Wolfgang
06.12.2008, 00:04
Aus „Unser Danzig“ vom Januar 1951, Nr.1, Seite 6
Von unseren Vorlaubenhäusern
von Erich Volmar
Ein Gebäudetyp, dem man in der Werderlandschaft immer wieder begegnete und der bei der Erinnerung an das gesegnete Stück Erde in unserem Freistaat besonders deutlich vor Augen steht, ist das Vorlaubenhaus. Die vielen vorhandenen Beispiele dieser höchst interessanten, in Fachwerk sich darbietenden Bauweise stammen natürlich nicht mehr aus der Epoche der ersten Siedlergeneration, denn erfahrungsgemäß ist die Lebensdauer von Holzbauten auch bei solidester Konstruktion auf etwa 300 Jahre begrenzt.
Doch darf man in ihnen das Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe sehen, an deren Anfang die Vorlaube in der uns überlieferten Form wahrscheinlich noch nicht da war. Bei grundsätzlicher Verwandtschaft unserer Bauernhäuser im Werder mit den westlichen Bauarten hat sie sich als ein architektonisches Element eingefunden, das nur im Osten bekannt ist, jenseits der Elbe hingegen kaum vorkommt. Wann sie entstand, kann mit Bestimmtheit nicht gesagt werden, datiert doch das älteste erhaltene Beispiel, das sogenannte „Löwenschloss" in Guteherberge erst aus der Zeit um 1600. Ihre zweifellos zahlreichen Vorgänger verlieren sich im Zwielicht ungewisser Hypothesen, etwa in der Richtung, dass die seit dem 16. Jahrhundert eingewanderten Mennoniten die Vorlaube aus Holland mitgebracht hätten. Diese Vermutung muss als irrig bezeichnet werden, weil es in Holland keine Vorlauben gibt. Da lässt es sich schon eher verstehen, wenn man ihr Vorbild im ostgermanischen Haus sucht. Am nächsten liegt vielleicht die Erklärung, in ihrer so charakteristischen Gestalt eine ausgesprochene Eigenbildung sehen zu können, gewachsen auf dem gleichsam vorbestimmten Boden wie eine Pflanze, die eben nirgend anderswo so gut gedeihen wollte, als unter den ihr zusagenden Verhältnissen. So entfaltete sie sich gerade in den Niederungsgebieten am Unterlauf der Weichsel und an der Nogat zur vollen Blüte, von keiner sonstigen Gegend an reichem Vorkommen und prächtigem Aussehen erreicht. In drei verschiedenen Anordnungen begegnet man ihr als die repräsentable Beigabe zum Wohnhaus. Der niedersächsische Typ, ein zweigeschoßiger Baukörper auf länglichem Rechteck, steht mit dem Giebel zur Straße, die Vorlaube nimmt die volle Breite des Hauses ein und ist ein überzeugendes Eingangsmotiv. Das einzige erhaltene Beispiel dieser Art ist das schon erwähnte Löwenschloss in Guteherberge, sehr instruktiv wegen seiner alten guten Zimmerung. Beim so genannten Mischtyp tritt noch ein kürzerer Seitenflügel hinzu, der springt rund 6 m von der Vorlaubenfront zurück und erreicht mit seinem First bei gleicher Breite und Dachneigung des Hauptbauteils dessen Firsthöhe. Der dritte Typ folgt dem oberdeutsch-fränkischen Brauch der Parallelstellung des Hauses zur Straße, während die im Ursprungsland unbekannte Laube hier etwa die halbe Breite des Hauses hat und um das Maß vor die Front tritt, das zur Durchfahrt eines Wagens genügt. Das Hauptgebäude ist immer eingeschossig, auf den Vorlaubenstielen ruht noch ein Obergeschoß, dessen Dach mit dem Hauptdach die gleiche Firsthöhe besitzt. Bei der zunehmenden Verbreitung dieser Bauweise schwand eine imposante Erscheinung im Hausinnern — die durchgehende Diele mit der umlaufenden Galerie als Zugang zu den Stuben des Obergeschosses. In einigen Vertretern des Mischtyps ist diese Halle noch erhalten geblieben, am gepflegtesten im ehemaligen Hause des Hofbesitzers Herbert Ringe in Trutenau, wo noch bis zum letzten Kriege nach eingebrachter Ernte unter der geschmückten Ährenkrone sich die Tanzpaare drehten, wie es seit altersher Sitte war. Über acht kräftigen Stielen mit ausgeschnittenen Kopfbändern erhebt sich die in dicht gemustertem Fachwerk schimmernde Giebelfront, datiert von 1720. Ungefähr aus dieser Zeit stammen noch ähnliche bemerkenswerte Beispiele, wie die Häuser Heinrich-Herzberg, Wiebe-Neumünsterberg, Bielefeldt-Tannsee und andere mehr. Bei allen besteht das Erdgeschoß aus Schurzbohlen und darüber Fachwerk in mehr oder weniger bewegten Zierformen. Die Anzahl der Vorlaubenstander — bis zu zehn Stück — soll angeblich der Hufenzahl des zugehörigen Besitzes entsprochen haben. Von den vielen fränkischen Typen ist das Haus Kiep-Gottswalde ein besonders schönes Exemplar, die Wetterfahne zeigt das Jahr 1792.
Noch über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus wurden Häuser gebaut, die in ihren Hauptzügen dem fränkischen Typ mit Vorlaube zugehörten, wenngleich die Einzelausbildung dem allgemeinen Zeitgeist gehorchend flacher und handwerklich schlechter wurde, bis eine billige städtische Manier die gute Bautradition aufzulösen begann. Immerhin pflegte der Niederungsbauer, wo noch altes Baugut vorhanden war, das von den Vätern überkommene Erbe und hat sein Teil dazu beigetragen, daß die schmucken Vorlaubenhäuser nicht nur Einzelerscheinungen blieben, sondern nicht selten ein ganzes Dorfbild bestimmten, wie etwa in Stüblau oder Marienau. Fachkreise haben sich gern mit dem ergiebigen Stoff dieser ländlichen Baukultur beschäftigt. Es sei an dieser Stelle auf die eingehenden Forschungen Professors Otto Kloeppel hingewiesen, der mit seiner wertvollen systematischen Arbeit über die bäuerliche Haus-, Hof- und Siedlungsanlage im Weichsel-Nogat-Delta (erschienen bei der Danziger Verlagsgesellschaft 1924) das Thema nahezu erschöpfend behandelt hat. Die meisten der zahlreichen photographischen Aufnahmen wurden von Dipl.-Ing. Dr. Viktor Zirkwitz ausgeführt und tragen wesentlich zur Veranschaulichung des Buchinhaltes bei.
Gedacht aber sei vor allem derer, die von Haus und Hof gejagt wurden als letztes Geschlecht nach sechshundertjähriger Sesshaftigkeit auf uraltem deutschem Boden, und in stiller Wehmut ziehen unsere Gedanken zu den Toten, die ein hartes Grenzlandschicksal dort behielt — in der Heimat und dennoch in fremder Erde.
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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.
Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
Bund der Danziger
Fleischhauerstr. 37
23552 Lübeck
Bei vom Bund der Danziger genehmigten Veröffentlichungen ist zusätzlich ist die Angabe "Übernommen aus dem forum.danzig.de" erforderlich.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang
Von unseren Vorlaubenhäusern
von Erich Volmar
Ein Gebäudetyp, dem man in der Werderlandschaft immer wieder begegnete und der bei der Erinnerung an das gesegnete Stück Erde in unserem Freistaat besonders deutlich vor Augen steht, ist das Vorlaubenhaus. Die vielen vorhandenen Beispiele dieser höchst interessanten, in Fachwerk sich darbietenden Bauweise stammen natürlich nicht mehr aus der Epoche der ersten Siedlergeneration, denn erfahrungsgemäß ist die Lebensdauer von Holzbauten auch bei solidester Konstruktion auf etwa 300 Jahre begrenzt.
Doch darf man in ihnen das Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe sehen, an deren Anfang die Vorlaube in der uns überlieferten Form wahrscheinlich noch nicht da war. Bei grundsätzlicher Verwandtschaft unserer Bauernhäuser im Werder mit den westlichen Bauarten hat sie sich als ein architektonisches Element eingefunden, das nur im Osten bekannt ist, jenseits der Elbe hingegen kaum vorkommt. Wann sie entstand, kann mit Bestimmtheit nicht gesagt werden, datiert doch das älteste erhaltene Beispiel, das sogenannte „Löwenschloss" in Guteherberge erst aus der Zeit um 1600. Ihre zweifellos zahlreichen Vorgänger verlieren sich im Zwielicht ungewisser Hypothesen, etwa in der Richtung, dass die seit dem 16. Jahrhundert eingewanderten Mennoniten die Vorlaube aus Holland mitgebracht hätten. Diese Vermutung muss als irrig bezeichnet werden, weil es in Holland keine Vorlauben gibt. Da lässt es sich schon eher verstehen, wenn man ihr Vorbild im ostgermanischen Haus sucht. Am nächsten liegt vielleicht die Erklärung, in ihrer so charakteristischen Gestalt eine ausgesprochene Eigenbildung sehen zu können, gewachsen auf dem gleichsam vorbestimmten Boden wie eine Pflanze, die eben nirgend anderswo so gut gedeihen wollte, als unter den ihr zusagenden Verhältnissen. So entfaltete sie sich gerade in den Niederungsgebieten am Unterlauf der Weichsel und an der Nogat zur vollen Blüte, von keiner sonstigen Gegend an reichem Vorkommen und prächtigem Aussehen erreicht. In drei verschiedenen Anordnungen begegnet man ihr als die repräsentable Beigabe zum Wohnhaus. Der niedersächsische Typ, ein zweigeschoßiger Baukörper auf länglichem Rechteck, steht mit dem Giebel zur Straße, die Vorlaube nimmt die volle Breite des Hauses ein und ist ein überzeugendes Eingangsmotiv. Das einzige erhaltene Beispiel dieser Art ist das schon erwähnte Löwenschloss in Guteherberge, sehr instruktiv wegen seiner alten guten Zimmerung. Beim so genannten Mischtyp tritt noch ein kürzerer Seitenflügel hinzu, der springt rund 6 m von der Vorlaubenfront zurück und erreicht mit seinem First bei gleicher Breite und Dachneigung des Hauptbauteils dessen Firsthöhe. Der dritte Typ folgt dem oberdeutsch-fränkischen Brauch der Parallelstellung des Hauses zur Straße, während die im Ursprungsland unbekannte Laube hier etwa die halbe Breite des Hauses hat und um das Maß vor die Front tritt, das zur Durchfahrt eines Wagens genügt. Das Hauptgebäude ist immer eingeschossig, auf den Vorlaubenstielen ruht noch ein Obergeschoß, dessen Dach mit dem Hauptdach die gleiche Firsthöhe besitzt. Bei der zunehmenden Verbreitung dieser Bauweise schwand eine imposante Erscheinung im Hausinnern — die durchgehende Diele mit der umlaufenden Galerie als Zugang zu den Stuben des Obergeschosses. In einigen Vertretern des Mischtyps ist diese Halle noch erhalten geblieben, am gepflegtesten im ehemaligen Hause des Hofbesitzers Herbert Ringe in Trutenau, wo noch bis zum letzten Kriege nach eingebrachter Ernte unter der geschmückten Ährenkrone sich die Tanzpaare drehten, wie es seit altersher Sitte war. Über acht kräftigen Stielen mit ausgeschnittenen Kopfbändern erhebt sich die in dicht gemustertem Fachwerk schimmernde Giebelfront, datiert von 1720. Ungefähr aus dieser Zeit stammen noch ähnliche bemerkenswerte Beispiele, wie die Häuser Heinrich-Herzberg, Wiebe-Neumünsterberg, Bielefeldt-Tannsee und andere mehr. Bei allen besteht das Erdgeschoß aus Schurzbohlen und darüber Fachwerk in mehr oder weniger bewegten Zierformen. Die Anzahl der Vorlaubenstander — bis zu zehn Stück — soll angeblich der Hufenzahl des zugehörigen Besitzes entsprochen haben. Von den vielen fränkischen Typen ist das Haus Kiep-Gottswalde ein besonders schönes Exemplar, die Wetterfahne zeigt das Jahr 1792.
Noch über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus wurden Häuser gebaut, die in ihren Hauptzügen dem fränkischen Typ mit Vorlaube zugehörten, wenngleich die Einzelausbildung dem allgemeinen Zeitgeist gehorchend flacher und handwerklich schlechter wurde, bis eine billige städtische Manier die gute Bautradition aufzulösen begann. Immerhin pflegte der Niederungsbauer, wo noch altes Baugut vorhanden war, das von den Vätern überkommene Erbe und hat sein Teil dazu beigetragen, daß die schmucken Vorlaubenhäuser nicht nur Einzelerscheinungen blieben, sondern nicht selten ein ganzes Dorfbild bestimmten, wie etwa in Stüblau oder Marienau. Fachkreise haben sich gern mit dem ergiebigen Stoff dieser ländlichen Baukultur beschäftigt. Es sei an dieser Stelle auf die eingehenden Forschungen Professors Otto Kloeppel hingewiesen, der mit seiner wertvollen systematischen Arbeit über die bäuerliche Haus-, Hof- und Siedlungsanlage im Weichsel-Nogat-Delta (erschienen bei der Danziger Verlagsgesellschaft 1924) das Thema nahezu erschöpfend behandelt hat. Die meisten der zahlreichen photographischen Aufnahmen wurden von Dipl.-Ing. Dr. Viktor Zirkwitz ausgeführt und tragen wesentlich zur Veranschaulichung des Buchinhaltes bei.
Gedacht aber sei vor allem derer, die von Haus und Hof gejagt wurden als letztes Geschlecht nach sechshundertjähriger Sesshaftigkeit auf uraltem deutschem Boden, und in stiller Wehmut ziehen unsere Gedanken zu den Toten, die ein hartes Grenzlandschicksal dort behielt — in der Heimat und dennoch in fremder Erde.
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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang