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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der Großbrand der Groddeck-Speicher 1914



Wolfgang
05.12.2008, 22:12
Aus „Unser Danzig“, Nr.9 (05.05.1961), Seite 3-4 und Nr.10 (Pfingsten 1961), Seite 6-7


Ein Großbrand auf Danzigs Speicherinsel

Der „Große Groddeck" und der „Kleine Groddeck" wurden ein Raub der Flammen

Seit Jahrhunderten war die Speicherinsel ein Schmerzenskind der Danziger Feuerschutzfürsorge. Schlimme Katastrophen, bei denen es um Leib und Leben und um Hab und Gut ging, haben sich an dieser Stelle zugetragen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war ein Riesenbrand auf der Speicherinsel die unmittelbare Ursache der Schaffung einer städtischen Berufsfeuerwehr. In der Nacht zum 18. Februar 1914 wurden zwei der stattlichsten Speicher, Erinnerungszeichen an die Zeiten Altdanziger wirtschaftlicher Größe, der „Große Groddeck" und der „Kleine Groddeck", ein Raub der Flammen. Sie waren von 1863 bis zu seinem Tode am 5. Mai 1896 Eigentum des vereidigten Kornwerfers George Doering, des Vaters von Obermedizinalrat Dr. Hans Doering. Dann wurden sie von dessen Erben unter seinem ältesten Sohn Waldemar Doering übernommen, der ebenfalls ein vereidigter Kornwerfer und Direktor der Lagergesellschaft der Danziger Kaufmannschaft in Neufahrwasser war.

Über den Großbrand berichteten die „Danziger Neuesten Nachrichten" in ihrer Ausgabe vom 18. Februar 1914. Mit dem nachstehenden Abdruck dieses Berichtes wird gewiss bei vielen älteren Lesern die Erinnerung an jenes Ereignis wachgerufen, zudem bietet er ein anschauliches Bild der damaligen Bekämpfung des Großfeuers.

Um 2 Uhr in der Nacht begann sich der Himmel über der Stadt zu röten. Die letzten Heimzügler, Fahrgäste, die Droschkenführer und Schutzleute sahen es. Bald schien es, als sei eine feurige Lohe über ihn ergossen. Man erriet ohne weiteres aus dem gewaltigen Schein, dass es sich um ein Großfeuer von besonderer Ausdehnung handeln müsse. Rapide wuchs die Röte über den Nordosthimmel herauf, wie eine gewaltige Fackel. Die ganze innere Stadt war schließlich fast tageshell erleuchtet. Den erschreckten Menschen wurde alsbald klar, dass ein Speicherbrand ausgebrochen sei. Die Giebel der Langgasse überfloss eine seltsame Flut rotgelben Lichtes. Das Rathaus schien mit Zinnen und Turm in ein leuchtendes Meer hin einzutauchen, die Marienkirche schwamm in fremdartiger Glut. Es waren Bilder, bei aller Schaurigkeit, von einer ungewöhnlich malerischen Wirkung, auch für den, der in der eilenden Hast, zum Brandplatz zu kommen, nicht sehen wollte; so bezwingend war der Eindruck, war aber auch der Schrecken der Szenerie.

Mit großer Schnelligkeit verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Stadt, und trotz der nächtlichen Stunde zählte die Menge der Zuschauer an der Brandstelle bald viele Hunderte. Unter dem Kuhtor und auf der Grünen Brücke stauten sich die Menschenmassen. Alle Straßenzugänge von der Hopfengasse, der München-, Adebar-, Juden- und Brandgasse füllten sich mit Neugierigen. Aus Restaurants und von Gesellschaften kamen die Leute herbei und sahen sich das feurige Schauspiel an.

An der Brandstelle
Das Danziger Infanterieregiment Nr. 128 entsandte sofort eine Abteilung Soldaten unter der Führung eines Offiziers an die Brandstelle, um dort je nach Notwendigkeit Hilfs- oder Absperrungsdienste zu leisten. Diese Hilfe war natürlich sehr willkommen, denn im Interesse einer wirksamen Löschaktion wären eventuell sorgfältige Absperrungen dringend erforderlich gewesen. Die Mannschaften fanden indessen nur beschränkte Verwendung, da das Schutzmannaufgebot hinreichend war, die notwendigen Maßnahmen selber auszuführen. Die militärische Hilfsmannschaft blieb jedoch bis zur Beseitigung jeder Gefahr bis gegen Morgen an Ort und Stelle.

Polizeipräsident Wessel, Polizeiinspektor von Saucken und Kriminalinspektor Pohlmann hatten sich eingefunden, außerdem eine Anzahl von Polizeikommissaren. Von allen Revieren waren die verfügbaren Schutzleute und Kriminalschutzleute herangerufen worden. Polizeipräsident Wessel verweilte mehrere Stunden an der Brandstelle, bis die Gefahr vorüber war. Die Arbeiten der Wehr leitete Branddirektor Eisner selber, unterstützt von Brandinspektor Kudicke und Brandmeister Winchenbach.

Durch die örtliche Lage der Speicher wurden die Löscharbeiten zum Teil erleichtert, zum Teil erschwert. Mit der Vorderfront liegen sie in der Fluchtlinie der Hopfenqasse als Hausnummern 37 und 38, wovon der „Kleine Groddeck" das nach der Kuhbrücke zu gelegene Gebäude Nr. 37 ist. Mit der Rückseite stoßen die Speicher an das Bollwerk der Mottlau, von der Kuhbrücke getrennt durch den Speicher der Pommerschen Landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft in Stettin, einen der Firma Fischer u. Nickel gehörigen Hofraum und dem der Abegg-Stiftung gehörigen Speicher „Halber Mond". So wies der Brand zwei Fronten auf und konnte zugleich von entgegengesetzten Seiten bekämpft werden. Die unmittelbare Nähe des Wassers ermöglichte ein verkürztes Löschwerk, machte andererseits aber wieder der auf Landbetrieb eingerichteten Städtischen Feuerwehr Schwierigkeiten. Die auf Gegenseitigkeit beruhenden Vereinbarungen mit der Kaiserlichen Werft griffen hier in bester Weise ergänzend ein. Da die Feuerwehr erkannte, dass sie allein nicht Herr des Brandes werden konnte, wurde die Wehr der Werft alarmiert. Kurz nach 3 Uhr - das Feuer war etwas nach 2 Uhr im „Großen Groddeck" ausgekommen - erschien der Spritzendampfer der Kaiserlichen Werft im Mottlaubassin und griff alsbald mit außerordentlichem Erfolge in das Rettungswerk ein.

In zeitlicher Folge spielten sich die Ereignisse so ab, dass nach Ausbruch des Feuers im „Großen Groddeck" zunächst die Danziger Wehr mit einigen Löschzügen anrückte und, sobald sie sah, dass ihre Mittel nicht genügten, Hilfe aus Langfuhr und Neufahrwasser kommen ließ. Als die Ausbreitung des Brandes noch immer nicht wirksam genug verhindert werden konnte, wurde die Werft um Hilfe angegangen. Diese erschien dann mit einer Landdampfspritze und dem Spritzendampfer. Schließlich, als alles noch nicht genügend zu sein schien, wurde der Lotsendampfer „Dove" herbeigerufen. Er erschien prompt unter der Führung des Lotsenkommandeurs Wunderlich um 4.30 Uhr. Unterdessen war das Feuer schon seit mehr als zwei Stunden auf den „Kleinen Groddeck" übergegangen und drohte, weiter nach rechts und links vorzudringen. Nach der Seite des Leegetorbahnhofes war der Speicher „Walfisch", nach der Stadtseite der Speicher der Pommerschen Landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft in der größten Gefahr, mit in die Vernichtung hineingerissen zu werden. Da an den brennenden Speichern selbst nicht mehr viel zu retten war, galt das Hauptaugenmerk diesen beiden Gebäuden. Natürlich wurde trotzdem noch versucht, von den brennenden Gebäuden zu erhalten, was irgendwie möglich war. Eine Stunde nachdem der Brand ausgebrochen war, stürzte von dem „Großen Groddeck" die Giebelkrone in die Mottlau hinab. Bald fing auch die des „Kleinen Groddeck" an, sich vornüber zu neigen. Merkwürdigerweise hielt sie aber stand, obgleich es jeden Augenblick den Anschein hatte, als sollte das Unvermeidliche eintreffen. Der Giebel widerstand auch den plötzlichen Temperaturveränderungen, die durch das ihm in Unmengen entgegen geschleuderte Wasser verursacht wurden. Auf der anderen Seite hatte das Feuer schnellere Arbeit getan. Von beiden Speichern sank mit mächtigem Gepolter ein Teil nach dem andern in die feurige Glut. Eine Balkenlage nach der andern brach durch. Jedesmal wallten die Flammen mächtig auf und mischten sich mit immer neuen Rauchwolken. Nach der Hopfengasse zu lag demgemäß also die Hauptbrandseite. Der Wind kam aus Südosten und trieb das Feuer sowohl nach der Seite des Genossenschaftsspeichers wie der gegenüberliegenden Häuserfront zu. Auf weite Strecken hinaus war die Umgegend gefährdet. Über die Häuser hinweg fegte der dichte Funkenregen, in den sich brennende Getreideklumpen - in den Speichern lagerten Kleie und Futtermittel der Firma Speiser & Co. - und kleine Holzteilchen mischten. Der feurige Regen prasselte auf die Straßen nieder, brannte an einigen Stellen die ausgelegten Schläuche der Feuerwehr durch, so dass da und dort kleine Fontänen von ein und zwei Meter Höhe aufspritzten. Das niedrige Pappdach an der Ecke der Münchengasse konnte nur mühsam gehalten werden.

Die gefährdete Nachbarschaft
An dem Hause Hopfengasse 89, das der Brandstelle gerade gegenüber lag, gerieten die Fensterkreuze in Brand, nachdem die Fensterscheiben von der Gluthitze geplatzt waren. Die Gefahr erhöhte sich, als noch in den Wohnungen die Gardinen aufflammten. Die Wohnungen waren in diesem Hause längst geräumt worden. Die Einwohner hatten ihre Türen hinter sich abgeschlossen und waren geflüchtet. Ein Schutzmann und die Feuerwehr drangen, als man gewahr wurde, dass das Übergreifen des Feuers nicht mehr verhütet werden konnte, in die Wohnungen ein, indem sie die Türfüllungen einschlugen. Polizei und Feuerwehr durchsuchten dann die Wohnungen nach Menschen, das ganze Haus war jedoch bereits von allen Lebenden verlassen. Mit zwei Schlauchleitungen und einer Anzahl von kleinen Rohren, die an die häuslichen Wasserstellen angeschlossen werden konnten, wurde dann die Gefahr von diesem Hause abgewandt. Die Funken sprühten indessen weiter über die Niederstadt hinweg und setzten auf Mattenbuden bei dem Grundstück Nr. 28 einen Zaun in Brand. Dort waren jedoch die Hauseinwohner in der Lage, ohne Hilfe der Feuerwehr die Flammen wieder zu ersticken. Über die Gefährdung der Nachbarschaft geht uns von anderer Seite noch folgende ergänzende Schilderung zu:

In der Adebargasse wurde der Kohlenhof von Reichenberg unter Wasser gesetzt, um einer Entzündung der Kohlen vorzubeugen. Dahinter liegt das große Wohnhaus Adebargasse 1, das ebenfalls, als die Glut immer bedrohlicher wurde, von den Einwohnern verlassen wurde. Einzelne packten ihre Sachen, entfernten die Kronleuchter und machten sich zum Auszug bereit. Glücklicherweise machten dann die Löscharbeiten an den Speichern derartige Fortschritte, dass die Nachbarn nach einer bangen Stunde wieder beruhigt aufatmen konnten. Die Funken wurden bis über 300 Meter weit in die Adebargasse getragen. Ein Zaun fing an zu brennen. In dem Fastschen Lagerhof flammte plötzlich ein Haufen Packpapier auf, der durch Flugfeuer in Brand geraten war. Die Feuerwehr verschaffte sich zu dem Hof Einlass und löschte auch hier das Feuer. Leicht hätte sich der Brand über die ganze Speicherinsel ausbreiten können. Dem Lagerhof der Firma Fischer u. Nickel drohte ebenfalls Gefahr. Dort lagerten Schmieröle und Mineralöle, die, einmal in Flammen gesetzt, eine neue schwere Katastrophe hätten hervorrufen können. Angestellte der Firma drangen noch im letzten Augenblick in die Lagerräume, und die rasch beorderten Spritzführer beseitigten durch energisches Eingreifen die bereits drohende Gefahr eines weiteren Brandausbruches.

Nach bangen Stunden konnten schließlich alle Nachbarn gegen Morgen wieder in ihre Wohnungen zurück. Die Häuser zeigten beim Tagesgrauen deutliche Spuren von der Brandgefahr, in der sie sich befunden hatten.

Von den beiden brennenden Speichern sank ein Fassadenstück nach dem anderen herunter, bis die Front nach der Hopfengasse nur noch einen kümmerlichen Torso bildete, der die ehemalige Stattlichkeit dieser Speicherbauten kaum noch erkennen lässt. Die Straße verwandelte sich in ein Trümmerfeld, das von dem aus Wasser, Schutt und Kleie gebildeten Schlamm durchsetzt war und immer schwerer passierbar wurde. Stellenweise versank man knöcheltief in dem Unrat. Der Wind trieb das Wasser zusammen mit den Funken von der Brandstelle fort, so dass man noch in einer Entfernung von 50 Meter in einem heißen Sprühregen stand.

Die Tätigkeit der Wehren
Zielbewusst und mit großer Energie ist die Feuerwehr, an deren Spitze Branddirektor Eisner stand, an ihre Arbeit gegangen. Außer der Automobilspritze, die ihren Standort an dem Speicher „Halber Mond" vor der Kuhbrücke fand, waren drei Dampfspritzen der Danziger Feuerwehr tätig. Die mitgenommene Schiebeleiter brauchte nicht in Benutzung genommen zu werden. Zwei städtische Dampfspritzen rückten an das Mottlau-Ufer neben dem Kuhtor, also der Brandstelle gegenüber. Rechts davon nahm später auch die Dampfspritze der Werft Aufstellung.

Die dritte städtische Dampfspritze wurde durch einen der südlichen Verbindungsgänge auf das Bollwerk der Mottlau geschoben und wirkte von der Speicherinsel aus auf den Brand ein. Die Wehr der Werft hatte als Betriebsleiter Spritzenmeister Rieber entsandt. Das Kommando jedoch hatte der Adjutant der Werft, Kapitänleutnant Klasing, übernommen. Er teilte sich darin mit dem ersten Offizier der „Augsburg", Kapitänleutnant Götting. Die Dampfspritze arbeitete unter Kapitänleutnants Klassings Kommando mit zwei Schlauchleitungen und hatte im wesentlichen die brennenden Gebäude selbst zum Ziel. Herr Götting war auf dem Spritzdampfer „Hülfe" und nahm sich vor allem des Speichers „Walfisch" von der Rückseite aus an. Ein aus vier Schlauchleitungen gespeistes Wenderohr schleuderte in jeder Minute sechs bis sieben Tonnen Wasser auf sein Ziel. Herr Götting übernahm dann persönlich die Führung seiner Leute in dem Innern des Hauses, wo er sich mit der unter Leitung des Brandmeisters Winchenbach tätigen Langfuhrer Wehr vereinigte, die vielen kleinen Brandflämmchen, die allenthalben hervorbrachen, zu löschen. Kleine Eimerspritzen leisteten dabei unschätzbare Dienste. Die Bemühungen wurden schließlich belohnt; es gelang, den Speicher zu bewahren. Noch ungleich schwerer war dieses Werk aber bei dem Genossenschaftsspeicher, auf den der Wind zustand und das Feuer unmittelbar zutrieb. Jeden Augenblick erwartete man, längs dem Dachrücken den Rauch sich empor recken, aber das Gefürchtete blieb aus.

Brandinspektor Kudicke war in dem Innern des Speichers mit seinen Leuten tätig und verwehrte dem Feuer den Eintritt, und das Glück war ihm hold. Obwohl mehr als einmal die Gefahr auf dem Gipfel anlangte, vermochte er doch, das feindliche Element zurückzudrängen. Mussten so die Hauptkräfte darauf gerichtet werden, die Umgebung vor der Vernichtung zu bewahren, so musste man dem Element in den beiden „Groddecks" seinen Lauf lassen und das Feuer lediglich auf seinen Herd beschränken, wie wohl trotzdem mit einigen Rohren auf die Niederdrückung der Flammen hingearbeitet wurde. Sehr gelegen kam nun das Einschreiten des Lotsendampfers „Dove", dessen Mannschaft sich unter Führung des Lotsenkommandeurs Wunderlich mit zwei Rohren an die Arbeit machten, von der Hopfengasse aus Wasser in den Brandherd zu schleudern. „Dove" machte neben dem Corindtschen Speicher auf der anderen Seite der Kuhbrücke fest. Die vereinten Bemühungen nahmen noch mehr als eine Stunde in Anspruch. Etwa gegen sechs Uhr morgens sank das Feuer, und man konnte erst dann die Gefahr als behoben ansehen. Im ganzen war der Brand und seine Ausbreitung mit neunzehn Rohren und einem Wenderohr bekämpft worden, davon hatten sieben Rohre Durchmesser von 70 Millimeter. Der Morgen war unterdessen gekommen. Der Himmel hatte seine blutige Färbung verloren und nahm das Licht des Tages an. Jetzt erst fand man Muße, das Bild der Verwüstung zu betrachten. Auf der Mottlau schwamm es wie eine Lavaschicht, es war die Kleie, die aus den Speichern über das Bollwerk hinweg geflossen war. Noch immer glichen die branderleuchteten Fenster einer schauerlichen Illumination. Doch konnte man schon wagen, sich dicht an die Brandstelle heranzubegeben. Wir wählten dazu den Weg durch den „Walfisch", der durch Fässer, Wasserschläuche und Kisten führte. Nun konnte man sehen, wie es auf dem Bollwerk hergegangen war. Die Türöffnungen waren von der ausgeflossenen Kleie verschüttet.

Der Lotsendampfer „Dove" verließ die Brandstelle gegen 10 Uhr vorm., der Spritzendampfer „Hilfe" der Kaiserlichen Werft um 11.30 Uhr, zu gleicher Zeit mit der Automobilspritze. Mittags arbeiteten noch zwei Dampfspritzen, die die langen Schlauchleitungen speisten, aus denen unaufhörlich Wasserfluten in die Gebäude geworfen wurden. Wie Sturzbäche kamen die Wassermengen aus den unteren Fenstern wieder heraus geschossen. Da weitere Einstürze drohten, ordnete Brandmeister Winchenbach, der unausgesetzt auf dem Posten war, heute Mittag noch weitere Absperrungen an. Heute den Tag über, auch die Nacht hindurch, werden die Spritzen nicht zur Ruhe kommen, denn noch immer schwelt und glüht das Trümmergewirr im Innern der Speicherriesen. Gewaltige Menschenmassen umsäumen die Zugänge zu den nach der Brandstelle führenden Straßen.

Der Schaden
Wie wir erfahren, wird der Gesamtschaden an Häusern und deren Inhalt auf rund 400.000 Mark geschätzt. Daran partizipieren sechs Versicherungsgesellschaften: die Norddeutsche, Aachen-Leipzig, Rheinische, Gothaer, Westdeutsche und Magdeburger. In den Speichern hatte die Firma Speiser u. Co. Kleie, Mehlwaren und Getreide lagern.

Die Entstehungsursache des Brandes ist bis jetzt noch unaufgeklärt. Kurzschluss ist jedenfalls im Gegensatz zur ersten Annahme nicht die Ursache. An der Schalttafel des Städt. Elektrizitätswerkes ist der Kurzschluss erst um 3.45 Uhr registriert; also lange nach Ausbruch des Brandes, woraus hervorgeht, dass dieser Kurzschluss erst infolge des Feuers eingetreten ist.

Danziger Speicherbrände
Die Speicherinsel ist von jeher ein besonders von Feuer bedrohtes Gebiet gewesen, das unter besonderer Bewachung gehalten wurde. Noch in den 40er Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts wurden mit Sonnenuntergang die Tore der Speicherinsel geschlossen und nur die Brandwächter blieben in ihr, niemand sonst. Das hat sich geändert, seitdem die Speicherbahn vom Leegetor aus in die Hopfengasse geführt wurde. Die alten Schranken sind gefallen, die Speicherinsel wird langsam vom Speicher zum Wohnviertel umgewandelt. Die Wassergüter werden außerhalb der Stadt gelagert und an die Stelle der Speicherbauten treten Wohnhäuser. Es mag daran erinnert sein, dass es heute noch nicht gestattet ist, mit Lokomotiven in der Speicherreihe zu fahren. Die Wagen werden bis an die Speicherinsel geführt, und dort mit Pferdekraft weiter bewegt.

Speicherbrände sind daher in Danzig recht gefürchtet. Die größte Katastrophe, die die Speicherinsel bisher heimgesucht hat, sind die beiden Brände vom Oktober und November 1813 während der Belagerung durch die Preußen und Russen, die den ganzen Teil von der Milchkanne bis zur Lastadie herunter einäscherten. Es dürfte nicht ohne Interesse sein, dass damals das Zentrum des Feuers sich in der Nähe der heute Nacht eingeäscherten Groddeck-Speicher befand.

Eine weitere größere Brandkatastrophe suchte die Speicherinsel 1851 heim und legte mehrere Speicher in Asche. Damals ging man, aus den bei diesem Brande gemachten Erfahrungen heraus, an die Schaffung einer Berufsfeuerwehr, die an die Stelle der veralteten Löscheinrichtungen aus dem „vormärzlichen" Danzig trat. Seitdem sind Brandkatastrophen von der Art der geschilderten, die gleich ganze Häusergruppen zerstörten, gottlob verschwunden. So bedrohliche Brände auch gewesen sind, stets ist es dank der guten Löscheinrichtungen gelungen, das Feuer auf seinen Herd zu beschränken. Der Brand der drei Speicher „Soli deo gloria" vom Jahre 1893, der manchem braven Feuerwehrmann das Leben kostete, ist noch in aller Erinnerung. Vier Jahre später wurde der letzte Speicher nach der Aschbrücke zu durch Feuer zerstört und in einem gewissen Zusammenhang mit den neueren Speicher branden - abgesehen von kleineren Feuern - kann man wohl auch den großen Ölmühlenbrand von 1908 erwähnen. An diesen schließt sich die heutige Katastrophe an, die wieder zwei charakteristische Speicherbauten zerstört hat.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Daniel Hebron
06.12.2008, 13:41
Hallo Wolfgang,

sehr interessante Geschichte. Hast Du oder jemand anderes aus dem Forum zufaellig Material betreffend der beiden Speicherbraende vom Oktober und November 1813? Dann muss ich naemlich nicht gleich eine (kostenpflichtige) Suche im APG anleiern.

Viele Gruesse
Daniel

Wolfgang
20.02.2015, 15:23
Schönen guten Nachmittag,

hier der Link zu einem Foto das den Großbrand zeigt: http://gdansk.fotopolska.eu/593301,foto.html

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Peter von Groddeck
20.02.2015, 19:15
Hallo Wolfgang,
ein beeindruckendes Foto.
Gruß Peter

Wolfgang
20.02.2015, 19:58
Schönen guten Abend,
hallo Peter,

Du wirst es sicher schon gesehen haben: Durch Anklicken lässt sich das Bild stark vergrößern.

Interessant ist auch das Löschgerät im Vordergrund. Scheint eine fahrbare Dampfkesselspritze zu sein. Bloß wo stand die? Es sieht fast so aus als ob die zur Mottlau gelegene Speicherseite gezeigt wird.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Bartels
20.02.2015, 20:20
Schönen guten Abend,

da zwischen Mottlau und Dampfspritze ein Geländer zu sehen ist, steht die Spritze am gegenüberliegenden Ufer.

Wolfgang
20.02.2015, 20:48
Schönen guten Abend,
hallo Rudolf,

auch ich dachte schon daran, dass die Spritze auf der Rückseite der Häuser in der Röpergasse stand, nur zeigen alte Bilder dort Bebauung mit Hütten und Schuppen bis zum Mottlauufer hin. Wahrscheinlich wird es aber trotzdem so gewesen sein. Nicht ganz so wahrscheinlich ist, dass sich die fahrbare Dampfspritze auf einem Boot befand.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Bartels
21.02.2015, 01:20
Schönen guten Abend,
hallo Wolfgang,

ich denke es ist ganz nahe bei der Brücke: Das Geländer geht nach (links) oben.

Beste Grüsse
Rudolf H. Böttcher

Peter von Groddeck
21.02.2015, 12:49
Hallo Wolfgang,
danke für den Hinweis. Ich hatte das Bild schon vergrößert.
Gruß Peter