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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Östlich Neufähr



Wolfgang
29.11.2008, 19:52
Aus "Unser Danzig", Jahrgang 9, Nr.15, Seite 10 vom 01.08.1957

Östlich Neufähr
von Robert Seitz

Hinter Fischerbooten ruht dieses Dorf, dort wo die Weichsel breit ist wie ein ferner östlicher Strom, wie einer jener gewaltigen Flüsse eines fremden Erdteils, über deren Schilderung wir schon in der Schule ins Staunen gerieten. Da aber, wo diese Weichsel bei Östlich-Neufähr einen Teil ihrer Wassermassen im breiten Bogen zur Ostsee hinsendet, glaubt man, besonders an grauen silbrigen Tagen, sich an ein Wattenmeer versetzt.

Wir gehen durch die schmale Dorfstraße. Vor den kleinen Häusern sind Netze ausgespannt. Steif und starr hängen massive Fischerhosen an Leinen und Stangen. Sie könnten auch ebenso gut auf die Erde gestellt sein, sie würden bestimmt nicht in sich zusammenfallen. Männer basteln vor den Türen an Netzen und Tauen. Frauen sind mit ihrer Küchenarbeit vor das Haus gezogen, schälen Kartoffeln oder schuppen Fische. Das, was allen Fischerdörfern eigentümlich ist, finden wir auch hier: die Bedächtigkeit des Lebens, das ruhige Fertigwerden mit allen Dingen des Tages, das Hinnehmen des Schicksals, ohne große Worte zu verlieren.

Die Häuser sind von kleinen Gärten umgeben, alle Wege sind rot von reifen Johannisbeeren eingefasst. Die Fischhäuser sind malerisch durcheinander gestellt, und vieles erinnert an die Insel Marken in der Zuidersee, die durch ihre Eigenart weltbekannt ist.

Hoher wundervoller Wald hebt sich über Östlich-Neufähr. Die Wiesen zu ihm hin sind um die Sommerzeit voll von Blumen; in allen Farben leuchtet es, und nur die bläulichen Stranddiesteln verraten die Nähe der Dünen. Selbst wenn man weit in der Welt herumgekommen ist, wird man von der merkwürdigen Schönheit des Weges von Östlich-Neufähr zum Seestrand gepackt sein. In großem Bogen zieht sich dieser Weg um das Vogelschutzgebiet herum. Eine unberührte, unglaublich grüne Welt umgibt uns. Hohes Schilf verrät verborgene Gewässer. Einsame Vogelrufe verhallen irgendwo in grauer Luft. Nur zu Gast ist der Mensch in dieser weltfernen Landschaft. Durch hellen, tiefen, unberührten Sand wandern wir weiter. Es ist, als käme nur alle Jahre einmal ein Mensch hierher. Hohe Dünen umgeben uns, bis dicht an sie heran blüht roter Sauerampfer. Nur noch eine Düne ist zu überwinden, und dann breitet sich vor uns das Meer. Große Vogelschwärme lassen sich nah bei uns nieder. Sie haben keine Angst vor dem Menschen. Grau in grau ist heute der Tag. Die Grenzen zwischen Wasser und Himmel sind verschwunden. Ein Fischerboot gleitet vorüber. Das braune Segel ist wie ein Traum.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang