Alt-Danziger Bier
04.07.2017, 20:15
Die Geschichte des Altdanziger Bieres ist eine Geschichte des gemeinsamen Strebens nach Begegnung, Zusammenarbeit und Freundschaft zweier Liebhaber des flüssigen Goldes – eines aus Podlachien stammenden Brauers und eines jungen Wissenschaftlers, dessen Familie in Gdingen und dem östlichen Grenzland ihren Ursprung hat.
Lucjan Iwanowicz (Jahrgang 1935) kam kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Białystok nach Danzig, wo er in der örtlichen Brauerei arbeitete. Zwar war sein Traum, Bier in seiner Heimatstadt zu brauen, doch wurde ihm, einem der ersten Absolventen der Tichauer Fachschule für Brauwesen, ein Arbeitsbefehl erteilt, der ihn zwang, in Danzig zu bleiben. In Danzig-Langfuhr lernte er einige Brauer aus der Vorkriegszeit kennen: Paweł Cesarz, Heinrich Leicht, Stanisław Goll und Rudolf Karl, die zuvor für die Danziger Aktien-Bierbrauerei (DAB) tätig waren. Unter ihrer Obhut lernte er traditionelle Rezepturen für die Danziger und pommerschen Biere. So erhielt er später eine Stelle als Braumeister. Zu seinen Aufgaben gehörten u. a. Arbeitsorganisation, Brauen und Aufsicht über Brauverfahren gemäß technologischen Standards und Normen sowie Kooperation mit dem Brauereilabor. Darüber hinaus hatte er für mikrobiologische Reinheit des Produkts zu sorgen.
Die Herstellung erfolgte nach denselben traditionellen Verfahren, derer man sich in der Danziger Brauerei seit 140 Jahren bedient hatte. Manche Biersorten, die die Danziger Brauerei nach 1945 hergestellt hat, waren eine Fortsetzung der Vorkriegsproduktion – z.B. das seit 2001 gebraute Artus war eine Nachfolge von Artus-Bräu, Artus-Gold und Artus-Pils.
„Zu den Zeiten der Volksrepublik Polen wurde Bier unterschätzt. Häufig haben nur kleine Alkoholiker daran Geschmack gefunden, um ihren Morgenkater zu heilen. Die Oberhand auf dem Markt hatten nach 1989 die Eurolager, die fast gleich schmecken und nur wegen bunter Verpackungen die Blicke auf sich ziehen. In Tschechien beträgt ihr Marktanteil dagegen ein Dutzend bis über 20%“ – sagt Sebastian Wawszczak (Jahrgang 1972). Vor mehreren Jahren bemerkte er, dass die Vielfalt der Biersorten verschwindet. Seit dieser Zeit reist er durch Europa und sucht nach dem aussterbenden Geschmack. Er kostet und sammelt die leckersten Gerichte, um damit Familie und Freunde zu beschenken und ihnen dadurch zumindest eine Anteilnahme am Geschmack seiner Kindheit zu ermöglichen. Eines Tages begann er schließlich, Bier eigenhändig zu brauen.
Sebastian Wawszczak studierte zunächst in Warschau und Danzig; später bildete er sich als Autodidakt u. a. in Management, Urheberrechtswesen und Arbeitsvereinfachung weiter. Zur Zeit schreibt er seine Doktorarbeit in Warenkunde an der Seefahrt-Akademie Gdingen. Darüber hinaus hat er fünf parlamentarische Anfragen vorbereitet. Er hat u. a. im Handel und Fremdenverkehr gearbeitet. Obwohl er kein wissenschaftlicher Mitarbeiter ist, nimmt er seit 1995 an Konferenzen teil und veröffentlicht wissenschaftliche Artikel. Über Jahre hindurch war er nicht nur bei der „Gesellschaft der Freunde Lembergs und des südöstlichen Grenzlandes“ in Danzig, sondern auch an der Polnischen Gesellschaft für Touristik und Heimatkunde tätig. Gegenwärtig ist er aktiver Vorstand der Seefahrtabteilung der Polnischen Gesellschaft für Warenkunde. Er spricht fünf Fremdsprachen.
„1999 wurde die Fachschule für Brauwesen geschlossen, und an Hochschulen hat man sich nur bruchstückhaft mit dem Brauverfahren beschäftigt. Eine Lösung könnte sein, sich nach Tschechien zu begeben oder einen Lehrer in der Ukraine, in Litauen oder Schweden zu finden. Vor allem wegen der Qualität der Verbindungen und Kosten brauchte ich jemanden vor Ort. Jemanden, der einfach jeden Tag da wäre!“ – setzt Sebastian Wawszczak fort. Zu diesem Zweck lief er in Danzig-Langfuhr von Haus zu Haus und suchte nach ehemaligen Mitarbeitern des Danziger Braubetriebs, bis er eines Tages vor der Tür der ehemaligen Dienstwohnung des früheren Braumeisters stand. Nach Heinrich Leicht war Lucjan Iwanowicz darin eingezogen.
„Das erste Gespräch war nicht einfach. Ich wurde fast zwei Stunden abgefragt. Zu meinem Erstaunen beschloss Lucjan Iwanowicz, mir doch zu helfen. Das war insofern ungewöhnlich, als Brauer ihr Wissen und Erfahrung nur ungern an Andere verraten. Insbesondere uneigennützig“ – erzählt Sebastian Wawszczak. Während gemeinsamer Ausflüge zu den Brauereien, bei Gesprächen über vergilbte Handbücher der deutschen Brauer und bei gemeinsamen Arbeitsversuchen haben Meister und Lehrer sogar eine familiäre Freundschaft geschlossen.
„Die Rezeptur ist etwas durchaus Virtuelles. Auch wenn wir ihr genau folgen, sind wir nicht im Stande festzustellen, ob das gebraute Bier so schmeckt, wie es eigentlich schmecken sollte. Umso mehr, dass wir ähnliche, aber nicht die gleichen Zutaten verwenden. Zu unserer Verfügung stehen die gleichen Wasserentnahmestelle, Brauerei, Mälzerei oder Siederei nicht mehr. Mir war es aber wichtig, möglichst traditionelles Bier zu bekommen“ – begründet Sebastian Wawszczak die Notwendigkeit, einen Lehrer zu finden. Da Lucjan Iwanowicz von Anfang an bis zum heutigen Tag Aufsicht über das Brauverfahren führt, ist es ihm gelungen, das Altdanziger Bier dem geplanten Ideal zu nähern.
Seit über zehn Jahren beschäftigt Sebastian Wawszczak sich mit traditionellen Lebensmitteln, seit über drei Jahren braut er nun traditionelles, pommersches Bier nach der Rezeptur und Technologie der alten Brauerei in Danzig-Langfuhr. Dank der Zusammenarbeit mit Lucjan Iwanowicz wurde es 2013 in die Liste traditioneller Produkte des Ministers für Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes der Republik Polen aufgenommen.
Das pommersche Bier, das über Jahrhunderte von verschiedenen Völkern und insbesondere von Deutschen und Polen gebraut wurde, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für das gemeinsame Kulturerbe von Deutschland und Polen auf der europäischen Ebene. Deswegen wird das Projekt „Pommersches Bier – Kulturerbe der Völker Pommerns“ gemeinsam mit zahlreichen Organisationen, darunter mit dem Marschallamt der Woiwodschaft Pommern, vorbereitet.
Zweimal Bernsteinlorbeer im kulinarischen Wettbewerb „Pommerscher Geschmack“: das Altdanziger Bier wurde 2013 vom Marschall der Woiwodschaft Pommern als bestes Regionalprodukt in der Kategorie „Regionalgetränke“ ausgezeichnet, das Kotzewier Weizenbier dito 2014 / als einziges Bier, das in den zwei letzten Auflagen des Wettbewerbs ausgezeichnet wurde, bekam das Altdanziger „Vollbier hell“ auf der Internationalen Messe Posen 2014 die Medaille „Geschmack der Regionen“.
PREUSSEN-KURIER 2/2015, S. 22-25
http://www.low-bayern.de/wordpress1/wp-content/uploads/2016/12/PK-02-15.pdf
Wir laden Sie herzlich ein, eine kurze Reportage des Polnischen Fernsehens Danzig über das Bier sich anzuschauen: http://gdansk.tvp.pl/25119820/odc-29042016
Lucjan Iwanowicz (Jahrgang 1935) kam kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Białystok nach Danzig, wo er in der örtlichen Brauerei arbeitete. Zwar war sein Traum, Bier in seiner Heimatstadt zu brauen, doch wurde ihm, einem der ersten Absolventen der Tichauer Fachschule für Brauwesen, ein Arbeitsbefehl erteilt, der ihn zwang, in Danzig zu bleiben. In Danzig-Langfuhr lernte er einige Brauer aus der Vorkriegszeit kennen: Paweł Cesarz, Heinrich Leicht, Stanisław Goll und Rudolf Karl, die zuvor für die Danziger Aktien-Bierbrauerei (DAB) tätig waren. Unter ihrer Obhut lernte er traditionelle Rezepturen für die Danziger und pommerschen Biere. So erhielt er später eine Stelle als Braumeister. Zu seinen Aufgaben gehörten u. a. Arbeitsorganisation, Brauen und Aufsicht über Brauverfahren gemäß technologischen Standards und Normen sowie Kooperation mit dem Brauereilabor. Darüber hinaus hatte er für mikrobiologische Reinheit des Produkts zu sorgen.
Die Herstellung erfolgte nach denselben traditionellen Verfahren, derer man sich in der Danziger Brauerei seit 140 Jahren bedient hatte. Manche Biersorten, die die Danziger Brauerei nach 1945 hergestellt hat, waren eine Fortsetzung der Vorkriegsproduktion – z.B. das seit 2001 gebraute Artus war eine Nachfolge von Artus-Bräu, Artus-Gold und Artus-Pils.
„Zu den Zeiten der Volksrepublik Polen wurde Bier unterschätzt. Häufig haben nur kleine Alkoholiker daran Geschmack gefunden, um ihren Morgenkater zu heilen. Die Oberhand auf dem Markt hatten nach 1989 die Eurolager, die fast gleich schmecken und nur wegen bunter Verpackungen die Blicke auf sich ziehen. In Tschechien beträgt ihr Marktanteil dagegen ein Dutzend bis über 20%“ – sagt Sebastian Wawszczak (Jahrgang 1972). Vor mehreren Jahren bemerkte er, dass die Vielfalt der Biersorten verschwindet. Seit dieser Zeit reist er durch Europa und sucht nach dem aussterbenden Geschmack. Er kostet und sammelt die leckersten Gerichte, um damit Familie und Freunde zu beschenken und ihnen dadurch zumindest eine Anteilnahme am Geschmack seiner Kindheit zu ermöglichen. Eines Tages begann er schließlich, Bier eigenhändig zu brauen.
Sebastian Wawszczak studierte zunächst in Warschau und Danzig; später bildete er sich als Autodidakt u. a. in Management, Urheberrechtswesen und Arbeitsvereinfachung weiter. Zur Zeit schreibt er seine Doktorarbeit in Warenkunde an der Seefahrt-Akademie Gdingen. Darüber hinaus hat er fünf parlamentarische Anfragen vorbereitet. Er hat u. a. im Handel und Fremdenverkehr gearbeitet. Obwohl er kein wissenschaftlicher Mitarbeiter ist, nimmt er seit 1995 an Konferenzen teil und veröffentlicht wissenschaftliche Artikel. Über Jahre hindurch war er nicht nur bei der „Gesellschaft der Freunde Lembergs und des südöstlichen Grenzlandes“ in Danzig, sondern auch an der Polnischen Gesellschaft für Touristik und Heimatkunde tätig. Gegenwärtig ist er aktiver Vorstand der Seefahrtabteilung der Polnischen Gesellschaft für Warenkunde. Er spricht fünf Fremdsprachen.
„1999 wurde die Fachschule für Brauwesen geschlossen, und an Hochschulen hat man sich nur bruchstückhaft mit dem Brauverfahren beschäftigt. Eine Lösung könnte sein, sich nach Tschechien zu begeben oder einen Lehrer in der Ukraine, in Litauen oder Schweden zu finden. Vor allem wegen der Qualität der Verbindungen und Kosten brauchte ich jemanden vor Ort. Jemanden, der einfach jeden Tag da wäre!“ – setzt Sebastian Wawszczak fort. Zu diesem Zweck lief er in Danzig-Langfuhr von Haus zu Haus und suchte nach ehemaligen Mitarbeitern des Danziger Braubetriebs, bis er eines Tages vor der Tür der ehemaligen Dienstwohnung des früheren Braumeisters stand. Nach Heinrich Leicht war Lucjan Iwanowicz darin eingezogen.
„Das erste Gespräch war nicht einfach. Ich wurde fast zwei Stunden abgefragt. Zu meinem Erstaunen beschloss Lucjan Iwanowicz, mir doch zu helfen. Das war insofern ungewöhnlich, als Brauer ihr Wissen und Erfahrung nur ungern an Andere verraten. Insbesondere uneigennützig“ – erzählt Sebastian Wawszczak. Während gemeinsamer Ausflüge zu den Brauereien, bei Gesprächen über vergilbte Handbücher der deutschen Brauer und bei gemeinsamen Arbeitsversuchen haben Meister und Lehrer sogar eine familiäre Freundschaft geschlossen.
„Die Rezeptur ist etwas durchaus Virtuelles. Auch wenn wir ihr genau folgen, sind wir nicht im Stande festzustellen, ob das gebraute Bier so schmeckt, wie es eigentlich schmecken sollte. Umso mehr, dass wir ähnliche, aber nicht die gleichen Zutaten verwenden. Zu unserer Verfügung stehen die gleichen Wasserentnahmestelle, Brauerei, Mälzerei oder Siederei nicht mehr. Mir war es aber wichtig, möglichst traditionelles Bier zu bekommen“ – begründet Sebastian Wawszczak die Notwendigkeit, einen Lehrer zu finden. Da Lucjan Iwanowicz von Anfang an bis zum heutigen Tag Aufsicht über das Brauverfahren führt, ist es ihm gelungen, das Altdanziger Bier dem geplanten Ideal zu nähern.
Seit über zehn Jahren beschäftigt Sebastian Wawszczak sich mit traditionellen Lebensmitteln, seit über drei Jahren braut er nun traditionelles, pommersches Bier nach der Rezeptur und Technologie der alten Brauerei in Danzig-Langfuhr. Dank der Zusammenarbeit mit Lucjan Iwanowicz wurde es 2013 in die Liste traditioneller Produkte des Ministers für Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes der Republik Polen aufgenommen.
Das pommersche Bier, das über Jahrhunderte von verschiedenen Völkern und insbesondere von Deutschen und Polen gebraut wurde, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für das gemeinsame Kulturerbe von Deutschland und Polen auf der europäischen Ebene. Deswegen wird das Projekt „Pommersches Bier – Kulturerbe der Völker Pommerns“ gemeinsam mit zahlreichen Organisationen, darunter mit dem Marschallamt der Woiwodschaft Pommern, vorbereitet.
Zweimal Bernsteinlorbeer im kulinarischen Wettbewerb „Pommerscher Geschmack“: das Altdanziger Bier wurde 2013 vom Marschall der Woiwodschaft Pommern als bestes Regionalprodukt in der Kategorie „Regionalgetränke“ ausgezeichnet, das Kotzewier Weizenbier dito 2014 / als einziges Bier, das in den zwei letzten Auflagen des Wettbewerbs ausgezeichnet wurde, bekam das Altdanziger „Vollbier hell“ auf der Internationalen Messe Posen 2014 die Medaille „Geschmack der Regionen“.
PREUSSEN-KURIER 2/2015, S. 22-25
http://www.low-bayern.de/wordpress1/wp-content/uploads/2016/12/PK-02-15.pdf
Wir laden Sie herzlich ein, eine kurze Reportage des Polnischen Fernsehens Danzig über das Bier sich anzuschauen: http://gdansk.tvp.pl/25119820/odc-29042016