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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Tiegenort / Tujsk] 665 Jahrfeier Tiegenort / Handfeste Tiegenort



Wolfgang
15.06.2014, 14:48
Schönen guten Nachmittag,

gestern wurde in Tiegenort anlässlich des 665jährigen Bestehens des Dorfes ein (leider vollkommen verregnetes) Fest veranstaltet. Höhepunkt war die Enthüllung eines Gedenksteines vor der örtlichen Bibliothek mit der der Ortsgründung gedacht wurde.

In den Bibliotheksräumen fand eine Ausstellung statt in der einige Dokumente, Ansichtskarten, Fotos und Alltagsgegenstände aus früheren Zeiten gezeigt wurden.

Besonders interessant waren zwei Leihgaben des Staatsarchives Danzig. Mir wurde gesagt, es seien Kopien der Gründungsdokumente Tiegenorts. Ein Dokument konnte ich nur in einigen wenigen Worten lesen, das andere dagegen problemlos. Ich vermute, die eine Urkunde ist eine Kopie der originalen Handfeste (über die Ortsgründung?) und die zweite Kopie eine verkürzte Abschrift der ersten.

In der zweiten Urkunde heißt es:

[Stempel/Vermerke: "Staatsarchiv Danzig, Abt. 358, Nr. 73]

1349 Oktober 31. Marienburg
Hochmeister Heinrich Dusemer von Arffberg verleiht dem Matys,
des alten Starosten Sohn von Palschow, und den Einwohnern
des Dorfs "czum Tuhinorte" und ihren Erben daselbst 10
Hufen zu kölm. Rechte gegen Zins; ferner dem Matys
und seinen Erben den Kretschem daselbst mit 7 Morgen
Ackers gegen Zins. Kleine Gerächte. Kirchenabgaben an
den Pfarrer zum Thuenhayn (Tiegenort).
Zeugen: Winrick von Knypprode, Großkomthur Hermann
Rudorf Spittler, Ludwyk von Wolkinburg, Trappier und Johan
von Langerack, Treßler.
Marienburg, 1349 Aller Heiligen Abend (Oktober 31)
Orig. Pergt.[?] Siegel.
[Durchstrichen: "Wittichscher Nachlaß"]
[Vermerk: "Depositum des Dorfs Tiegenort"]

Es könnte sein, dass in dieser Abschrift ein kleiner Fehler ist. Es heißt dort "Kirchenabgaben an den Pfarrer zum Thuenhayn (Tiegenort)". "Thuenhayn" war jedoch nicht Tiegenort sondern Tiegenhagen.

Was mich interessiert: Ist DAS die Handfeste zur Ortsgründung? Soweit ich das interpretiere, ist das doch lediglich eine Verleihungsurkunde von 10 Hufen zusätzlichen zinspflichtigen Landes an das bereits bestehende Dorf Tiegenort sowie die Verleihung der Kruggerechtigkeit an Matys (war er auch Lokator?), den Sohn des alten Palschauer Starosten.

Wer kann mir evtl. Näheres sagen? Insbesondere auch eventuelle frühere Erwähnungen Tiegenorts?

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Bartels
15.06.2014, 15:36
Einen schönen guten Tag,

das ist keine Ortsgründung, sondern lediglich eine Verleihungsurkunde!

Wie bei uns feiert man hier das Datum der urkundlichen "Ersterwähnung" und wenn man in den nächsten Jahren eine ältere Urkunde ausgräbt, dann kann man 2020 vielleicht schon das 700- oder 750-jährige Tiegenort feiern.

Hier schon öfters vorgekommen, die Gemeinde sieht im Lorscher Codex nach, feiert gross; dann kommt der Landesarchivar mit dem Weissenburger Codex und 15 Jahre später ist man 50 Jahre älter und feiert wieder ...

Bartels
15.06.2014, 15:46
Na, wenn bei den Scherben Bandkeramik dabei gewesen wäre ...

Ob Anna Wedhorn vom Apotheker A. Knigge in Tiegenhof,
lieber eine Flasche von Stobbe zur Anwendung "INNERLICH" gehabt hätte?

;) Rudolf

Bartels
15.06.2014, 17:07
Es gibt wohl zwei verschiedene Urkunden aus dem Jahr 1349,

das zweite Foto zeigt keine Urkunde, sondern nur eine recht junge Abschrift einer Urkunde.
(Vor) 1349 gilt auch als das Gründungsjahr von Tiegenhagen, aber die hatten 1349 schon einen Pfarrer.

Vor 1333 gab es wohl noch keinen dieser Orte.

Wolfgang
16.06.2014, 00:06
Schönen guten Abend,
hallo Rudolf,

das Foto der Urkunde stellt eine wahrscheinlich verkürzte "Übersetzung" des in altdeutscher Sprache geschriebenen Originals dar.

Ein bisschen verwunderlich war, dass von den Urkunden keine polnische Übersetzungen vorhanden waren. Aber vielleicht hätte dann auch die Frage im Raum gestanden wie denn das sein kann, da Tiegenort doch -wie stets behauptet wird- vor der I. Polnischen Teilung immer zu Polen gehört hat und 1945 wieder zu Polen "zurückkehrte".

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Wolfgang
16.06.2014, 13:49
Schönen guten Nachmittag,

vom hiesigen Regionalfernsehen stammt ein Filmbericht (in polnischer Sprache), der nun auch bei Youtube zu sehen ist: https://www.youtube.com/watch?v=AkES_WarKt4#t=16

Die ältere Dame die einen großen Blumenstrauß überreicht bekommt, Christel Gapska, ist die einzige Einwohnerin die noch im Vorkriegs-Tiegenhof geboren wurde. Auch ich lief dem Kameramann ein paar Mal über den Weg - wer erkennt mich? :)

Schöne Grüße aus dem mittlerweile wieder sonnigen Werder
Wolfgang

Ulrich 31
16.06.2014, 15:12
Hallo Wolfgang,

die Musik zum betr. Filmbericht ist (für mich) ziemlich nervig, aber an Deiner Pudelmütze bist Du gut zu erkennen:
draußen zwischen 10:26 und 10:36 (ca.) und drinnen zwischen 16:10 und 16:20 (ca.).

Viele Grüße aus Berlin bei gleich schönem Wetter,
Ulrich

MueGlo
16.06.2014, 18:55
Moin,

von der Pudelmütze mal zurück zur Handfeste: Bei Wikipedia heißt es, dass die vom Deutschen Orden erteilten Handfesten überwiegend verloren gegangen seien. Das besagt im Umkehrschluß, dass noch einige Handfesten existieren. Von welchen Orten? Was steht konkret drin? Erfolgte durch die Handfesten wirklich eine "Ortsgründung" mit allem drum und dran einschließlich der Namensgebung des Ortes oder wurden durch die Handfeste nur Siedlungsrechte / Rechte an Grund und Boden verliehen / besiegelt an einer Stelle, an der schon vorher gesiedelt wurde?

Beste Grüße aus Kronberg,

Rainer MueGlo

Wolfgang
16.06.2014, 21:05
Schönen guten Nachmittag,
hallo Rainer,

ich habe mir gerade auch angeschaut, was Wikipedia zur Handfeste (http://de.wikipedia.org/wiki/Handfeste) zu sagen hat. Nach meinem Verständnis können alle wichtigen Ordens-Urkunden als Handfesten bezeichnet werden. Tiegenort ist jedoch nicht durch diese Handfeste gegründet worden, sondern ganz offensichtlich bestand das Dorf bereits früher. In verschiedenen Publikationen habe ich jetzt als Gründungsdatum 1349 gelesen, aber das ist mit großer Wahrscheinlichkeit falsch.

Momentan habe ich nur eine Gründungs-Handfeste, übersetzt aus dem Althochdeutschen, vorliegen: Ordens-Handfeste von 1321 über die Gründung von Marienau (http://forum.danzig.de/showthread.php?11172-Ordens-Handfeste-von-1321-%FCber-die-Gr%FCndung-von-Marienau). Dort wird ausdrücklich davon gesprochen, "ein deutsches Dorf nach kulmischem Recht [zu] gründen".

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Wolfgang
17.06.2014, 01:08
Schönen guten Abend,

auf Facebook ist noch ein weiteres schönes Foto von der Ausstellung zu sehen mit Christel Gapska (und mir :) ) : https://www.facebook.com/photo.php?fbid=760132130673483&set=pcb.760132150673481&type=1&theater

Schöne Grüße aus dem nächtlichen Werder
Wolfgang

Bartels
17.06.2014, 12:43
Schönen guten Tag,

1349 sind für Tiegenort vermutlich zwei verschiedene Urkunden entstanden:
- PrUr IV 421
- SG XII 337

Das eine könnte die Handfeste sein (ähnlich der von Marienau), das zweite die spätere Verleihung von Land (Auszug/ Transkript unten gezeigt).

Originale waren natürlich auf Pergament geschrieben und gesiegelt.

Marc Malbork
18.06.2014, 13:54
Rudolf, PrUr sind die Preussischen Urkunden, aber wo gehört SG hin ?

Generelle Bitte an alle: Primärquellenangaben fürs eigene Sekundärwissen sind immer hilfreich :-)

Allgemeiner Hinweis dann noch auf das Baudenkmäler-Inventar des Kreises Marienburg, abrufbar über

http://fbc.pionier.net.pl/owoc

also die Polnische Elektronische Bibliothek. Der (fachlich) große Bernhard Schmid gibt da einen Abriss der Siedlungsgeschichte des Kreises und schreibt zu Tiegenort. Er geht unter kurzem aber nachvollziehbarem Hinweis auf die Landgewinnung in diesem Bereich von Gründungsurkunde 1349 aus. Forschungsstand 1919, aber bei Tujsk scheint sich ja nichts geändert zu haben.