PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Aus der Geschichte von Tiegenhof



Wolfgang
26.11.2017, 23:33
Aus „Unser Danzig“, 1958, Nr.20 S.15-16, Nr.21 S.11-12, Nr.22 S.11-12

Aus der Geschichte von Tiegenhof
Von Bruno Theuring
Tiegenhof gehörte zum Ordensschloss Marienburg und war gewissermaßen ein Vorwerk. Der linksseitige Teil längs der Tiege wurde Schlossgrund genannt. Hier befanden sich bis 1945 die beiden Kirchen, die beiden Schulen, das Amtsgericht, das Rathaus, die Brauerei Gebr. Stobbe und die Wirtschaftsgebäude der Destillation Heinrich Stobbe. Hier stand auch das ehemalige Schloss. Dazu gehörten mehrere Hufen Weideland.
Die Bezeichnung für Hufen war wohl früher Huben. So haben z.B. die Ortschaften Siebenhuben, Neunhuben, Vierzehnhuben usw. ihren Namen nach der Größe ihres Besitzes erhalten.
Das sogenannte Schloss soll nur ein einfacher, schlichter Bau gewesen sein, aber mit einem schönen Obstgarten versehen. Hierzu berichtet die Elbinger Chronik, dass die Elbinger gern herausgekommen seien, besonders zur Kirschenzeit, um sich nach Herzenslust vollessen zu können. Der Eintritt in den Garten war frei. Es waren aber Wächter mit Haselstöcken aufgestellt, die beim Verlassen des Gartens eine Leibesvisitation Vornahmen. Wehe dem, der sich die Taschen voll Obst gesteckt hatte! Dies war streng verboten.
Im Museum in Elbing war auch eine Zeichnung vom Tiegenhöfer Schloss vorhanden. Der damalige Schlossherr war dem Orden Marienburg unterstellt und Verwalter der Weiden und des Remontendepots. Hier wurden von gefangenen Tartaren die jungen Pferde zugeritten.
In späteren Jahren wurden die Ländereien um Tiegenhof herum eine Domäne, der letzte Domänenrat war ein Herr Steller. Als im Jahre 1883 Tiegenhof Stadt wurde, gehörten die Ländereien der Stadt Tiegenhof. In den Grundbuchakten des Katasteramtes blieb aber noch immer die Bezeichnung „Schlossgrund, Band I, Blatt 2“ usw. stehen.
Um 1602 herum bewohnte das Schloss ein Amtmann Weyher, er nannte den Grund und Boden Weyershof.
Da Tiegenhof keine katholische Kirche besaß, so gehörten die Bewohner zur Kirche nach Fürstenau, „ln der Kirche in Fürstenau ist ein Fenster im Ostgiebel, in Blei verglast, in hübschen bunten Farben, mit einem Wappen, das von der Inschrift umgeben war: „Gestiftet von Amtmann Weyher auf Weyershof 16...(?).“ Im Jahre 1943 konnte die Fürstenauer Kirche ihr 750jähriges Bestehen feiern. Die Fürstenauer Kirche ist einmal von der Stadt Elbing erbaut worden.
Wie schon erwähnt, hatte Tiegenhof keine größere Kirche, sondern nur eine Kapelle, wo das Schloss war, auf dem Schlossgrund. Erst viele Jahre später ist die evangelische Kirche auf dieser Stelle erbaut worden, und zwar auf den alten Kellerfundamenten des Schlosses. Da der Schlossgrund zu den höchsten Punkten des Tiegenhöfer Geländes gehörte und bei normalen Zeiten, d.h. wenn keine Überschwemmungen waren, wasserfrei war, wurde der Kirchenkeller als Kartoffelkeller vermietet. Die evangelische Kirche wurde vom Zimmermeister Jakob Thiel erbaut. Die Kirche ist etwa 170 Jahre alt.
22899
Die Kanzel, die ein kleines Kunstwerk ist, soll noch von der Schlosskapelle stammen. Die katholische Kirche ist noch viel später gebaut worden, und zwar vom Zimmermeister Schlage; seine Frau war eine geborene Thiel. Auf einer Ansicht von Tiegenhof aus dem Jahre 1835 ist die katholische Kirche noch nicht vorhanden.
Die katholische Gemeinde Tiegenhof stand in späteren Jahren unter der Obhut der katholischen Kirche von Tiegenhagen. Der Kaplan von Tiegenhof wurde von Tiegenhagen besoldet. Erst unter Pfarrer Spohn, etwa zwischen 1910 und 1912 (?), wurde die Tiegenhöfer Kirche eine selbständige Pfarre. Damals bekam die Kirche auch ihre Glocken. In ganz früheren Jahren gab es eine Kapelle in Petershagen und auch um die Kapelle herum einen Friedhof, und zwar dort, wo später das Gasthaus „Ruschau“ war. Diese Kapelle muss ähnlich wie die Kapelle an der Chaussee nach Orloff gewesen sein.
Auf dem Schlossgrund stand auch ein Denkmal, „der heilige Nepomuk“. Es wird vielleicht noch aus der Ordenszeit stammen und mit dem Schloss in Zusammenhang gestanden haben. Es stand da, wo später das Organistenhaus und die Volksschule waren, und war mit einer kleinen Einzäunung umgeben. Da das Denkmal Eigentum der katholischen Kirche war, wurde es nach Tiegenhagen gebracht, dort aber nicht mehr aufgestellt. Da lag der Nepomuk nun jahrelang an der Kirchhofsmauer in hohen Brennnesseln eingewachsen. Im Volksmund aber blieb er bei uns alten Tiegenhöfern bestehen. Unseren Freund, den Wirt vom „Deutschen Haus“, nannten wir scherzweise „Nepomuk“.

Der Zuzug der Mennoniten
Jahrhunderte zogen ins Land. Weichsel und Nogat waren schon teilweise eingedämmt, da setzte der große Treck der Mennonitenbauern aus Holland ein. Das Weichsel-Nogat-Delta bekam seine Siedler. Da in Holland die Boden- und Entwässerungsverhältnisse die gleichen wie in unserer Niederung waren, wurden diese fleißigen Leute vom König von Preußen gerne aufgenommen. Die Mennoniten wanderten ihres Glaubens wegen aus Holland aus.
Das Land musste nun zunächst einmal trockengelegt werden, überall wurden in den Gemeinden die Entwässerungsmühlen mit dem Wasserschöpfrad gebaut. Hauptmühlengräben wurden angelegt, und diese waren wieder durch kleine Gräben verbunden. Die Hauptmühlengräben führten in größere Flüsse, die das ausgemahlene Wasser aufzunehmen hatten, so z.B. die Tiege, die Linau, die verschiedenen Laken usw. bis ins Frische Haff. Die Wassermüller verständigten sich untereinander durch Zeichen, wenn die am niedrigsten gelegene Mühle mit dem Mahlen beginnen wollte. Mit der Erfindung der Dampfmaschinen und der Turbinen verschwanden die Wassermühlen immer mehr und mit ihnen auch das holländische Landschaftsbild. Als Denkmalsschutz blieben bis 1945 noch einige erhalten, so z.B. bei Ladekopp noch eine Rossmühle mit Göbelantrieb. Wir Alten kennen noch alle den „Rossmöller Quiring“.
Das ganze Werder wurde von den Entwässerungsgräben durchzogen. Im Frühjahr und im Herbst waren die Gräben am meisten mit Wasser gefüllt. Auch ich habe auf der Jagd manchmal bis zum Hintern die Gräben gemessen. Von einem Burschen wurde dann auf der Jagd eine „Springstange“ nachgetragen. Da die älteren Bauern keine Waffe im Besitz haben wollten, wurden noch Windhunde zum Greifen der Hasen benutzt.
Mit dem Einzug der Bauern aus Holland kamen auch Gewerbetreibende und Handwerker mit. Da Tiegenhof sehr günstig gelegen war, siedelten sie sich auf dem rechten Tiegenwall an. So entstand die Lindenstraße, die Marktstraße, der Vorhof usw.
Unter den Siedlern war 1777 auch ein Peter Stobbe, der den Machandel mitbrachte und schon damals ein Tönnchen in seinem Wappen führte. Was der Machandel für Tiegenhof bedeutete, braucht wohl nicht näher erläutert zu werden. Schlossgrund war durch eine Brücke mit dem rechten Tiegenufer ver-bunden. Diese Brücke führte den Namen „Stobbes Brücke“. Eine zweite Brücke über die Tiege verband Vorhof mit dem Landweg nach Ladekopp und zur Nehrung.

Stobbes Machandel
Dem Peter Stobbe gehörten die Destillation sowie auch die Brauerei auf Schlossgrund. Später, durch Erbschaft innerhalb der Familie, wurden Brauerei und Destillation voneinander getrennt. Wir alten Bürger von Tiegenhof kennen nur die Firmen Brauerei Gebr. Stobbe, Destillation Heinrich Stobbe, Holzgeschäft Adolf Stobbe. Die Stobbe‘sche Brücke hatte die Brauerei Stobbe zu unterhalten; es gab viel Ärger und Verdruss damit. Erst unter dem Bürgermeister von Schröter übernahm die Stadt Tiegenhof die Unterhaltung der Brücke. Es wurde eine neue Brücke gebaut und 1926 dem Verkehr übergeben. Während der Bauzeit wurde eine Notbrücke über die Tiege errichtet, und zwar von der evangelischen Kirche herüber zur Lindenstraße. Da diese sich als praktisch erwies, wurde eine Fußgängerbrücke daraus gemacht.
22900

Gewerbe, Handel und Industrie
Auch die anderen Siedler von Tiegenhof waren strebsame, tüchtige Kaufleute und Gewerbetreibende. Da war die Firma Gebr. Steffen, Getreide-, Holzhandel und Bankhaus, auf dem Vorhof an der Brücke gelegen. Das ganze Anwesen wurde in späteren Jahren aufgeteilt. Den Holzhof hatte zuletzt Robert Wiens, Gärtnerei Baumfalk, das Wohnhaus der ehemaligen Bank Rechtsanwalt Markfeldt, die Speicher Wokök, den Roten Krug Fritz Epp nebst dem Garten. Die Gebr. Steffen müssen sehr reiche Leute gewesen sein. Es war auch ein Kuriosum dabei, auf welche Art sie reich geworden sind. In der ganzen Umgegend von Tiegenhof bis nach Robach an der Nogat hatte sich die Nachricht verbreitet, Gebr. Steffen haben einen feuersicheren Geldschrank einbauen lassen, der zugleich auch einbruchsicher ist. Da viele Leute ihr Geld im Hause hatten - es war damals nur Kurant, Papiergeld gab es noch nicht - bekamen sie es doch mit der Angst und baten sehr bei Gebr. Steffen um Aufbewahrung ihrer Gelder. Zinsen haben sie von der Bank nicht bekommen, im Gegenteil, die Leutchen sollen noch Aufbewahrungsgelder gerne bezahlt haben. Die Herren Gebr. Steffen haben aber verstanden, mit dem billigen Geld zu arbeiten. Ab und zu kam auch ein misstrauischer Thomas, der sehen wollte, ob sein Geld auch im Geldschrank lag. Dann brauchte der Bankbeamte nur die großen Geldschranktüren öffnen und den Mann einen Blick hineintun lassen, dann gingen diesem Mann von dem vielen Geld die Augen über und er musste sich noch seines Misstrauens wegen sehr höflich entschuldigen

Tiegenhöfer Bieressig nach Paris
Dann war da die Firma Jakob Hamm mit seinem aromatischen Bieressig, der nur in Tiegenhof angefertigt und als Fischmarinade weit versandt wurde, sogar bis Paris. Der Bieressig war ein leicht eingebrautes Bier, das einen Gärungsprozess durchmachte. Es sollte eben sauer werden wie Essig. Dann wurde ein Zusatz von Schwarzbrot und Rosinenstängel hinzugefügt. Altes Schwarzbrot hatten die Bäcker genügend liegen, und die Rosinenstängel lieferten die Lebensmittelge-schäfte. Die Rosinen kamen in früheren Jahren in Säcken noch mit den Stängeln und mussten dann verlesen werden. Auch ich habe diese Arbeit als Junge im väterlichen Geschäft kennengelernt. Der Abfall nebst Stängel wurde der Brauerei Hamm geliefert.
Auf der anderen Seite, wo Albert Kornowski war, gab es auch eine größere Firma „Schnakenberg“, ebenfalls mit großen Speichern und einer Getreidehandlung. Ein großes Getreidegeschäft war auch die Firma Cornelsen, die Ecke Gramatzki-Lewanzek lag.
Ein bedeutendes Geschäft war die Eisenhandlung von Adolf Claassen, letzter Inhaber Robert Ebler. Der eine Sohn übernahm das väterliche Geschäft, und der zweite Sohn Hermann Claassen die Mühle von Eduard Lepp, hernach Schienger. Ein Enkel von Adolf Claassen ist jetzt Amtsrichter in Berlin.
Eine Seifensiederei hatte Tiegenhof auch, genannt Seifen-Claassen. Es war die Ecke gegenüber dem „Goldenen Löwen“ an der Chaussee nach Rückenau. Dieses Hausgrundstück war eines der besten alten Patrizierhäuser von Tiegenhof und zeugte von dem damaligen Wohlstand der Bürger.
Durch den Fleiß und die Tüchtigkeit der Bauern wurde der Grund und Boden durch die Entwässerung immer besser. So wurde mehr Ackerboden gewonnen, der sich hauptsächlich für Weizenanbau eignete. Im Oberwerder machte sich dieses zuerst bemerkbar, während um Tiegenhof herum mehr Wiesenwirtschaft war. Die Bauern mussten die Milch selbst verarbeiten. Sammelmolkereien kannte man noch nicht. Diese kamen erst in den 80er Jahren auf. Die Gemeinden schlossen sich zu Genossenschaften zusammen, bauten Käsereien und verpachteten diese meistens an Schweizer. Leonhard Krieg war einer der ersten, der von der Schweiz kam und in Groß Mausdorf einen Anfang mit der Pachtung einer Molkerei machte. Früher haben die Bauern den sogenannten „Werderkäse“ hergestellt und ebenso Butter. Dadurch entstand dann wieder das Gewerbe der Käsehändler und Lommenschiffer. Diese kauften von den Bauern Käse und Butter auf, wohnten meistens an schiffbaren Flüssen, wie in Tiegenort, Jungfer, Lakendorf, Tiegenhof usw. und brachten die Ware nach Elbing, Königsberg, Danzig und zu den Grossisten.
Nach dem Siebenjährigen Kriege sah es nicht gerade gut im preußischen Staate aus. Der König besuchte damals nach dem Kriege Marienburg, und wie der Alte Fritz so vor dem Schloss gestanden hat, wird er auch einen Blick in das schöne fruchtbare Werderland getan haben. In derselben Stellung, wie er vor der Schlossbrücke vor dem Schloss gestanden hat, war er in einem Denkmal festgehalten.
Nun will ich aber mit meinen Berichten nicht abschweifen und in Tiegenhof bleiben. Chausseen gab es noch keine, und im Frühjahr und Herbst waren die Wege meistens unpassierbar. Die erste Chaussee wurde nach Dirschau über Ladekopp gebaut. Am Westend der Stadt Tiegenhof war ebenfalls eine Brücke, und der Landweg führte dicht am Paul'schen Grundstück vorbei, wie die Ansicht von 1835 zeigt. Die nächste Bahnstation für Tiegenhof war Dirschau. Die Waren mussten per Achse von dort geholt werden oder kamen auf dem Wasserwege. Daher hatten die Kaufleute in Tiegenhof auch große Speicher, weil die Waren schon im Sommer herangeschafft werden mussten, bevor die Wege im Herbst unpassierbar wurden. Die meisten Kaufleute hatten wohl eigene Gespanne, weil sie auch noch Ackerbürger waren. Außerdem gab es die Zunft der Fuhrleute mit ihren Planwagen. Einer davon war wegen seiner Grobheit besonders berühmt, der „alte Tabbert“, so hieß der Mann. Trotzdem wurde er an jedem Stammtisch gerne gesehen, weil er die neuesten Nachrichten von Dirschau mitbrachte. Dann saß er in seinem Reiserock und stets die Peitsche in der Hand mit den „Herrens“ meistens wohl im „Deutschen Haus“ zusammen. Die zweite Chaussee führte von, Tiegenhof über Tiegenort nach Steegen. Dieses war für den Handel schon ein großer Fortschritt. Ging der alte Landweg an der Tiege entlang und kam an der Karp’schen Schmiede am Grundstück Grübenau, Platenhof, heraus, so ging die neue Chaussee links am Bauhof Wiens vorbei.
Die dritte Chaussee Tiegenhof-Elbing wurde im Jahre 1875 gebaut. In diesem Jahr kaufte mein Vater sich in Fürstenau an und machte daselbst eine Gastwirtschaft und Lebensmittelhandlung auf. Zuletzt wohnte Reinhold Vollerthun als Privatmann darin. In diesem Hause wurde ich 1830 geboren. So 14 Jahre später wurde die Chaussee Tiegenhof-Marienau und dann die Tiegenhof-Jungfer gebaut. Jetzt sollte der Weg nach Petershagen chaussiert werden. Durch die Hitler-Herrschaft wurde dies vereitelt. Wie sagte doch Hitler: „Gebt mir fünf Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen.“ Die einzigen wahren Worte!
Tiegenhofs Handwerker
Von den Handwerkern sind besonders die Schlittschuhmacher zu erwähnen. Diese Schlittschuhe waren auch von den Mennoniten eingeführt nach holländischem Muster. Wenn nach Martini (11. November) - der Tag des Gesindewechsels - der Frost einsetzte, und die Gräben, Flüsse und das Haff eine Eisdecke hatten, war auch in Tiegenhof mehr Leben. Die Gaststätten, die an den Flüssen lagen, bekamen einmal andere Menschen zu sehen als sonst. Auf die Frage: „Wie best no Thoff gekome?“ war die Antwort: „Ob Schlietschoh.“ Das Adventeis war im Volksmund das beste Eis, zäh und biegsam. Wenn erst Schnee auf die Eisdecke kam, war es mit dem Schlittschuhlaufen vorbei. Dann wurden die großen Flüsse und das Haff mit Schlitten befahren. Auch Segelschlitten gab es dann, ohne Pferde, nur durch Segel angetrieben. Ich habe in Elbing eine solche Fahrt mit dem Segelschlitten nach Kahlberg mitgemacht. Bei günstigem Wind fuhr dann so ein Segelschlitten wie ein D-Zug über die Eisfläche. Die Schlittschuhe mit Riemen wurden in den Geschäften unter dem Namen „Tiegenhöfer“ verkauft. Dazu gehörte dann noch die lange eschene Pieke.
Dann war noch in Tiegenhof die Zunft der Brettschneider, die auf den Holzhöfen bei Stobbe, Gebr. Steffen, Schlage usw. die Stämme mit der Handsäge zu Brettern schnitten. Der Stamm wurde aufgebockt, ein paar Meter von der Erde hoch. Zwei Männer waren zum Schneiden erforderlich, ein Ober- und ein Untermann. Die Säge hatte eine ziemliche Länge und an jedem Ende einen Griff. Ein Mann stand oben auf dem Stamm und der andere zog unten die Säge. Der Umsatz eines Holzhofes wurde danach eingeschätzt, wieviel Eisen dort gingen. Mit der Dampf-maschine hörte auch diese Zunft auf.
Dann gab es in Tiegenhof noch die Nagelschmiede. Als ich in Tiegenhof noch zur Schule ging, 1891, gab es noch vier Nagelschmieden, Wien, Neue Reihe, Pfaff, Schlosserstraße, Neumann, Lindenstraße, Priebe, Petershagen. Gerbereien gab es zwei, und zwar Hilke und Büttner. Hilke war auf Ziegelhof, Büttner arbeitete noch bis 1945. Die Böttcherei von Bannemann war seiner Zeit auch ganz groß und beschäftigte eine Anzahl von Gesellen und Lehrlingen. Durch die Emaillewaren ging auch dieses Gewerbe ganz zurück.
Der Weichsel-Haff-Kanal verband die Tiege mit dem Frischen Haff und der Weichsel, ein Fortschritt für den Frachtverkehr. Der Kanal fing in Platenhof an und verband durch eine Schleuse die Tiege und die Linau. Dann setzte wieder der Kanal ein bis Neumünsterberg. Hier wurde er durch eine Schleuse „Rotebude“ in die Weichsel geführt. Von der Schleuse Platenhof führte der Kanal nach Norden bis Tiegenhagen, beim Gasthof „Zum Holländer“ durch den Müllerlandskanal in den Stobbendorfer Bruch ins Frische Haff. Es waren nun zwei Wasserwege bis zur Ostsee geschaffen: 1. Tiege - Weichsel - Weichseldurchstich - Ostsee; 2. Tiege - Frisches Haff - Pillau - Ostsee.



Eine kleine Hafenstadt
Nun wurde Tiegenhof eine kleine Hafenstadt. Dampferlinien wurden nun eingerichtet, Aktiengesellschaften gegründet und ein regelmäßiger Dampferverkehr mit festgelegtem Fahrplan eingesetzt, mit ständiger Verbindung mit den Städten Königsberg - Danzig - Elbing. Wie ich in Tiegenhof zur Schule ging, waren die Dampfschiffe „Frisch“, „Julius Born“ und „Tiegenhof“. Das Gasthaus „Schützenhaus“, letzter Inhaber Otto Epp, führte damals den Namen „Zum Schleusenhof“. Der damalige Wirt Brozinski hatte ebenfalls einen kleinen Dampfer eingestellt, hauptsächlich für den Personenverkehr nach Danzig, der Name von diesem Dampfer ist mir leider entfallen. Der Kapitän hieß Fiedler. Vorne am Steven hatte der Dampfer eine Holzfigur, die später über der Eingangstür vor dem ehemaligen alten Gasthaus angebracht war. Das alte Gasthaus war ungefähr so 15 Meter nach links von dem neuerbauten Gasthaus entfernt. Die alten Tiegenhöfer gingen, als sie noch jung waren, an den Sonntagen entweder zu Brozinski, Platenhof, oder nach Ziegelscheune zu Sprung (Inhaber Emil Janzen) ein Tänzchen machen. Kahnpartien nach Ziegelscheune waren auch immer sehr beliebt in früheren Jahren.
22901
Erwähnenswert ist noch die alte Zeit des „Getreideschiffens“. Schiffen ist der alte Ausdruck für liefern. Vielleicht kommt der Ausdruck von „ans Schiff liefern“. Die Lieferungen der Bauern von Getreide an die Tiegenhöfer Kaufleute war mitten im Winter. Das Getreide musste ja erst auf der Tenne ausgedroschen werden, und das erforderte viel Zeit. Marktstraße und Vorhof waren dann voll von allerlei Fuhrwerken, Wagen oder Schlitten, je nach den Wegeverhältnissen. Wenn viel Schnee lag, so wie im Jahre 1888, dann waren die Säcke auf Schiffsschlitten geladen. Diese Schlitten bestanden aus zwei kurzen Schlitten, die durch eine Kette über Kreuz verbunden waren. Diese Schlitten nannte man „Hunt“. Jeder Schlitten hatte rechts und links eine lange Runge, der Kasten, der die Form von einem Kahn hatte, wurde zwischen die vier Rungen gesetzt.
In den Lokalen war dann auch allerhand Betrieb, weil die Bauern meistens Geld bekamen. Im „Deutschen Haus“ neben dem Getreidegeschäft von Cornelsen, hatten geschäftstüchtige Volksgenossen die Bank aufgelegt, und es wurde Tag und Nacht „gestempelt“, so nannte man die Hasardspiele. Die Bauern standen dann, im Arm die Pelzmütze mit Silbergeld, um die Spieltische herum und setzten und spielten und manch einem wurde die Pelzmütze leergemacht.
In den 60er Jahren waren die Hasardspiele noch nicht verboten. Mein Vater, der damals bei Eisen-Claassen als Kommis war, konnte viel davon erzählen. Haus und Hof haben einige verspielt.
Tiegenhof bekam nun auch seine Zeitung. Die erste Zeitung hieß „Das Dampfboot“, wohl weil dieses in den Jahren das schnellste Verkehrsmittel war. Die Abonnenten sammelten die laufenden Nummern und ließen sie dann am Jahresschluss fein säuberlich einbinden. So ein Exemplar habe ich noch beim alten Geheimrat Dr. Huhn gesehen. Dr. Huhn war ein Schwager meiner Mutter, seine Frau war eine Schwester meiner Mutter, eine geb. Thiel.
Als ich in Tiegenhof zur Schule ging, von 1891 bis 1895, bestanden sogar zwei Zeitungen am Ort. Die „Werder Zeitung“ (liberal), Verleger Dr. Wiedemann, Rossgarten, und das „Tiegenhöfer Wochenblatt“ (konservativ), von Adolf Kinder, Lindenstraße. Dieses letztere hat sich viele Jahre bewährt, wurde aber während des Hitlerregimes gesperrt. Man wollte die Leser zwingen, nur den „Danziger Vorposten“ zu halten.
Die Post befand sich im Rossgarten. Das Gebäude kaufte die Firma Krieg und baute nebenan die Molkerei auf. Mehrere Postkutschen müssen damals eingestellt gewesen sein. Die Postfuhrhalterei hatte ein Quant, der die Pferde stellte, unter sich, eine Fahrpost mit seinem Postillion, der von Ladekopp in unser Städtchen kam. Es war so in den Abendstunden, und wenn der Wagen über die Brücke fuhr, blies der Postillion sein Horn.
Bei Schneeverwehungen und als es noch keine Chausseen gab, blieb der Postwagen öfters stecken. Dann blies der Postillion in sein Horn, und die nächsten Bauern mussten Vorspann leisten.
Ein Privatomnibus fuhr mehrere Male in der Woche nach Elbing, ein Unternehmen von Maurermeister Schroeter, Ziegelhof. Der Omnibus war immer gut besetzt und rentierte sich. Der Kutscher hieß Schablinski.
Tiegenhof war, wie schon vorher erwähnt, eine Domäne, dann ein Marktflecken mit einem Gemeindevorsteher. Gemeindevorsteher waren abwechselnd Herr Stobbe und auch der alte Eisen-Claassen. Im Jahre 1883 wurde Tiegenhof zur Stadt erklärt. Der erste Bürgermeister war ein Herr Falksohn (Jude), dann folgte ein Herr Förster so ungefähr bis 1907 (?), dann Herr von Schröter bis 1932 (?). Nachfolger wurde Karl Dienesen, der schon nach kurzer Amtsdauer verstarb. Die letzten sogenannten Ortsgruppenleiter sind nicht wert, dass man sie erwähnt. Der Bürgermeister hatte Polizeigewalt und hatte einen Polizeiwachtmeister zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu seiner Verfügung. Eine
Gendarmeriestation hatte Tiegenhof schon als Gemeinde. Der Gendarm war wohl für das Land bestimmt, konnte aber auch jederzeit in Tiegenhof eingreifen, ohne den Auftrag des Bürgermeisters.
Den Nachtdienst in den Straßen versahen drei Wächter. Hauptsächlich bei Ausbruch eines Feuers hatten sie die Bewohner durch ihre Schnarren zu alarmieren. Die Wächter sangen die Stunden ab. Z.B.: „Die Uhr hat zehn geschlagen, zehn ist die Uhr.“ Später wurden die Stunden mit der Pfeife gepfiffen. Später erhielten sie das Feuerhorn. Der Bürgermeister war auch gleichzeitig beim Amtsgericht der Amtsanwalt und wurde daher noch mehr eine Respektsperson für solche Leute, die immer mit den Gesetzen in Konflikt waren.

Die erste Eisenbahn
Im Jahre 1885 (oder 1886?) bekam Tiegenhof die Eisenbahn. (Ich mache hinter den Zahlen immer ein Fragezeichen, weil ich mich irren kann.) Die Bahnlinie Tiegenhof war eine Abzweigung der Hauptstrecke Marienburg - Dirschau bei Simonsdorf. Nun gab es wieder eine große Veränderung im Personen- und Warenverkehr. Die Kohle, die bisher nur per Wasser von Danzig kam, konnte nun von Oberschlesien waggonweise bezogen werden. Der frühere sogenannte „Schellenbergsche Gang“ — benannt nach der Bäckerei von Schellenberg, zuletzt Gleixner - wurde jetzt die Bahnhofstraße für Tiegenhof. Früher hörte hier die Straße auf, und eine Hebe schloss die Gasse ab.
Der erste Bahnhofswirt auf dem Bahnhof war „Karlchen Fährmann“, der Oberkellner vom Dirschauer Bahnhof. Karlchen war ein schneidiger Wirt und bediente seine Gäste sehr gut.
Für die Tiegenhöfer war der Bahnhof etwas Neues, um sechs Uhr (18 Uhr) lief ein Zug ein. Wer Zeit hatte, ging zu diesem Zug zum Bahnhof (manche sogar täglich). Auf die Frage, was sie täglich auf dem Bahnhof wollten, bekam man die Antwort: „Die Tante abholen“; die Tante aber kam nie mit. Bald bildete sich auch im Wartesaal II. Klasse ein ständiger Stammtisch in der Zeit von sechs bis acht Uhr. Dieser nannte sich Sobranje, wie der Reichstag in Bulgarien. Der Vorsitzende von diesem Stammtisch nannte sich Fürscht; jahrelang war es der Mehl-Claassen, Stellvertreter Aron Wiebe, Rossgarten, und Prof. Dupow.
Eine Sehenswürdigkeit auf dem Bahnhof war ein Papagei, der sich durch seine deutliche Sprachtechnik berühmt machte und manchen Gast, der nicht wusste, dass im Nebenzimmer ein Papagei war, in Verlegenheit brachte.
Wie schon erwähnt, kam ich 1891 Ostern in die Tiegenhöfer Schule, die sich „Höhere Bürgerschule“ nannte. Der Leiter war Rektor Wuttge, schon ein ziemlich alter Herr und pensionsreif. Im ersten Schuljahr hatten wir noch Latein, später Französisch und Englisch. In jedem Jahr wurde eine neue Klasse eingerichtet. Akademischer Lehrer war nur Oberlehrer Düpow, alle anderen Lehrer waren Mittelschullehrer, die Lehrer Bohl, Kirbuß, Knop, Gutsche. In der Aula war ein Deckenbild: Amoretten hielten Schleifen in den Händen mit lateinischen Inschriften. Eine davon habe ich noch in Erinnerung: „Non scolae sed vitae discimus“, nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Das gesamte Bild waren Allegorien aus Handel, Industrie, Musik, Kunst und Wissenschaft. Dieses Deckenbild hat damals mein Onkel, der Malermeister Heinrich Thiel, ein Bruder meiner Mutter, angefertigt. Als die Aula umgebaut werden musste, hat man das Bild zum Andenken fotografiert. Turnen hatten wir nur im Sommer, da wir keine Turnhalle hatten. Jeden Mittwoch und Sonnabend nachmittags marschierten wir mit Fahne und Trommlern und Pfeifern zum Turnplatz hinaus, der in der Bahnhofstraße war, ein schöner schattiger Platz mit alten Bäumen. Die Turngeräte waren fest eingebaut. Unser Turnlehrer war Herr Bohl, ein Veteran von 1870/71, auf den wir Jungen sehr stolz waren. Später war das Krankenhaus dort aufgebaut, das nach 1900 der Stadt übergeben wurde.
Während meiner Schulzeit starb Rektor Wuttge, sein Nachfolger wurde Johannes Rump, die Perle eines Mannes, ein Mecklenburger. Rump hat die Realschule von 1893 (?) so bis 1920 (?) geleitet. Die erste Klasse nannte sich jetzt Prima, was aber bei einem Gymnasium die Untersekunda war. Erst unter Direktor Turner wurde die Schule ein Vollgymnasium, und die ersten Abiturienten wurden in die Welt geschickt.
Anfang der achtziger Jahre wurde die Zuckerfabrik gebaut. Der erste Direktor war ein Herr Sierig. Der Himmel auf Erden wurde versprochen, es war aber von vornherein eine tote Sache; besonders viele kleine Handwerker haben hierbei ihr Geld verloren, aber auch große Bauern haben Verluste erlitten. Erstens war der Bau zu kostspielig - der Grund und Boden war hier ein Sumpfgelände -, dann war der Rübenanbau in der Umgebung von Tiegenhof zu gering, und die angekauften Rüben wurden durch die Fracht zu teuer. Nach der ersten Pleite war die Fabrik billig zu haben, und eine Genossenschaft, die Jakob Hamm & Co. firmierte, versuchte noch einmal ihre Einlagen zu retten, aber die Unrentabilität blieb. Nun gingen die Gebr. Krieg heran. Diesen tüchtigen, umsichtigen Geschäftsleuten ging es etwas besser, die Fabrik war auch sehr billig erworben worden. Während des ersten Weltkriegs machten Kriegs eine Konservenfabrik daraus und lieferten Schmalzersatz für die Armee. Nach dem Kriege, 1918, wurde die Fabrik ausgeschlachtet. Da in einer Zuckerfabrik viel Kupfer und sonstige wertvolle Metalle enthalten sind, kamen die Kriegs gut davon weg. Die Gebäude wurden nun teilweise abgebrochen, einige übernahm die Stadt Tiegenhof.
Durch die Eisenbahn wurde das Postamt von der Rossgartenstraße nach der Bahnhofstraße verlegt.
In den Jahren von 1900 an begannen die Kleinbahnen AG sich im Werder auszubauen. Die erste Bahn von Schöneberg nach Tiegenhof war die erste. Bei Ziegelscheune wurde eine Brücke über die Tiege gebaut. Dann folgte die Kleinbahn Tiegenhof - Steegen . Stutthof. Von Steegen wurde die Lokomotive nebst Postwagen mit der Weichselfähre über die Weichsel gesetzt, auf dem anderen Ufer wurden die Wagen angehängt, und weiter ging es durch das Danziger Werder bis nach Danzig. Für Tiegenhof war die Verbindung mit Steegen eine große Sache; für die Rückfahrkarte, die achtzig Pfennig kostete, konnte man an die Ostsee kommen. Steegen entwickelte sich schnell zu einem gern besuchten Badeort, der Strand war hier ideal. Kein Wunder, dass an Sonntagen ein sehr reger Personenverkehr war und immer wieder noch Wagen angehängt werden mussten. Vereine und Schulen bestellten sich in der Saison Extrazüge. Die Tiegenhöfer hatten ihr Steegen jedenfalls sehr lieb. Zwanzig Jahre später kam dann der Autobus in den Verkehr, der der Kleinbahn einen Teil des Personenverkehrs abnahm; auch die Post stellte Autobusse ein.

Gericht und Justiz in Tiegenhof
Das Amtsgericht in Tiegenhof hatte schon viele Jahre in Tiegenhof seinen Sitz. In früheren Jahren war das Gericht im Haus von Kaufmann Ernst Thiel in der Marktstraße. Zwischendurch war es auch in Neuteich, kam dann aber wieder nach Tiegenhof. Obwohl Tiegenhof zum Kreis Marienburg gehörte, unterstand es dem Landgericht Elbing. Gefangene, die über vier Monate absitzen mussten, wurden der Strafanstalt Elbing zugeführt.
Wie sparsam die Stadt damals rechnete, dafür ist hier ein Beispiel: Musste ein Gefangener nach Elbing kommen, so mussten zwei Transporteure mit ihm dorthin zu Fuß gehen. Der Arrestant machte den Weg nur einmal, während die beiden Transporteure wieder zurückwandern mussten. Die Strecke betrug etwa 42 Kilometer und darüber. Hin und zurück waren je zwei Fähren zu passieren, über die Lake und die Nogat, dies kostete Fährgeld. Die Eisenbahn über Marienburg nach Elbing hätte vielleicht ein paar Pfennig mehr gekostet.
Als 1848 in Preußen Revolution war, hatte Tiegenhof auch ein Revolutiönchen. Die Bürgerwehr, aus der später die Schützengilde hervorging, bekam jetzt das Recht, Waffen zu führen. Bei meiner Großmutter, „Gasthaus zur Stadt Berlin“, lag von dieser Zeit her noch eine Menge Lanzen. Hier in dem Gasthaus, gegenüber Stobbe, wurden die Gemeindeversammlungen abgehalten, die manches Mal sehr stürmisch verlaufen sein sollen.
Die Schützengilde durfte Waffen tragen, was den Bürgern verboten war. Mein Großvater, der Gastwirt von „Stadt Berlin“, war auch in der Gilde. Die Büchse war ein Schweizer Stutzen, ein Vorderlader mit Steckschloss versehen. Dann trugen die Schützen einen Hirschfänger umgehängt. Die Tasche mit Munition wurde mit einem Bandelier über die rechte Schulter getragen. Auf Bandelier und Tasche war das Stadtwappen von Tiegenhof - drei Türme auf einer Mauer - aus gelbem Metall als Schmuck angebracht. Büchse und Hirschfänger waren noch 1945 in meinem Besitz.
Meine Großmutter erzählte mir von der Revolution, dass sie in Tiegenhof bald beendet war. Die Firma Gebr. Stobbe öffnete die Kellerräume und bald war der Pöbel so besoffen, dass er überwältigt werden konnte. Das Amtsgericht wollten sie ebenfalls stürmen und die Gefangenen befreien. Der damalige Amtsrichter stellte sich aber mit geladenem Gewehr vor die Tür und sagte: „Nur über meine Leiche.“ Das Bild von diesem mutigen Richter hing im Schöffensaal in Tiegenhof. Ob das Bild noch heute dort hängt?
Eines Tages wurde eine Menge Volk in Richtung Tiegenhof von Ladekopp her als Revolutionäre gemeldet, das die Absicht hätte, in Tiegenhof die Läden zu plündern. Die Schützengilde trat ins Gewehr, um das Volk schon vor der Stadt zu empfangen. Der Hauptmann bot ihnen wohl ein „Halt“, der Rädelsführer aber sagte darauf: „Vorwärts, mir nach!“ Der Feuerbefehl war wohl noch nicht gegeben, da schoss ein Schütze den Führer runter. Nun sah das Volk, dass die Tiegenhöfer nicht mit sich spaßen ließen und zogen sich zurück. Der Name des Schützen blieb aber unter den Schützen geheim.
Schwerverbrechen, Mord usw. kamen leider auch in unserer sonst friedlichen Heimat vor. Im Gasthaus „Zum goldenen Löwen“ schlug bei einem Tanzvergnügen ein Soldat den Wirt mit dem Seitengewehr tot. Wie ich noch zur Schule ging, passierte folgendes: da erschlug ein Soldat (Deserteur) die Inhaberin eines kleinen Ladens in Schöneberg, eine Frau Lemke, warf die Tote in den Keller und beraubte die Ladenkasse. Anfang 1900 wurde der Bauer Guddeck in Reimerswalde mit einem Kopfschuss im Bett aufgefunden; der Tod trat erst nach mehreren Stunden ein. Der Liebhaber seiner Frau kam in Verdacht. Aufgeklärt wurde die Sache nicht. Der Liebhaber bekam 15 Jahre Zuchthaus, obwohl er dauernd seine Unschuld beteuerte. Die Frau wurde freigesprochen. Die Allgemeinheit war mit dem Urteil nicht zufrieden. Der letzte schwere Fall, der auch noch der jüngeren Generation im Gedächtnis sein wird, ist der Doppelmord an dem jungen Mecklenburger und seiner schwangeren Frau, geb. Wall, in Platenhof im November 1920. Die Eheleute kamen nachts von einer Besuchsfahrt nach Hause. Die Eltern des jungen Bauern wohnten in demselben Hof auf Altenteil. Es war der einzige Sohn. Der alte M. wollte in der Scheune verdächtige Geräusche gehört haben und schickte seinen Sohn in die Scheune, damit er sich dort einmal umschaue. Der Sohn kam dem Wunsch seines Vaters nach, durchsuchte die Scheune und stieg auch auf die Leiter, um den Dreschsatz zu untersuchen. Da fiel ein Schuss aus einer Jagdflinte. M. wurde von hinten mit einer Schrotladung erschossen und stürzte von der Leiter. Er hatte sich, bevor er in die Scheune ging, eine Pistole mitgenommen. Als die Frau den Schuss und vielleicht auch den Aufschrei ihres Mannes hörte, lief sie zur Scheune und warf sich über ihren Mann. Da bekam die Frau mehrere Schüsse aus der Pistole, die ihrem Mann entfallen war. Der alte Mecklenburger erhängte sich in der Gefängniszelle, die alte Frau war auf freien Fuß gesetzt worden und blieb nach wie vor auf dem Hof wohnen. Die jungen Eheleute hinterließen einen Sohn, der jetzt der Erbe war. Vom Gericht war ein Nachlasspfleger eingesetzt worden. Im letzten Krieg war der Sohn schon 19 Jahre alt und als Rekrut bei meinem Schwiegersohn in der Kompanie. Er ist, wie mein Schwiegersohn, gefallen. Die Bevölkerung von Tiegenhof war mit der Art und Weise, wie die ganze Affäre Mecklenburger von der Justiz behandelt wurde, höchst unzufrieden.
In den neunziger Jahren passierte ein Fall, der in der Justiz sehr selten vorkommt. Der Stadtkämmerer war damals ehrenamtlich tätig. Die Stadtkasse betreute ein Samuel Ruhm, Mitinhaber der Firma Ruhm, Textilien. Samuel Ruhm war ein Junggeselle und besaß bei den Bürgern das volle Vertrauen. Plötzlich fand eine überraschende Revision statt und es stellte sich heraus, dass eine große Summe fehlte. R. wurde in Untersuchungshaft genommen. Er legte ein vollständiges Geständnis ab und gab auch zu, des Öfteren städtische Gelder an sich genommen, in das Geschäft seines Bruders gesteckt, aber immer wieder zurückgegeben zu haben. Auch dieser letzte Betrag wurde von Verwandten in Berlin gedeckt, so dass die Stadt Tiegenhof keinen Verlust hatte. Der Fall kam vor das Schwurgericht Elbing. Die Verhandlung war nur kurz, da Ruhm alles gestanden hatte. Die Geschworenen zogen sich zur Beratung zurück, und der Obmann verkündigte nach kurzer Zeit dem Gericht: „unschuldig.“ R., der stark schwerhörig war, konnte es gar nicht fassen, dass er sofort entlassen war, er hatte sich auf ein paar Jahre gefasst gemacht. Das dicke Ende kam nun aber nach. Der Vorsitzende hob diese Schwurgerichtsperiode sofort auf und erklärte, dass er mit solchen Geschworenen nicht weiterarbeiten könne. Von diesen Geschworenen ist auch später keiner mehr ausgelost worden. Als damals die Unterschlagungen in Tiegenhof bekannt wurden, war gleich darauf ein Sonntag, und Pfarrer Thrun hielt die Sonntagspredigt mit dem Textwort: „Euer Ruhm ist nicht fein.“ Auch die Pfarrer in Tiegenhof hatten Humor.
In Tiegenhof gab es zahlreiche Vereine, die ältesten waren wohl der Gesangverein, der Turnverein (1862 gegründet). Die Schützengilde hatte jahrzehntelang geruht und wurde nach 1900 wieder ins Leben gerufen. Der alte Schützenstand von 1948 war im Wäldchen von Heinrich Neumann und gehörte zum Fürstenauer Gelände. Die neue Schützengilde hatte ihre eigene Schießhalle im Garten von Epp, Platenhof.
Viele schöne Feste sind in Tiegenhof gefeiert worden. 1892 war in Tiegenhof ein großes Sängerfest. Viele Sänger und Abordnungen waren aus anderen Städten aus Ost- und Westpreußen dazu erschienen. Ein zweites Fest in dieser Größe habe ich in Tiegenhof nicht mehr erlebt. Auch bei anderen Festen kamen unsere Gäste gerne nach „Thoff“. Mit viel Liebe hatten unsere Bürger die Häuser und Häuschen geschmückt. Girlanden waren über die Straßen gespannt. Gerne wurden die Gäste in Bürgerquartieren aufgenommen. Ebenso war es auch bei Einquartierungen der Fall. Es war aber sehr selten, dass Soldaten in Tiegenhof waren. Sie wurden sehr gerne gesehen, und jeder Bürger wollte dann auch einen Soldaten im Quartier haben. Als Manövergelände eignete sich unsere Niederung nicht, höchstens, dass Truppen von Elbing nach Danzig marschierten oder umgekehrt. Mitte der siebziger Jahre war es, dass das Erste Jägerbataillon von Braunsberg über Elbing nach Danzig einen größeren Übungsmarsch machte. In Tiegenhof war ein Ruhetag eingelegt und es ging in unserem Städtchen hoch her. Am Nachmittag gab die Kapelle im großen Garten vom „Hotel du Nord“ ein Konzert, wozu die Bürgerschaft herzlichst eingeladen war, ein Dankbarkeitsbeweis für die liebevolle Aufnahme. Verschiedene Tiegenhöfer hatten bei dem Bataillon gedient und auch den Feldzug 1870/71 mitgemacht; mein Onkel, der Maler-meister Heinrich Thiel ebenfalls. Die Freude des Wiedersehens war sehr groß und musste entsprechend gefeiert werden. Am nächsten Morgen rückte das Bataillon ab zum Weitermarsch nach Danzig. Die Jäger waren kaum eine Stunde von Tiegenhof fort, da kam die Schreckensnachricht, dass beim Übersetzen über die Linau ein Kahn umgeschlagen war und soundso viele in der Linau ertrunken waren. Der Führer hatte versäumt, den Befehl zu geben „Gepäck abhängen“. In Braunsberg stand auf dem Marktplatz ein Denkmal mit den Namen der Verunglückten. Ob es heute noch dort steht?

Von den Gaststätten in Tiegenhof
Das vornehmste und auch älteste Hotel war wohl früher immer das „Deutsche Haus“. In jeder Stadt gab es ein „Deutsches Haus“. Zuerst besaß mein Großvater Heinrich Thiel das „Deutsche Haus“. Er verkaufte es an einen Barthold, von diesem übernahm es sein Sohn August Barthold. Nach dem Tode hat seine Frau es jahrelang weitergeführt. Anfang 1900 kaufte Cornelius Philipsen das Hotel. 1920 kaufte es die Stadt Tiegenhof zum Landratsamt an, und es wurde entsprechend umgebaut. Das alte „Deutsche Haus“ brannte an einem Sonntagnachmittag ab und wurde von August Barthold wiederaufgebaut.
Mein Großvater Heinrich Thiel baute sich an der Marktstraßenecke das Gasthaus „Stadt Berlin“ auf. Hier war ich von 1920 bis 1940 Inhaber. Die Firma Heinrich Stobbe hat ebenfalls in diesen Jahren das Eckgrundstück und das Nachbarhaus an der Tiege und der Brücke gebaut. Im Nachbarhaus hatte der Schwiegersohn von Stobbe, Kaufmann Giesbrecht, einen Laden aufgemacht. In den letzten Jahren war hier H. und E. Penner in dem Geschäft.
Die zweite größere Gaststätte war „Hotel du Nord“ mit einem schönen großen Garten und Saal. Hier feierten die Vereine ihre Sommerfeste. Deren Höhepunkt war immer ein Feuerwerk nach dem Eintreten der Dunkelheit, bevor der Tanz begann. Ein alter Bürger von Tiegenhof, ein Bruder meiner Mutter, der Glasermeister Jakob Thiel, war ein vorzüglicher Pyrotechniker. In späteren Jahren habe ich manches Feuerwerk gesehen, aber nie war es so schön, wie von „Onkel Jakob“, so wurde der alte Herr im Volksmund genannt. Er bewohnte das kleine Häuschen im Rossgarten, gegenüber der Käserei Krieg. Im „Hotel du Nord“ waren als Wirte Barwich, dann Papenfuß und Cornelius Philipsen. Als das Deutsche Haus Landratsamt wurde, übernahm Philipsen das „Hotel du Nord“ und nannte die Gaststätte jetzt „Deutsches Haus“. Unter dem Hitlerregime wurde hier auf dem Grundstück das „Haus der Volksgemeinschaft“ gebaut. Ein Millionenobjekt, was den damaligen Größenwahn vollauf dokumentiert. Dieses Haus soll nur wenig beschädigt sein. Wer weiß, wozu es die Polen heute verwenden? Das „Hotel du Nord“ lag hart an der Tiege, und bei Barwich war hier ein Badehaus; für uns Schuljungen eine schöne Sache. Mancher Junge und manches Mädel haben hier Schwimmen gelernt. Im Winter hatten wir dafür die Eisbahn auf der Tiege. Von Stobbes Brücke bis zum Kragennest - so war eine kleine Kate benannt - reichte die Bahn. Vom Bürgermeistergarten ab hieß früher die Tiege Svente, dann Schwente, bis Neuteich.

Winterfreuden
Von Martini bis in die Adventszeit hinein gingen wir Jungen und Mädchen bei den Bäckermeistern Pfefferkuchen blank machen, d.h. mit Schaumgold dekorieren, so etwa abends von 7 bis 10 Uhr. Zur Belohnung dafür gab es dann die Taschen voll Pfeffernüsse oder Bruchstücke von Pfefferkuchen. Wer schon mehr Übung hatte, bekam einen großen Ritter zum Blankmachen. Jeder Bäcker hatte seinen bestimmten Kreis von Blankmachern. Mein Bruder ging zu Nachtigall und ich zu Franz Julius. Oh, wie schön war unsere Jugend in der Vorweihnachtszeit! Gab es schönes Schlittschuheis und Haff und Tiege waren sicher, dann ging es hinaus in die schöne weite Welt auf den „Tiegenhöfern“ mit Riemen, dazu die lange Pike. In den Gaststätten, die an Flüssen lagen, war dann Betrieb. Das Adventseis war das beste; wenn erst Schnee auf der Eisdecke lag, war es damit vorbei. Dann wurde mit Schlitten auf dem Eise gefahren.
Im Winter waren dann die Wintervergnügungen der Vereine. Die „Ressource“, der Verein der „Hautevolee“, dann der Turnverein und Gesangverein usw. Stets fing so ein Fest mit einem Theaterstück an. Im „Deutschen Haus“ sowie „Hotel du Nord“ war am Saal anschließend eine Bühne. Unter den älteren Bürgern war schon ein Stamm, der die Väter- und Mütterrollen belegte. Die Liebhaberrollen wurden an junge Mädchen und junge Leute vergeben. Auch ich habe verschiedene Male in Tiegenhof als junger Mann auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“, gestanden. Bevorzugt wurden aber meistens unverheiratete junge Lehrer, wo die Mütter für ihre Töchterchen eine Partie witterten. Heiratsfähige Mädchen waren genügend vorhanden, aber auch junge Männer, leider aber nicht heiratsfähige.
Mehrere Male im Winter kam eine wandernde Theatergruppe nach Tiegenhof. Ich kann mich noch gut besinnen auf „Harnier“, diesen alten Mimen. Da das Ensemble nur aus vier bis fünf Schauspielern bestand, musste öfters ein Schauspieler mehrere Rollen spielen. Auf dem Theaterzettel wurde er bezeichnet als „Herr Immerda“. Dann kam auch im Winter die „Böhmenkapelle“, so fünf bis sechs Mann stark, die sehr beliebt war. Diese Kapelle besuchte hauptsächlich die Kleinstädte. Als Tiegenhof Bahnverbindung hatte, änderte sich auch dies. Da gab es schon Konzerte, meistens waren es die 157iger aus Graudenz oder die Unteroffiziersschule aus Marienwerder.
Nach dem Kriege 1870/71 bildeten sich die Kriegervereine, die zu ihren Festen stets Militärmusik hatten. Wenn der Kriegerverein sein Sommerfest gab - im Garten vom „Hotel du Nord“ - war erst Konzert, beim Eintritt der Dunkelheit Feuerwerk, dann ein Marsch durch die Stadt, und dann ging es ins „Deutsche Haus“ zum Tanz. Das „Deutsche Haus“ war das eigentliche Vereinslokal. Auf diese Weise hatten beide Wirte eine gute Einnahme.
Während meiner Schulzeit hatten wir in Tiegenhof eine Anzahl Geschäfte, das größte war wohl das Warenhaus von Pächter. Es stand quer über die Marktstraße und reichte von der Ecke Lindenstraße bis zur Ecke Bahnhofstraße. Im Jahre 1897 brannte es herunter. Die Brandstelle kaufte die Firma Heinrich Stobbe und baute einen großen Speicher darauf. Vor dem Speicher waren sehr gepflegte gärtnerische Anlagen und dienten der Stadt zur Zierde. In dem Haus bei Bäckermeister Tews war das Schuhgeschäft von Salinger. Dann gab es die Pferdehandlung Göritz (letzte Inhaberin Frau Bergmann). Gegenüber war die Alteisenhandlung Adam (später Folgmann). Auf Vorhof befand sich das bedeutende Geschäft von Ruhm (letzter Inhaber Gustav Kretschmann), in der Lindenstraße die Bäckerei und Gastwirtschaft von Geschwister Gerchow-Göritz (letzter Inhaber Dzienian).
Im Jahre 1910 baute mein Vater auf unserem Holzhof und Lagerplatz in der Bahnhofstraße das Bahnhofshotel auf dieses habe ich von 1911 bis 1920 als Pächter bewirtschaftet und später, 1936, käuflich erworben. Bei den letzten Kämpfen 1945 wurde das hübsche Hotel zuerst kaputtgeschossen.

Die Feuerwehr
Das Feuerlöschwesen war, wie überall im 19. Jahrhundert, nur sehr primitiv aufgebaut. An der Stobbe-Brücke standen ein paar Kuven mit Wasser gefüllt, auf Holzschleifen montiert. Jeder Hausbesitzer war verpflichtet, eine lange Leiter, einen Bootshaken, ein paar Feuereimer aus Leder oder Segelleinen in seinem Hause zu halten. Die Eimer mussten mit Namen und Hausnummer versehen sein. Bei Feueralarm nahm jeder Mann seinen Feuereimer und eilte zum Brandherd. Von der nächsten Wasserstelle wurde eine Kette von Menschenhänden gebildet, wie es schon in der „Glocke“ heißt: „durch der Hände lange Kette . . .“ Wenn ein Großfeuer ausbrach, waren die Leute machtlos, und das Feuer sprang auf die Nachbargebäude über. Viele Werte sind damals durch Feuer vernichtet worden. Durch die Verbesserung der Druckspritzen und Erfindung der Hanfschläuche wurde es schon bedeutend besser. Brauereibesitzer Hermann Stobbe organisierte in Tiegenhof die Feuerwehr. Jeder Bürger vom 17. bis 50. Lebensjahr bekam einen Gestellungsbefehl mit der Anweisung, bei welchem Führer seiner Abteilung er sich zu melden hatte. Die vier Druckspritzen mit dem Wasserzubringer brauchten aber immer noch ein großes Aufgebot von Mannschaften. Die Druckspritzen konnten aber immerhin bei einem richtigen Einsatz etwas leisten. Die Leiterabteilung, bestehend aus acht Mann in Uniform, waren besonders an diesem Gerät ausgebildet worden. Diese acht Mann wurden später der Stamm der „Freiwilligen Feuerwehr“. Im Jahre 1907 oder 1908, als die Stadt Wasserleitung bekam und die Straßen Hydranten hatten, änderte sich das ganze Feuerlöschwesen. Bürgermeister von Schröder gründete nun die „Freiwillige Feuerwehr“, die bis zum Zusammenbruch 1945 37 Jahre zum Wohle der Stadt Tiegenhof gewirkt hat. Ich hatte die Ehre, 20 Jahre als Brandmeister die Wehr zu führen. Unter meiner Leitung wurden die Motorspritze und auch die elektrische Alarmeinrichtung eingeführt, die die Schnelligkeit und Schlagfertigkeit der Wehr bedeutend erhöhte. Den Kameraden aber, die mir lange die Treue gehalten haben und noch am Leben sind, sage ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank. Wie mir von höherer Stelle damals bestätigt worden war, hatte Tiegenhof im Osten die besteingerichtete Feuerwehr als Kleinstadt. Großfeuer hat Tiegenhof mehrere Male gehabt: die Speicherbrände im Rossgarten — hier wurde die Käserei von Krieg aufgebaut —, das Warenhaus von Pächter, die Hermann-Claassensche Mühle, 1902 am 1. Juni die Käserei von Krieg, bei dem etwa 300 Schweine umkamen, 1907 das Wohnhaus der Brauerei Hamm, 1933 in der Nacht vom 31. März zum 1. April der Brand vom „Hotel Sagert“, bei dem die Mamsell verbrannte und mehrere Personen, bei dem Versuch, sich zu retten, sich verletzten.
Da wir nun bei den Bränden sind, sei noch etwas über die „Tiegenhöfer Feuerversicherung“ berichtet. Die Versicherung war gegenseitig und auf Treu und Glauben aufgebaut, und zwar nur für Bauern auf dem Lande. Das Vereinslokal war im „Deutschen Kaiser“ bei Bronner. Waren viel Brände gewesen, dann musste ein größerer Umschlag erhoben werden, einen festen Beitrag gab es nicht. Das Werder war in Bezirke eingeteilt, und jeder Bezirk hatte einen Brandregenten. Der Brandgeschädigte bekam nicht allein sein Geld zum Wiederaufbau, sondern Futter usw. für sein Vieh und Fuhren zum Neubau gestellt. Die meisten Brände waren im Herbst, wenn die Ernte eingebracht war. Als mein Vater noch in Fürstenau sein Geschäft hatte, saßen die Bauern abends in der Gaststube beim „Altenbaster“, Skat war noch wenig eingeführt. Kam dann der Hausknecht, der in den Gast-stätten immer „Friedrich“ gerufen wurde, und rief in die Stube „Et geiht en grot Fier ob, der Himmel es ganz rot“, dann eilte alles hinaus, und wer gerade ein gutes Spiel hatte, nahm noch die Karten mit hinaus. Nach dem Feuerschein wurde dann taxiert, welche Ortschaft in Frage komme und dann, welcher Hof. Auch Wetten wurden abgeschlossen. Wenn die Entfernungsschätzer sich geeinigt hatten, ging es wieder an den Kartentisch, sofern die Ortschaft nicht zur Hilfeleistung verpflichtet war. Jedenfalls war die Tiegenhöfer Feuerversicherung eine segensreiche Einrichtung, die sehr kulant die Brandschäden regulierte. Für die Tiegenhöfer Geschäftswelt war die Brandversammlung immer ein guter Geschäftstag. Im Jahre 1859 (?) war die letzte Überschwemmung in Tiegenhof. Bei meiner Großmutter, Marktstraße, hat das Wasser in den Stuben bis zum Fensterkopf gestanden.

Jüterbog, im November 1957
Bruno Theuring, früher Kaufmann und Hotelbesitzer, vereidigter Sachverständiger der Danziger Handelskammer
Selbständig von 1911 bis 1945 in Tiegenhof.

-----
Die Veröffentlichung des Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck. Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den Bund der Danziger, Lübeck

AHildebrandt
01.07.2021, 19:33
Meine Vorfahren mütterlicherseits waren die Familie Hamm, die eine Brauerei hatten. Wer hat hier für mich mehr Informationen?

sarpei
01.07.2021, 19:40
Hallo Alfred,

um welche Hamm soll es sich denn drehen?

25383


Viele Grüße

Peter

sarpei
01.07.2021, 19:57
... einige Informationen (auch Bilder) finden sich bzgl. Hamm im Buch 'Tiegenhof und der Kreis Großes Werder in Bildern' von Günter Jeglin.


Viele Grüße

Peter

sarpei
01.07.2021, 20:00
... etliche Karteikarten der Heimatortskartei Danzig-Westpreussen finden sich NACH Anmeldung bei familysearch.org unter

https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:3Q9M-CSRN-ZRL5?i=1168&cat=232907

(Aufnahmen 1169ff).


Viele Grüße

Peter