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Wolfgang
20.02.2008, 19:34
Eisschollen in Zoppot – Schollchen hopsen


Sonntag, 29. Januar 2006


„Schollchen hopsen“ – erst kürzlich hatte meine Mutter davon erzählt wie sie als Kind am Zoppoter Strand winters von Schollchen zu Schollchen hopste. Eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, die meist gut, manchmal aber auch mit nassen Schuhen und Füßen endete.

Ich war hier schon mehrere Male in der kalten Jahreszeit gewesen, aber bisher sah ich am Zoppoter Strand noch nie Eisschollen. Gut, auf der Weichsel sah ich sie schon aufeinander geschoben zu Eisbergen getürmt, aber hier? Nun ja, die hölzernen Pfähle des Seesteges dick mit einem glänzenden Eispanzer ummantelt, das kommt in jedem kalten Winter vor, aber Eisschollen?

Ich bin gesundheitlich nicht sonderlich gut drauf, kam vorgestern bereits krank mit dem Flieger an. Eigentlich sollte ich mich zu Hause auskurieren, liegend, oder bestenfalls vielleicht im Schaukelstuhl am Fenster Löcher in den dunkelblauen Himmel schauen. Das meint auch meine Frau, aber ich muss heute einfach raus. Raus ins Kalte, raus, selbst wenn der Wind bläst, raus, um mich mal von Väterchen Frost richtig durchschütteln zu lassen. Denn was gibt es anschließend Schöneres als nach sibirischen Temperaturen ins wohlig Warme zu kommen, sich die durchgefrorenen Hände an einem warmen Pott Kaffee oder Tee aufzuwärmen.

Wir fahren raus nach Zoppot, stellen den Wagen beim Minigolfclub ab. Kinga strebt gleich dem Strand zu, aber ich muss meinen alten Freund Peter besuchen, der auf dem Minigolfclub in einem hölzernen Kabuff fernsehschauend darauf wartet, dass wärmere Zeiten anbrechen und Gäste kommen. „Moin, Du Eierdieb“ strahlt er mich an, „was machst Du denn hier? Bist Du noch immer hier oder schon wieder?“ Trotz meiner tief in die Stirn gezogenen Wollmütze hat er mich natürlich sofort erkannt. Erst vor knapp drei Wochen hatte ich mich verabschiedet und nun bin ich wieder hier. „Willst Du einen Genever oder einen Machandel?“ Ich ziehe heute einen echten De Kuyper Genever vor, den er in ein altes Tiegenhöfer Machandel-Tönnchen einschenkt. Oh, das tut gut, das weckt die Geister! „Noch einen?“ Vorsichtshalber werfe ich lieber keinen Blick zu meiner Frau, sondern halte ihm gleich das Glas hin.

Aber dann zieht’s mich zum Strand. Dort liegt wenig Schnee, meist vertreten, mit Sand vermischt, schmutzig-feucht. Aber ich habe nur Augen für das Wasser. Mir wachsen Flügel, ich springe hinunter, zum Wasser, zu einer dicken Eisschicht, die vom Strand ins Meer wächst. Es sind wieder einmal die intensiven Farben, das helle Leuchten, der stetige Wind, der sanft aber bestimmt seine kalten Hände ausstreckt, es ist das leise Rauschen des Wassers, das an den Eiskanten leckt, sie benetzt, es sind die Seevögel, die spielerisch durch die Lüfte gleiten, all das ist es, was euphorische Hochstimmung in mir auslöst. Ich reisse die Hände hoch, wende mich dem Wind zu, lache, fühle mich wohl, fühle mich zu Hause, bin daheim.

„Kinga! Kinga!!“ Sie herbeiwinkend springe ich auf eine große auf den Strand geschobenen schneeweißen Eisplatte. Bin plötzlich Kind, will sehen, ob ich sie unter meinem stampfenden Füßen brechen kann. Zu dick, viel zu dick. Aber wieder hin zum Wasser, das ausdauernd und nicht ermüdend mit nasser Zunge das Eis poliert. Der Himmel, das Firmament, spiegeln sich in den leicht schaukelnden Wellen, färben es tiefblau, überziehen das Eis mit azurnem Glanz.

Vorsichtig taste ich mich auf die Platte. Aber dort ist es gefährlich glatt. Ich springe wieder auf den Strand und nun gehen wir ein paar Schritte bis wir zu der ins Wasser reichenden Slip-Anlage der Zoppoter Surfing-Schule kommen. Dick eisüberpanzert ragt sie ins Meer. Blumenkohlartige Wucherungen geben ihr ein zerfurchtes Antlitz, das fremd wirkt, das staunen lässt. Im Hintergrund Adlershorst, Gdingen, zur See hin leichte graue Dunstschleier, trotzdem überall harte, klare Kontraste.

Weiter geht’s. Eischollen, große, sehr grosse, auch einige kleinere Schollchen. Sie schwimmen, nein, schweben schwerelos im Wasser, lassen sich von den leichten Wellen nicht aus der Ruhe bringen, liegen behäbig da, bewegen sich nicht. Je näher wir Zopppot kommen desto größer werden die Eispakete. Wurden sie hierher von Wind und Wellen getrieben? Auf einer gleißenden Scholle eine Möwe. Majestätisch mit weiß-grauem Gefieder, mit schwarzem Schwanz.

Ich muss an meine Mutter denken. Schollchen hopsen. Heute wäre das Wetter dafür. Auf eine Eisplatte springen, sich ein wenig vom Land abstoßen, zum nächsten Schollchen hopsen, immer darauf achtend, nicht zu weit vom Land abgetrieben zu werden. Nasse Füße, Kinderlachen, frierende Hände, rote, tropfende Nasen, ein Herumtollen, Geschrei, all das kann ich mir bildlich vorstellen. Schollchen hopsen: Auch mir hätte es Spaß gemacht, auch ich wäre bei jedem gefährlichen Unsinn dabei gewesen. Und hier, vielleicht genau hier an dieser Stelle, sprang meine Mutter als Kind von Schollchen zu Schollchen.

Eine zerklüftete Eislandschaft zieht sich am Strand entlang. Übereinander geworfene Eisplatten, die meisten sehr kompakt, manche aber auch brüchig, machen das Gehen etwas beschwerlicher. Wir müssen aufpassen, nicht auszurutschen und hinzufallen. Kinga zieht den Weg durch Sand und Schnee vor. Aber ich muss weiter über diese Eislandschaft laufen, will Platten entdecken, die meinem Fußstampfen nicht standhalten, die knirschend oder mit einem hohlen Knall brechen.

Zwischen Möwen und Seeschwalben einige Schwäne auf dem Wasser. Am kleinen Fischereihafen auf den Strand gezogene bunte Kutter mit wehenden Wimpeln an den geladenen Netzbojen. Werden sie sofort wieder fahren, wenn das Eis gegangen ist? Ich sehe, Kinga fröstelt. Auch mir wird bewusst, wie kalt es ist. Es ist nur ein fragendes Anschauen, keine Worte, aber sie nickt mit dem Kopf. Wir drehen um, gehen gemächlich unseren Weg zurück. Zu Hause wartet ein Pott heissen Tees. Der Abschluss eines phantastischen, aufwühlenden, begeisternden Spazierganges. Eines Spazierganges, der es mir möglich machte, träumend in vergangene Kinderwelten einzutauchen und Kinder zu sehen, wie sie lärmend von Schollchen zu Schollchen hopsten.

Hans-Joerg +, Ehrenmitglied
20.02.2008, 22:12
Danke Wolfgang
Hast dir also die Mühe :)gemacht diese Streiflichter aus dem alten Forum
zu kopieren........!
Schönen Abend noch......
Viele Grüsse
Hans-Jörg:):)

Wolfgang
20.02.2008, 23:15
Hast dir also die Mühe gemacht diese Streiflichter aus dem alten Forum zu kopieren........!

Das war erst der Anfang, es kommen noch ein paar mehr im Lauf der Zeit:)

Aussie
21.02.2008, 10:18
Das war erst der Anfang, es kommen noch ein paar mehr im Lauf der Zeit:)

Du hast eine wunderbare Art des Erzaehlens Wolfgang, ein ganz tolles Talent, Danke Dir sehr!
Liebe Gruesse,
Christa.