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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Friedrich Rohde (1895-1970)



ruedigerzim
23.06.2020, 08:40
Guten Morgen,

die Familie meiner Mutter lebte vor 1945 in Stutthof. Oder besser gesagt: In Stutthof und um Stutthof herum. Für die eigene Familiengeschichte suchte ich, auch soziales und politisches Hintergrundmaterial zu sichten und auszuwerten.

Im Zusammenhang mit diesen Recherchen stieß ich im Danziger SPD-Blatt „Danziger Volksstimme“ auf einen weiter entfernten Verwandten. Der gelernte Fischer Friedrich Rohde (1895-1970) vertrat für drei Jahre die Sozialdemokratische Partei Danzigs im Volkstag und für mehrere Jahre im Kreistag Danziger Niederung. Er stand der lokalen Stutthöfer SPD-Gruppe vor und leitete die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) an.

In den 1970er und 1980er Jahren spürte in Köln eine Forschergruppe um den späteren Professor Wilhelm Heinz Schröder dem Schicksal aller sozialdemokratischer Landtagsabgeordneten nach. Für die Zeit nach 1945 konnte die Gruppe im „Vor-Internet-Zeitalter“ für Friedrich Rohde keine relevanten Daten mehr ermitteln.

Verfeinerte Recherchemethoden brachten schon nach kurzer Zeit spannende biographische Details ans Tageslicht: Mitglied der SPD und USPD, Mitglied des Deutschen Transportarbeiter-Verbandes, Mitglied des Kieler Arbeiter- und Soldatenrates während der Novemberrevolution, Mitglied einer informellen antifaschistischen Widerstandsgruppe in Stutthof, von der sowjetischen Besatzungsmacht ernannter „Bürgermeister für die verbliebenen Deutschen“, Hauptverantwortlicher beim Aufbau der volkseigenen Fischfangflotte auf Rügen, Opfer der stalinistischen Säuberungen gegen ehemalige Sozialdemokraten, Haft und Verurteilung als Wirtschaftsverbrecher, Rehabilitierung und „Versöhnung“ mit dem System.

Friedrich Rohde lebte nach seiner Ausweisung aus Stutthof eine Biografie im östlichen Teil Deutschlands, die im Westen so nicht möglich war und von der „westlichen“ Stutthöfer Heimatliteratur aus naheliegenden Gründen so auch nicht beschrieben werden konnte. Gleichwohl gehörte diese Biografie (man könnte an dieser Stelle auch noch weitere Namen nennen) zum Kanon einer umfassenden Heimatgeschichte dazu.

Ich habe den Text zu Rohdes Leben in einem Privatdruck in kleiner Auflage dokumentiert:

Rüdiger Zimmermann: Friedrich Rohde (1895-1970). Danziger Volkstagsabgeordneter, Fischer und Sozialist. Bonn 2020, 81 S.

Freunde haben mich ermutigt, den Text im Internet zugänglich zu machen. Dazu musste aus urheberrechtlichen Gründen Bildmaterial ausgetauscht werden. MueGlue hat die Dokumentation dankenswerter Weise in seinen Internetauftritt „Momente im Werder“ integriert und mit einer freundlichen Ankündigung versehen.
http://momente-im-werder.net/01_Offen/04_Chronik/Rohde_Friedrich/Rohde_Friedrich.htm

Dafür einen herzlichen Dank

Rüdiger

waldling +6.8.2023
23.06.2020, 09:19
Guten Morgen, Rüdiger,

mein herzliches Dankeschön für die großartige Arbeit und dass du dein Buch für die Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hast. Auch dir Rainer ein großes Dankeschön für die Möglichkeit deine Plattform nutzen zu dürfen.

Herzliche Grüße
Uwe

christian65201
23.06.2020, 14:22
Hallo,
erst einmal allen Beteiligten an der Veröffentlichung vielen DANK

Zu dem Foto auf Seite 36, SPD-Fraktion im Danziger Volkstag 1928 habe ich die Frage, gibt es ein Namensverzeichnis der Abgeordneten? Ich suche den Abgeordneten Gottfried Bock auf dem Foto.

Grüße
Christian

ruedigerzim
24.06.2020, 09:21
Lieber Christian,

Deine Frage ist natürlich nur zu berechtigt. Nun habe ich nochmals meine Unterlagen durchgesehen und festgestellt, dass ich keinen Reproduktionsauftrag für eine „Bildbeschreibung“ erteilt habe. Allerdings meine ich, eine solche Auflösung der Namen gesehen zu haben.

Ich werde mir – hoffentlich nächste Woche – den kleinen Aktenbestand nochmals vorlegen lassen. Eine Genehmigung besitze ich noch. Danach melde ich mich wieder.

Allerdings: Schon beim ersten Blick auf das Bild fällt aus, dass sich nur knapp die Hälfte der Fraktionsmitglieder dem Fotografen gestellt haben.

Beste Grüße


Rüdiger

christian65201
24.06.2020, 10:13
Hallo Rüdiger,
vielen Dank. Ich habe Geduld

Grüße
Christian

ruedigerzim
09.07.2020, 19:15
Lieber Christian,
ich habe leider keine Bildunterschriften gefunden.

Beste Grüße

Rüdiger

abeckz
05.10.2020, 22:40
Lieber Rüdiger,

mit Begeisterung habe ich in deinem Buch gelesen.

Nicht ohne einen gewissen Hintergrund. Mein Opa ging beim Friedrich Rohde in die Lehre um das Handwerk des Fischers zu erlernen.
Rohdes lebten in Laschkenkampe, dort hatten sie in ihrem Haus ein Lebensmittelgeschäft, welches auch heute noch existiert, wenn auch mittlerweile
in "Einheimischer Hand". Die Dorfälteren haben sich noch an die Familie Rohde erinnert.

Friedrich Rohde hat meinen Opa ermuntert nachzudenken über die Nationalsozialisten, ob das alles so gut sein kann, wie sie behaupten.

Schön zu hören wie sein Leben nach dem Kriege weiterging.

Viele dankbare Grüße,

Andreas.

ruedigerzim
10.10.2020, 15:47
Lieber Andreas,

herzlichen Dank für Deine lobende Worte. Darüber habe ich mich aufrichtig gefreut.

In der Zwischenzeit habe ich auch Rohdes Stasi-Akte einsehen können. Die Bereitstellung hat sich quälend lange hingezogen. Das war einmal der Corona-Krise geschuldet, zum anderen wird ja jede Akte von einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin durchgesehen. In den bereitgestellten Kopien werden anschließend die Namen Unbeteiligter aus Datenschutzgründen geschwärzt. Danach ist mir erst klar geworden, warum die Behörde (wenn ich es richtig im Kopf habe) mehr als 2.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt. Die haben zu tun.

Die Akte enthält die ganzen geheimen Voruntersuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft und alle Vernehmungsprotokolle von ihm und weiteren Zeugen nach seiner Verhaftung. Ziel der polizeilichen Voruntersuchung: Friedrich Rohde eine faschistische Vergangenheit nachzuweisen, seine Spionagedienste für den Westen aufzudecken und seine „Schädlingsarbeit“ zu entlarven.

Friedrich Rohde hat es wohl nie erahnt, wie perfide in seinem Fall vorgegangen wurde. Letztlich gab er sich später als – ich nenne es mal - ethischer Sozialist mit der Lebenslüge zufrieden, ein „Agent“ habe falsche Angaben gemacht. Nur mit dieser Einschätzung konnte er seinen Frieden mit dem „realen Sozialismus“ machen und das tun, was sein Leben auszeichnete: Als guter Fischer sein Bestes geben.

Darüber hinaus bietet die Akte zwischen vielen Zeilen viele Details über das Leben des Fischer Friedrich Rohdes und auch Einiges zur politischen Situation in Stutthof. Auch zu Rohdes Rolle als Lehrlingsausbilder finden sich Hinweise.

Er selbst besaß einen Fischkutter, zwei mittlere und zwei kleinere Fischereifahrzeuge. Er hatte die Königsberger Weichsel zwischen Danziger und Frischem Haff gepachtet und bildete mehrere Lehrlinge aus. Die beiden kleineren Kutter wurden von der Wehrmacht beschlagnahmt. Bis 1941 fischte er ohne Beeinträchtigungen weiter und erhielt wohl auch von den neuen Herren eine Auszeichnung. (Was in der DDR dann gegen ihn verwandt wurde).

Als die polnische Administration nach dem Abzug der Roten Armee nachfolgte, bildete Rohde anfangs sogar polnische Lehrlinge aus, was nicht konfliktfrei war. Es wird von einer dreitägigen Bestrafung in einem Keller berichtet.

Ich will es nicht zu lange machen: Bei Kenntnis aller Details dieser hochinteressanten Quelle hätte ich in dem kleinen Rohde-Text vielleicht ein paar andere Akzente gesetzt, aber nicht die Tektonik verändert.

Im Übrigen vermute ich: Dein Opa wird meine Mutter in Stutthof gut gekannt haben.

Liebe Grüße


Rüdiger

abeckz
12.10.2020, 11:29
Lieber Rüdiger,

danke für die weiteren interessanten Zeilen!

Mein Opa ist 1927 geboren, dürfte also um 1940+ zum Friedrich in die Lehre gegangen sein. Da der Arbeitsweg zwischen dem elterlichen Wohnort Groschkenkampe und dem Ausbildungsbetrieb in Laschkenkampe stolze 5km betrug, wohnte mein Opa bei Familie Rohde im Haus. Eigentlich keine Strecke, da die Kinder immer sehr viel zu Fuß unterwegs waren. Es lässt sich nur vermuten, dass der harte Beruf keine Kräfte mehr für ausgedehnte Spaziergänge nach Hause ließ. Die Ausbildungsvergütung: freie Kost und Logis, sowie am Wochenende Fisch für die ganze Familie in Groschkenkampe. Die Ausbildung konnte mein Opa nicht zu Ende machen. Er wurde zur Kriegsmarine eingezogen und musste als Flakschütze auf einem Kriegsschiff dienen. Mit Ende des Krieges kamen er und seine Familie in den Schwarzwald und es galt seinen Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen. Die Sehnsucht nach Meer führte dann zu jährlichen Sommerurlauben an die Ostsee. Seine Heimat hat er noch zweimal in der Vorwendezeit besucht.

Bitte sage mir noch, wer deine Mutter war, dann kann ich gerne auch noch jemanden fragen. Vielleicht weiß es jemand aus meiner Familie.

Liebe Grüße,

Andreas.

Ninha
31.12.2020, 20:44
Einen wunderschönen guten Abend,

ich habe Ihr Buch „Friedrich Rohde“ mit sehr großem Interesse gelesen. Mein Uropa ist Albert Reinhold Becker (*1896). Albert Becker war der Sohn von Gottlieb Becker (* ca. 1843) und Renate Rohde (*1849). Er ist somit der Cousin von Friedrich Rohde. Selbstverständlich war Ihr Buch somit von großem Wert für mich. Herzlichen Dank für die ausführliche und spannende Darstellung seines Lebens.

Gerne möchte ich Sie fragen, ob Sie bei Ihrer Recherche an irgendeiner Stelle auf Albert Becker oder dessen Familie gestoßen sind? Ich habe gelesen, dass Friedrich Rohde einige Mitstreiter hatte und habe mich gefragt, ob auch mein Uropa dazu gehört haben könnte. Die beiden müssen in Stutthof gemeinsam groß geworden sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Kontakt standen, ist somit zumindest gegeben.

Ich würde mich über jeden Hinweis oder Lesetipp freuen.

Ich wünsche jedem Mitglied im Forum für das kommende Jahr alles erdenklich Gute, Glück und Gesundheit.

Viele Grüße
Nina