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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schulpflicht in Westpreussen



Langfuhr43
10.11.2015, 19:21
Guten Abend,

mir ist bei verschiedenen alten Urkunden aufgefallen, dass einige Vorfahren ihr Dokument mit drei Kreuzen bzw. Pluszeichen unterzeichnet haben.
Die Dokumente wurden zwischen 1800 und 1890 ausgestellt.
Diese Vorfahren kamen aus dem sog. Korridor und stammten wahrscheinlich aus bäuerlichen Gegenden.
Kann mir jemand sagen, ab wann es eine Schulpflicht in Westpreussen gab?
Oder gab es andere Gründe für Lese- und Schreibunfähigkeit? :confused:
Im voraus danke!
Gruß Gisela

Bartels
10.11.2015, 20:09
Hallo Gisela,

funktionale Analphabeten (d.h. die können ihren Namen schreiben und lesen, aber nicht viel mehr) gibt es noch heute bei uns - ganz ohne Migrationshintergrund.

In unserer Dorfschule wurden in den 1960ern Klassenkameraden entlassen, die hatten es mit 14 gerade bis zur 2. bzw. 3. Klasse geschafft.

sarpei
10.11.2015, 20:34
Hallo miteinander,

ab dem Jahr 1717 gab es in Preußen eine Unterrichtspflicht. Die Vermittlung von Wissen an den Nachwuchs war damit nicht an den Besuch einer Schule gebunden. Schulpflicht wurde daraus erst im Jahr 1918.

Unter dem Link

http://www.preussenchronik.de/episode_jsp/key=chronologie_002390.html

gibt es weiter Informationen - nur ist dort leider fälschlicherweise auch gleich von 'Schulpflicht' die Rede.

Wenn ich mich richtig erinnere, kam Westpreußen im Jahr 1793 unter preußische Herrschaft.

Gerade in Westpreußen wurden viele ehemalige Siedler aus Südrussland angesiedelt, bei denen Schulbildung 'Mangelware' war.
Meine Großmutter hat zwar einen Haushalt geschmissen, acht Kinder groß gezogen und ihrem Mann in der Schmiede geholfen, aber lesen und schreiben konnte sie nicht. Dokumente hatte sie auch nur mit drei Kreuzen 'unterzeichnet'. Verstorben ist sie im Jahr 1946.


Viele Grüße

Peter

Bartels
10.11.2015, 21:30
Hallo,

in der Kurpfalz (vor 1793) konnte fast jeder mindestens seinen eigenen Namen schreiben.

Als die Pfalz bayerisch wurde (bzw. umgekehrt) war die "ambtliche" Normgrösse für Schulneubauten (um 1830/40) 1/2 m² pro Schüler, d.h. 80 Schüler im 40 m² Klassenzimmer - und die Schülerzahlen stiegen in der Folge dramatisch an. - Vorher wurden Schüler oft in der Wohnstube des Lehrers unterrichtet, getrennt nach Knäblein, Mägdlein und den Konfessionen, da waren die Verhältnisse noch viel beengter.

Mit Sicherheit war jeder Schulmeister froh, wenn die Schüler in der elterlichen Landwirtschaft arbeiteten und sich nicht im Schulzimmer drängten.

Höhere Töchter lernten damals (um 1840) schon mit sechs Jahren französische Konversation, dazu kamen in den nächsten acht Jahren noch französische Grammatik und Literatur - mit 14 war frau fit für drei Trimester Pensionat in Metz oder Strassburg. Die Jungs lernten Latein & Griechisch.

MueGlo
11.11.2015, 02:20
Moin,

in Groß Zünder in der Danziger Niederung gibt es Schulmeister mindestens seit 1653.

1749 und 1750 sammelt Pfarrer Johann Moneta Kollekten für die Reparatur der Kirche und läßt die gebenden Gläubigen ihre Namen --- so möglich --- selber in das KB eintragen. Die Nachbarn / Mitnachbarn unterschreiben zum Teil in ausgeprägter Schriftform, sprich, sie sind des Schreibens gewohnt. Bei einigen Unterschriften besteht die Vermutung, dass es zu viel mehr nicht reicht. Es gibt auch eine eindeutig schreibgeübte Witwe. Die Namen der wenigen spendenden "Handwerker" hat Pfarrer Moneta geschrieben, d.h., sie konnten nicht schreiben.

D.h., die dörfliche Elite finanziert lange vor der Einführung der Schulpflicht mindestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eine Dorfschule und einen Lehrer und ist dann offensichtlich zu einem beträchtlichen Teil in der Lage, zu lesen, zu schreiben, zu rechnen. Die Kinder der Handwerker, Gärtner, Knechte und Dienstboten bleiben vermutlich weitgehend aussen vor.

Ab ca. 1870 bis in die 1930-er Jahre beschäftigen Hofbesitzer, die es sich leisten können und in die Bildung ihrer Kinder investieren wollen, Hauslehrer. Die lokale Dorfschule reicht qualitativ nicht aus, um die Aufnahme in Danziger Gymnasien zu schaffen. Dorthin gehen Kinder nach ca. 7 bis 8 Jahren Vorbereitung, d.h., ca. im Alter von 12 bis 14 Jahren. Auch Pfarrer scheinen sich ein Zubrot durch die Unterrichtung der Kinder der Hofbesitzer verdient zu haben. In Danzig wiederum entwickelt sich ein regelrechter Markt an "Schülerpensionen". Ein nicht unerheblicher Teil der polizeilichen Meldekarten von Danzig betrifft Schüler aus dem Umland.

Beste Grüße aus Kigali,

Rainer MueGlo

Inge-Gisela
11.11.2015, 10:06
Bzgl. Rudolfs Beitrag Nr. 2:

https://de.search.yahoo.com/search?p=Gibt+es+Schulen+f%C3%BCr+Analphabeten&ei=UTF-8

LG Inge-Gisela

Inge-Gisela
11.11.2015, 10:17
Sorry, das war nicht der Link in Nr. 6, den ich einfügen wollte.


http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lernen/analphabeten/index.html

LG Inge-Gisela