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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Herbert Sellke: Eiswacht



Wolfgang
11.11.2008, 21:43
Eiswacht

Der Eisgang dröhnt in der Frühlingsnacht,
sie halten in Sorgen und Ängsten Wacht.
Gedämpftes Dröhnen die Nacht erfüllt,
als wenn im Hunger ein Raubtier brüllt.

Das bleiche Mondhorn leuchtet fahl
herab in das neblige Weichseltal.
Die Augen durchforschen das trübe Licht,
ob das Eis sich fängt, ob der Damm noch dicht.

Gottlob, der Damm ist noch sicher und gut,
das gibt von neuem Hoffnungsmut.
Von nah und ferne der Eisgang brüllt
wie Seenot, wie hungerndes Wüstenwild.


Der Nebel wuchtet , der Nebel wallt,
da taucht hervor eine Reitergestalt:
Ein schwarzer Reiter, ein stampfender Gaul,
ein schneller Hufschlag, ein dampfendes Maul.

Woher--wohin? Kein Ruf, kein Wort,
der Schattenreiter zieht schweigend fort.
Er reitet durch nebelnächtiges Grau.-
Das ist der Tod - er reitet zur Schau.

Das ist der gefürchtete Wassertod,
der Bannerträger der Weichselnot.
Er reitet alljährlich in seinem Bereich
bei Frühlingszeiten über den Deich.

Die Wächter, die ihn gewahren dort,
sie denken, er bringe den Eisrapport.
Stumm lachend späht er entlang, ob nicht
an schwacher Stelle der Damm schon bricht.

Ein Schattenreiter zieht über den Deich,
der Wassertod bereist sein Reich.
Er späht umher, ob der Damm bald bricht -
Gottlob - die Düne ist schon in Sicht.

Der Eisgang fegt hinter dem Reiter einher,
Gottlob - er reitet vorbei ans Meer.