Wolfgang
18.01.2009, 00:47
Aus "Unser Danzig", Heft Nr.11, vom 16.10.1956, Seite 16:
Die Westerplatte
von Marianne Stoehr
Mit der Westerplatte vereinen sich in meiner Erinnerung heiße Sommertage, erquickende Seebäder und lustige Kurgartenmusik. Gegenüber der kleinen Hafenstadt Neufahrwasser streckte sie ihr waldiges Gelände fast bis an das Flussufer, um in ihrem Nordzipfel mit der Steinmole an der Hafeneinfahrt zu enden. Weit sichtbar glänzte der weiße Leuchtturm auf der Molenspitze über das Wasser der Danziger Bucht. Der dichte Wald, zum Teil zu parkartigen Anlagen reizvoll gestaltet, und der breite Strand ergaben die natürliche Entwicklung der Westerplatte zu einem der viel besuchten Seebäder in Danzigs Umgebung. Stattliche Sommervillen mit gepflegten Gärten lugten zwischen dunklen Kiefern hervor. Die baumbeschatteten Tennisplätze boten zur Sommersaison angenehme sportliche Abwechselung. Die lauschigen Waldwege und den sonnigen Strand bevölkerte ein buntes Badeleben. Mitten im Grün versteckt lag das Kurhaus mit dem Kurgarten, und am Waldausgang zur See im Schutz der Düne duckte sich unter hohen Bäumen die Strandhalle. Von Neufahrwasser erreichte man die Westerplatte durch überqueren der Weichsel mit der Bahnhofsfähre in der Nähe des Lotsenturmes oder mit der Hafenfähre, die in der Vorkriegszeit an der Flussbiegung mit Drahtseilen hin- und hergeschleust wurde. Ein stündlicher Dampferverkehr regelte im Sommer auf der Weichsel eine interessante Fahrtverbindung zwischen Danzig und der Westerplatte und zum Teil weiter über See bis Zoppot mit den Zwischenstationen Brösen und Glettkau.
Zur Badezeit beeilte die Jugend aus Neufahrwasser sich, möglichst vor dem Zehn-Uhr-Dampfer aus Danzig, der ein Stück unterhalb der Hafenfähre seinen Anlegeplatz hatte, über den Fluss zu kommen; denn dem Ansturm der gesamten Jugend war die Anzahl der Badezellen im Bad nicht gewachsen, und Säumige mussten sich oft in langem Warten auf freiwerdende Zellen gedulden. Beim Herannahen des Dampfers beschleunigten wir die Schritte durch die schattigen Waldwege und atmeten erst auf, wenn wir den Kurgarten erreicht hatten und den holzbelegten breiten Gehsteg am Kurhaus vorbei, das jetzt am Vormittag nur vereinzelte Gäste auf der Terrasse hatte, entlang eilten. Rückblickend erspähten wir die sich ihrerseits wild nähernde Meute vom Dampfer, die geraden Weges von der Anlegestelle auf den Kurgarten zustürmte. Wie der Blitz tobte die laute Kinderschar zum entgegengesetzten Ausgang des Kurgartens wieder heraus. Noch ein Stück unter hohen Bäumen ging die Jagd, dann hatten die ersten den Laufsteg über die Dünen zur Badeanstalt erreicht.
Wir Mädel drängten uns zu viert in eine kleine Badekabine und verlängerten auf diese Weise die vorgeschriebene 20-Minuten-Benutzung des Raumes. Stand man dann im Badeanzug bereit, von der hohen Treppe in die blaue Flut zu steigen, hatte man immer dasselbe Empfinden des herrlichen Sommertages, gleich im Bad von Westerplatte, Brösen, Glettkau oder Zoppot. Gelöst, befreit von unnützer Beschwerde atmete der Körper die frische Seeluft, und das sanft beschwingte Wasser lockte uns zum kühlen Bade. Fröhlich tummelten wir uns in dem weißen Gischt der Wellen, um später im warmen Seesand ein Sonnenbad zu nehmen. Weit spannte sich der blaue Himmel über uns, leise plätscherte das Wasser ans Ufer, und der laue Seewind strich leicht durch das Dünengras.
Nachmittags herrschte ein munteres Leben und Treiben am Strand vor der Strandhalle, und auf dem Seesteg spazierten viele sommerlich froh gekleidete Menschen. Gegen Abend, wenn die Sonne hinter dem Leuchtturm westwärts über den Bergen von Adlershorst und Oxhöft immer tiefer ihre Bahn zog und die Blinkfeuer am nördlichen Horizont ihr freundliches Spiel begannen, wanderten wir wohlgemut durch den dämmerigen Wald zurück zum Kurgarten, aus dem uns schon fröhliche Musik entgegen schallte. Hell erleuchtet lag nun der Gehsteg von farbigen Lichterketten überspannt. Festlich strahlte das Kurhaus, in hellen Schein getaucht, und rings auf der Terrasse und im Garten saßen an Tischen heitere Menschen. Ein vielseitiges Programm mit launigen Gesangs- oder Sprechvorträgen, mit Tanz und Spiel trug täglich zur Unterhaltung der Gäste bei. Sonntags fand es durch größere Veranstaltungen, wie Doppelkonzert oder Kinderfest, seine Erweiterung. Als besonderer Höhepunkt galt die beliebte Schlachtmusik mit richtigem Biwakfeuer im Kurgarten und anschließendem Feuerwerk.
Fuhren wir dann spät über das dunkle Wasser des Flusses heimwärts, spiegelten sich darin friedlich die hohen Hafenlampen und die runden Bullaugenlichter der vor Anker liegenden Schiffe, und über die niedrigen Giebelhäuser des ruhenden Städtchens ragte zum Sternenhimmel die charakteristische Silhouette der doppeltürmigen evangelischen Kirche zu Neufahrwasser.
Wild wütete in den ersten Januartagen 1914 ein Orkan über der Ostsee, und an der ganzen Küste entlang verursachte die Sturmflut unermesslichen Schaden. Bis fast zur Spitze des Leuchtturmes an der Hafeneinfahrt nach Neufahrwasser spritzte der weiße Schaum der haushohen Wellen. Vom aufgewühlten Grund schmutzig gelb gefärbt, wogte das Wasser der Weichsel im Hafen; vom Seewind gestaut, drängte es bis an den obersten Bordrand und überschwemmte an flach gelegenen Stellen das Ufer. Tag und Nacht lag uns das Sausen des Sturmes, das Brausen des Meeres im Ohr. Es klang wie dräuende Sturmzeichen des Himmels, und bang horchten wir in das zügellose Treiben. So jäh wie das Unwetter eingesetzt hatte, so plötzlich ebbte es ab, und über Nacht verwandelte ein scharfer Frost die tobende Natur in Eisesstarre.
Am Sonntag morgen breitete sich heller Sonnenschein über das Land, als wir über den nun so ruhig fließenden Fluss zur Westerplatte übersetzten. Auf den wohl bekannten Wegen nahe der See glaubten wir plötzlich einen Zauberwald zu betreten. Die bis in die hohen Wipfel vereisten Bäume bogen sich unter der schweren Last zu weiten Eistoren über unseren Weg, und Baum und Strauch glitzerten im Sonnenlicht wie mit tausend Diamanten und Karfunkeln übersät. Auf dem breiten Strand, den die Sturmflut bis an die Dünen heran überschwemmt hatte, waren die Wellen zu Eis gefroren. Was aber war aus dem Seesteg und der Badeanstalt geworden? Die Hälfte des Steges war verschwunden, und der Rest bestand aus Grundpfeilern, deren Holzauflage völlig vernichtet war. Auch die Badeanstalt glich einem großen Holzwrack. Die kläglichen Überreste, von einer schimmernden Eisschicht überzogen, mit malerisch an den Seiten herab hängenden langen Eiszapfen, wirkten jedoch in der Sonne glänzend wie Zaubergebilde aus dem Märchenland. Scheu bewundernd steht der Mensch in solchen Augenblicken vor der Macht der Naturgewalt. Seit jener Zeit schien der fröhlich beschwingte Charakter der Westerplatte wie verwandelt, und die nahende Kriegszeit tat ihr übriges.
Es war ein neblig trüber Herbstabend in den Nachkriegsjahren. Wir fuhren über die Bahnhofsfähre zur Westerplatte und verfolgten den Weg zur Mole bis an das Ende zum Leuchtturm. Von hier aus beobachteten wir die letzte Ausfahrt des Ozeanriesen „Columbus“, der auf der Schichauwerft in Danzig erbaut war und nun als Reparationsgut seine Reise antrat. Immer ferner unseren Blicken entrückt, schimmerte der hell erleuchtete riesige Schiffsrumpf auf der einsamen Bucht. Fröstelnd traten wir den Heimweg an. Dort schwamm unser stolzes deutsches Schiff als Vasall einer Fremdmacht seinem dunklen Schicksal entgegen und neben uns am Hafenufer erhob sich drohend ein schwarzer Zaun, der von fremder Hand erbaut, uns den Zutritt auf die Westerplatte verwehrte.
Die Westerplatte
von Marianne Stoehr
Mit der Westerplatte vereinen sich in meiner Erinnerung heiße Sommertage, erquickende Seebäder und lustige Kurgartenmusik. Gegenüber der kleinen Hafenstadt Neufahrwasser streckte sie ihr waldiges Gelände fast bis an das Flussufer, um in ihrem Nordzipfel mit der Steinmole an der Hafeneinfahrt zu enden. Weit sichtbar glänzte der weiße Leuchtturm auf der Molenspitze über das Wasser der Danziger Bucht. Der dichte Wald, zum Teil zu parkartigen Anlagen reizvoll gestaltet, und der breite Strand ergaben die natürliche Entwicklung der Westerplatte zu einem der viel besuchten Seebäder in Danzigs Umgebung. Stattliche Sommervillen mit gepflegten Gärten lugten zwischen dunklen Kiefern hervor. Die baumbeschatteten Tennisplätze boten zur Sommersaison angenehme sportliche Abwechselung. Die lauschigen Waldwege und den sonnigen Strand bevölkerte ein buntes Badeleben. Mitten im Grün versteckt lag das Kurhaus mit dem Kurgarten, und am Waldausgang zur See im Schutz der Düne duckte sich unter hohen Bäumen die Strandhalle. Von Neufahrwasser erreichte man die Westerplatte durch überqueren der Weichsel mit der Bahnhofsfähre in der Nähe des Lotsenturmes oder mit der Hafenfähre, die in der Vorkriegszeit an der Flussbiegung mit Drahtseilen hin- und hergeschleust wurde. Ein stündlicher Dampferverkehr regelte im Sommer auf der Weichsel eine interessante Fahrtverbindung zwischen Danzig und der Westerplatte und zum Teil weiter über See bis Zoppot mit den Zwischenstationen Brösen und Glettkau.
Zur Badezeit beeilte die Jugend aus Neufahrwasser sich, möglichst vor dem Zehn-Uhr-Dampfer aus Danzig, der ein Stück unterhalb der Hafenfähre seinen Anlegeplatz hatte, über den Fluss zu kommen; denn dem Ansturm der gesamten Jugend war die Anzahl der Badezellen im Bad nicht gewachsen, und Säumige mussten sich oft in langem Warten auf freiwerdende Zellen gedulden. Beim Herannahen des Dampfers beschleunigten wir die Schritte durch die schattigen Waldwege und atmeten erst auf, wenn wir den Kurgarten erreicht hatten und den holzbelegten breiten Gehsteg am Kurhaus vorbei, das jetzt am Vormittag nur vereinzelte Gäste auf der Terrasse hatte, entlang eilten. Rückblickend erspähten wir die sich ihrerseits wild nähernde Meute vom Dampfer, die geraden Weges von der Anlegestelle auf den Kurgarten zustürmte. Wie der Blitz tobte die laute Kinderschar zum entgegengesetzten Ausgang des Kurgartens wieder heraus. Noch ein Stück unter hohen Bäumen ging die Jagd, dann hatten die ersten den Laufsteg über die Dünen zur Badeanstalt erreicht.
Wir Mädel drängten uns zu viert in eine kleine Badekabine und verlängerten auf diese Weise die vorgeschriebene 20-Minuten-Benutzung des Raumes. Stand man dann im Badeanzug bereit, von der hohen Treppe in die blaue Flut zu steigen, hatte man immer dasselbe Empfinden des herrlichen Sommertages, gleich im Bad von Westerplatte, Brösen, Glettkau oder Zoppot. Gelöst, befreit von unnützer Beschwerde atmete der Körper die frische Seeluft, und das sanft beschwingte Wasser lockte uns zum kühlen Bade. Fröhlich tummelten wir uns in dem weißen Gischt der Wellen, um später im warmen Seesand ein Sonnenbad zu nehmen. Weit spannte sich der blaue Himmel über uns, leise plätscherte das Wasser ans Ufer, und der laue Seewind strich leicht durch das Dünengras.
Nachmittags herrschte ein munteres Leben und Treiben am Strand vor der Strandhalle, und auf dem Seesteg spazierten viele sommerlich froh gekleidete Menschen. Gegen Abend, wenn die Sonne hinter dem Leuchtturm westwärts über den Bergen von Adlershorst und Oxhöft immer tiefer ihre Bahn zog und die Blinkfeuer am nördlichen Horizont ihr freundliches Spiel begannen, wanderten wir wohlgemut durch den dämmerigen Wald zurück zum Kurgarten, aus dem uns schon fröhliche Musik entgegen schallte. Hell erleuchtet lag nun der Gehsteg von farbigen Lichterketten überspannt. Festlich strahlte das Kurhaus, in hellen Schein getaucht, und rings auf der Terrasse und im Garten saßen an Tischen heitere Menschen. Ein vielseitiges Programm mit launigen Gesangs- oder Sprechvorträgen, mit Tanz und Spiel trug täglich zur Unterhaltung der Gäste bei. Sonntags fand es durch größere Veranstaltungen, wie Doppelkonzert oder Kinderfest, seine Erweiterung. Als besonderer Höhepunkt galt die beliebte Schlachtmusik mit richtigem Biwakfeuer im Kurgarten und anschließendem Feuerwerk.
Fuhren wir dann spät über das dunkle Wasser des Flusses heimwärts, spiegelten sich darin friedlich die hohen Hafenlampen und die runden Bullaugenlichter der vor Anker liegenden Schiffe, und über die niedrigen Giebelhäuser des ruhenden Städtchens ragte zum Sternenhimmel die charakteristische Silhouette der doppeltürmigen evangelischen Kirche zu Neufahrwasser.
Wild wütete in den ersten Januartagen 1914 ein Orkan über der Ostsee, und an der ganzen Küste entlang verursachte die Sturmflut unermesslichen Schaden. Bis fast zur Spitze des Leuchtturmes an der Hafeneinfahrt nach Neufahrwasser spritzte der weiße Schaum der haushohen Wellen. Vom aufgewühlten Grund schmutzig gelb gefärbt, wogte das Wasser der Weichsel im Hafen; vom Seewind gestaut, drängte es bis an den obersten Bordrand und überschwemmte an flach gelegenen Stellen das Ufer. Tag und Nacht lag uns das Sausen des Sturmes, das Brausen des Meeres im Ohr. Es klang wie dräuende Sturmzeichen des Himmels, und bang horchten wir in das zügellose Treiben. So jäh wie das Unwetter eingesetzt hatte, so plötzlich ebbte es ab, und über Nacht verwandelte ein scharfer Frost die tobende Natur in Eisesstarre.
Am Sonntag morgen breitete sich heller Sonnenschein über das Land, als wir über den nun so ruhig fließenden Fluss zur Westerplatte übersetzten. Auf den wohl bekannten Wegen nahe der See glaubten wir plötzlich einen Zauberwald zu betreten. Die bis in die hohen Wipfel vereisten Bäume bogen sich unter der schweren Last zu weiten Eistoren über unseren Weg, und Baum und Strauch glitzerten im Sonnenlicht wie mit tausend Diamanten und Karfunkeln übersät. Auf dem breiten Strand, den die Sturmflut bis an die Dünen heran überschwemmt hatte, waren die Wellen zu Eis gefroren. Was aber war aus dem Seesteg und der Badeanstalt geworden? Die Hälfte des Steges war verschwunden, und der Rest bestand aus Grundpfeilern, deren Holzauflage völlig vernichtet war. Auch die Badeanstalt glich einem großen Holzwrack. Die kläglichen Überreste, von einer schimmernden Eisschicht überzogen, mit malerisch an den Seiten herab hängenden langen Eiszapfen, wirkten jedoch in der Sonne glänzend wie Zaubergebilde aus dem Märchenland. Scheu bewundernd steht der Mensch in solchen Augenblicken vor der Macht der Naturgewalt. Seit jener Zeit schien der fröhlich beschwingte Charakter der Westerplatte wie verwandelt, und die nahende Kriegszeit tat ihr übriges.
Es war ein neblig trüber Herbstabend in den Nachkriegsjahren. Wir fuhren über die Bahnhofsfähre zur Westerplatte und verfolgten den Weg zur Mole bis an das Ende zum Leuchtturm. Von hier aus beobachteten wir die letzte Ausfahrt des Ozeanriesen „Columbus“, der auf der Schichauwerft in Danzig erbaut war und nun als Reparationsgut seine Reise antrat. Immer ferner unseren Blicken entrückt, schimmerte der hell erleuchtete riesige Schiffsrumpf auf der einsamen Bucht. Fröstelnd traten wir den Heimweg an. Dort schwamm unser stolzes deutsches Schiff als Vasall einer Fremdmacht seinem dunklen Schicksal entgegen und neben uns am Hafenufer erhob sich drohend ein schwarzer Zaun, der von fremder Hand erbaut, uns den Zutritt auf die Westerplatte verwehrte.