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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Mennoniten im Weichsel-Nogat-Gebiet



Wolfgang
17.02.2014, 13:22
Schönen guten Nachmittag,

in einem sich im Thema Die Juden in Danzig (http://forum.danzig.de/showthread.php?10703-Die-Juden-in-Danzig&p=79790#post79790) befindenden Beitrag vom 16.02.2014 / 17:56 Uhr ist eine mich stark interessierende Aussage zu lesen: "In besonderen Notzeiten wie zu Beginn des 18. Jh. wurden sie [die Juden] beschuldigt, wie auch die Mennoniten, an Not und Elend schuld zu sein".

Ich befasse mich momentan recht intensiv mit der Geschichte der Mennoniten im Weichsel-Nogat-Gebiet und bin sehr an Informationen und Nachweisen interessiert, welche Notzeiten dies gewesen sein könnten und wo bzw. in welchen Fällen solche Beschuldigungen vorgebracht wurden.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

JuHo54
17.02.2014, 15:39
Hallo Wolfgang,
in dem Buch" Land und Leute des Landkreises Danzig - 1879" von Dr. Franz August Brandstäter (pbc) gibt es im geschichtlichenTeil und auch sonst bei den Beschreibungen einiges zu lesen. Ich bin noch nicht durch, aber da heißt es z. B. im Kapitel "Danzig und sein Gebiet unter Polens Oberhoheit" ( 3. schwedisch-Polnische und nordische Krieg - 1704) S. 296:" Die Predigten waren "stark", und so verlangte man es; leider liefen Plumpheiten, Beleidigungen, Privathändel, Ungehörigkeiten gegen den Rath, besonders aber zelotische ( - Anm= fanatisch, blindwütig, unbelehrbar, verbissen, vernagelt,....) Feindseligkeiten der Lutheraner gegen die Calvinisten und Krypto-Calvinisten,sowie gegen die Katholiken und die Mennoniten massenhaft mit unter."

Vielleicht finde ich Stellen
Liebe Grüße
Jutta

Ulrich 31
17.02.2014, 17:25
Hallo Wolfgang,

Google hat mich nach Eingabe "Mennoniten für Notzeiten beschuldigt" u.a. zu dieser Quelle geführt, die Dich vielleicht interessiert: ► http://chort.square7.ch/Pis/Isaak.pdf. Es handelt sich um eine Hausarbeit zur Prüfung von Volksschullehrern mit dem Titel "Die deutschen Mennonitensiedlungen in Rußland". Dort werden die ersten Auswanderungen in den 40er und 50er Jahren des 16. Jh. nach "Danzig-Elbing" und Ostpreußen erwähnt, und es heißt dort: "1550 bestand schon eine Gemeinde im Danziger Werder." (S. 8 unten, S. 9 oben) Und weiter heißt es dort: "Wegen ihrer Leistungen wurden sie im Lande geduldet, mußten aber immer wieder mit Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, ja sogar mit Ausweisungsdekreten rechnen. Die Anfeindungen gegen die Mennoniten kamen von katholischer wie von evangelischer Seite, in Danzig auch von den Gilden. 1789 wurde ihnen in einem Mennoniten-Edikt der Erwerb neuen Grundes und Bodens untersagt. Nach rund 250 Jahren entschloß sich ein Teil der Mennoniten, seine zweite Heimat zu verlassen, und wählte Südrußland zu seinem neuen Siedlungsgebiet."

Viele Grüße aus Berlin
Ulrich

Ulrich 31
17.02.2014, 22:46
Ergänzend zu #3 möchte ich noch auf den Forum-Thread "Mennoniten Archiv" hinweisen: ► http://forum.danzig.de/showthread.php?10085-Mennoniten-Archiv. Interessant sind dort in der Webseite zum Link in #2 die Ausführungen über das nachteilige Ergehen der Mennoniten in der Danziger Mennoniten-Gemeinde.

Wolfgang
18.02.2014, 11:25
Schönen guten Morgen,
hallo Jutta, hallo Ulrich,

danke für Eure Hinweise. Ich bin ein bisschen am Stochern im Nebel und ich fasse gerade ein Thema an, dass vielleicht von dem Einen oder Anderen als etwas heikel angesehen werden kann: Inwieweit waren die Mennoniten stärker "diskriminiert" als andere Personengruppen, die ethnisch und/oder religiös zu Minderheiten gehörten?

Es wird pauschal sehr viel behauptet, aber wenn konkret nach Belegen, Beweisen, Anhaltspunkten gesucht wird, dann wird es schon schwierig. Kann überhaupt pauschal von "Diskriminierungen" bei den Mennoniten gesprochen werden? Ich komme noch einmal besonders auf den ersten Beitrag in diesem Thema zurück wo ich um nähere Informationen zu der Aussage erbat "In besonderen Notzeiten wie zu Beginn des 18. Jh. wurden sie [die Juden] beschuldigt, WIE AUCH DIE MENNONITEN, an Not und Elend schuld zu sein".

Den Mennoniten wurde über Privilegien ein Sonderstatus gewährt wobei man meiner Ansicht nach unterscheiden muss ob sie sich in Danzig niederlassen wollten oder in den zu entwässernden Niederungsgebieten.

Es gab Privilegien, wie lange Zeit die Wehrpflichtbefreiung die mit Sonderzahlungen erkauft wurde. Als nach den polnischen Teilungen die Mennoniten Bürger des preußischen Militärstaates wurden, wurden diese Privilegien anfangs verlängert. Es gab gewichtige und aus seinerzeitiger Sicht nachvollziehbare Gründe warum die preußischen Könige zu verhindern suchten, dass den herragend wirtschaftenden und sehr erfolgreichen Mennoniten zusätzlicher Landerwerb erst erschwert, später fast unmöglich gemacht wurde. Grundeigentum und Wehrpflicht waren nämlich untrennbar verbunden und Preußens Regimenter ließen sich immer schwieriger auf die volle Mannstärke bringen. Die Konsequenz für das "Nichtdienenmüssen" war ein Anziehen von Daumenschrauben: Wer nicht dient, kann kein neues Land erwerben. Dies führte letztendlich mehrfach zu einem schwerem Aderlass: Viele Mennoniten wanderten aus, die meisten nach Südrussland, später auch nach Südamerika.

Etwas ketzerisch gefragt: Kann man da von einer Diskriminierung sprechen? Ich greife mal zurück in die jüngere Vergangenheit der Bundesrepublik und der DDR. Gab es da nicht auch eine generelle Wehrpflicht? Was geschah mit Jenen, die als Verweigerer nicht anerkannt wurden und sich trotzdem dem Wehrdienst entzogen? Wurden sie nicht in den Knast gesteckt wenn sie sich nicht rechtzeitig ins Ausland flüchteten? Gut, man kann Damals und Heute schwer vergleichen, gewisse Analogien seien trotzdem erlaubt.

Was haben der Soldatenkönig und sein Sohn, der Alte Fritz, mit ihren Untertanen getan, wenn sich diese ihrer Wehrpflicht entzogen? Sie hatten keine Möglichkeiten, sich "freizukaufen" wie die Mennoniten. Wer war diskriminiert?

Ein weiterer "Diskriminierungsgrund" war das Verweigern eines jedweden Eides - eine der Ursachen warum Mennoniten in Danzig keine Bürgerrechte erlangen konnten (lange Zeit später wurde bei Mennoniten der Handschlag als Eidersatz anerkannt). Religiöse Diskriminierung: Ja, die christlichen Kirchen, vor allem die evangelische, waren nicht immer glücklich über die andersgläubigen Mennoniten. Und so wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, "Gebühren" wie bei ihren eigenen Kirchenschäfchen zu erheben, also bei Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen auch wenn der Pfarrer damit absolut nichts zu tun hatte. Aber kam das nicht auch bei anderen Minderheiten vor und waren dann nicht sogar auch Protestanten davon betroffen?

Ich stelle noch einmal eine ketzerische Frage: Handelt es sich bei vielen Diskriminierungsvorwürfen nicht nur um ein Mythos? Waren viele eingeräumte Privilegien nicht stärker als erlittene Benachteiligungen? Und, gab es unter polnischer Herrschaft keine Benachteiligungen, war alles nur eitel Sonnenschein?

Die Geschichte der Mennoniten in meiner Familie vernachlässigte ich bisher leider etwas. Aber ich möchte mehr erfahren.

Schöne Grüße aus dem Werder
Wolfgang

JuHo54
18.02.2014, 14:32
Hallo Wolfgang,
dann ist dieser Link vielleicht interessant für dich:
https://archive.org/stream/diedanzigermenno00mannuoft#page/n7/mode/2up
Ich denke, die Konfrontation zwischen den Evangelischen und den Mennoniten lag vor allem darin begründet, dass auch die Mennoniten Protestanten waren und damit in den "Glaubensgründen" der Evangelischen fischten. Dass sie stärker benachteiligt waren als andere Glaubensgruppen glaube ich hingegen nicht.
Es ist in Sachen Glauben immer schwierig einer Minderheit anzugehören , ob heute oder damals im 18./19. Jahrhundert. Spielt da nicht auch eine Menge Neid mit, die einen erfolgreich im Handel , die anderen bei der Bewirtschaftung von Land...???
Ich lese gerade in einem anderen Forum den Danziger Anzeiger 1893, da stehen seitenweise Wehrdienstverweigerer drin. das klingt dann so: "Die nachstehend aufgeführten Wehrmänner, Reservisten und Ersatzreservisten" - dann eine Aufstellung von über 100 Namen - dann: "sind durch rechtskräftiges Urtheil des königlichen Schöffengerichts zu Danzig vom 24. Januar 1893 wegen Verletzung der Wehrpflicht mit je 100 Mark, im Nichtbeitreibungsfalle mit je 20 Tagen Haft verurtheilt. Da der Aufenthaltsort der Angeklagten nicht feststeht, wird ersucht, dieselben im Betretungsfalle, falls die erkannte Geldstrafe nicht erlegt werden kann, zu verhaften und in das nächste Gerichtsgefängniß zur Verbüßung der Haftstrafe einzuliefern, auch zu den Akten wider Heinrich und Genossen IX E 1467/92 Mittheilung zu machen. Danzig, den 28. März 1893. Königliches Amtsgeicht 13."
Liebe Grüße
Jutta

Bartels
18.02.2014, 17:45
Einen schönen guten Abend,

Leider hat ein fehlendes Security-Token meine Antwort zerschossen, deswegen hier eine kürzere, unverlinkte Fassung:

Im gesamten Gebiet des Deutschen Reichs (HRR) waren die Mennoniten von 1529 bis zum Ende um 1800 von der Todesstrafe bedroht. - In die Confessio Augustana wurden sie nicht eingeschlossen.- Im Frankenthaler Gespräch von 1571 gab es auch von reformierter Seite keine Toleranz.

In der Schweiz galt die Galeerenstrafe, so konnte man Mennoniten auf die Galeeren verkaufen, um Hugenotten freizukaufen! - Die Mennoniten wanderten von der Schweiz über die Pfalz (da gab es auch Amische), von dort in die Niederlande, nach Amerika und später auch nach Russland.

In Kurpfalz und Zweibrücken waren sie später als Landwirtschaftspioniere gerne gesehen, waren gleichwohl theoretisch noch von der Todesstrafe bedroht. Wehrpflicht kam unter Napoleon (von der man sich freikaufen konnte), allgemein aber erst nach 1871. Mennoniten, die dienten, haben Sanitätsdienst geleistet.

Der gute König von Polen hat sich auch hier seinen Schutz gegen Bares und Sondersteuern abkaufen lassen, Wehrfreiheit inklusive. - Auch in Danzig gab es Aufenthalt auf Stadtgebiet, VOR den Mauern nur gegen Schirmgeld. Wegen Neid und Konkurrenzangst setzte man dazu noch auf Handelsbeschränkungen.

Als die Mennonitnn im Werder Beute-Preussen wurde, haben sie teilweise mit der Auswanderung nach Russland reagiert ...

Zu den Mennoniten in Danzig: http://mla.bethelks.edu/metadata/cong_310.php - Dank an Ulrich für #4.

Bartels
20.02.2014, 16:28
Einen schönen guten Tag,

leider habe ich zur Zeit meine Bücher vom Weierhof nicht zur Verfügung...

Interessant wäre es zu wissen, ob es auch bei den Mennoniten im Werder üblich war, dass jeweils der jüngste (!) Sohn als Hoferbe eingesetzt wurde.

Wenn jemand im Werder Tracht trug, dann wohl die Mennoniten.

Beste Grüsse
Rudolf H. Böttcher

MarcelKr
24.02.2014, 09:46
Hallo liebe Forenleser,

ich bin wieder bei meiner Familienforschung und nun an einem interessanten Schnittpunkt zu der mennonitischen Besiedlung angekommen, an dem ich Eure Hilfe benötige.

Meine Familie Pauls lebt nachweislich seit etwa 1635 in Bohnsack (Pfarrdorf). Das ist das geschätze Geburtsjahr von Hanß Paulss, mein Spitzahn.

Mir ist aus dem Danziger Komtureibuch bekannt, dass 1612 Holländer aus Weßlinken und Reichenberg eine Weide bei Bohnsack pachteten. Allgemein wird dieses Datum somit als Gründungsdatum für Bohnsacker Weide und Bohnsacker Pfarrdorf angenommen.

Weßlinken und Reichenberg sind nach meiner Kenntnis auch erst ab 1550 wieder besiedelt worden.

Meine Bitte an Euch: Welche Möglichkeiten (abseits der erschöpften Kirchenbuchsuche) gibt es für mich nach den Siedlern in Bohnsacker Pfarrdorf und Weßlinken/ Reichenberg zu suchen. Kennt Ihr weitere Quellen, in denen die Siedler namentlich genannt sein können?

Ich bin auch über diese enge spezielle Suche über Hinweise/ Weiterforschungsoptionen sehr dankbar.

Herzliche Grüße,

Euer Marcel

JuHo54
24.02.2014, 12:23
Hallo Marcel,
schau mal hier :):
http://forum.danzig.de/showthread.php?10833-FN-Pauls-u-%E4-Mennoniten&p=80019#post80019
Liebe Grüße
Jutta

MarcelKr
24.02.2014, 15:07
Liebe Jutta,

herzlichen Dank.

VG, Marcel

Peter von Groddeck
25.02.2014, 14:02
Hallo Marcel,
eine weitere Fundgrube bietet der Verein für Familienbforschung in Ost- und Westpreußen (VFFOW) unter
www.vffow-buchverkauf.de/schriftenverzeichnis.html
Gruß Peter

Poguttke
25.02.2014, 18:48
Die Danziger Mennoniten sind ja in den Niederlanden wegen ihrer Religion verfolgt worden. Sie siedelten jedoch erst nach Danzig, nachdem ihrem Oberhaupt seitens des Danziger Rates die freie Religionsausübung und die Wehrfreiheit schriftlich zugesichert wurden, neben anderen Rechten. Natürlich war die Wehrfreiheit bei jeder Belagerung erneut ein Streitthema in Danzig. So wurden Mennoniten für andere Aufgaben eingesetzt, z.B. Nachtwache auf den Mauern, oder auch das Entfernen der Pflasterung auf den Strassen, damit einfallende Kugeln keinen Schaden anrichten, Gero

Bartels
25.02.2014, 20:14
Hallo Gero,

bei den ersten Täufern in Danzig war Wehrfreiheit sicherlich kein Thema. - Auch ihr Anschluss an die Richtung von Menno Simons kam erst später. - Man sollte auch unterscheiden zwischen den Spanischen Niederlanden und den Niederlanden der sieben Provinzen, in denen eine erstaunliche religiöse Toleranz herrschte.

NB: Wikipedia hat am 23. auf das Jubiläum hingewiesen: Am 23. Februar 1534 begann das radikale Täuferreich von Münster (https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%A4uferreich_von_M%C3%BCnster).

Poguttke
26.02.2014, 18:04
Hallo Bartels,
du widersprichst mir in allen aufgeführten Punkten, jedoch ohne Beleg. Dein Wikipediabeitrag hat nichts mit Danzig zu tun. Was soll das? Gerade in Bezug auf die Danziger Geschichte ist es wichtig, vorrangig die Danziger Quellen zu nutzen, da jede Nation eine andere Sichtweise auf die Geschehnisse hat, und Danzig ist eben weder Deutschland noch Polen. Auch ist mir ein Rätsel wie man auf Diskriminierung der Mennoniten kommen kann, bei der Vielzahl an unterschiedlichen Religionen die es in Danzig gab, im Gegensatz zum restlichen Europa.