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Wolfgang
16.01.2009, 18:42
Aus "Unser Danzig", 1951, Heft Nr.5, vom März 1951, Seite 5:


An der Weichsel gegen Osten
Günter Pogatzki

Bewegte Tage im Landessender Danzig

Die Belegschaft des ehemaligen Landessenders Danzig, gleich ob sie der Programmverwaltung, der Technik oder der kaufmännischen Abteilung angehörte, war bis zu dem tragischen Wendepunkt am 1. September 1939 eine Familie, in der es zu keiner Verstimmung oder gar zu Feindseligkeiten kam, wie sie bei anderen Kulturinstituten nur zu oft in Erscheinung treten. Nie gab es Kompetenzstreitigkeiten, da der Arbeitsbereich eines jeden Mitarbeiters genau abgegrenzt und umrissen war. Die Programmgestaltung, die an manchen Tagen für eine Sendedauer von 16 Stunden zu sorgen hatte, ließ zu extravaganten Exzessen auch gar keine Zeit. Das kleine, an den Händen abzuzählende Häuflein des künstlerischen Personals war mit Sendungen, Probenarbeiten, Außenaufnahmen, Manuskriptkonzeptionen, Lektorattätigkeit, Programmsitzungen und vielen anderen Arbeiten derart in Anspruch genommen, dass es in den kurzen Arbeitspausen glücklich war, im geselligen Gedankenaustausch miteinander in Harmonie verkehren zu können. Das technische und kaufmännische Personal, das rein zahlenmäßig für den angespannten Sendebetrieb des Funkhauses am Winterplatz viel zu gering war, musste sich, je unabhängiger der Landessender sich von den Reichssendern machte, einem Arbeitstempo gewachsen zeigen, das man rückschauend als geradezu unwahrscheinlich bezeichnen muss Arbeitsgebiete, für die bei den Reichssendern zehn Abteilungen zuständig waren, wurden beim Landessender von einer einzigen Abteilung bewältigt. Bezeichnend für den Geist der Sendeleute war es, dass die Hauptsachbearbeiter der Abteilungen Musik und Wort Nicht-Parteigenossen waren. Mit Ausnahme einiger Zeitfunksendungen und der von den Reichssendern übernommenen Nachrichten wurde mit den Wortschöpfungen des Dritten Reiches äußerst sparsam umgegangen. Von maßgeblicher Parteiseite wurde dem Intendanten oft der Vorwurf gemacht, dass die Programmausrichtung des Landessenders Danzig fast als reaktionär zu bezeichnen sei. Es muss an dieser Stelle einmal gesagt werden, dass es das Verdienst des allem Schöngeistigen zugetanen Intendanten Reginald Buse war, dem Landessender die besondere Note zu erhalten, die ihm seine nichtparteigebundenen Sachbearbeiter gaben. Das trug ihm besonders von seiten der Hitler-Jugendführer manche Feindseligkeiten ein und brachte ihn schließlich im Jahre 1939 zu Fall. Reginald Buse fand den Mut und die Kraft, seine Mitarbeiter jederzeit unter Einsatz seiner Persönlichkeit vor Angriffen von Parteiführern zu schützen und ein heimatliches, nicht von der Machtpolitik des damaligen Regimes bestimmtes Programm zu senden. Er scheute nicht davor zurück, den Leiter der H.J.-Sendungen wegen seines flegelhaften Benehmens in die Schranken zu weisen und ihn schließlich aus dem Sendebetrieb zu entfernen. Diese Tatsache trug ihm den Groll. des Gauleiters und seiner Komplizen ein und war schließlich eines der wichtigsten Argumente für Buses Ausscheiden aus dem Sender.

Die besinnlichen Sonntag-Vormittagssendungen mit Lesungen aus Werken unserer großen deutschen Wortschöpfer und Sätzen klassischer Musik, sowie die sonnabendliche Abendsendung „Leg in den Schoß die Hände", deren Ausgestaltung in den Händen des Schreibers dieser Zeilen lag, brachten dem Sender eine Menge von Anerkennungsschreiben ein. In diesen Wochenendsendungen sprach die Danziger Heimat in ihrer vielfältigen Schönheit zu den Hörern. Eingeleitet wurde sie mit den wuchtigen Glockenklängen St. Mariens. Ein mir befreundeter Pfarrer der Bekennenden Kirche sagte mir einmal: „Euer Sender ist in seinen musikalischen und literarischen Sendungen wohltuend unzeitgemäß. Fast könnte man meinen, als sei die neue Zeit an euch spurlos vorüber gegangen."

Im August 1939 änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Wie das Damoklesschwert lag die unheilschwangere Atmosphäre des heraufziehenden politischen Unwetters über uns. Als ich Mitte August von' einem vierzehntägigen Erholungsurlaub in den Sender zurückkehrte, wehte mir eine völlig neue Luft mit erstickender Gewitterschwüle entgegen. Die alten Kollegen saßen bedrückt hinter ihren Schreibtischen und waren zur Untätigkeit verurteilt. Auf Anordnung des Propagandaministeriums waren alle Eigensendungen musikalischen und literarischen Inhaltes aufgehoben und durch Reichssendungen mit Schritt- und Tritt- und Mut-und Blutinhalten abgelöst worden. Reginald Buse musste dem Judenfresser Wolfgang Diewerge weichen, der wie eine Furie im Funkhause raste und jeden Kollegen, der nicht für Zeitfunksendungen zu verwenden war, mit Todesverachtung strafte. Eine halbe Stunde nach meiner Dienstaufnahme wurde ich zu ihm zitiert.

„Sie sind Sachbearbeiter der Abteilung Wort?" herrschte er mich an. „Für Lyrik und zarte Besinnlichkeit haben wir jetzt keine Zeit. Entweder Sie machen Zeitfunksendungen oder entschließen sich zu einer anderen Tätigkeit. Das gleiche habe ich Ihren Kollegen von der Musik und Literatur bereits gesagt. Ich erwarte Ihre Entscheidung in wenigen Stunden. Ganz Danzig harrt nunmehr nur noch der Ankunft des Führers, die Bevölkerung muss auf dieses Ereignis vorbereitet werden. Das ist unsere Aufgabe. Alles andere ist jetzt bedeutungslos."

Ich gab ihm zur Antwort, dass ich nie Zeitfunksendungen in diesem Sinne machen könne und unter solchen Voraussetzungen auch nie zum Funk gegangen wäre. Man könne alles lernen, lautete die Antwort.

Kurt Koschnick, der Musiker, sagte mir zerknirscht, dass die guten Landessenderzeiten wohl vorüber seien. Koschnick wollte wieder als Korepetitor zum Theater zurückkehren. Auch die Kollegen vom Zeitfunk, deren Sendungen wie alles beim Landessender auf Besinnlichkeit und Heimatliebe abgestellt waren, fühlten sich in ihrer neuen Rolle unter dem wütenden Fanatiker Diewerge höchst unbehaglich. Diewerge mochte allmählich eingesehen haben, dass mit der alten Landessenderbelegschaft der vom Ministerium geforderte Kampfgeist nicht erfüllt werden konnte. Er verschrieb sich von der Leitung der Reichsrundfunkgesellschaft NS-Rabauken, die seiner Meinung nach geeignet waren, Danzigs Bevölkerung für die bevorstehenden Ereignisse zu animieren. Nach wenigen Tagen zogen sie in den Danziger Sender ein. Allen voran Karl-Heinz Boese mit braunem Stahlhelm und pistolenbewehrten Hüften, umgeben von einer persönlichen SS-Leibwache.

Boese, der Intendanten-Nachfolger Diewerges, trat mit seinen braunen Stiefeln alles tot, was nicht im neuen Geiste mitzumarschieren gedachte. Sowohl Diewerge als auch Boese gehörten zu den Brunnenvergiftern und Totengräbern unserer geliebten Mutter Danzig.

Wie die Hornissen fielen die Braunen über die einfachen Stühle unserer Arbeitsstätte her. „So geht es nicht weiter! Wir brauchen unbedingt repräsentativere Arbeitsplätze! Was ihr hier gemacht habt, war alles Dreck. Jetzt werden wir euch mal zeigen, was Programmgestaltung heißt." So wetterten sie durcheinander und konnten es nicht begreifen, dass man mit so einfachen Mitteln sechzehnstündige Programme hatte senden können. Die alte Belegschaft wurde mit untergeordneten Arbeiten beschäftigt, weil man sich nicht getraute, sie sofort an die Luft zu setzen. Jedenfalls durften wir bis in die Nächte hinein Ansage- und Sprecherdienst machen, während die neuen Herren sich in den Restaurants an den guten, fetten Dingen, die sie im Reich schon lange nicht mehr gesehen hatten, ergötzten und literweise „Manchandel" und „Kurfürsten" in sich hineingössen. Wahrlich, die Reichs-Rundfunkgesellschaft hatte ihre Elite nach Danzig entsandt! Von „würdigeren" Vertretern konnten die Danziger auf das bevorstehende Ereignis nicht vorbereitet Werden.

Drei Nächte vor Kriegsbeginn und der damit verbundenen Angliederung Danzigs an das Reich durfte die gesamte Senderbelegschaft das Funkhaus nicht verlassen. Die Männer bekamen schwere Armeepistolen ausgehändigt, mit denen sie im Falle eines Übergriffes von weiß der Himmel welcher Seite den Sender zu verteidigen hätten. Wir Danziger sahen uns mit äußerst gemischten Gefühlen an. Ich sehe die Jünger der Muse heute noch deutlich mit ihren fast an Komik grenzenden entsetzten Gesichtern auf die Mordgeräte schielen.

Als Albert Forster in den frühen Morgenstunden des 1. September 1939, begleitet von den Artillerieeinschlägen der „Schleswig-Holstein" auf Westerplatte, die Angliederung Danzigs an das Reich und die Ernennung des Landessenders zum Reichssender proklamierte, reichten wir alten Landessenderkollegen uns schweigend die Hand. Wir wussten, dass wir uns für den Danziger Heimatgedanken nun nicht mehr einzusetzen hatten und dass die friedlichen Zeiten unseres gemeinsamen Wirkens vorüber seien. Unser Händedruck war eine Kondolenzbezeugung. Wir standen noch eine geraume Zeit, erdrückt von der Wucht der unheilschwangeren Ereignisse, in unserer Kellerecke zusammen, bis Diewerge uns mit vor innerer Befriedigung strahlendem Gesicht an unsere illusorisch gewordenen Arbeitsplätze trieb. Nunmehr wurde die endgültige Gleichschaltung des Landessenders Danzig mit den übrigen Reichssendern vollzogen. Der Danziger Landessender sank zur Bedeutungslosigkeit herab und war seit der Zeit nicht mehr die Stimme der Danziger Heimat, sondern die gleiche niveaulose Propagandamaschine wie seine Brüder im Reich.

Ich wurde zur Wehrmacht freigestellt und im Juni 1940 eingezogen, nachdem ich noch ein halbes Jahr zu Verlegenheitsarbeiten am Sender verurteilt war. Koschnick, der mit seinem von ihm begründeten Landesorchester zu vielen Bunten Abenden und in manchem Sinfoniekonzert so viel Freude und Erbauung gespendet hatte, war eine Marionette in den Händen der Auswärtigen geworden. Er litt unsäglich unter den neuen Machthabern des Reichssenders. Wo mag der liebe, allezeit freundliche und strahlende Kollege abgeblieben sein? Den anderen Kollegen erging es ähnlich, entweder überantwortete man sie der Wehrmacht oder man ließ sie an untergeordneten Plätzen wirken.

Obwohl der neue Reichssender kaum noch eigene Sendungen brachte, wurde der Verwaltungsapparat mit deutscher Gründlichkeit aufgepumpt und sinnlos vergrößert. Die Arbeit, die in der alten sendereichen Zeit von einem Angestellten bewältigt wurde, verteilte sich nun in der sendetoten Zeit des Senders auf 10 Beamte und Angestellte. Der Besucher, der früher an dem Portal von einem freundlichen Portier empfangen und nach seinen Wünschen gefragt wurde, musste sich jetzt vor einer SS-Funkwache legitimieren und mit Einlasskarten bewaffnen lassen. Der Kommissstiefel, dem das friedliche Danzig erlag, ertrat mit seinen ungefügen Barbarensohlen die jahrelangen kulturellen Leistungen Danziger Menschen.

Fritz Jänicke sagte mir gelegentlich eines Urlaubes, als wir uns in der Heubuder Strandhalle trafen: „Im Sender weht Totenluft. Poguttke, der früher so manches Mal zu seinen Landsleuten sprechen konnte, wird höchstens noch einmal zu Reklamezwecken für das WHW. zum Winterplatz hinzitiert, um zur Farce missbraucht zu werden. Der braune Staub hat unsere Danziger Kultur nivelliert und erstickt." Und Ernst Stieberitz äußerte mir gegenüber 1943 bei Brunies: „Danzig ist tot, seine Totengräber aber sind die Nazis." Stieberitz sollte recht behalten, so sehr sich das in Heimatliebe erglühende Herz auch gegen diese furchtbare Aussage sträubte. Welche Freude aber würde es diesem aufrechten Manne sein, wenn er es hätte erleben können, dass der Danziger Gedanke auch in der Zeit grausamsten Leides fern der geliebten Heimat niemals sterben und untergehen wird!

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang