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Gerhard Jeske
07.07.2016, 18:35
Mit Rechtschreibe Programm bearbeitet Ein tragisches Schicksal in Groß Walddorf / Danzig
Gerhard Jeske
22547 Hamburg Franzosenkoppel 32 copyright
Der Deserteur kam bis Grosswalddorf
Der Gefreite Alfons atmete erleichtert auf. Der Ausbruch seiner Einheit vom Regiment „ Feldherrnhalle“ aus Elbing, durch die sowjetische Front war gelungen. Nun fuhr der Panzer, auf dem er saß und sich am Tarnnetz festklammerte, in Tiegenhof ein. Hier wimmelte es von versprengten Soldaten und Flüchtlingen. Kolonnen von Pferdefuhrwerken verstopften die Straßen. Mütter mit ihren Kindern wanderten ermüdet an den Häuserwänden vorbei, um die Chaussee zur Küste zu erreichen.
Als der Panzer die Brücke über die Tiege fuhr, griffen Tieflieger den Ort an. Motorengeheul, Schreie von Kindern, Zurufe der Soldaten, das Ballern der Maschinengewehre und der Flak – Geschütze vollendeten das Chaos. Auf der anderen Seite der Brücke stand auf der Fahrbahn ein Feldgendarm, wie wenn der Lärm ihn nichts anging, wedelte er mit seinen Armen herum und wies die Militärfahrzeuge in verschiedene Richtungen ein. Der Panzer fuhr weiter und musste beim Sportplatz nahe der Jugendherberge halten.
Hier wurden die Reste des Grenadierregimentes Feldherrnhalle gesammelt und als Regiment 62 ( Feldherrnhalle ) erneut aufgestellt. Erfreut kletterte Alfons vom Panzer herunter, Er hatte bei der Jugendherberge Danziger Kameraden gesehen. Das war kein Wunder, denn das Regiment „ Feldherrnhalle“ war ursprünglich in Danzig aufgestellt worden.
„ Menschenskind, ein Glück. Dass es euch noch gibt!“ rief er ihnen zu. Am späten Nachmittag hatten sich die letzten versprengten Grenadiere bei der Jugendherberge eingefunden. Jetzt wurden sie alle in dem neu aufgestellten Regiment eingegliedert. Alfons dachte sich sein Teil.“ 1939 begann der Weg des Regimentes in Danzig und 1945 wird er hier enden, Nur fort! “ Dieser Wunsch quälte ihn. Verständlich war er. Alfons wohnte östlich von Danzig in Groß Walddorf, in der Kolonie Sonnenland. Nachdem die Truppe nach Gottswalde, westlich der Weichsel, verlegt wurde, sah er sich seinem Elternhaus schon sehr nahe. Über die Wiesen und Bäche schätzte er die Entfernung nach Danzig auf 15 - 18 KM ein. Die Pioniere hatten die Weichseldaämme gesprengt. Das Wasser überflutete die Wiesen. Der Angriff sowjetischer Infanterie blieb förmlich im Morast stecken. Darum wurden Teile der deutschen Truppe abgezogen und an die brenzlige Front vor Oliva erlegt. In dieser Gegend angekommen hagelten die Granaten und Bomben massenhaft auf sie nieder. Täglich musste die Stellung zurück verlegt werden. Manche Kompanien bestanden nur noch aus zwanzig Mann. Es kam, wie der Verlauf des Kriege es bestimmte. Vor der Übermacht wich die deutsche Verteidigung schließlich bis zum Olivaer Tor zurück und kämpfte nun am Stadtrand von Danzig. Am 27. 03. verteidigte das Regiment "Feldherrnhalle" die Häuser der Schichau Kolonie Als Alfons zu einer Halle bei der Werft lief, detonierte auf dem Gelände die Salve einer Stalinorgel. Alfons warf sich hin, er spürte aber zugleich einen heftigen Schmerz am linken Oberschenkel. Ein Splitter hatte ihm eine tiefe Wunde aufgerissen. Er kroch zur Halle. Dort verband ein Sanitäter die blutende Wunde und schleppte ihn bis zur Werftgasse. Glücklicherweise hielt ein Kübelwagen an. Alfons wurde im hinteren Sitz, neben zwei Offizieren, eingeklemmt und die Reise zum Krankenhaus konnte beginnen. „ Wir fahren über den Thorschen Weg. Die Gegend wird nicht stark beschossen, dann können sie auf der Weidengasse bis zum Langgarten weiterfahren“ Der Schofför nickte mit dem Kopf und die Offiziere stimmten dem Vorschlag zu. Vor dem Krankenhaus war es , wie beim Bienenstock. Kaum war ein Sanitätsauto abgefahren, rollte schon der nächste Wagen heran. „ Alfons bedankte sich und kroch aus dem Auto. Langsam humpelte er zum Eingang . Ein Pfleger kam ihm entgegen und stützte ihn. So verschwanden sie von der Straße,
„ Hier liegst Du nun und die Eltern wissen es nicht“ dachte Alfons“ Als er aus der Narkose aufwachte. Die Schwester tröstete ihn: “Die Wunde ist nicht so schlimm, sie ist gesäubert worden und ordentlich vernäht. Nach zwei bis drei Tagen könnte er schon aufstehen“ meinte sie.
Durch ihre Worte war Alfons hellwach geworden. Sein Plan stand fest. Zur Front wollte er auf keinen Fall zurückkehren. Der Gedanke zur Flucht drängte sich ihm sofort auf. Das gelang ohne Schwierigkeiten. Schon am zweiten Tag machte er morgens den ersten Gehversuch. Mittags wiederholte er den Versuch in dem er den Weg zur Toilette mehrmals hin und her ging. Er kam zu dem Entschluss, dass er am anderen Abend abhauen könnte. Gedacht getan.
Inzwischen hatte er sich eine Leinentasche besorgt, dort verstaute er seine Militärjacke. Die gestreifte Krankenhaus Bluse wollte er anziehen und so einen Spazierweg vortäuschen.. Nachdem die Dämmerung über die Stadt einen grauen Schleier gelegt hatte, betrat er die Straße und ging bis zur Bastion Aussprung. Dunkel wurde es nicht. Das Aufblitzen von einschlagenden Granaten, die Flammen brennender Speicher erhellten die Straßen. In den Wolken spiegelten sich zuckende Lichter der brennenden Stadt wider. Langsam schritt er den Weg zur Hühnerberg – Brücke hoch. Er wusste, dass oben ,auf dem alten Festungswall, ein Maschinengewehr aufgebockt war und eine Gruppe Infanteristen den Übergang kontrollierten. Aber dort regte sich niemand.
Die Soldaten droschen sicherlich im Unterstand ihren Skat. Nun kam er schnell voran. Auf der andere Seite der Brücke bog er auf dem Damm links ab, humpelte auf dem Sandweg durchs den Schilfgürtel und gelangte so in den unteren Trifft Weg. Ungefähr nach zwei Hundert Metern, vorbei an der Kolonie Sonnenland, stand das kleine zweistöckige Elternhaus. Auf der anderen Seite der Mottlau, ungefähr, vor Ohra, hörte er die Geräusche des Gefechtes. Bald würden die sowjetischen die Mottlau erreichen und übersetzen. Die Gartentür quietschte als er sie öffnete Langsam drückte er die Türklinke herunter. Die Tür war abgeschlossen. Verhalten pochte er gegen das Holz. Zwischen den unruhigen Geräuschen der Schlacht hörte er das Knacken des Schlüssels. Die Tür wurde geöffnet und vor ihm stand seine Mutter. „ Was wollen Sie“ der Satz blieb ihr im Halse stecken. „ Alfons Du bist es? Vater unser Alfons ist hier!“ Er umarmte sie und flüsterte. „ Ich bin abgehauen, muss mich verstecken.“ Der Vater machte nicht viel Worte. Als Werftarbeiter hatte er gelernt nur das Nötigste zu sagen.
Schon stellte sich die Mutter vor den Küchenherd und legte Brennolz hinein. Den Kessel mit dem warmen Wasser zog sie auf den rechten Ring. „ Ich habe noch Bohnenkaffee „ sagte sie. Der Vater öffnete einen Wandschrank und holte eine Flasche Schnaps heraus. Zwei Gläser stellte seine Mutter auf den Tisch, danach schlug sie vie Eier in die Pfanne und nahm das Brot aus dem Kasten. “ Wurst haben wir nicht, aber noch Johannisbeer-Marmelade.“ Alfons atmete tief durch. Endlich fand er die Sprache wieder. „ Zu Hause sein“ sagte er „ das ist doch, wie wenn der Frieden schon da ist“. „ Na dann Prost, Morgen sieht die Welt schon ruhiger aus, Der ganze Schlamassel ist dann zu Ende“ sagte sein Vater.
Am anderen Tag marschierten mehrere Trupps deutscher Infanteristen in Richtung Stadt vorbei. „ Die ziehen sich zurück, am Besten ist, du verschwindest nach hinten in die leere Laube von Gustav.“ Die Mutter hatte zwei Klappstullen eingewickelt und in einer Bierflasche süßen Kirschsaft gefüllt. „Damit kommst Du bis zum Abend aus“, meinte sie.
Alfons ging zum hinteren Garten Ende, stieg über den Zaun, das wiederholte er im nächsten Garten und landete bei den Gustavs vor ihrer Sommerlaube. Damit sie auf das Haus aufpassen konnten, hatten sie vom Nachbarn einen Schlüssel erhalten. So gelangte Alfons, ohne Schwierigkeiten in die Laube. Die Laube hatte eine Veranda, Aus ihren Fenstern konnte er nach rechts und links den Weg beobachten. Auf einem Korbsessel legte er einige Kissen und machte sich so das Sitzen bequem.
Abends kehrte er zurück ins Elterliche Haus. Der Vater war etwa unruhig geworden. Auf die Frage, warum er nervös zum Fenster hinschaut meinte er, dass die Russen irgendwo einen Artillerie Beobachter versteckt hätten und mit ihm die Straßen kontrollierten. So kam es, dass mehrmals Salven auf die Brücke über die Mottlau abgefeuert wurden. Fast wahllos explodierten Granaten auf der Straße und zwischen den Gärten. „ Streufeuer nennt man diese planlose Schießerei, damit soll die Bevölkerung vertrieben werden.“ Erklärte Alfons ihnen die Lage. Der Abend verdunkelte das Land. Die hellen Blitze des Geschützfeuers verwandelt die Landschaft in einen unnatürlichen Zustand. Trotzdem forderte die Natur ihr Recht und die Menschen in Groß Waldorf waren müde geworden und legten sich nieder um sich zu erholen von den aufregenden Strapazen des kriegerischen Alltages.
Nachdenklich schaute Alfons aus dem Fenster. Von der Mottlau hörte er deutlich die knarrenden Salven der russischen Maschinengewehre. „ Morgen „ so dachte er“ sind sie hier, da kann ich nur hoffen, dass sie uns nicht wie Feinde behandeln“ . Er zog die Jacke aus und legte sich auf das Bett. Trotz des Lärmes schlief es bald ein.
In der Morgendämmerung stand sein Vater im Vorgarten. Unruhig sah er auf einige vorbeihastende deutsche Soldaten. „ Das war die Rückendeckung“ Ein Panzer Spähwagen folgte. Der Vater ging zurück in die Küche, dort heizte seine Frau den Herd an. Er kam nicht mehr dazu ihr seine Beobachtung mitzuteilen. Ein ohrenbetäubender Krach, ein Brechen und Knirschen im Gebälk erschütterte das Haus. Durch die Decke stieße ein Dachbalken in die Küche hinein und blieb so hängen. Mörtel und Staub überschütterte das alte Ehepaar.
Der Vater raffte sich auf, hastig öffnete er die Tür und stieg die Treppe hoch. Ein großes Loch ließ den Himmel hereinschauen. Pulverqualm und Staub erfüllte die Luft. Schutt versperrte ihm den Weg zu Tür, die hing schräge in einer Angel. Erschrocken sah er auf das Bett. Ein Balken lag übers Fußende, Zement und Ziegelbrocken bedeckten die Zudecke. Und dann sah er auf das Gesicht. Aus der linken Stirnseite rann Blut. Er zog die Zudecke mit dem Müll herunter und erstarte. Ein Granatsplitter hatte ein faustgroßes Loch durch den Bauch seines Sohnes geschlagen.
Langsam stieg er die Treppe hinunter. „ Du brauchst nicht hochgehen“ meinte er. „ Hier unten kannst du ihn waschen und fertig machen.“ Sie wusste Bescheid und stellte den großen Topf mit Wasser auf den Herd und legte Holz in die Flammen nach.
Im Flur hustete jemand. Ein Nachbar, auch ein Werft Rentner, hatte den Flur betreten. „ Euch hatte es ja schlimm erwischt. Sagte er laut. Der Vater ging zu ihm und wies auf die Treppe. Langsam stiegen sie hoch. Mit den Schuhen schoben sie den Müll zur Seite. Oben trat der Nachbar zuerst ins Zimmer “ Das ist ja Alfons“ rief er verwundert aus. „ Ja das war er,” sagte der Vater. “Er kam verwundet vom Marienkrankenhaus zu uns, um hier den Krieg zu beenden. Warum musst uns das passieren“ Der Nachbar wischte sich die Tränen von den Augen. „Das verstehe wer will. Ich begreife das nicht“ nun machten sie sich daran den schweren Körper nach unten ins Flur zu bringen. Sie legten den Leichnam vor das Haus in den Garten. Die Mutter fing an das Gesicht zu waschen„ Sie betete und der Vater wusste eigentlich nicht warum? Ich habe noch Dachpappe im Stall, einen Sarg können wir jetzt nicht machen.“ Sagte der Nachbar, „ Er muss ja sowieso umgebettet werden, das Grundwasser steigt, die Kolonie wird vom Wasser überflutet werden.“Der Rentner ging davon eine Spitzhacke und die Dachpappe zu holen. Die Spitzhacke war nötig. Der Boden war gefroren und musste aufgehackt werden. Erst nach zwanzig Zentimeter drang der Spaten in den Mutterboden ein.„ Wir müssen an den Seiten breiter graben, damit wir dort stehen können“ forderte der Nachbar. So geschah es. Wegen des Grundwassers wurde die Grube nur 70 – 80 Zentimeter ausgehoben. Nachdem ein zwei Meter langes Stück Dachpappe abgeschnitten worden war, reichte der Rentner diesen Teil runter ins Grab. Sie hatten die Leiche auf ein breites Brett gelegt und der Rentner schob sie langsam über die Grube, mit leichte Senkung rutschte das Brett in eine schräge Lage hinab. So gelang es ihnen den Toten, ohne dass er auf den Grund aufprallte ins Grab zu legen. Da lag der Sohn nun auf der schwarzen Teerpappe. Das Tuch war vom Gesicht gezogen und die Mutter sah zum letzten mal auf das Gesicht ihres Kindes. Als der Vater das Tuch über das Gesicht deckte, wurde der Mutter bewusst, dass sie ihren Sohn endgültig verloren hatte, Ein lauter, schriller Schrei entflog ihrer Kehle, ein Heulen und Jammern durchbrach hier die Stille des Morgens und vereinte sich mit dem Grollen an der Front. Zuletzt wurde eine Bahn Dachpappe über den toten Körper gelegt. Langsam schaufelten die beiden Männer das Grab zu. Der Rentner ging zurück in den Stall und fertigte, aus Brettern ein Holzkreuz an Mit schwarzer Farbe war darauf geschrieben. „ Alfons getötet am .30. 03. 1945“
Gerhard Jeske -:grosswalddorf@web.de" copyr.

Rudolf
10.07.2016, 15:06
Danke für diesen Beitrag , Gerhard . Alfons wollte nur leben und das war ihm - wie vielen anderen auch - nicht vergönnt . Diese Geschichte erinnert mich an ein Ereignis Ende März 1945 . Wir befanden uns damals im Keller des Hauses Dampfbootstraße 3 , als einige Soldaten einen sehr jungen Mann von vielleicht 15/16 Jahren in den Keller brachten . Es war ein Flakhelfer in Uniform . Sie holten aus einer Wohnung des Hauses ( es war das einzige noch stehende Haus in dieser Straße ) einen Lehnstuhl und setzten ihn dort hinein . Sie sagten dem Jungen , daß bald ein Sanitäter kommt . Dieser kam jedoch vorerst nicht und so habe ich den Jungen , dem äußerlich keine Verwundung anzusehen war , qualvoll sterben sehen .
Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen .
Tun wir alles , daß sich so etwas nie mehr wiederholt .
Allen noch einen schönen Sonntag wünscht der Heubuder Rudi