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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Museumsführer in der Gedenkstätte und Museum KZ Stutthof



Wolfgang
12.01.2024, 22:50
Einen schönen guten Tag,

Museumsführer in Stutthof? Welches Museum? Fragen die mir nicht nur ein Mal gestellt wurden seitdem ich lizensierter Museumsführer in Stutthof bin. Im früheren deutschen Konzentrationslager das seit 1962 ein staatliches Museum ist.

Dieses frühere deutsche Konzentrationslager war das erste in KZ das außerhalb der deutschen Vorkriegsgrenzen errichtet wurde. Danzig gehörte nicht zum Deutschen Reich, wurde aber nach der Eingliederung ins Reich nach Kriegsbeginn eiligst am 02.09.1939 mit 150 Häftlingen "in Betrieb" genommen. Es waren zumeist polnische Handwerker die die ersten Baracken auf einer Fläche von rund 8.000 Quadratmetern errichten sollten. Später sollte das Gebiet des Konzentrationslager eine Fläche von 1,2 Quadratkilometern einnehmen.

Anfang des letzten Jahres las ich auf Facebook eine Information, man könne sich als angehender Museumsführer bewerben. Für eine Lizensierung sei die Teilnahme an einem Seminar und erfolgreich abgelegte schriftliche und praktische Prüfungen erforderlich. Seminar und schriftliche Prüfung sollten in polnischer Sprache, die praktische Prüfung könnte jedoch in der Sprache erfolgen in der man die Museumsführungen durchführen wolle.

Ich hatte mich näher informiert, lange auch mit dem Museum korrespondiert, meine Frau leistete intensive Überzeugungsarbeit bevor ich mich dann entschloss, den Schritt zu wagen. Denn meine Polnisch-Kenntnisse sind nach wie vor noch -diplomatisch ausgedrückt- sehr ausbaufähig.

Gut, auch früher besuchte ich schon das ehemalige KZ mit Verwandten, Freunden, Bekannten, "führte" sie dort auch durch die Stätten. Nach dem Lehrgang war nun aber, nicht nur didaktisch sondern auch wissensmäßig, eine ganz andere Basis vorhanden.

Mittlerweile durfte ich viele Gruppen und Einzelpersonen durch das Museum führen. Wenn ich über die ersten Opfer spreche, über die Vernichtungsaktionen gegenüber der polnischen Oberschicht, gegenüber herausragenden polnischen Persönlichkeiten, gegenüber der polnisch-katholischen Priesterschaft, dann habe ich den Eindruck, dass ich oft über viel Unbekanntes spreche. Ich merke das am interessierten Zuhören, im Dialog, beim Nachfragen, Nachhaken. Mir wurde einmal von einem Besucher gesagt, wenn er solche Informationen früher gelesen oder gehört habe, dann habe er das großenteils als Propaganda abgetan. Er habe nun auch mit einer gewissen Skepsis diese Führung gebucht, aber er sei froh, dass ich sein Museumsführer gewesen sei.

Nun ja, bedingt durch meine eigene Schulzeit und durch die meiner Kinder, weiß ich in Großem und Ganzen was in (West-) Deutschland gelehrt wurde und was nicht. Und somit kann ich auch auf in Deutschland häufig unbekannte Fakten etwas anders eingehen als mancher polnische Führer, der sich kaum so manche Wissenslücke bei manchem Museumsbesucher erklären kann. Mir kommt aber auch noch zu Gute, dass ich in gewissem Sinne "vorbelastet" bin. In Dachau geboren, dort wo das erste KZ des Deutschen Reiches entstand, das dann nach dem Krieg zum Flüchtlinglager umfunktioniert wurde. Dort, im KZ, bin ich zwar nicht geboren, aber die meisten meiner direkten Verwandten, waren dort als unerwünschte Flüchtlinge untergebracht. Später, als Kind, "spielte" ich auf dem Gelände des ehemaligen KZ ohne dass mich irgend jemand dafür sensibilisiert hatte was dort geschehen war, auch nicht von der Verwandtschaft. Das Krematorium verursachte zwar ein gewisses Schaudern, wir wussten, dass dort Tote verbrannt wurden, aber wer sprach von den unsagbaren dort begangenen Verbrechen?

Viele Jahre später, ich lebte schon im württembergischen Freudental, schloss ich mich einer Initiativgruppe an um die älteste noch erhaltene Synagoge Württembergs vor dem Abriss zu retten. Unsere Initiative, in der ich mich aktiv einbrachte, war erfolgreich. Das Synagogengebäude wurde gerettet, die Nutzung ist auf Dauer gesichert (siehe PKC Freudental (https://pkc-freudental.de/)). Im Laufe der Jahre entstanden enge Beziehungen zum israelischen Ober-Galiläa, ich war dort, in den Kibbuzim, fand Freunde. Besuchte mit ihnen bei einem Gegenbesuch auch die Gedenkstätte Dachau.

Mein ganzes bisheriges Leben wurde mitgeprägt durch das was meine Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten erlebten und mir mitteilten. Und durch das was ich sah, was ich empfand, in Dachau, in Freudental, in Israel, in Danzig, in Stutthof.

In bin in der Heimat meiner Eltern angekommen. Vor Jahren schon. Hier habe ich meine Wurzeln, fühle sie, weiß, dass ich sie hier habe. In Deutschland lebte ich gut, arbeitete ich gut, aber dieses Verbundenheitsgefühl zu einem Stückchen Erde, manche mögen das als Heimatgefühl bezeichnen, das habe ich nur hier.

Stutthof. Museum Stutthof. Früheres deutsches KZ Stutthof in Sztutowo. Mitunter werde ich gefragt, warum man denn noch darüber spreche, es sei doch alles schon vor Langem geschehen und heute nicht mehr von Interesse. Aber wir leben wieder in einer Zeit, in der Geschehenes immer wieder abgestritten, geleugnet, relativiert wird. In einer Zeit in der sich offensichtlich wenig Protest erhebt, wenn ein deutscher Politiker von "wohltemperierten Grausamkeiten" gegenüber unerwünschten Nicht-Deutschstämmigen sprechen kann. Hatten wir das nicht schon einmal?

Das KZ Stutthof war geplant und eingerichtet um die polnische Oberschicht, um alle Polen die irgendeinen Einfluss ausüben können zu vernichten, zu ermorden, um polnische Patrioten zu zerbrechen, sie zu Arbeitssklaven zu machen. Aber es waren nicht nur Polen, selbst am Anfang nicht, es waren auch Juden, Danziger Oppositionelle, Andersdenkende. Später, ab Januar 1942, nach einem Besuch Himmlers, wurde es auch offiziell zu einem deutschen Konzentrationslager und dramatisch erweitert.

Stutthof wurde zu einem "Vernichtungslager". Rund 110.000 Menschen wurden hier eingeliefert. 65.000 von ihnen starben. In Stutthof, in den Außenlagern, während der Evakuierungs-Todesmärsche. Die einzige Schuld der meisten Opfer war, dass sie Polen, Priester, Juden, Sinti, Zeugen Jehovas, sowjetische Kriegsgefangene, sexuell Andersorientierte waren oder schlichtweg nur dem Nazi-Regime bzw. dem Nationalsozialismus kritisch oder feindlich gegenüber standen. Sie haben uns ein Erbe hinterlassen: Erinnerung, Mahnung, die Pflicht wachsam zu sein.

Wer eine Führung (deutsch oder englisch) durch das Museum machen möchte, kann sich gerne an mich oder den Besucherinformations-Service (sekretariat@stutthof.org) oder die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit (rzecznik@stutthof.org) wenden.

Schöne Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Wolfgang
14.09.2024, 23:17
Schönen guten Abend,

ich wurde in der letzten Zeit mehrfach per Mail und PN gefragt, ob ich denn tatsächlich Museumsführer im ehemaligen KZ Stutthof bin. Sorry, wenn ich nicht immer antwortete oder auch nicht auf alle Fragen einging, vor allen Dingen dann, wenn es mehrere waren oder wenn eingehendere Antworten erwartet wurden.

Das Museum bot Anfang letzten Jahres Schulungen zum Museumsführer an. Aus geschichtlichem Interesse meldete ich mich an. Dabei wurde mir gleich gesagt, dass die Schulungstage in polnischer Sprache abgehalten würden. Ich hatte schon früher mal Verwandte, Freunde und Bekannte durch das Museum geführt, aber da konnte ich nicht auf alle Fragen eingehen. Tja, und da dachte ich, intensiv unterstützt von meiner Frau, ich sollte an den Schulungstagen teilnehmen.

Kurzum, da kam einiges auf mich zu, nicht alles verstand ich, aber Namen, Orte, Daten, alles Wesentliche habe ich mitbekommen. Die Referenten, alles hochkarätige Historiker/innen und Mitarbeiter/innen des Museums, präsentierten die Geschichte auf hervorragende Art und Weise. Die Prüfung, schriftlich in polnisch, praktisch in einer Führung in deutsch, verlief prima. Und dann ging das Lernen erst richtig los. Ansprechpartner waren zu jeder Zeit die Museumsmitarbeiter/innen.

Danach erhielt ich einen Vertrag als lizensierter Museumsführer. Das war für mich ein Vertrauensbeweis, denn ich bin hier bisher der einzige Deutsche. Und es ist eine Verpflichtung. Aber nicht nur das, ich bin auch ein wenig in die Museumsarbeit eingebunden. In Übersetzungsarbeiten, beim Redigieren deutscher Texte, in Workshops zur Verwirklichung eines barrierefreien Museum (in Stutthof und Ravensbrück).

Wenn ich zurückblicke, dann überlege ich, was ich bei der Kursanmeldung erwartete und was danach auf mich zukam. Eigentlich dachte ich nicht groß daran, als Museumsführer eingesetzt zu werden, mir war es anfangs wichtig, mehr über die Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers zu erfahren. Aber dann, bereits nach den ersten Führungen, erkannte ich, welche Aufgabe das ist. Und auch da muss ich wieder sagen: Es ist auch Verpflichtung!

Ich habe immer wieder Schulklassen aus Deutschland. Das ist das Spannendste, das Interessanteste. Und ich sage noch einmal, es ist Aufgabe, es ist Verpflichtung aufzuzeigen, wohin Populismus, wohin Intoleranz, wohin das Aufzeigen eines Anderssein, wohin das Aufbauen von Feindbildern führen. Aber es sind auch Reisegruppen, Familien, Ehepaare, Einzelpersonen. Es ist niemals Standard, es ist jedes Mal etwas Neues. Denn es ist ja nicht nur ein reiner Monolog, ein Runterrasseln der Fakten, es ist ein Eingehen auf die Gruppen, auf jeden Einzelnen, es ist zu berücksichtigen woher die Besucher kommen, wer sie sind, was sie erwarten. Es ist immer ein Dialog, eine Interaktion.

Ich hatte bisher Besucher aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Polen, Litauen, Dänemark, Norwegen, Schweden und den USA (Michigan, Texas und in Polen stationierte US-Streitkräfte). Es waren unter ihnen Christen, Juden, Mennoniten.

Jedes Mal bin ich tief beeindruckt, häufig auch emotional sehr berührt. An so einem Ort kann man nicht einfach durchlaufen und sagen was war, da ist man als Führer mit Herz und Blut und Gefühlen voll dabei.

Schöne Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Sovia
15.09.2024, 13:28
Hallo Wolfgang,

vielen Dank für deine Erläuterungen.

Du bist bescheiden, wenn du sagst, du seist „Museumsführer“, wenn auch mit Verantwortung.
Du bist so viel mehr! Du bist gelebte Verständigung, lebende Erfahrung und anderen ein zugewandter Mensch. Und Stutthof ist so viel mehr als ein „Museum“. Ich bin mir sicher, dass dies deine Zuhörerinnen und Zuhörer in Deinen Führungen erfahren und nachvollziehen können. Ich erhoffe mir, dass du diese Aufgabe noch lange erfüllen kannst, zu deiner und aller anderen Freude und Verantwortung.

Viele Grüße
Sonja