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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wer war Rennhack +1933?



asche
25.03.2014, 20:08
Für das Thema Danzig und die NSDAP spielt das geistige Klima bis Anfang 1933 die wichtigste Rolle - danach hatte im Endeffekt Berlin das Sagen. Hier eine Detailfrage, die unsere Ortskenner vielleicht präzise beantworten können.

Die Chronik der Zoppoter Gruppe der "Deutschen Freischar" (pfadfinderähnliche Organisation für Jungen) berichtet sinngemäß:

Am 22. Mai 1933 wurde auf dem Danziger Garnisonsfriedhof ein Herr Rennhack feierlich beigesetzt. Im Trauerzug befanden sich, extra aus Zoppot angereist, die Jungen der besagten Gruppe, die tags darauf beschloss, geschlossen zur HJ überzutreten - ein paar Tage *vor* der Wahl, bei der die NSDAP erstmals die Regierungsmehrheit gewann!

Ich vermute, dass bei der Trauerfeier die bereits vorhandenen Verbrüderungsgefühle mit der HJ verstärkt wurden, vielleicht durch Trauerredner entflammt.

Frage: Wer war dieser Rennhack, und warum wurde er über die Stadtgrenzen hinaus betrauert - mutmaßlich auch von HJ-Delegationen? Das Adressbuch nennt vier Familien dieses Namens (darunter sicher diejenige des 1937 geborenen späteren DDR-Entertainers Heinz Rennhack), mit unauffälligen Berufsangaben. Wer weiß mehr? Insbesondere über die politischen Zusammenhänge? Was ist sonst über die damalige Hitlerjugend (also vor der Wahl) in Danzig und insbesondere Zoppot bekannt? (Später wurde die HJ-Mitgliedschaft de-facto als Voraussetzung fürs Abitur erklärt, woraufhin natürlich die meisten Gymnasiasten eintraten und damit den Charakter der Gruppe völlig veränderten.)

Daniel Hebron
25.03.2014, 20:43
Hallo Alexander,

Du schreibst hier "Später wurde die HJ-Mitgliedschaft de facto als Voraussetzung fürs Abitur erklärt". In welchen Primärquellen steht das? Mein Grossonkel Herbert wurde 1938 von der HJ wegen "Befehlsverweigerung" abgemahnt (unter Androhung des Rauswurfs) und als er daraufhin nicht mehr hinging, wurde er nochmal wegen "unentschuldigtem Fehlens" (ebenfalls mit Andohung des Rauswurfs) abgemahnt, natürlich ging er dann erst recht nicht mehr hin und wurde dann aus der HJ geworfen. Es sind ihm dahingehend weder schulisch noch beruflich oder später militärisch irgendwelche Nachteile entstanden. Diese Unterlagen habe ich als "Primärquelle" hier.

Gruss
Daniel

asche
26.03.2014, 00:12
Hallo Daniel,

ein anderes Thema, aber (NB: fürs Zoppoter Realgymnasium vs. Schulrat Schramm) vielfach gesichert, z.B. bei dem unverdächtigen und großartig präzisen Günter Althoff, einem Schulfreund meiner eigenen Zoppoter Verwandten: http://www.mynetcologne.de/~nc-althoffl2/Memoiren/Memoiren15.htm.

Mein Interesse gilt zuerst Fakten und geistigen Stömungen aus Sicht der damals Agierenden. Erst wenn diese bekannt sind, können wir Moralfragen diskutieren, sofern sie noch für heute relevant sind. Über Verstorbene zu richten, ist weder nötig noch gut möglich. Noch weniger sollte man meine obige Frage unter den Gesichtspunkt stellen, ob bei der Beantwortung der Ruf der Familie Rennhack leidet. NS-Amtsträger verschiedenster Art und moralischer Verfasstheit gab es in den meisten Familien, jedenfalls auch unter meiner Verwandtschaft.

achimbodewig
27.03.2014, 15:08
Hallo Alexander,

meine Urgroßmutter war eine geborene Rennack – also ohne h – und gebürtige Zoppoterin. Wobei die Schreibweise auf manchen mir vorliegenden amtlichen Dokumenten auch differiert. Mal mit c, mal ohne. Mit h kommt sie auch vor. Weißt du einen Vornamen? Mein Ururgroßvater war August Johann Rennack, geboren 1870. Wenn du mehr weißt, würde mich das sehr interessieren.

Gruß, Achim

JuHo54
27.03.2014, 15:29
Hallo Daniel,
das kann ja so in Danzig gewesen sein, jedenfalls hätte mein Vater ( Jahrgang 1926) das Althoff Gymnasium in Potsdam verlassen müssen , wenn er nicht in der HJ gewesen wäre und seine Eltern als Beamte hätten sicher auch darunter leiden müssen, mal davon abgesehen , dass meine Großeltern sowieso dahinter standen, soviel ich weiß. Ich mag und will darüber auch nicht urteilen , bin halt ein Nachkriegskind. Meine Mutter und ihre Eltern haben sich strickt geweigert dort mitzumachen mit dem Erfolg , dass mein Opa zwar nicht entlassen wurde ( ebenfalls Beamter) , aber auch nie befördert wurde und immer die Dreckarbeit machen musste. Meine Mutter war allerdings auch nicht auf einem Gymnasium ... Ich denke, es gibt viel dazwischen, viel Unausgesprochenes und Verschwiegenes. Die offizielle "Version" war wohl so wie von Alexander beschrieben. Man kann einfach nicht sagen "das war so" oder "das war nicht so", traurig war es allemal...
Liebe Grüße
Jutta

asche
28.03.2014, 01:53
Achim, ein guter Tipp - tatsächlich taucht ein Heinz Rennak in dieser Schreibung als Mitglied der Zoppoter Freischar auf, er lebte aber noch nach dem Krieg. Vielleicht handelt es sich bei dem Toten um einen nahen Verwandten von ihm, der in der Danziger Garnison Dienst getan hatte (- warum sonst sollte er dort begraben sein?), und die Kameraden kamen einfach aus Freundschaft mit zur Beerdigung. Der anonyme Chronist hat vielleicht zu viel DDR-Fernsehen gesehen und den Namen falsch geschrieben (einen Vornamen nennt er nicht). In diesem Fall ist die HJ-Vermutung hinfällig.

Ich frage mich seit geraumer Zeit, was genau in den Köpfen der damals 14- bis 18-Jährigen vorging, die ihre geliebte Freischar ohne äußeren Druck in die HJ überführten. Eine Reihe von Hinweisen habe ich schon, weiß aber geradezu nichts über die konkrete Zoppoter HJ-Gruppe. Vielleicht sollte ich im Zoppot-Teil fragen.

JuHo, tatsächlich berichten viele Leute aus der NS-Zeit, dass der Beitritt zu NS-Organisationen und -Aktivitäten durch Drohungen bewirkt wurde, die nirgendwo auf Papier standen und oft, wie Daniel schreibt, im Verweigerungsfall dann nicht einmal wahr gemacht wurden. Sinn der Sache war vielfach, den Leuten dann einzureden, dass sie als freiwillige NS-Komplizen nunmehr am Fortbestand des Regimes ein persönliches Interesse hatten, weil sie andernfalls mit bestraft würden. Es klappte erstaunlich oft, schon lange bevor man mit einem verlorenen Krieg ernsthaft rechnen musste.

Im speziellen Fall Realgymnasium Zoppot allerdings war die Verknüpfung von Abitur und HJ-Mitgliedschaft ziemlich offiziell und explizit, vermutlich schon Ende 1933. (Direkt von der Schule geflogen ist man allerdings nicht - zunächst nicht einmal die jüdischen Schüler, die natürlich nicht in die HJ durften.) Die meisten zierten sich noch weniger als Günter Althoff.