Karsten_A
25.06.2024, 18:55
Hallo zusammen,
in der 1841 erschienenen "Neue Sammlung deutscher Volklieder"
(Herausgeber Ludwig Erk; 2. Band; 1. Heft; Seite 47 (Lied Nr. 40); https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202206151009-0 (Dort "[53]-47" auswählen))
steht ein Schiffsjungenlied, dessen Text ich hier - entsprechend der Melodie umgebrochen und mit einer Apostroph-Korrektur - wiedergebe:
Schiffsjungenlied
bei'm Ablaufen eines Schiffes vom Stapel. *)
Danziger Volksdialekt.
(Nach mündlicher Mittheilung notirt.)
Be=haune Reis', Schepper Hartwig!
Meister Zielke, sien Fahrtieg
hewt enmal ee=ne Reis' gedahn
ah=ne Mast on ah=ne Fahn,
ah=ne Seil on ah=ne Stier:
hewt de Diewel so'n Schepp gesehn?
Hur=rah! Hur=rah!
(Immer dasselbe wiederholt, am Schlusse mit Sturmlaufen auf dem Schiff.)
Behaune Reis' = glückliche Reise, - das Holländ. behoud, Erhaltung
Schepper = Schiffer
sien Fahrtig = sein Fahrzeug
hewt = hat
ahne = ohne
Stier = Steuer
Diewel = Teufel
so'n Schepp = so ein Schiff
*) D. h. eines leeren Schiffsrumpfes.
Es findet sich auch ein eindrucksvoller Text zu einem Danziger Stapellauf im in Stuttgart und Tübingen erschienenen "Morgenblatt für gebildete Stände" im Fortsetzungsartikel "Fragmente über Danzig und seine Umgebungen"
(21.1.1814 (Nro. 18); Seiten 70-71; https://digipress.digitale-sammlungen.de/view/bsb10531669_00077_u001/2). In diesem Artikel wird das obige Lied ebenfalls erwähnt.
Der erste dieser 4 Artikel (vom 17.1.184 (Nro. 14)) enthält übrigens die Bemerkung "im Jahre 1811 verfasst", was wohl auch für den genannten Stapellauf-Artikel gelten dürfte.
4. Ein Schiff läuft vom Stapel.
Der hölzerne Palast, an welchem ein ganzes Völkchen seit Monaten gehackt, gesägt, gefeilt, gepocht und gehämmert hat, ist endlich fertig. Der Tag ist da, wo es zum ersten Mal hinabrollen soll in das feindliche Element. Alles ist wohl verstopft, verpicht und getheert. Noch ruht das Haus auf schräger Unterlage, noch wimmelt der Arbeiter Ameisenhaufen darunter. Die mannsdicken Träger werden einer nach dem andern abgesägt, furchtlos arbeitet das Volk unter dem Gebäude fort, das Alle zermalmen würde, wenn es umschlüge. Leichte Stützen zu beyden Seiten des Schiffes sichern vor dem Umsturz, und ein einziger Balken, als Strebepfeiler gegen des Schiffes Vordertheil auf eine sichere Grundlage gestellt, hindert das Ablaufen. Oben auf dem Decke wehen an beyden Enden von hohen Stangen brennend rothe Flaggen mit dem Wappen der Stadt. Von einer Stange zur andern, hoch durch die Lüfte, ist ein Seil gespannt, an welchem Gold und Myrthen eines bräutlichen Kranzes flattern. Denn das Schiff heißt Annette, der Kranz ist der Jungfrau geweiht, nach welcher es benannt ist. Auf dem Decke harrt eine Schaar wilder Gassenbuben des Augenblicks, wo der Palast in die Wogen schießen wird. Sie singen einen seltsamen Reim, unverständlich dem Fremden. *)
*): Einer derselben hieß:
Behave Reese, Schepper Hartwig,
Meester Grot sin Fahrtüg!
Hat emal enne Reese tahn
Ohne Mast und ohne Fahn,
Ohne Siel un ohne Sti'z:
Hat de Divel so'n Schepp sieh'n?
Hurrah!
Ein anderer:
Mer singen nich, Mer springen nich,
Mer wolln Beer han!
Jetzt sind alle Stützen weggeschlagen, der Breterboden ist mit Seife geglättet, um den Lauf zu beschleunigen. Nur der letzte, einzige Strebepfeiler steht noch. Man schlingt ein Seil darum, um, wenn er zerhauen seyn wird, ein Stück auf das Schiff herauf, das andre unter ihm wegzuziehen, damit nichts hindere. Harrend steht das Volk zu beyden Seiten, an beyden Ufern, auf den nächsten Schiffen. Mit klopfendem Herzen sieht der Eigner, sieht der Baumeister, sieht alles Volk die beyden Zimmerleute nahen, die den letzten Strebepfeiler durchhauen sollen. Jetzt hallen die Schläge ihrer Aexte durch die gespannte Stille. Jetzt ein Hieb, und wieder einer, und nun der letzte, der Balken bricht, die Männer stürzen rechts und links fort, und mit Einem Male rollt das ungeheure Haus, erst ganz sanft, bald mit gewaltiger Kraft von der Unterlage ab. Balken brechen, Menschen jubeln, mit majestätischem Rauschen senkt sich das Gebäude, wie ein großes Unthier, in die Flut, und Hurrah! Hurrah! tönts von oben mit geschwenkten Hüten, tönts von Ufer und Schiffen. Die Wuth zweyer Elemente entbrennt: hinter dem Schiffe her rauchen und dampfen Breter und Balken, vor ihm her schwillt schneeweiser Schaum der brausendzornigen Flut. Bis in das nahe jenseitige Gestade stürzt das Gebäude mit unaufhaltsamer Wuth: ein dorthin gelegtes Floß von vier Baumstämmen, das seinen Ungestüm aufhalten soll, wird Stäbchen gleich geknickt, es wühlt noch eine Strecke schäumend und dampfend in's Ufer hinein, die erschrocknen Wellen jagen ellenhoch vor ihm her auf's Land, und die nächsten Schiffe rühren sich gelinde mit der ihnen eignen Majestät, als wie zum Gruße des neuen Ankömmlings.
Dippold.
Bei dem Autor dürfte sich um Hans Karl Dippold (26.3.1783 (Grimma) - 30.9.1811 (Danzig)) handeln, der erst 1810 nach Danzig kam und bereits 1811 verstarb.
Hier findet sich ein kurzer Lebenslauf: https://schleiermacher-digital.de/register/personen/detail.xql?id=S0001659 (Den Text kann man ausklappen indem man auf seinen Namen klickt)
und hier ist der dort erwähnte Nachruf im "Intelligenzblatt der Jenaischen Allgem. Literatur-Zeitung" (Numero 82 vom 14.12.1811; Seite 1-2): https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpvolume_00146470
Karsten
- - - Aktualisiert - - -
"Neue Sammlung deutscher Volkslieder" (da fehlte ein "s")
in der 1841 erschienenen "Neue Sammlung deutscher Volklieder"
(Herausgeber Ludwig Erk; 2. Band; 1. Heft; Seite 47 (Lied Nr. 40); https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202206151009-0 (Dort "[53]-47" auswählen))
steht ein Schiffsjungenlied, dessen Text ich hier - entsprechend der Melodie umgebrochen und mit einer Apostroph-Korrektur - wiedergebe:
Schiffsjungenlied
bei'm Ablaufen eines Schiffes vom Stapel. *)
Danziger Volksdialekt.
(Nach mündlicher Mittheilung notirt.)
Be=haune Reis', Schepper Hartwig!
Meister Zielke, sien Fahrtieg
hewt enmal ee=ne Reis' gedahn
ah=ne Mast on ah=ne Fahn,
ah=ne Seil on ah=ne Stier:
hewt de Diewel so'n Schepp gesehn?
Hur=rah! Hur=rah!
(Immer dasselbe wiederholt, am Schlusse mit Sturmlaufen auf dem Schiff.)
Behaune Reis' = glückliche Reise, - das Holländ. behoud, Erhaltung
Schepper = Schiffer
sien Fahrtig = sein Fahrzeug
hewt = hat
ahne = ohne
Stier = Steuer
Diewel = Teufel
so'n Schepp = so ein Schiff
*) D. h. eines leeren Schiffsrumpfes.
Es findet sich auch ein eindrucksvoller Text zu einem Danziger Stapellauf im in Stuttgart und Tübingen erschienenen "Morgenblatt für gebildete Stände" im Fortsetzungsartikel "Fragmente über Danzig und seine Umgebungen"
(21.1.1814 (Nro. 18); Seiten 70-71; https://digipress.digitale-sammlungen.de/view/bsb10531669_00077_u001/2). In diesem Artikel wird das obige Lied ebenfalls erwähnt.
Der erste dieser 4 Artikel (vom 17.1.184 (Nro. 14)) enthält übrigens die Bemerkung "im Jahre 1811 verfasst", was wohl auch für den genannten Stapellauf-Artikel gelten dürfte.
4. Ein Schiff läuft vom Stapel.
Der hölzerne Palast, an welchem ein ganzes Völkchen seit Monaten gehackt, gesägt, gefeilt, gepocht und gehämmert hat, ist endlich fertig. Der Tag ist da, wo es zum ersten Mal hinabrollen soll in das feindliche Element. Alles ist wohl verstopft, verpicht und getheert. Noch ruht das Haus auf schräger Unterlage, noch wimmelt der Arbeiter Ameisenhaufen darunter. Die mannsdicken Träger werden einer nach dem andern abgesägt, furchtlos arbeitet das Volk unter dem Gebäude fort, das Alle zermalmen würde, wenn es umschlüge. Leichte Stützen zu beyden Seiten des Schiffes sichern vor dem Umsturz, und ein einziger Balken, als Strebepfeiler gegen des Schiffes Vordertheil auf eine sichere Grundlage gestellt, hindert das Ablaufen. Oben auf dem Decke wehen an beyden Enden von hohen Stangen brennend rothe Flaggen mit dem Wappen der Stadt. Von einer Stange zur andern, hoch durch die Lüfte, ist ein Seil gespannt, an welchem Gold und Myrthen eines bräutlichen Kranzes flattern. Denn das Schiff heißt Annette, der Kranz ist der Jungfrau geweiht, nach welcher es benannt ist. Auf dem Decke harrt eine Schaar wilder Gassenbuben des Augenblicks, wo der Palast in die Wogen schießen wird. Sie singen einen seltsamen Reim, unverständlich dem Fremden. *)
*): Einer derselben hieß:
Behave Reese, Schepper Hartwig,
Meester Grot sin Fahrtüg!
Hat emal enne Reese tahn
Ohne Mast und ohne Fahn,
Ohne Siel un ohne Sti'z:
Hat de Divel so'n Schepp sieh'n?
Hurrah!
Ein anderer:
Mer singen nich, Mer springen nich,
Mer wolln Beer han!
Jetzt sind alle Stützen weggeschlagen, der Breterboden ist mit Seife geglättet, um den Lauf zu beschleunigen. Nur der letzte, einzige Strebepfeiler steht noch. Man schlingt ein Seil darum, um, wenn er zerhauen seyn wird, ein Stück auf das Schiff herauf, das andre unter ihm wegzuziehen, damit nichts hindere. Harrend steht das Volk zu beyden Seiten, an beyden Ufern, auf den nächsten Schiffen. Mit klopfendem Herzen sieht der Eigner, sieht der Baumeister, sieht alles Volk die beyden Zimmerleute nahen, die den letzten Strebepfeiler durchhauen sollen. Jetzt hallen die Schläge ihrer Aexte durch die gespannte Stille. Jetzt ein Hieb, und wieder einer, und nun der letzte, der Balken bricht, die Männer stürzen rechts und links fort, und mit Einem Male rollt das ungeheure Haus, erst ganz sanft, bald mit gewaltiger Kraft von der Unterlage ab. Balken brechen, Menschen jubeln, mit majestätischem Rauschen senkt sich das Gebäude, wie ein großes Unthier, in die Flut, und Hurrah! Hurrah! tönts von oben mit geschwenkten Hüten, tönts von Ufer und Schiffen. Die Wuth zweyer Elemente entbrennt: hinter dem Schiffe her rauchen und dampfen Breter und Balken, vor ihm her schwillt schneeweiser Schaum der brausendzornigen Flut. Bis in das nahe jenseitige Gestade stürzt das Gebäude mit unaufhaltsamer Wuth: ein dorthin gelegtes Floß von vier Baumstämmen, das seinen Ungestüm aufhalten soll, wird Stäbchen gleich geknickt, es wühlt noch eine Strecke schäumend und dampfend in's Ufer hinein, die erschrocknen Wellen jagen ellenhoch vor ihm her auf's Land, und die nächsten Schiffe rühren sich gelinde mit der ihnen eignen Majestät, als wie zum Gruße des neuen Ankömmlings.
Dippold.
Bei dem Autor dürfte sich um Hans Karl Dippold (26.3.1783 (Grimma) - 30.9.1811 (Danzig)) handeln, der erst 1810 nach Danzig kam und bereits 1811 verstarb.
Hier findet sich ein kurzer Lebenslauf: https://schleiermacher-digital.de/register/personen/detail.xql?id=S0001659 (Den Text kann man ausklappen indem man auf seinen Namen klickt)
und hier ist der dort erwähnte Nachruf im "Intelligenzblatt der Jenaischen Allgem. Literatur-Zeitung" (Numero 82 vom 14.12.1811; Seite 1-2): https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpvolume_00146470
Karsten
- - - Aktualisiert - - -
"Neue Sammlung deutscher Volkslieder" (da fehlte ein "s")