Belcanto
19.11.2024, 11:08
Ich möchte gerne ein anderes Thema anschneiden. Einige von Euch leben ja wieder in Danzig oder im Werder. Ich wollte nach euren Gefühlen fragen. Fühlt ihr euch in Danzig, wie in der damaligen Heimat. Ist Danzig wieder Heimat für euch. Ist es für euch nicht befremdlich, in einer nun polnischen Stadt zu leben. Ich wüsste gern, was ihr empfindet. Ist alles so wie früher? Was fehlt?
Helga Zeidler
19.11.2024, 16:05
Das geht mir auch oft durch den Kopf. Bei meinen Zoppotbesuchen fand ich einiges Bekanntes wieder, aber es fehlte die Sprache aus der Kindheit. Ein Heimatgefühl habe ich jetzt eher in Norddeutschland, wo ich nach der Flucht von 1945 bis 1956 lebte und zur Schule ging. Diese Jahre waren offenbar sehr prägend und der norddeutsche Klang zieht mich immer an. Trotzdem bleibe ich natürlich der "alten Heimat" sehr verbunden.
Wolfgang
19.11.2024, 19:53
Schönen guten Abend,
als ich Joachims Frage las, fühlte ich mich sofort angesprochen. Aber, mein Gott, was soll ich sagen? Es ist kaum möglich, all das, was mir in den letzten zwei, drei Jahrzehnten durch den Kopf ging, was immense Auswirkungen auf meine Familie hatte, in wenigen Worten hier darzustellen. Vielleicht werde ich, irgendwann, ein eigenes Thema dazu aufmachen.
Aber Joachims Frage war ja auch: "Fühlt ihr euch in Danzig wie in der damaligen Heimat? Ist Danzig wieder Heimat für euch?" Wenn ich diese Frage beantworten soll, dann kann ich das eigentlich nur im Namen meiner Eltern tun. Mein Vater, der vor genau 20 Jahren starb, hoffte in Danzig seine alte Heimat wiederzufinden. Es kam nicht mehr dazu. Mehrere schwere Erkrankungen, Krebs, Schlaganfall, führten dazu, dass er seine Träume nicht mehr näher verfolgen konnte.
Gut, meine Mutter, die ich vor rund 15 Jahren fragte, ob sie mit mir in ihre alte Heimat ziehen wolle, sagte sofort zu. Ihr gingen zwei Gedanken durch den Kopf. Sie war seinerzeit schon krank und ziemlich kümmerungsbedürftig. Sie hatte das Gefühl, dass ich, wenn ich in ihre Alte Heimat zöge, keine Zeit mehr hätte, mich um sie zu kümmern. Damit hatte sie natürlich recht. Ich hatte zwar zwei Geschwister. Beide hatten niemals das Gefühl erkennen lassen, dass sie daran interessiert sind, sich um ihre Mutter zu kümmern oder sie sogar zu pflegen. Damit stand für meine Mutter schon fast fest, dass sie mit mir kommt. Aber, natürlich wollte sie auch in ihre Alte Heimat zurückkommen. Vor 13 Jahren war es soweit. 82-jährig, verkaufte sie ihr kleines Häuschen, und zog zu mir in eine kleine Einliegerwohnung in einem neu in altem Stil gebauten Vorlaubenhaus. Um es kurz zu machen: sie hoffte mit ihrem Umzug in die Alte Heimat auch ihre Alte Heimat wiederzufinden. Dies war nicht der Fall. Sie sagte fast wörtlich: "Ich kam in meine Alte Heimat und fand sie nicht wieder. Es ist auch nicht meine neue Heimat, aber es ist mein neues Zuhause". Natürlich, wenn man so viele Jahre Tür an Tür nebeneinander lebt, spricht man über viele Dinge. Ich kann nachempfinden, was ihr durch den Kopf ging, was sie beschäftigte, was sie sich erhoffte, was sie nicht fand. Aber ich weiß auch, dass sie hier, auch wenn es manche Probleme gab, vor allem, was die ärztliche Versorgung betraf, 13 Jahre lang ziemlich glücklich war. Bis vor ihrem Schlaganfall vor sechs Jahren war sie noch ziemlich selbstständig. Sie arbeitete im Garten, sie pflegte ihre Rosen, sie schaute, dass ihre Sauerkirschen gut gedeihen, sie war sehr aktiv. Aber als sie vor sechseinhalb Jahren einen Schlaganfall erlitt, änderte sich ihr Leben komplett. Und natürlich auch meins und auch das meiner Frau. Im Dezember letzten Jahres starb sie 94-jährig. Ihre letzte Ruhe fand sie in Heimaterde. Das war ihr wichtig. Und das war auch vor 20 Jahren meinem Vater wichtig, als er auf See seine letzte Ruhestätte fand.
Was mich betrifft, ich kann das für mich nicht so kurz erklären. Das ist eine lange, lange Geschichte. Was ich aber weiß, ist, dass ich hier meine Wurzeln habe. In mir ist das tiefe Gefühl, dort angekommen zu sein, wo ich immer sein wollte. Aber wie gesagt, ich werde darüber irgendwann einmal mehr darüber schreiben.
Schöne Grüße aus dem Danziger Werder
Wolfgang
Belcanto
20.11.2024, 10:21
Hallo Helga, vielen Dank für deine Worte. Bei uns war es ähnlich. Wir wurden 1945 in Otterndorf an der Niederelbe zwangseingewiesen. Dort lebte ich bis 1955 und hatte eine wunderbare Kinderzeit.
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