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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Geburtstags Unfall in der Groddeckgasse 1937



Gerhard Jeske
10.02.2015, 17:43
Verehrte Karin. Hier ist eine Erzählung . Unfall am Geburstag zwischen Groddeck und Lenzgasse und wie es so im Marienkrankenhaus herging. Gerhard Jeske
Dokumentar-Fotograf
Die Platzwunde. Unveröffentlicht. copyright gerhard Jeske
"Jungchen, pass doch auf:" rief der Mann wütend aus. Beinahe hätte der Junge
den Bochcrt umgerannt. Mit einem Schlenker konnte er gerade noch ausweichen.
Roland peste hinterher. Er wollte es Evelyn zeigen, wer hier in der Gegend der
"Schnellste" war. Gleich würde er ihm die Hand auf die Schulter schlagen und
"Tick" rufen, dann hätte das Jungchen ausgespielt. Das Jungchen drehte seinen
Kopf zur Seite, um den Abstand zu Roland abzuschätzen. Roland war drei bis
vier Meter hinter ihm. Tief holte der Junge Luft, gab dem Tritt mehr Kraft,
wendete den Kopf nach vorne: und dann knallte es! Ein harter Schlag hatte ihn
gegen die Stirn getroffen. Instinktiv streckte er die Arme aus, umfaßte den Lichtmast
und rutschte daran hinunter. Zusammengekauert blieb er einige Sekunden
hocken. "Blut ! Blut ! "hörte er Evelyn schreien: " Er verblutet!!' Eine Frauenstimme
schimpfte: "Dieser Prenter, mußte er so rennen?" Die Frau faßte den Jungen
unter die Achsel, langsam hievte sie ihn hoch. Er strich mit dem Handrücken über
die Augen, klebrig fühlten sich die Finger an. Langsam hob er ein Lid hoch und
sah seine Hand rot mit Blut befleckt. Ihm dämmerte, dass er gegen den kantigen
Lichtmast gerannt war. "Die schöne Bluse" jammerte die Frau. Das buntbestickte
Kaschuben - Muster war rot eingefärbt. Sein Blut rann über die Stirn zur Nasenwurzel;
von der Nasenspitze tropfte es hellrot aufs buntbestickte weiße Leinen,
da kam der Lebenssaft knallrot zu Wirkung. Das auslaufende Blut erschreckt die
Gaffer. Blut erinnert an Unfall, Wunden oder Tod! Evelyn drückte sich ihr Taschentuch
gegen den Mund, sie mußte immer losheulen, wenn sie andere leiden
sah." Es ist gut, daß es blutet, dann gibt es keine Beule," meinte die Frau. Von
der Haustür kam seine Mutter gelaufen. Der Lärm auf der Straße hatte sie zum
Fenster gelockt. " Nur langsam, nur langsam, redete sie sich auf der Treppe zu,
sonst brichtst du direin Bein. Na. das fehlte noch." Roland fuchtelt mit seinen
Armen herum, zeigte dann auf seinen Freund, und schlug sich selbst gegen
die Stirn. Sie wollte ihren Jungen auf den Arm nehmen; er wehrte ab, vor den
Leuten wollte er nicht als Muttersöhnchen erscheinen. In dieser Zeit war so etwa
verpönt." Hart wie Kruppstahl" sollten die Burschen sein." Seine Stirn war nicht
aus Eisen, deshalb faßte sie ihn unter und zog ihn mit sich fort, bis zum Marien-
Krankenhaus, das lag an der Ecke Weidengasse vor der Endstation der Linie fünf.
In der protestantischen Hansestadt war ein katholisches Krankenhaus ein Fremdkörper.
Die schwarzgekleideten Nonnen und Schwestern regten die Phantasie der
Kinder an. Über ihr geheimnisvolles Leben erzählten sie sich ausgedachte Geschichten.
Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass Protestanten möglichst
nicht mit Katholiken in einem Zimmer liegen durften. " Muß ich die Nacht bei
den Schwestern bleiben?" fragte er laut. " Warten wir ab, was der Doktor sagt,
vor allen Dingen: Halt Deinen Mund" Hinter einer Glasscheibe im Hauptportal
saß eine Ordensschwester. Sie winkte Mutter Jeske zu sich heran und tuschelte mit
Ihr. " Wieder diese Geheimniskrämerei." Die Schwester beschrieb ein Formular
und reichte es durch das ovale Fenster. Am Bahnhofsschalter ging es ähnlich zu,
das kannte er ja. " Hast du meine Fahrkarte bekommen?" fragte er. Seine Mutter
lachte auf, " Fahrkarte ist gut! Das ist nur die Einweisung in die Ambulanz."
Das Wort hörte er zum ersten Mal, das wird er seinen Kameraden in die Ohren
raunen und bei Evelyn angeben. Vorsichtig fragte er, ob er geschnitten werden
müßte? " Mal den Teufel nicht an die Wand. Der Doktor wird" sich erst die Wunde
genau ansehen." Das Treppensteigen bis zum ersten Stock , trieb seinen
Blutdruck hoch, in seiner Stirn klopfte der Pulsschlag, ihm wurde die Zunge
schwer und kalt, oben setzte er sich auf die Stufe."Ist dir schlecht geworden?
Hoffentlich erbrichst du nicht". Er stand auf und hielt sich am Geländer fest."
Wenn Du kotzt, mußt du hierbleiben, dann hast Du eine Gehirnerschütterung,
Gehts wieder?" Vom Ende des Korridors kam Ihnen eine junge Ordensschwester
entgegen. " Ich bin Schwester Anna". Sie reichte ihm die Hand und er ließ sie
nicht mehr los, weich war sie und warm. Vor der Tür mit dem Schild " Ambulanz"
hielt die Schwester an, sie ließ ihn verschnaufen. Dann öffnete sie die Tür
und sie traten in das Vorzimmer ein. Hinter einem breiten Schreibtisch saß eine
ältere Schwester und sortierte Karteikarten. " Hier ist unser Wildfang " so meldete
sie ihren Patienten an. Damit war zunächst ihr Dienst beendet. Das Jungchen
legte sich auf einen Liegestuhl, mit geschlossenen Augen hörte er zu, wie
seine Mutter die paar Lebensdaten aufsagte. Er staunte über da schnelle Geklapper
,das die Finger der Schreibmaschine entlockte.
Der Junge betrachtete neugierig die verschiedenen Bilder an den Wänden. Ein Bild erregte seine Neugierde. Eine üppige Mutter, mit einem Knaben au ihrem
Arm war lebensnah abgebildet, aber das Komische war, dass diese schwere Person
auf einer Wolke stand. " Das ist eine Szene in einer Theateraufführung." dachte er.
Im Märchen, bei Frau Holle hatte er ein ähnliches Bühnenbild
gesehen. An die Aufführung im Friedrich Wilhelm Schützenhaus, erinnerte er
sich, da donnerte es, schneite und qualmte , dass die Wände wackelten und Frau Holl schaute aus den Wolken zu..
Der Arzt betrat das Zimmer. Im weißen Leinenanzug sah er vornehm und unnahbar
aus. Er beugte sich über den Schreibtisch und blickte auf die Karte. Plötzlich
drehte er sich um, ging auf den verletzten Jungen zu, lächelte und streckte ihm
die Hand entgegen. " Ausgerechnet am 20. August mußt Du gegen den Lichtmast
prallen. Diesen Geburtstag wirst Du nie vergessen. " Er besah sich die Wunde
und ging in den OP-Raum zurück. Die Schwester schaute durch das Fenster. Die
Mutter blickte den offenen Rollschrank an, der vollgestellt war mit Karteikästen. Gleich wird die Krankenakte ihres Sohnes die Reihe vergrößern. Der Junge beobachtete eine Fliege, die auf seiner
Bluse am roten Blut naschte. Die Schwester wendete den Kopf und sah die Fliege.
" Die Fliege darf auf keinen Fall in die Ambulanz mitkommen. Sie stand auf.
nahm ein Lineal und verscheuchte sie. Die Tür wurde geöffnet und eine
OP-Schwester schaute herein und winkte ihm, ihr zu folgen, er schaute seine
Mutter an, die schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Daumen in Richtung
Tür. In seiner Stirn pochte der Puls, ein stechender Schmerz zog sich bis zum linken
Auge hin. " Ärger wehtun kann es ihm da drinnen auch nicht." Also stand er
auf und ging auf die Tür zu. Der Behandlungsraum stimmte ihn zuversichtlich.
Weiße Wände verstärkten das Tageslicht. Gläserne Schränke standen an einer
Wand, hinter den Scheiben glänzten Chirurgische Instrumente. Ein Operationstisch
war mit einem weißen Leinentuch abgedeckt. Darauf brauchte er sich nicht
zu legen. Ein Lehnstuhl genügte für ihn. Die Schwester goss aus einer braunen
Flasche keimfreies Wasser in eine Schale, feuchtete steriles Mullgewebe an und
wusch sein Gesicht ab, danach holte sie eine kleine Flasche von einem Medikamenten
Tisch, und während sie zurück kam, warnte sie den Jungen,:" Mach die
Augen zu, gleich wird es in der Wunde brennen." Er klappte die Lider herunter
und holte tief Luft, hielt den Atem an, staute die Luft in der Lunge, krampfte sich
zusammen um nicht loszubrüllen, durch die Stirn fuhr ihm ein Schmerz, wie von
einem heißen Messer eingeschnitten. " Schon vorbei", sagte die Schwester," Jod
muß sein, damit sich die Wunde nicht entzündet." Jetzt näherte sich der Arzt, in
der Hand hielt er ein Instrument, dass einer Zange ähnlich sah. Aber genauer
konnte er sich das Ding nicht ansehen. Die Schwester war hinter den Stuhl getreten,
legte ihre Hand unter sein Kinn und presste seinen Kopf gegen die Rückenlehne,
der Arzt drückte die Zange dreimal gegen die Stirn des Jungen, dreimal
machte es klick und dreimal dachte das Jungchen, dass ihn ein Nagel durchbohrte.
Die Schwester legte Gaze über die Wunde und klebte darüber Leukoplast.
„Fertig " sagte sie. Langsam führte sie den Jungen zurück ins Vorzimmer, dort
erwartete ihn, sichtlich nervös, seine Mutter "Sollte ihm übel werden, dann lassen
Sie den Hausarzt kommen. Jetzt bekommen sie einen Termin. nach acht Tagen
müssen die Klammern entfernt werden. Dann sehen wir uns wieder, " Sie
ging in die Ambulanz, bereit den nächsten Patienten genau so freundlich mit der
Jodtinktur zu erschrecken. Im Büro überreichte die Schwester der Mutter ein Rezept
für die Apotheke, "Pillen gegen Kopfschmerzen. Dazu eine Flasche mit Lebertran".
Das Jungchen stöhnte auf. Die Schwester lachte, " Schmeckt Dir der Lebertran
nicht“. " Nee, das Zeug schmeckt wie Rizinus." Als sie den Flur betraten,
humpelte ein Schüler ihnen entgegen. Er hatte sich das Knie aufgeschlagen.
Die Sportlehrerin begleitete ihn. Der Anblick der Beiden ermunterte ihn. " Bist
vom Bock gefallen " fragte er laut und hämisch," Blick mal selbst in den Spiegel
", konterte die Lehrerin. Eine Minute später traten sie in den Sommertag hinaus.
Solche Sommertage sind für ihn aneinandergereihte Feiertage. Die milde Luft
war angereichert mit herben Duft von Dahlien und Astern. An der Endstation
fuhr die Straßenbahn ab. Ihr Gebimmel scheuchte die Spatzen von der Straße.
Drei Bowkes kamen vorn Baden, sie versuchten sich die nassen Hosen ins Gesicht
zu klatschen. Jetzt wurde unserm kleinen Patienten erst klar, daß er mit der
Platzwunde nicht ins Wasser springen durfte.Das ärgerte ihn am meisten.
An der Ecke Grodeck Gasse, über dem Kaisers-Kaffee-Geschäft, wohnten sie.
Der Duft des gemahlenen Kaffeesund der von Süßigkeiten zog von der
offenen Ladentür bis in den kühlen Hausflur hinein. "Soll ich Dich hochtragen?"
fragte seine Mutter. Er plusterte sich auf,
"Wegen der kleinen Beule?" Er schnupperte herum " Das riecht hier lecker".
Seine Mutter grinste " Jeden Tag riecht es hier so verführerisch "." Na, komm
schon, oben wartet der Geburtstagskuchen, ich bringe ihn Dir ans Bett. " " Aber
mit Kakao!", rief er ihr zu.
Die Platzwunde, G. Jeske

Insel2008
11.02.2015, 02:37
Hallo Gerhard Jeske,
an einem Geburtstag ist es mir nicht passiert, doch mein Kopf hat danach ganz schön gebrummt. Den Baum, den ich "umarmte" hatte zum Glück keine Beule, allerdings war mein Fahrrad etwas in Mitleidenschaft gezogen worden.
Nach diesem Ereignis drehte ich meinen Kopf auf dem Fahrrad immer nur noch kurz um.

Felicity
22.08.2015, 12:50
Gesucht und gefunden ! Danke Rudi fuer's Finden und danke Gerhard fuer's Schreiben. Kaum zu glauben dass das vor 78 Jahren geschehen war. Na Inselchen, da hast Du ja etwas mit dem Gerhard gemeinsam, ein Erlebnis, dass Euch einen 'brummenden Kopf' einbrachte. Macht's gut Ihr beiden. Liebe Gruesse von der Feli