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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eisbrecherfahrt auf der Stromweichsel



Wolfgang
20.01.2009, 00:14
Aus "Unser Danzig", Heft Nr.4, vom 20.02.1959, Seite 18:

Eisbrecherfahrt auf der Stromweichsel
von Hugo Arendt

Solche verregneten Sommer und molsche Winter, wie wir sie jetzt im Westen erleben, gab es bei uns in Danzig nicht. Da hatten wir anständige Sommer mit herrlichem sonnigen Wetter und harte Winter, an denen alles dran war. Wochenlang waren die Fenster bekeilt (zugefroren), monatelang konnten wir „Schleifchen“ laufen. Wir wurden mit der Kälte fertig! Ich denke noch an einen Winter, den ich in meiner zehnjährigen Amtszeit in Danzig-Krakau verlebte. Es war wohl das Jahr 1928. Der Schnee lag über einen Meter hoch. Das ganze Dorf schippte für die Kinder einen Schulweg. Die kleine Rodelbahn im Walde wurde wochenlang benutzt. Ja, auch im Winter war es in Krakau schön. Die verschneiten Tannen zauberten märchenhafte Bilder hervor. Ja, sogar Schlittschuh konnten wir manchmal auf der zugefrorenen Ostsee laufen.

Jeder Danziger weiß, dass das freundliche Dörfchen Krakau zwischen Heubude und Westlich Neufähr lag. Fremde benutzten die Chaussee, während Ortskundige durch Benutzung der Waldwege wesentliche Strecken abkürzten und herrliche Winterbilder erlebten. Dieser Waldweg vor der Mitteldüne führte von Krakau durch Westlich Neufähr, am Quellbergweg entlang bis zum Durchbruch. Kurz davor zur linken Hand gelegen, hatte Robert Mo11in , im Volksmunde nur „Mommsen“ genannt, eine kleine, doch sehr gemütliche Gaststätte erbaut. Bei „Mommsen“, dem freundlichen Wirt, herrschte immer Betrieb. Den „Trudelbecher“" hatte er ständig in der Tasche, denn das „Austrudeln einer Lage“ war Mommsens Hobby. Im Sommer besuchten viele Weichselangler sein Lokal, während im Winter wanderfreudige Danziger, die Arbeiter der Plehnendorfer Werft und die Kapitäne der kleinen Eisbrecherflottille, die im Plehnendorfer Hafen lag, gerne einen anständigen, heißen Grog bei Mommsen hinter die Binde gössen. Auch ich besuchte sehr oft Freund Mommsen, um mit Mommsen und Robinson, dessen Lokal in der Nähe lag, nicht nur einen echten Seemannsgrog zu trinken, sondern auch einen anständigen Danziger Skat mit allen Schikanen, „Puppchen, Kontra, Re und mit der Wildsau“ zu spielen.

Bei dieser Gelegenheit saßen am Nachbartische einmal im Februar bei 22 Grad Frost drei Eisbrecherkapitäne, von denen ich John Schiemann gut kannte. Auf meine Bitte, mich an einer Eisbrecherfahrt teilnehmen zu lassen, sagte John lakonisch: „Gevv erst mal eene goode Grog ut, dann wolle wie mal seene!“ Der Hinderungsgrund war bald beseitigt, und etwa zwei Stunden später stand der kleine, doch sehr fest gebaute „Steamer“ an der Anlegebrücke unter Dampf. Die Besatzung bestand meistens nur aus vier bis sechs Mann, dem Kapitän, dem An- und Ausleger, dem Bootsjungen und dem Maschinisten. Unsere Fahrt ging nun durch den Durchbruch zur offenen See und dann rechts ab zur Stromweichsel, die ja stets offen gehalten werden musste, damit im Frühling der Eisgang einen natürlichen Abgang hatte. Trotz dem täglichen Aufbrechen des Eises fror die Fahrrinne bald wieder zu. So war es auch, als. unser Steamer in die Mündung fuhr. Von der Kapitänsbrücke hatte man ein unvergessliches Bild. Mit voller Kraft schob sich unser Dampfer auf das Eis, das dann an beiden Seiten auseinander brach. „Zurück, vorwärts, zurück, vorwärts!“ so lautete das Dauerkommando. Hunderte von Möwen umsegelten den Dampfer, weil es für sie jetzt eine fette Beute gab. Immer wieder sah man Möwen mit Fischen im Schnabel vorbei fliegen. Die Dorfjugend von Nickelswalde stand vorne auf dem festen Eis und rief den Männern des Eisbrechers einen Spottvers zu: „Fescher, de Uhl setzt op dem Mast, griep se am Zoagel unn holl se fest!“

Selbstverständlich pfiff uns selbst in der Kapitänskajüte der Wind um die Ohren, auch saukalt war es trotz unserer winterlichen Vermummung. Doch das focht uns alte Seepiraten nicht sonderlich an. Der Käptn hatte dem Bootsjungen befohlen, uns alle Viertelstunde einen heißen Grog aus dem Maschinenraum heraufzubringen. Er wurde hier nach dem alten Danziger Rezept getrunken: „Rum muss sein, Zucker kann sein, und Wasser ist nicht unbedingt notwendig.“ Wir stellten jedenfalls nach einer geraumen Zeitspanne fest, dass jeder 28 Glas Grog getrunken hatte. Wie hat uns dieses edle Gesöff hier gemundet! Blau war keiner, denn jeder echte „Mottlauspucker“ konnte davon einen kleinen „Patscheimer“ voll vertragen. Endlich legte man wieder in Plehnendorf an, um bei Mommsen noch einen hinter die Binde zu gießen. Kinder, waren das Zeiten! Sie werden immer und immer wieder lebendig, helfen mit den grauen Alltag zu bestehen und knüpfen das feste Band unserer Danziger Schicksalsgemeinschaft, egal, wo wir auch wohnen mögen, immer fester zusammen.



Aus "Unser Danzig", Heft Nr.7, vom 05.04.1959, Seite 7:

Eisaufbruch auf der Weichsel
von Hugo Arendt

Zu dem Artikel in Nr. 4 vom 20. Februar 1959 „Eisbrecherfahrt auf der Stromweichsel“ wird mit folgendem Beitrag eine Ergänzung von einem langjährigen Angehörigen der Danziger Eisbrecher-Flotte gegeben:

Von 1910 bis 1940 bin ich, mit Unterbrechung der Militärzeit von 1912 bis 1918, auf allen Schiffen der Kgl. Preußischen Strombauverwaltung und später beim Danziger Hafenausschuss beschäftigt gewesen. Der Einsatz der als Eisbrecher verwandten Schiffe begann gewöhnlich bei einem Eistreiben, das Zweidrittel der Strombreite bedeckte. Dann wurden die Schiffe, die vom Maschinenbauamt Krakau instand gehalten wurden, vom Wasserbauamt angefordert. Durch Hin- und Herfahren wurde in der Mündung bei Schiewenhorst das Eis zunächst in Bewegung gehalten. War die Eisdecke geschlossen, wurde sie von der Mündung bis nach Rothebude hin aufgebrochen, um eine Verbindung mit dem Werder aufrecht zu erhalten.

Die Besatzung der Schiffe bestand aus Kapitän, Steuermann, zwei bis drei Matrosen, Koch, Maschinenmeister oder Maschinisten und zwei bis drei Heizern. Für das Maschinenpersonal wurden Schmiede und Schlosser von der Werft in Krakau zur Verfügung gestellt.

Der Eisaufbruch begann gewöhnlich im Februar. Dann wurden große Anforderungen an Schiff und Mannschaften gestellt. Ein Strombaudirektor soll einmal den Ausspruch getan haben: „Eisbrechen ist Krieg!“ Wie im Kriege gab es mitunter auch da Tote und Verletzte; so wurde der Steuermann Willi Thoms von einem umfallenden Schornstein erschlagen.

Die Einteilung der Schiffe zum Eisaufbruch ging folgendermaßen vor sich: Zwei bis drei Schiffe befanden sich im Vorort-Betrieb, zwei im Mündungsdienst, und die restlichen mussten die aufgebrochene Strecke ständig abfahren. In verschiedenen Wintern wurde der Aufbruch der Weichsel bis an die Grenze bei Thorn vorgetragen; das bewirkte einen guten Eisgang auf der Weichsel. War das Eis in Bewegung geraten, mussten die Schiffe den nächsten Hafen aufsuchen. Nach dem Abtreiben des Eises fuhren die Schiffe zu ihrem Einsatzhafen in Einlage zurück. Anschließend wurde die Tote Weichsel von Einlage bis zum Durchbruch bei Neufähr aufgebrochen. Die weitere Strecke bei Plehnendorf war dem Eisbrecher „James de Renyer“ übertragen. Vor 1918 war auf dieser Strecke der Dampfer „Richard Dame“ eingesetzt.

Nach Schluss des Eisaufbruches wurde bei Cornelius Krapp oder in Einlage bei Friedrich Schulz ordentlich gefeiert. Und dann ging es nach Hause zu Muttern.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Wolfgang
20.01.2009, 00:39
Das war'n noch Jungs damals!;)

28 Glas Grog auf dem Eisbrecher und die Mottlauspucker waren noch immer nicht hickehacke zu! Nu ja, vielleicht war's doch nur heißes Zuckerwasser?;)