher oft aufgelaufen, aber immer wieder mit eigener Kraft freigekommen, weil sein Kapitän stets größte Vorsicht walten ließ. Hurtig ging es nun weiter! Fürstenwerder wurde danach angelaufen und dann Freienhuben. Darauf hielt der Dampfer bald wieder einmal an, es war am "Kuckuckskrug" bei Brunau. Wenige Kilometer westwärts lag Küchwerder, und da war ich am 29. März 1902 geboren worden. Lange starrte ich dorthin, wo hinter flimmernden Schleiern das Dorf Küchwerder liegen musste.

Dann kam Fischerbabke in Sicht und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Beladen und Entladen des Schiffes, das Aussteigen einiger Passagiere, sodass Dampfer "Kronprinz" allmählich immer leerer wurde. Weit war die Sonne herumgewandert und stand nun dicht über dem Heck, genau westwärts. Der Wind war eingeschlafen, und an Bord machten sich Müdigkeit und Langeweile bemerkbar. Um so mehr freute ich mich nun darauf, bald in Laschkenkampe zu sein. Herr und Frau Görtz würden sich sicherlich auf mich freuen, denn sie luden mich ja immer wieder ein, sie zu besuchen. Am meisten aber würden wohl die drei jüngsten Mitglieder der Familie, Arthur, Elly und Erna, mich bewillkommen, hatten wir doch schon oft nette Stunden gemeinsam verlebt. Nur Erna war ein oder zwei Jahre jünger als ich, genau besehen aber eine Handbreit größer, zu meinem größten Arger.

Dann legte der "Kronprinz" am "Roten Strumpf", dem Gasthaus in Laschkenkampe, an. Da sah ich Herrn August Görtz mit Elly und Erna am Ufer stehen und winken. Mir war es, als ob im nach langer Reise wieder zu Hause angekommen war!

Ich war froh, dass die lange Dampferfahrt nun zu Ende war, und verließ mit meinem Gepäck den "Kronprinz", nachdem ich mich von Frau Foth verabschiedet hatte, die hier auch ausstieg. Langsam gingen wir dann in den sinkenden Abend auf dem Damm nach dem Gehöft. Der Görtz'sche Hof lag, wie viele Gehöfte auf den Kampen, ganz für sich allein da. Er war in Kreuzform gebaut, das heißt, Wohnhaus, Stall und Scheune waren zusammenhängend erbaut, die Scheune quer zum Stall und Stall und Wohnhaus waren durch eine Brandmauer getrennt. Hinter dem Stall befand sich der große Strohhaufen. Durch eine alte Holztüre betraten wir den Hof und gingen auf die Veranda zu. Dort erwarteten uns die anderen Mitglieder der Familie. Nach der Begrüßung durchschritten wir die vordere und hintere Diele, um im Wohnzimmer zu Abend zu essen. Das aus Holz gebaute Wohnhaus war mir so traut wie unsere Wohnung zu Hause. Ich schlief in einer alten Bettlade schnell ein, und keine Träume beunruhigten meinen Schlaf.

Nördlich der Elbinger Weichsel und westlich vom Frischen Haff, zwischen Fischerbabke und Grenzdorf, liegt eine einsame, weite Insel, gebildet von Nebenarmen der Elbinger Weichsel, die sich nicht weit voneinander ins Haff ergießen, seit uralten Zeiten Laschkenkampe genannt. Wo der Name herkommt? Ich weiß es nicht. Hier bauen die Kiebitze aus der Familie der Regenpfeifer in Schlamm und Röhricht ihre lieblosen Nester. Hier streicht die ewig hungrige Möwe umher.

Neben den Triften, die die einsamen Höfe miteinander verbinden, laufen Gräben, die von Menschenhand gegraben wurden, um den Uberfluss an Wasser zu bändigen. Diese mehr oder weniger gerade verlaufenden Wasserläufe sind meistens auf beiden Seiten mit Weidenbäumen bestanden, deren aufgerissene, gebeugte Leiber sich über die mit Entenflott, Wasserpest und Mummeln bedeckten Wasser neigen.

Wie groß die Laschkenkampe ist? Ich weiß es nicht, aber so viel ist gewiss, mehrere Höfe haben sich auf ihr angesiedelt. Diese wenigen Gehöfte liegen zerstreut und sind meist aus Holz aufgebaut worden und strohgedeckt. Alte Bauernfamilien wohnen dort seit Generationen.

Das Dorf Laschenkampe ist keine geschlossene Siedlung, wie sie im Danziger Werder oder bei Marienburg vorkommen, nein, es sind einsam gelegene Höfe und Abbauten. Die schlechten Landwege, sommers hart und rissig, bei Regen aber abgrundtief schlammig und blottig, sind jedoch nicht die einzigen Verbindungen zu den umliegenden Dörfern und Landstädtchen. Das Wasser trägt die flachen, plumpen Lommen und Weichselkähne, die schnittigen Einbäume, die gestakt werden, und auch die wenigen Dampferchen und Motorschiffchen, die sogar bis nach Danzig verkehren. In den ausgefahrenen, holprigen Geleisen der Wege, oder, wenn es geregnet hat, durch den fetten, klebrigen, schmatzenden Lehm, ziehen kräftige, schlanke und mittelgroße Pferde, den Trakehnern ähnlich, Leiterwagen und Landauer und die schweren Lastwagen mit der rassebedingten Zähigkeit, Ausdauer und Schnelligkeit dieser Sorte von Gäulen. Ohne diese geduldigen Rösser wäre das Land hier nicht zu beackern. Aber auch als Reittier wird das Pferd hier noch viel gebraucht. Das weite, niedrige Land mit seinen weidenbestandenen Wegen verlockt geradezu zum Reiten. Wie herrlich, hier im Sattel zu sitzen und den Blick zu dem ebenen, fernen Horizont schweifen zu lassen! Nur einzelne Baumgruppen oder bäuerliche Anwesen, von einem Obstgarten umgeben, unterbrechen das ein wenig eintönige, aber doch so traute, stille Bild des Landes am Haff.

Die Ufer der Flussarme sind schilfbestanden. Auf weiten drahtumzäunten Wiesen weidet schwarzweiß geschecktes Rindvieh. Es stammt aus Holland und ist eine schwere Rasse, aber schon vor Zeiten hier eingewohnt und durch pflegliche und verständige Art der Bauern und durch geschickte Zuchtwahl, durch Ankören zum Herdbuch, zu einer bodenständigen, ertragsreichen und euterschweren Rasse herangezüchtet worden. Die fetten Wiesen tun ein übriges dazu. Vieh mit großen, schwarzen Flecken wird am meisten geschätzt. Aber man liebt das Rind mit schöner, weißer Blesse, die die breite Stirn zieren soll. Sei es ein Stern ein Kreis oder ein nicht zu breiter Streifen längs der ganzen Nase. Das Fell muss glatt und glänzend, das Auge sanft sein. Während das Horn der Kuh nach innen gebogen ist, starren die kurzen aber scharfen Spitzen der Hörner des Bullen bedrohlich und angriffslustig nach außen. Die Kälber sind munter und tollen gerne auf der Weide herum. Zwischen dem weidenden oder widerkäuenden Rindvieh sucht der Storch ruhig und unbelästigt seine Beute, die er reichlich vorfindet. Kiebitze tummeln sich und lassen ihren Warnruf ertönen, wenn Regen aufzukommen droht. Dazwischen jagen am Himmel die scharfäugigen, ewig hungrigen Möwen mit grellem Schrei. Das Rindvieh weidet gemächlich, blickt neugierig mit nach vorn gestellten Ohren nach dem Wanderer an der Grabenkant, fährt dabei mit der rosigen Zunge genießerisch über die breite Schnauze.

Fern im Osten tritt über dem Haff gerade die Sonne blutrot aus wallendem Nebel hervor. Die Schwaden verziehen sich. Da stampft der Bulle zornig den Boden und reißt mit dem Vorderhuf Grasbüschel aus und wirft sie empor. Er schnaubt und hebt den muskulösen Hals mit dem gedrungenen Kopf kampfesmutig hoch, dann dröhnt sein uriges Gebrüll über das ein wenig traurig daliegende, einsame Land. Aber Adebar lässt sich nicht stören, gravitätisch und aufmerksam schreitet er am Graben entlang, auf und ab und dann und wann stößt mit tödlicher Sicherheit der lange, degenartige Schnabel schnell zu und um die Maus, Pogge oder Blindschleiche ist es geschehen! Ein paarmal zuckt der Kopf des großen schwarzweißen Vogels hin und her, dann ein kräftiges Schlucken und ein Sichschütteln! Weiter geht der Storch der Nahrungssuche nach, denn im Horst warten drei oder vier Jungstörche, die schon bald auf die weite Reise nach dem Nil aufbrechen müssen. An diesem Tag sind die Kiebitze besonders munter, sie tummeln sich unerschrocken zwischen den Kühen und Stärken. Diese munteren Gesellen, die im April herkamen und im September bereits wieder abfliegen, suchen sich Insekten, Schnecken und anderes Getier im Herumstreifen an den Außendeichen. Da die Vögel nicht ihr trauriges, langgezogenes "üüüh" hören lassen, sondern munter "Kiebitz" rufen, bleibt ganz bestimmt noch für einige Tage schönes Wetter. Auch die Schwalben sind schon auf der Jagd, während umzählige Lerchen zum Himmel steigen und wieder herabtaumeln; ihr süßes Lied erfüllt die einsame Gegend mit frohem Sang.

Am Fluss, wo das Vieh weidet, mündet ein verschilfter Graben, ganz mit Mummelblättern und Entenflott bedeckt. Blasen steigen empor, ab und zu springt ein Fisch aus dem Wasser, und die Frösche lärmen und quaken. Die langen, aufrechten Zweige der Weidenbäume, mit silbergrünem Blattwerk bedeckt, stoßen in den seidigen Himmel, das Laub raschelt im aufkommenden Morgenwind. Noch einmal brüllt dröhnend der beinahe schwarzfellige Bulle, und das Echo seines kämpferischen Schreis klingt von der gegenüberliegenden schilfbestandenen Flussseite zurück. Die Sonne steigt, der junge Tag schreitet durch das Land, ein blaugrüner Himmel überwölbt das Ganze, und lässt die Ferne noch weiter erscheinen.

Das Schilf des Flusses raschelt, die samtbraunen Rohrkolben leuchten auf ihren steifen, blassgrünen Stengeln. Bis an die Ufer drängt sich das auf dem Flusse liegende Blätterdach der Mummeln, und die Sonnenstrahlen glitzern in den Wasserlachen der aufgewölbten Mummelblätter, ein heller Widerschein lässt die grünweißen und buttriggelben Blüten aufleuchten und läuft dann zitternd über das langsam kreisende Entengrün. Eine Familie Wildenten plätschert und gründelt vergnügt in der Nähe des Röhrichts, in dem sich den ganzen langen Tag über die Rohrspatzen lärmend herumstreiten. Der kurze, gedrungene Hals des fetten Erpels schillert in Grün und Blau, und die breiten und hellen Bänder auf den Flügeln geben ihm ein prächtiges Aussehen. Aus dem löffelartigen Schnabel tröpfelt das funkelnde Wasser.

Eine Entenmutter ruft ihre übermütige Brut zu sich näher heran: "waaak - waaak - gaak!" Eine andere alte Ente fällt ein: "jack - jack - quaaa!" Dabei ist ringsherum alles still und friedlich. Doch die Entenmutter traut niemals dem Scheinfrieden! Wie oft schon stürzte sich der alte, räuberische Hühnerhabicht zwischen ihre Jungen, der vom Steegener Forst gelegentlich herüberkam, um sein Revier zu überwachen. Ebenso störte ab und zu der Weih vom nahen Haff den trügerischen Frieden.

In den Nebenarmen der Elbinger und Königsberger Weichsel, die von keinem Dampfer befahren werden, weil sie zu seicht und flach sind und zu verschilft, die sich ostwärts dem Frischen Haff zuschlängeln, leben noch wie vor Jahrhunderten Tiere und Pflanzen in nahezu paradiesischer Ungestörtheit. Nur zu den Jagdzeiten räumt der eingesessene Jäger ein wenig im Überfluss auf. Vor langer, langer Zeit ist dieses Land hier durch Anschwemmen, Versanden und Verwachsen entstanden. Zuerst bildeten sich schwimmende lnselchen im Fluss, die mehrere zusammenwuchsen und allmählich richtige Inseln, "Kampen", wurden. Der Mensch half bei dieser Landgewinnung mit, er dämmte ein. Damit gewann er für sich Neuland, das er dann von überflüssigem Erlen und Weidengestrüpp säuberte. Dies Neuland füllte sich mit Gras und Klee und Butterblumen. Bald weidete Vieh auf den Kampen, wenn im Sommer die Inseln trocken geworden waren. Erst viel später wurden dann die Kampen unter Pflug und Egge genommen. Fruchtbares, blauschwarzes Schwemmland, das nichts als den Schweiß der Bauern kostete. Je weiter man nach "nedden", also dem Haff zu, kommt, um so verschilfter und wasserarmer werden die Nebenarme der Flüsse, immer verwachsener und versandeter. Und immer einsamer und unzugänglicher. Land, das aus dem Haff zuwächst.

Dort hausen auch heute noch im hohen Rohr und Schilf viele Reiher auf ihren einsamen Horsten, entweder eine niedere, gebeugte alte Weide oder nur eine etwas erhöhte schilfumrauschte Sandbank im Wasser der Flüsse. Grenzgebiet zwischen offenem Haff und eingefriedeten Kampen, wo vereinzelt auch noch der Kranich lebt, scheu und nur selten sichtbar. Wo die Rohrdommel brüllt, die Wildente sich tummelt und wo vor nicht allzu langer Zeit Wildschwan und Graugans nisteten. Früher zog hier noch der Fischadler seine majestätischen Kreise, und des Wanderfalkes wilder Schrei erschreckte die Tiere weit und breit. Es wimmelt in diesen Gewässern von Fischen aller Art. Der Aal ist reichlich vorhanden, der Hecht, Beherrscher des Wassers, findet hier unermessliche Nahrung.

Der Tag schreitet voran und neigt sich. Die Sonne steht im Westen. Ein Schwarm Rebhühner schwirrt dicht über dem Boden dahin und erschreckt einen äsenden Hasen. So vergeht Tag um Tag auf den Kampen.

Erntezeit. Der Sommer stand hoch und trocken über dem niederen Land am Haff. Die Gräben waren verkrautet, und die Poggen lärmten von früh bis spät, obwohl die Störche sie in großen Mengen vertilgten.

Das Korn war eingefahren, der Raps war geerntet und auf der Tenne ausgeritten. Während der Erntezeit hat der Bauer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu arbeiten, wahrhaftig, im Schweiße seines Angesichtes. Dabei ging die tägliche Arbeit auf dem Hof, das morgendliche und nachmittagliche Melken weiter vonstatten, die Schweine mussten abgefüttert werden, und das Jungvieh, soweit es nicht draußen war, erinnerte durch Unruhe an sein Dasein, wenn es nicht rechtzeitig alles bekam, was es brauchte, um schnell aufzuwachsen. Wie schmeckte zur Vesperzeit oder mittags das Essen aus der mitgebrachten Luschke! Wie behagte dem schwer arbeitenden Körper das Schwarzbrot! Während die Leute Kaffee dazutranken hatte ich meine Milch, um die Frau Görtz immer sorglich bedacht war. Das Mittagessen war ländlich und gut. Buttermilchkeilchen mit Speck und dann ab und zu die von mir so heiß begehrten Mehlflinsen, entweder mit Honig bestrichen oder mit Zucker bestreut. Dazu Kirschsuppe, für einen zwölfjährigen Jungen ein königliches Essen!

Morgens vor Sonnenaufgang wurden die Gespanne von der Weide geholt und abends wieder hingebracht. Für die Pferde war jetzt die allerschwerste Zeit, aber sie hielten sich brav und unermüdlich und gutwillig. Von der Elbinger Höhe waren Erntearbeiter und Arbeiterinnen angeworben, denn die eigenen Leute und die Familienangehörigen reichten zur Erntezeit nicht aus. Da hatte die Hausfrau zusätzlich Essen zu bereiten und für das Unterkommen der vielen Menschen zu sorgen. Der Knecht Johann Zuter, der immer ein wenig schwachsinnig war, kommandierte jetzt wie ein General herum. Elly und Emma liefen zu dieser Zeit in Hosen und Stiebeln, stakten Getreide, banden Garben oder lenkten Gespanne. Ich hockte von morgens bis abends auf dem Sattelpferd und passte auf, dass nicht nur das Nebenpferd mitzog sondern auch der Vorspann.

Vom Aufenthalt im Freien waren mir Gesicht, Hände und Beine schwarz gebrannt, und ich hatte auch an Gewicht zugenommen, denn die Betätigung im Freien tat mir wohl. Wie gerne wäre ich für immer auf dem Land geblieben!

Nach der Ruhepause unter dem Weidenbaum am Graben ging ich wieder zu meinen Pferden und machte die Stränge fest. Dann schwang ich mich in den Sattel und griff nach der Peitsche mit der Aalhautschnur, die so lustig knallte. Und fort ging das Tagewerk! Abends kauten die Pferde nicht mehr auf dem Gebiss, sie ließen die Köpfe hängen und waren oft nahezu erschöpft. "Hüh, hüh!" und "Brrrr!", Zureden und Knallen mit der Peitsche, bis das Tagewerk vollbracht war.

Ende Juli lud mich Herr Fritz Foth aus Grenzdorf B ein, mit ihm in der nächsten Nacht auf die Entenjagd zu gehen. Ich sagte freudig zu. In der Nacht, lange vor Sonnenaufgang ruderten wir von seinem Gehöft ins Jagdrevier. Als wir an der Jagdhütte angekommen waren, machte Herr Foth den Kahn an der Spitze der Jagdhütte fest und legte sich mit den bei den Doppelflinten in das flachgehende Boot ans Heck, bereit, die einfallenden Enten unter Beschuss zu nehmen.

Unsere sieben Lockenten waren dicht am Schilfrand festgemacht, so dass sie sich nur wenig bewegen konnten. Sie ließen in der stillen Nacht klagend ihren Lockruf ertönen. Mit mitgenommenen Wolldecken hatte ich mich tüchtig zugedeckt und konnte sehr gut das Schauspiel beobachten. Ein frischer, kühler Wind wehte von Westen. Die Jagdhütte, an der das Boot festgemacht war, war ganz primitiv aus Kieferstämmen auf einer niedrigen Schilfinsel aufgestellt und mit Binsen und Schilf gut gegen Sicht verkleidet. Es war, wie Herr Fritz Foth sagte, sehr gutes Schießwetter. Im silbrigen Licht des aufgegangenen Vollmondes konnte ich im Norden die Nehrung wie einen dunkelvioletten Strich erkennen und ostwärts die Schilffront der Nogatmündungen. Von Grenzdorf B waren wir in der Luftlinie etwa zwei oder drei Kilometer entfernt.

Die dicht vor uns liegende Blänke (unter Wasser abgemähte SchilfsteIle) wurde nur wenig vom Nachtwind gekräuselt, es sah so aus als ob auf einer großen, flachen Silberschüssel dunkel geriffelte Striche die weiten hellen Stellen unterbrachen. Die Kante der Schüssel war von Röhricht und Schilf gebildet. Das Wasser war hier sehr flach, vielleicht einen oder zwei Meter tief und ringsherum meilenweit Schilf. Das freie offene Haff befand sich von der Jagdstelle etwa 1.000 Meter entfernt.

Einige allein fliegende Enten waren schon eingefallen und, betört vom Lockruf unserer Enten, ganz nahe an diese herangekommen, aber Herr Foth schoss nicht, anscheinend lohnte es sich noch nicht. Er griff lieber noch einmal nach der Machandelflasche und nahm einen Schluck Zielwasser.

Etwas später fiel ein Schwarm von mehr als drei Dutzend Märzenten auf der Blänke ein. Da krachten auch schon gleich hintereinander, nein, beinahe gleichzeitig zwei Schuss aus der Schrotflinte. Die eingefallenen Enten erhoben sich schwerfällig aus dem Wasser und stoben, soweit sie nicht getroffen waren, wie der Wind dicht über uns nach Westen, also landeinwärts. Nun machte Fritz Foth den Kahn los und fuhr die getroffenen Enten einsammeln, es waren fünf Stück. Nach kurzer Zeit, so als ob nichts gewesen wäre, riefen unsere Lockenten wieder ihre wilden Brüder und Schwestern herbei. Sie kamen von allen Richtungen angeflogen, ja, einige schwammen sogar aus dem Schilf auf die Blänke zu. Das Büchsenlicht blieb lange gut, und Herr Foth ließ noch einige Male die Büchse krachen. Gegen Morgen war es empfindlich kühl geworden und Dunstschleier zogen am Mond vorbei. Die Beute waren an fünf Dutzend Wildenten. Um 8 Uhr morgens hörten auch die anderen Jäger mit der Jagd auf, daher ließ Herr Foth nun seine Lockenten los, und die flogen mit schwerem, klatschendem Flügelschlag nach Hause, um uns dort anzukündigen. So was es Brauch auf den Kampen und längs dem Ufer des Frischen Haffes.

Am nächsten Tag zur Mittagszeit kam der Hausierer uns besuchen. Er war eine bekannte und beliebte Persönlichkeit und brachte Krimskram zum Verkauf. Um diesen lohnender zu machen, bestellte er von Bekannten im Werder oder aus der Niederung viele Grüße. Sein Gedächtnis für die Verwandtschaftsverhältnisse der Bauernfamilien war bewundernswert. Er wurde zu Tisch geladen und kramte dann noch allerhand Neuigkeiten aus, hauptsächlich Dinge, die die Bauern interessierten. Ein anderer Besuch kam am Freitag früh in derselben Woche, es war ein Fischer aus Bodenwinkel. Er brachte Räucherfische und frische Fische. Frau Görtz kaufte ein, und unter anderem gingen ein paar dicke Aale in die Küche. Es gab dann Aal in Dill und in einer herrlichen Fischsuppe.

Dann brach am 1. August 1914 der I. Weltkrieg aus, und die Ferien wurden verlängert. Von zu Hause bekam ich Bescheid, dass ich länger in Laschkenkampe bleiben durfte, wenn, und das war der Fall, ich dort gebraucht würde.

Der 31. August war ein schwüler Sommertag. Ich trat aus dem Garten auf das Feld hinaus und horchte nach Südosten, von wo ein fernes, aber bedrohliches Wummern dumpf herüberwehte. Dort an den fernen Grenzen des Reiches wurde seit dem 26. August 1914 die Schlacht bei Tannenberg geschlagen und gewonnen. Hier ging es vor fünfhundert Jahren schon einmal um deutsches Schicksal, als die Ordensritter vom König Jagiello, dem Herrscher über Polen und Litauen, vernichtend geschlagen wurden. Auf dem Lande erfolgten die Einberufungen nicht so schnell wie in der Stadt, weil die Ernte geborgen werden musste; aber doch fehlten bald eine Menge Männer, die durch Frauen ersetzt wurden. Besser gesagt, die Übrigbleibenden mussten mehr leisten, um mit allem zurecht zu kommen.

Die Bohnen, Peluschken und Erbsen wurden schnell bei gutem Wetter eingebracht, und dann ging einmal zuerst ein Aufatmen durch die müden Menschen und Tiere. Die Hauptsache war vollbracht. So sehr ich es bedauerte, zu Hause in Danzig den Auszug der Truppen an die Front nicht mit erlebt zu haben oder das Einrücken der Freiwilligen, zu denen auch mein Bruder Robert gehörte, so sehr freute ich mich über die verlängerten Ferien. Wie schön waren nun die wenigen freien Stunden! Wir gingen an die Weichsel und setzten zur Badebude über. Es gab dann immer ein großes Hallo wenn Dampfer "Kronprinz" angerauscht kam. In seiner Heckwelle schwammen wir wie die Delphine munter herum, und die Fahrgäste kamen auf die uns zugekehrte Seite des Schiffes um zuzuschauen, sodass das kleine Schiff schwer hinüberneigte.

Die Sonntage hatten wir ganz für uns. Dann gab es Festessen und zum Kaffee die herrlichsten Kuchen, Stritzel, den wir mit Honig und Butter dick bestrichen, Napfkuchen, Streusel und vielerlei mehr.

Einmal fuhren wir auch nach Tiegenort in die Kirche, wo ich einmal getauft worden bin. Ein andermal, ebenfalls an einem Sonntag,nach Steegen an die See zum Baden.

Heute muss ich noch oft dieser Zeiten gedenken und besonders der Gespielinnen der damaligen Zeit, Elly und Erna Görtz. Als dann doch einmal in diesem Sommer die Trennungsstunde schlug, brachte mich Herr Görtz ganz frühmorgens zum Dampferhalteplatz "Zum Roten Strumpf". Familie Görtz hatte mir eine Menge Lebensmittel eingepackt, über die sich meine Eltern sehr freuten. Mir drückte er in hartem Silber eine Menge Taler in die Hand, wie er sagte, meinen Lohn, besonders für das Rapsreiten und Einfahren!

Dumpf tutete im Nebel der blaue Dampfer, als er in langsamer Fahrt herankam und festmachte. Die Schrauben wirbelten zurück. Dann noch ein letztes Händedrücken, ein Wiedersehensruf, und schon dampfte ich nach Hause, nach Danzig.

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Bartels
23.11.2013, 23:45
Schöne Werder-Idylle ...

... bis zum Kanonendonner des ersten Weltkriegs.

NB: Heute liegt gegenüber der Bohnsacker Weide eine gigantischer Gipsberg (Industriehalde).