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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Das Erste 00:00 Polen und seine Deutschen



stefanstefan
18.08.2014, 19:31
Deutsche in Polen? Das klingt für viele in Deutschland nicht nach europäischer Gegenwart, sondern nach Vergangenheit, nach Krieg und Vertreibung, nach politischem und ideologischem Streit. Tatsächlich liegt ja über den deutsch-polnischen Beziehungen vielfach immer noch der Schatten der Vergangenheit, vor allem des Zweiten Weltkriegs, der vor genau 70 Jahren mit dem Überfall der Wehrmacht begann. Dabei hat sich in Westpolen, im ehemals deutschen Schlesien, in den vergangenen Jahren eine überraschende europäische Erfolgsgeschichte ereignet. Bis 1989 gab laut offizieller Statistik gar keine Deutschen mehr in Polen. Dabei hatten immerhin fast zwei Millionen Deutsche 1946 unter dem Druck der drohenden Vertreibung die polnische Staatsbürgerschaft angenommen. So konnten sie in der Heimat bleiben, aber als Polen. Deutsche Sprache und Kultur wurden zu Zeiten des Kalten Krieges mit wenigen Ausnahmen rigoros unterdrückt. Auch deshalb verließen viele der Deutschen und Deutschstämmigen Polen als Spätaussiedler. Erst mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 wurde eine Anerkennung der Deutschen und Deutschstämmigen als Minderheit in Polen möglich. Etwa 300.000 Menschen umfasst diese Gruppe. Heute ist Polen bereits seit zehn Jahren Mitglied der EU – und Westpolen, das ehemalige Schlesien, eine Region, in der friedliche Nachbarschaft und kultureller Austausch tatsächlich gelebt werden. Der Dokumentarfilmer Hans-Dieter Rutsch hat im ehemaligen Schlesien Menschen besucht, die sich nach 1989 als polnische Staatsbürger zu ihrer deutschen Herkunft bekennen, und solche, die als Deutsche nach Polen gegangen sind, um an die Geschichte der eigenen Familie anzuknüpfen. An ihren Lebenswegen werden die Konfliktlinien, aber auch die Annäherungen zwischen Deutschen und Polen spürbar, von der Vertreibung und dem Bleiben unter polnischer Flagge, über den Alltag in der deutschen Minderheit bis zur Wende 1989, die eine Rückkehr bzw. neue Anfänge von Deutschen in Polen möglich gemacht hat.

Polen und seine Deutschen – Dokumentation, D 2014 Dienstag, 19.08.2014
Beginn: 00:00 Uhr Ende: 00:45 Uhr Länge: 45 min.
Regie: Hans-Dieter Rutsch
Originaltitel: Polen und seine Deutschen
Kategorie: Nachrichten/Info, Dokumentation



.....Text stammt nicht von mir sondern von tvtv.de :)

StampCollector
18.08.2014, 20:17
Ich kenne von der Arbeit her auch viele Osteuropäer. Bei den Polen sind das meistens Schlesier. Das ist oftmals die autochtone Urbevölkerung, die natürlich auch über Jahrhunderte "germanisiert" wurde bzw. werden sollte.
Man hat die deutsche Schule besucht, aber zuhause wurde dann auch oft Schlesisch gesprochen.
Schlesisch ist aber nicht unbedingt Polnisch - eher ein polnischer Dialekt.
Das heisst, daß die "Dableiber" nach 1945 auch erst einmal "richtig" Polnisch lernen mussten.
Ich denke mal, daß es zwischen den beiden Extremen Deutsch und Polnisch auch viele "Zwischentöne" in unterschiedlichen Ausprägungen gibt.

Der Nationalismus ist meiner Meinung nach sowieso ein Gift, welches die Menschen seit ca. 1789 verdorben hat (Frankreich, die Grand Nation).
Davor war das eigentlich weniger wichtig, welche Nationalität man hatte.
Der kleine Bruder des Nationalismus ist beispielsweise der Tribalismus (Stammesdenken). Noch heute hindert dieser z.B. einige afrikanische Staaten an ihrer Weiterentwicklung...

SC

Christkind
18.08.2014, 21:05
Da muss ich widersprechen, SC !
Mein Mann ist Oberschlesier, bis 1945 war die ganze Familie deutsch. Im Denken, im Sprechen, in der Kultur. Mit dem Tag der Kapitulation wurde er zwangsweise polonisiert. Er war 10 Jahre alt und durfte von Stund an nicht mehr seine Sprache sprechen, musste von heute auf morgen in einer ihm nicht geläufigen Sprache lernen. "Man hat mir meine Sprache genommen, meine Lieder, meine Kultur", das waren immer seine Worte.
Dass es für ihn eine Bereicherung war, das hat er später auch gesehen, aber der Zwang war böse.
Erst 1958 durfte die Familie ausreisen.
Schöne Grüße, Christa

StampCollector
18.08.2014, 21:20
Hallo Christa,

es gibt übrigens auch ein "Deutsches Schlesisch", wie auch ein "Polnisches Schlesisch":

http://de.wikipedia.org/wiki/Schlesisch_%28deutscher_Dialekt%29

http://de.wikipedia.org/wiki/Schlesisch_%28polnischer_Dialekt%29

Die mehr deutsch geprägten Schlesier hatten nach 1945 natürlich auch extreme Probleme: Es wurde mit dem Wasserglas an der Wand gehorcht, ob noch deutsch gesprochen wurde - Industriearbeiter mussten sich bei ihrer Arbeit vor Fehlern hüten: Das konnte schnell als Sabotage ausgelegt werden...

SC

Ulrich 31
18.08.2014, 21:37
Hallo SC,

auch ich muss Dir widersprechen, und zwar wg. Deiner Behauptung, "Schlesisch" sei "eher ein polnischer Dialekt". Das stimmt überhaupt nicht. Und zum Beleg hier diese Links:

- Wikipedia-Seite "Schlesisch" > http://de.wikipedia.org/wiki/Schlesisch_(deutscher_Dialekt)
- Schlesische Mundart (YouTube) > http://www.youtube.com/watch?v=r0nv5h6PDbY
- dto. > http://www.youtube.com/watch?v=On8KMdgaaDU
- dto. (Ludwig Manfred Lommel) > http://www.youtube.com/watch?v=30Fz6ulMTdc .

Viele Grüße
Ulrich

StampCollector
18.08.2014, 21:53
Ich hatte mich einmal mit einem Arbeitskollegen unterhalten, wo die Familie (neben deutsch) auch das polnische Schlesisch sprach und er hat mir das so erzählt, daß die Eltern nach 1945 erst noch einmal "richtiges" Polnisch lernen mussten.

SC

Beate
18.08.2014, 22:08
Guten Abend zusammen,

ja, so kenne ich es auch: meine Kollegin stammt auch aus Schlesien, und sie sagt, es gibt unterschiedliche "Polnisch-Arten". Die Eltern mussten damals "Hochpolnisch" lernen, so wie es unser "Hochdeutsch" gibt. Das schlesische Polnisch sei wieder anders.
Bei polnischen Kunden hatten wir sie manchmal um Übersetzungshilfe gebeten und hin und wieder ging das eben nicht so gut, wenn der Kunde nämlich seinen ganz eigenen Dialekt sprach, je nach Herkunft.

Schöne Grüße Beate

StampCollector
18.08.2014, 22:23
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Abstimmungsergebnisse der Volksabstimmung von 1921. Bei den Wahlergebnissen in den städtischen Wahlbezirken in Ost-Oberschlesien gibt es doch prozentual recht starke Unterschiede zu den entsprechenden Landbezirken (Beuthen, Kattowitz). Das kann man natürlich auch mit einer gewissen Assimilation deuten. Andererseits gab es dort wohl auch mehr "Zugezogene".

http://de.wikipedia.org/wiki/Volksabstimmung_in_Oberschlesien

SC

Heinzhst
18.08.2014, 22:56
Zu #3
Christa, genau so ist es mir ergangen. Mit 10 Jahren ins "kalte Wasser geworfen" Für mich ging eine Welt unter.
Als Kind lernt man schneller eine neue Sprache. Schule, Beruf und Wehrpflicht. Mit 24 Jahren, 1958 durften wir endlich nach Deutschland ausreisen.
Dein Mann hat das in Oberschlesien erlebt, ich in Danzig.
Schöne Grüße, Heinz

stefanstefan
18.08.2014, 22:58
Volksabstimmungen kann man in die Tonne kloppen. Man gibt meistens das an, was einem mehr Vorteile verspricht. Gerade in Schlesien, war es mal von Vorteil deutsch zu sein und mal polnisch. Überhaupt sollten wir aufhören Menschen national zu vereinnahmen (so wie es jetzt Putin in der Ostukraine tut). Danziger, Schlesier usw. sollten uns lieber als eine Brücke dienen, anstatt irgendwelche nationalen deutschen bzw. polnischen Reflexe hervorzurufen. Gleiches gilt auch für assimilierte Deutsche und assimilierte Polen.

Hier ein Beispiel, wie unsinning so ein nationales Denken ist.

http://de.wikipedia.org/wiki/Haberbusch_i_Schiele

Christkind
19.08.2014, 00:05
Es geht mir nicht darum, Grenzen zu ziehen. Es muss aber in jedem Land möglich sein, dass jeder Mensch die Sprache sprechen kann, die er möchte.Und dass Minderheiten nicht unterdrückt werden dürfen. Dazu gehören auch zweisprachige Schilder in Grenzgebieten.
Ich habe einen Brief, den mein Mann an seine Schwester geschrieben hatte, die in der DDR gelandet ( gestrandet) war.
Er schrieb in einwandfreiem Deutsch und fast fehlerfrei:
" Beuthen den 16. Mai 1950
... Ich gehe jetzt aufs Gymnasium und ihr wisst das man dort was lernen muß. Russisch und latainisch das ist gar nicht mal so leicht aber auch nicht schwer. Trotzdem spiel ich noch Fussball und am wichtigsten ich lese Bücher, deutsche Bücher,Kriminal-Romane, Romane und Karl-May Bücher, von denen ich schon 32 Bände ausgelesen habe.Wenn ich nicht möchte lesen könte ich schon nicht mehr so schreiben wie ich jetzt zu Dir schreib, denn die meißten in Oberschlesien haben es verlernt.... " -

Die Bücher holte sich mein Mann, wenn Altpapier gesammelt wurde.


Schöne Grüße, Christa

StampCollector
19.08.2014, 21:41
Natürlich spiegeln die Volksabstimmungen, die nach dem Versailler Vertrag abgehalten wurden nicht unbedingt die ethnologische Zusammensetzung der jeweiligen Region wieder.

Zum Vergleich zu Oberschlesien einmal die Volksabstimmungen (Plebiscite) in den Abstimmungsgebieten Allenstein und Marienwerder:
Hier gab es teilweise eine recht starke polnisch-masurische Minderheit, die 1910 noch Polnisch als ihre Muttersprache angegeben hatte, aber dann doch bei der Abstimmung von 1920 für Deutschland votiert hatte.
Das geschah natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen. Man versprach sich unter deutscher Herrschaft bessere Lebensbedingungen und man vertraute dem neuen polnischen Staat wohl auch nicht so sehr, der sich zudem ja seinerzeit auch noch im Kriegszustand mit der RSFSR befand (Sovietisch-Polnischer Krieg; Wehrpflicht).
Detailliert werden die Gründe für das für Polen desaströse Ergebnis hier geschildert:

http://de.wikipedia.org/wiki/Abstimmungsgebiet_Allenstein

Sehr interessant dann auch noch die kartographische Übersicht:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/eb/Plebiszit_Sprache_Ostpreussen_1920.png

Bei der Volksabstimmung in Oberschlesien sehen die Ergebnisse dann doch etwas anders aus.

SC

StampCollector
19.08.2014, 22:37
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Stadt Olecko:
Bis 1928 hatte diese Stadt den slawischen Namen Marggrabowa (umgangsprachlich auch Olecko).
Da bei dem Plebiscit von 1920 nur 2(!) Stimmen von 28.627 für Polen abgegeben wurden, obwohl der Bevölkerungsanteil der autochtonen Masuren (Polen) wohl wesentlich höher gewesen sein dürfte, erhielt diese Stadt dann 1928 den neuen Namen Treuburg...

SC

Wolfgang
19.08.2014, 23:35
Schönen guten Abend,

der Film ist auch in der Mediathek zu sehen: http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Geschichte-im-Ersten-Polen-und-seine-De/Das-Erste/Video?documentId=23013648&bcastId=799280

Sehr interessant, sehr empfehlenswert, aber der Titel ist ein bisschen irreführend. Denn in dem Film geht es nicht um "POLEN und seine Deutschen" sondern um "SCHLESIEN und seine Deutschen".

Ohne Zweifel: Das Bild der Deutschen hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert in Polen. Aber so entspannt und so vorurteilslos wie das in Schlesien dargestellt wird, ist das ganz sicher nicht in ganz Polen.

Ich fühle mich hier im Werder zu Hause, habe enge polnische Freunde, gute Nachbarn, stoße meist auf Interesse, Sympathie, Wohlwollen. Aber es gibt hier weit verbreitet trotzdem noch starke Ressentiments gegenüber allem was deutsch war und ist. Geschichte, Vergangenheit wird adaptiert, als Erbe, aber sehr häufig nur wenn sie einen holländisch-mennonitischen Hintergrund hat. Deutsch? Deutsche Geschichte? Zumindest hier das Werder war immer mennonitisch, nicht deutsch. Baudenkmäler, Friedhöfe, wasserbautechnische Anlagen: alles mennonitisch, holländisch. Für das was einst deutsch war, wird kein Zloty ausgegeben, keine Hinweistafel an einem alten Friedhof, nichts, absolut nichts.

Der Film zeigt die Situation in Schlesien. Zumindest hier, im Werder, auf regionaler Ebene, ticken die Uhren anders. Hier hat man die Holländer gefunden, und darauf fokussiert man sich. Die Mennoniten waren ja auch Opfer der Nazis. Es wird ihnen eine besondere Sympathie entgegen gebracht.

Natürlich kann man auch hier als Deutscher leben, es gibt einige von ihnen hier. Behördlicherseits hatte ich nie den Eindruck, in irgend einer Form benachteiligt zu werden, ganz im Gegenteil.

Trotzdem: Wenn ich meine Situation hier in Polen vergleiche mit der von Ausländern in Deutschland, dann wünschte ich mir, diese würden dort genauso behandelt und geschätzt wie ich als Deutscher in Polen.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Wolfgang
19.08.2014, 23:53
Schönen guten Abend,

ergänzend zu meinem letzten Beitrag möchte ich den Satz "Zumindest hier das Werder war immer mennonitisch, nicht deutsch" noch kurz kommentieren. Das ist natürlich sarkastisch gemeint, aber das ist die hier vorwiegende Auffassung und Überzeugung.

Nochmals schöne Grüße aus dem Werder
Wolfgang

StampCollector
20.08.2014, 00:05
Also ich habe da einen polnischen Fahrer von einer Fremdfirma, der tatsächlich aus Olecko kommt. Er spricht nicht gut Deutsch, aber er bemüht sich. Das ist ein richtig toller Kerl, der auch arbeitsmässig richtig "reinhaut" - entgegen den typischen deutschen Vorurteilen.
Da ich mich für Danzig und Polen interessiere, habe ich ihn auch mal gefragt, wo seine Wurzeln sind.
Seine Familie kommt aus "Litwa" - also aus Litauen.
Denen hat man 1945 auch "die Pistole auf die Brust gesetzt": Willst Du Bürger der Sovietunion sein, oder willst Du Pole sein und in die neuen Gebiete gehen...

Irgendwie ist es doch auch wirklich toll ein Bürger von Europa zu sein...

SC

ada.gleisner
22.08.2014, 21:23
Allen, die an der Geschichte und den Menschen in Südostpreußen sprich Masuren interessiert sind, empfehle ich das Buch von Andreas Kossert "Masuren". Er arbeitet die Geschichte dieses Landstriches sehr gut heraus und zeigt auch auf, wie deutsch die Masuren eingestellt waren, auch schon vor 200 Jahren. Es ist von preußischer Seite vieles schief gelaufen, man hat versäumt deutsche Lehrer und Pfarrer einzustellen und die Menschen doch oft sich selbst überlassen. Das alles und noch viel mehr liest man in Kosserts Buch. Abendliche Grüße von Ada

StampCollector
23.08.2014, 19:48
Hallo,

nachdem Günther Grass "seine Zwiebel geschält" hat, ist er ja nicht mehr ganz so beliebt...

Trotzdem finde ich, daß sein Werk nach wie vor ein Meilenstein der deutschen Nachkriegsliteratur ist.
"Die Blechtrommel" habe ich vor Jahren mit Begeisterung gelesen und auch den Film schon ca. 3 mal gesehen.
Hier einmal ein Zitat, daß auch im Wikipedia-Artikel über Danzig steht, welches auch gut zum Thema passt:

Zuerst kamen die Rugier, dann kamen die Goten und Gepiden, sodann die Kaschuben, von denen Oskar in direkter Linie abstammt. Bald darauf schickten die Polen den Adalbert von Prag. Der kam mit dem Kreuz und wurde von Kaschuben oder Pruzzen mit der Axt erschlagen.
Das geschah in einem Fischerdorf und das Dorf hieß Gyddanyzc. Aus Gydannyzc machte man Danczik, aus Danczik wurde Dantzig, das sich später Danzig schrieb, und heute heißt Danzig Gdańsk.

SC