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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Verfolgung von Danziger nach 1945 in der DDR



Witz5
18.08.2014, 21:28
Liebe Leserschaft,
sicherlich ist mein Name kein Unbekannter in diesem Forum. Ich war seinerzeit auf der Suche nach meinen Vorfahren mit den Namen Dahms, Osloff, Potreck, Wedhorn, Elias und bin, auch mit Hilfe dieses Forum`s sehr weit gekommen.
So habe ich den Verbleib von Frida Potreck, Schwester meiner Uroma Paula klären können und ihre Nichte und Patenkind Renate in Kiel besuchen können.
Sie hat mir viel von Ihrem Vater Ernst Wedhorn erzählt (geb. 25.1.1901 in Danzig, gest. 5.10.1958 in Kiel). Unbekannt war mir bis dahin, dass Ernst Wedhorn in einem Zuchthaus der DDR (Bautzen) einsitzen musste.
Über die verantwortliche Behörde habe ich nun eine Kopie des Urteils des Gerichts in Rostock erhalten, dass ich heute im ersten Teil den Interessierten zur Verfügung stellen möchte.

"Im Namen des Volkes

In der Strafsache gegen

den Schiffsbaukonstrukteur Ernst Wedhorn, geboren am 25. Februar 1901 in Danzig, wohnhaft in Rostock, zur Zeit in Untersuchungshaft,

hat der erste Strafsenat des Bezirksgerichts Rostock in der Sitzung am 22. Oktober 1954
für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird wegen Verbrechens nach Artikel III A III der Kont. Dir. 38 unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt.

Es folgt der Lebenslauf, der berufliche Werdegang….

Der Angeklagte kam nach 1945 mit vielen Danzigern nach Neubukow, wovon dann ein Teil nach Westdeutschland ging, die sich in der Folgezeit in den so genannten Bund der Danziger zusammen schlossen von diesem Bund wurde eine Suchkartei aufgestellt, umso festzustellen, wo die einzelnen ehemaligen Danziger ihren Wohnsitz genommen hatten. Außerdem wurde von diesem Bund ein so genanntes Mitteilungsblatt und später auch der so genannte Danziger Heimatskalender, die alle einen hetzerischen Inhalt gegen die Volksrepublik Polen und die Sowjetunion haben, herausgegeben. Der Angeklagte trat 1949 mit diesem Bund in Verbindung, ließ sich in die Suchliste eintragen, hat die Mitteilungsblätter hetzerischen Inhalts erhalten, bis ihm eines Tages mitgeteilt wurde das er wegen der bestehenden Währung diese nicht mehr direkt vom Bund zugesandt erhalten könnte sondern dies nur über mittels Personen die in Westdeutschland ihren Wohnsitz haben geschehen könnte. Er hat dann in der weiteren Zeit von einer Frau Ruthardt, die er von früher her kannte, diese Mitteilungsblätter zugesandt erhalten. Er erkannte, dass in diesen eine Revanchepolitik betrieben wurde und hatte sich diese Stellen besonders angezeichnet. Im Jahre 1953 erhielten noch ein zu so genannten Danziger Heimatskalender zugesandt. Den hetzerischen Inhalt hatte er deshalb angestrichen, um diese zu sofort herauszufinden und mit anderen Mitarbeitern seiner Abteilung darüber zu diskutieren. Er behauptete zwar, sich nicht mehr genau darauf besinnen zu können."

Fortsetzung folgt

Frank Dahms

Geigersohn
18.08.2014, 21:58
Danke Frank für diese Auszüge.
Ich kannte eine solche Verfahrensweise bisher nicht.
Ich bin ja in der Stadt, wo dieses Verfahren, lief aufgewachsen.
Dieses Urteil und sicher weitere haben mit dazu geführt, dass
bei meinen Eltern keine Kalender und Mitteilungsblätter bzw. kein Stadtplan
mit den deutschen Straßennamen für uns Bälger einsehbar waren.
Schöne Grüße von Geigersohn

JuHo54
18.08.2014, 23:42
Hallo Frank,
auch mir ist ein Fall des Einsitzens in Bautzen in meiner angeheirateten Verwandtschaft bekannt. Diese Person wohnte ebenfalls in Rostock. Ich weiß noch , dass mein verstorbener Vater - aktiv in der Danziger Landsmannschaft - alle Hebel in Bewegung setzte mit Hilfe eines Anwalts, dass diese Person frei kam, weil wohl der Kontakt zu meinem Vater Anlass genug war, sie einzusperren....
Liebe Grüße
Jutta

Witz5
19.08.2014, 09:15
Fortsetzung der Urteilsbegründung:

"Nach der Proklamierung des neuen Kurses der Regierung der DDR äußerte sich der Angeklagten abfälliger Weise über diesen, brachte zum Ausdruck, dass er kein Vertrauen zur Regierung der DDR hätte und sagte, dass wenn ein Arbeiter einen Fehler begangen hätte dieser bestraft wurde, aber der Regierung geschehe nichts. Wenn früher eine Regierung etwas falsch gemacht hätte, musste sie abtreten. Am 13. Juni 1953 ging der Angeklagte zu dem heute gehörten Zeugen Harder und sagte ihm, dass die fortschrittlichen Losungen die auf dem Flur des Gebäudes aufgehängt sind, entfernt werden müssten, weil ein Teil der Mitarbeiter im Konstruktionsbüro daran Anstoß nehmen könnte. Da Harder dieses verweigerte, war auffallend, dass kurz nach dieser Forderung die Losungen herunter gerissen waren.
Trotz des dringenden Verdachtes vermochte dem Angeklagten in der damals sofort angestellten Untersuchung nicht nachgewiesen zu werden, dass er diese herunter gerissen hätte. Bis zu diesem Zeitpunkt sind dann von dem Angeklagten Nachrichten des NWDR (Nordwestdeutschen Rundfunk – Anmerkung des Artikelschreibers) im Konstruktionsbüro verbreitet worden.
Am 18. Juni 1953 hatte er auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle von einem anderen erfahren, dass der NWDR die Nachricht verbreitet hätte, dass die Arbeiter der Neptunwerft ein Dock versenkt hätten. Trotz dieses sofort als Lüge entlarvt wurde, ist weiterhin über den angeblichen Arbeiteraufstand in Berlin diskutiert worden. Als beim Eingreifen der Sowjetarmee ein Warnschuss abgegeben wurde, stand der Angeklagte auf sagte, nun ist es Zeit für mich, zu verschwinden. Diese Äußerungs will er getan haben, weil er sich in diesem Putsch nicht mit hineinziehen lassen wollte. Zu den Mitarbeitern äußerte er dann, wenn die sowjetischen Einheiten morgen noch den Betrieb besetzt halten, kehre ich um, da ich mit diesen nicht einverstanden bin. Er ließ auch die Möglichkeit offen, dass er sich noch krasser ausgedrückt hätte. Als dann nach einigen Tagen eine Diskussion über die Weiterzahlung der Gewerkschaftsbeiträge einsetzte, sagte auch er laut, dass er keine Beiträge mehr zahlen, da der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund – Anmerkung des Verfassers des Artikels) nicht die Interessen der Arbeiter vertrete. Dieser Meinung schlossen sich dann auf viele Mitarbeiter an."

Fortsetzung folgt
Anmerkung bzw. Korrektur: Ernst Wedhorn hat die Strafe in der JVA Bützow - Dreibergen verbüßt und nicht in Bautzen (Quelle Gefangenenbuch Nr. 2444/54 der Anstalt)

StampCollector
20.08.2014, 00:19
Diese Stasi-Knäste waren wirklich das Allerletzte:
Ein Bekannter von mir hat wegen "Republikflucht" im "Roten Ochsen" (Halle an der Saale) gesessen. Was diese Stasi-........ mit ihm und seiner Familie angestellt haben, das war wirklich eine Sauerei.
Bei ihm im Knast war wohl auch ein ehemaliger Nazi, der nach 1945 in der DDR eine SED-Karriere hatte...
Nach seiner Pensionierung haben sie ihn dann "urplötzlich drangekriegt", ihm notwendige medizinische Behandlung verweigert und ihn sozusagen "verecken lassen".

Für meinen Bekannten und für seine Familie gab es dann wegen guter westdeutscher Beziehungen dann doch noch ein "Happy End"...

SC