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Gerhard Jeske
22.11.2024, 20:25
Seit 1944/ 45 ist Schnee ein Leichentuch,besonders wenn ein Arm oder Bein herausragte

Belcanto
23.11.2024, 10:43
Ich habe auch mal die Metapher Leichentuch verwendet, aber zum Schluss war alles rot-vom Blut.

Gerhard Jeske
25.11.2024, 22:58
Ferhard Jeske @ 22547 Hamburg
Schlittschulaufen .Sterben im Winter in Großwalddorf.-Danzig

Schlittschuhlaufen, tag-täglich, kaum dass der Schultornister zu Hause in die Ecke flog, gleich nachdem die Pellkartoffeln mit dem sauren Hering aufgegessen waren, schnappte sich Gerhard die Schleifchen, also die Schlittschuhe, nudelte sie unter die Schuhe, stolperte, nach hinten durch den Garten, zur Pforte, und sprang über den Graben auf die glatte Umgehungsstraße. Dort glitschte er bis zum Schilfteich. Auf dem Eis überlegte er, ob er nicht hier ein paar Runden drehen wollte, gab sich einen Ruck, glitt bis zum Wall und stakte sich nach oben, indem er die Spitzen der Schleifchen in die harte Schneedecke drückte
Da lag sie vor ihm, die weiße Fläche, das schneebedeckte Eis auf dem Mottlau Umfluter. Von der Steinschleuse bis zur Kleinbahnbrücke konnten die Schlittschuhläufer gut zwei Kilometer über das Eis gleiten. Hier wollte er nicht bleiben. Der Schnee bremste das Tempo. Zur Hühnerbergbrücke wollte er hin, von dort bis zum Bootverleih glitten die Bowkes (Jungen) vom Stadtrand. bewaffnet mit Schneeschaufeln hin und her und schoben den Schnee zum Ufer. So entstand eine glatte Eisbahn.
Von den Bastionen rodelten Mädchen und Jungen hinunter bis sie über die Eisfläche weiterrutschten. . Das ging nicht ohne Getöse vor sich. Manch Bengel versuchte die Mädchen zu rammen, die Mädchen kreischten und warfen ihnen Eisklumpen hinterher. Mit Schlittschuhen, die Bastionen herunterzugleiten, war eine Mutprobe wert. Gerhard stieg den Bastion-Hügel hoch und sauste hinab, die Fäuste geballt, die Arme hin und her schlenkernd, um das Gleichgewicht zu halten.
Aber dann, dann begannen die Füße zu schmerzen, es fühlte sich so an, wie wenn der Pauker mit dem Rohrstock über die Fingerspitzen schlug. Kein Wunder, die Kälte von 12 Grad minus hielten die dünnen Rindslederschuhe nicht von der Haut ab. Das Wintervergnügen wurde jeden Tag mit diesem schmerzhaften Einstand erkauft.
Nach 15 Uhr zogen graue Wolken über den blauen Himmel. Dazwischen funkelten einige Sterne und auf der Eisfläche glimmt hier und dort ein Licht auf. Je dunkler es wurde, umso mehr zogen diese Feuer Punkte ihre Kreise. Es waren angezündete Schilfkolben in den Händen der Schlittschuhläufer. Kreuz und quer, in Kreisen, mal aufglühend, wenn der Wind sie anblies, verwandelten sie den dunklen Abend in eine Märchen Arena. Gerhard hatte Papier fest zusammengerollt, es vorne angezündet. Mit diesem glimmenden Papier-Stängel in der Hand zog er seine Bahnen über die geisterhafte dunkle Eisbahn.
Zu Hause wartete die Mutter mit dem Abendbrot. Es wurde Zeit heimzukehren. Unter der vierzig Meter langen Holzbrücke fuhr er langsamer. Um die Pfähle vor dem Druck des Eises zu schützen, war das Eis um sie herum entfernt worden. Wer stürzte konnte in das Wasserloch hineinrutschen. Also Vorsicht!
Langsam, fast alleine, glitt Gerhard am Ufer bis zum nächsten Eck der Bastion hin. Dort stapfte er wieder durch den Schnee den Wall hinauf, überquerte den Teich und endlich öffnete er die Tür und trat in die warme Küche ein. Schon als er die Schlittschuhe ab nudelte, taute der Schnee, eine Pfütze blieb übrig, dieses Vergnügen war damit hinweg geschmolzen..
Als er am nächsten Tag von der Schule nach Hause kam, es war gegen zwölf Uhr, zog sich seine Mutter dem Mantel an, und sagte. „Du kannst gleich mitkommen. Wir besuchen Frau ? im Tulpenweg. Gerhard trank schnell den Muckefuck (Malzkaffee) aus, setzte seine Schiemütze auf. Draußen zog er die Ohrenklappen herunter. „Friert Dein Kopf nicht” fragte er. „ Wieso, ich habe ein dickes Fell auf den Schädel” Dabei schüttelte sie kräftig ihre braunen Haare. An der Ecke Dahlienweg bogen sie rechts in den Tulpenweg ein. Am Ende sahen sie ein Eingangstor zur Kolonie Sonnenland. Auf der rechten Seite, neben dem Tor lag der Garten mit der Wohnlaube ihrer Nachbarin.
Schnee bedeckte die Äste der Obstbäume, nur eine Fußspur führte zur Tür. Kein Rauch stieg aus dem Schornstein empor.
An der Tür angekommen, nahm Mutter Jeske den Schlüssel aus ihrer Manteltasche und schloß auf. Zuerst traten sie in einen kleine Flur. An Der Wand hing eine Schürze, ein Mantel und eine alte Pelsjacke; in einem Regal standen ein Paar Damenschuhe. Mutter Jeske öffnete die Wohnungstür. Gerhard sah in ein großes Wohnzimmer hinein. In der Mitte, wie üblich, stand der Eßtisch und vier Stühle an den Seiten. Ein langer Spiegel hing an der Wand, gegenüber. Erst als er ins Zimmer trat sah er links das Bett stehen. Die Nachbarin lag regungslos unter dem Federbett und schaute ihn neugierig an. „ Ist das der Jüngste” fragte sie. Nein, der Zweitälteste” antwortete Mutter Jeske.” Ich sah gestern Ihren Sohn auf dem Foto dort auf dem Vertiko. Ist er bei der Wehrmacht?” Die Frau richtete sich etwas auf, sie wollte antworten, aber es klang eher wie wenn sie stöhnte.
Dann erzählte sie, dass ihr Sohn bei der Handelmarine war, aber weit weg, vor Australien,Von dort hatte sie die letzte Postkarte 1938 erhalten. Seitdem weiß sie nicht mehr, wo er lebt. ”
„ Haben Sie keine Verwandten in Danzig” „ Nein”, antwortete die Frau, Wir sind nach dem Krieg 1929 aus Polen hierher gezogen. Mein Mann verunglückte und so bin ich alleine zurückgeblieben.
Gerhard schaute jetzt die Frau neugierig an. Ihr Gesicht war schmal,aber ohne Farbe, wie blutleer. Das Haar grau, die Finger abgemagert, er merkte, dass die Frau traurig war und einsam.
„ Nun essen Sie erstmal die Milchsuppe auf. Ich mache inzwischen den Ofen an.” Da regte sich die Frau auf. „ Nein nein! Machen sie kein Feuer im Ofen, unter den Federn friere ich.nicht”
Die Suppe hatte sie gegessen, kein Feuer wurde angemacht. Sie verabschiedeten sich und gingen nach Hause.
Am Sonnabend kam der Vater nach Hause, er hatte für einen Tag Dienstfrei bekommen. Während des Mittagtessen regte er sich auf.” Die Frau müßte in ein Heim, sie kann sich nicht alleine helfen. Wo bleibt die Sozialarbeiterin?” Mutter Jeske lachte ironisch auf.” Ins Heim, die sind mit Verwundeten überbelegt. Außerdem ist die Frau nicht krank, sie hat keinen Lebenswillen mehr. Das ist es” Jetzt mischte sich Gerhard ein:” Wenn wir jetzt bei ihr im Ofen Feuer machen, in einer Stunde ist das Holz verbrannt und das Zimmer wieder kalt geworden. Im Radio sagte der Sprecher, dass das Thermometer heute nachts auf 18 Grad Minus sinken wird.” Den Vorschlag, die Frau vorübergehend aufzunehmen, hatte sie auch abgelehnt. „ Da können wir nichts machen, Mich wundert, das von den Nachbarn im Tulpenweg keiner vorbeigeschaut hatte” sagte sie abschließend zu diesem Thema.
Am Sonntag besuchte Mutter Jeske gegen 11 Uhr die Frau, eine Schüssel, gefüllt mit Graubensuppe, hatte sie in den Wassereimer gestellt und darüber ein Kissen gelegt. Aber so schnell, wie sie dorhin gegangen war, so schnell kam sie wieder zurück. „ Die Frau ist tot, sie hatte das Federbett zur Seite gedrückt, dann ist sie erfroren. Sie hatte es so gewollt. Ich gehe jetzt zum Marienkrankenhaus den Tot melden und den Leichenwagen bestellen. Sie nahm die Schüssel mit der Graupensuppe aus dem Eimer und stellte die auf den Tisch. „ Eßt die Suppe auf. „ Dann eilte sie davon diese traurige Nachricht ins Krankenhaus zu bringen, um den Tod der eisamen Frau zu melden.

Stejuhn
26.11.2024, 09:08
Guten Morgen, Herr Jeske.

Danke!

Viele Grüße
Sigrid

sarpei
26.11.2024, 10:09
Einen schönen guten Morgen, Herr Jeske!

Bei der einsamen Frau müsste es sich um die Witwe Mathilde Fischer im Tulpenweg 1 handeln. Möge sie in Frieden ruhen.


Viele Grüße,

Peter Hanke

Gerhard Jeske
26.11.2024, 16:17
Vielen Dank,Herr Hanke. Tulpenweg ist richtig. Den Ehenamen kenne ich nicht mehr.

- - - Aktualisiert - - -

ich muss noch hinzufügen, dass von dem Sozialamt wenig Hilfe zu erwarten waren. Danzig war eben eine gewöhnliche Stadt,.