PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ein blinder Held -TV-Hinweis



waldkind
05.01.2014, 14:05
Liebe forumer,
ich möchte auf einen Dokumentarfilm hinweisen.

Ein blinder Held-die Liebe des Otto Weidt
Mo 6.Januar ARD 21.45 bis ca 23.15h

http://www.klack.de/tv-programm/fernsehsendung/6023056/der-blinde-held.html?popup=details

Otto Weidt besaß eine Bürstenwerkstatt und beschäftigte vorwiegend blinde Juden, um sie vor der Deportation zu bewahren. Er war ein Kämpfer, für viele Juden eine Hoffnung. Und doch kamen die meisten von ihnen um. Dennoch gilt sein Kampf, sein Leben, sein Einsatz als Beispiel für das stille Heldentum, für all diejenigen Menschen, die sich auf ihre Weise gegen den Nationalsozialismus zur Wehr setzten. Von ihnen, diesen stillen Helden hört man kaum etwas. Vielleicht waren sie zu still?
Die ehemalige Werkstatt Otto Weidt ist heute ein Museum. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die deutsch-israelische Journalistin Inge Deutschkron. Sie arbeitete in der Werkstatt Otto Weidts und überlebte den Holocaust gemeinsam mit ihrer Mutter, indem sie untertauchte. Bekannt ist Inge Deutschkron durch ihr Buch "Ich trug den gelben Stern" und dem Theaterstück "Ab heute heißt du Sara". Ich vermute, Inge Deutschkron wird in der Dokumentation über Otto Weidts als Zeitzeugin zu Wort kommen.

Ich kenne die Geschichte Otto Weidts. Er ist mir wie ein guter Vater in meinem Herzen. Ich kenne manche Schicksale, die die Menschen seiner Werkstatt erlebten, ich kenne die Werkstatt/das Museum und hatte mehrere Begegnungen mit Inge Deutschkron. Mir gefällt es, dass der Verein "Blindes Vertrauen" ganz anders an das Thema herangeht als es gemeinhin üblich ist und damit entschieden zu einer konstruktiven Verarbeitung deutscher Vergangenheit beiträgt.

Ich gehe davon aus, dass es sich um eine gute, sehenswerte Dokumentation handelt, die ich wärmstens empfehlen möchte. Es ist zwar eine berliner Geschichte, denn die Blindenwerkstatt befindet sich in Berlin. Aber sie hätte sich überall in Deutschland zutragen können, also auch in Danzig. Und vermutlich gibt es viele Geschichten stiller Helden, nur dass sie niemand erzählt.
Gute Grüße vom waldkind.

Belcanto
05.01.2014, 15:09
Danke Waldkind.

Ulrich 31
06.01.2014, 16:01
Hier noch ein Tagesspiegel-Artikel von heute zu diesem Film:

http://www.tagesspiegel.de/medien/tv-erinnerungsarbeit-ein-mensch-ein-mann/9289944.html.

waldkind
07.01.2014, 16:49
Ich möchte mich zu diesem Film noch äußern.

Ohne Zweifel ist er schauspielerisch exellent umgesetzt.
Dass es sich zwschen Otto Weidt und Alice Licht um eine Liebesbeziehung gehandelt haben soll, ist mir neu. Vermutlich verlangt es die filmische Dramaturgie. Ein kleines Ablenkungsmanöwer von dem Unfassbaren, um das es ja letzlich in diesem Film geht. Ich meine damit nicht das Heldentum des Einzelnen, sondern die Deportationen und alles, was damit zusammenhängt. Die angedeutete Affäre hält den Zuschauer am Bildschirm. Ham se nu was miteinander oder ham se nix miteinander, das beschäftigt den Zuschauer bis zu letzt. Aber auch am Ende des Filmes erhält er keine Antwort hierauf.
Natürlich macht man sich einen Kopf darum, wie es ein fast blinder Bürstenverkäufer wagen kann nach Ausschwitz zu fahren, um einen Menschen zu befreien. Man will oder kann sich nicht der Vermutung hingeben, es wäre einfach nur Menschenliebe. Warum eigentlich nicht? Warum reicht Menschenliebe nicht aus, um menschlich zu handeln? Vermutlich standen Weidt und Licht sich nahe, da sie als Sekretärin in seiner direkten Umgebung arbeitete und einiges über seine Strategien und Schiebereien gewusst haben wird. Weidt jedenfalls hatte alle retten wollen. Er fühlte sich verantwortlich für die Menschen, die bei ihm arbeiteten. Wir kennen dieses Phänomen auch aus Schindlers Liste. Es gab andere, die ebenso handelten. Oft wurden sie nach dem Krieg von den deutschen Nichtjuden verleumdet. Otto Weidt ist nicht untergegangen in der Erinnerung der Nachwelt, weil sich jemand um seinen Nachruf kümmerte - Inge Deutschkron. Und auch hier ist es eine Jüdin, die sich kümmert. Dabei ist sie nicht einmal bei Otto Weidt untergetaucht, sondern versteckte sich gemeinsam mit ihrer Mutter mal hier mal dort, bei nicht-jüdischen Freunden, in Schrebergärten usw., wo man eben mal einen Unterschlupf fand.
Das Leben in Verstecken kam mir in dem Film etwas zu kurz. Was bedeutet es denn genau? Es war nicht damit getan ein paar Kisten vor eine Nische zu stellen. Man musste Essen organisieren, Kleidung hin und her, wie unbemerkt waschen und trocknen, Notdurft entsorgen und so weiter. Ständig mit der Angst, dass man entdeckt werden könnte.
Und dann, wenn alles gut organisiert zu sein scheint, das Unglaubliche - die Denuntiation aus den eigenen Reihen. Was der Film auch nicht sagte, ist, dass die zur Deportation bestimmten Juden von der Jüdischen Gemeinde festgelegt worden waren, festgelegt werden mussten.

Es ist falsch zu fragen, ob Weidt ein Held war. Darum geht es nicht. Es geht schlicht weg darum, dass man etwas bewegen kann, wenn man sich menschlich verhält. So wie der Mensch, der den Brief von Alice Licht in den Briefkasten warf und der vermutlich nie erfahren hat, dass er durch diese kleine Tat ein Menschenleben gerettet hat. Das ist für mich der stille Held, der niemals nach seinem Heldentum verlangt, sondern nach einem gesunden Herzen handelt. Er hat es nicht einmal in der Hand, Alice zu retten. Er tut ihr nur einen guten Gefallen - unbekannter Weise.
Ich glaube nicht, dass es Otto Weidt gefallen würde, wenn man ihn zum Helden erklärt, auch nicht, wenn man ihm eine Affäre mit Alice Licht nachsagt. Gefallen würde ihm, dass Inge Deutschkron ihn in roten Schuhen auf dem Friedhof besucht.

Das abgetrennte Zimmer, in dem die Familie Horn versteckt war, kann man heute in der Blinden-Werkstatt noch sehen. Zu sehen sind auch viele Postkarten, die die KZ-Insassen an Otto Weidt schickten. Sie hatten ihre eigene "geheime Sprache", eine Sprache, die Otto Weidt wissen ließ, was sie am nötigsten brauchten. Und so schickte er ihnen Pakete. Es wäre nicht fair anzunehmen, dass sich sein Kampfgeist und seine Menschenliebe auf eine Affäre zusammenschieben ließ.
Nach dem Krieg setzte sich Weidt für den Bau eines jüdischen Waisenhauses und einem Altenheim für KZ-Überlebende ein.
Ein guter Film. Habt ihr den Baum gesehen hinter dem sich Alice Licht versteckte? Ich sags ja, Bäume retten Leben.
Gute Grüße vom waldkind

Navona
08.01.2014, 22:59
Hallo Waldkind,

danke fuer den Tipp! Ich kannte die Geschichte ueber Otto Weidt nicht und habe mir den Film/Reportage mit grossem Interesse angesehen.

Bartels
11.01.2014, 16:11
wikipedia Otto Weidt (https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Weidt)
wikipedia Inge Deutschkron (https://de.wikipedia.org/wiki/Inge_Deutschkron)