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Wolfgang
07.02.2009, 01:45
Aus "Unser Danzig", Heft Nr.13, vom 05.07.1961, Seite 16:

Eine Nacht in den Danziger Speichern
Anekdote von JOHANNA SCHOPENHAUER

Johanna Schopenhauer (1766—1838), die bedeutende Mutter ihres noch bedeutenderen Sohnes, des Philosophen Arthur Schopenhauer, war eine Frau, die auch heute noch einen bestimmten Platz in der deutschen Literatur und Literaturgeschichte einnimmt. Nicht nur weil sie jahrelang in Jena und Weimar lebte um unseren klassischen Dichtern Goethe und Schiller nahe zu sein, sondern auch deshalb, weil sie uns manches hinterlassen hat, was auch heute noch lesenswert ist. So besitzen wir zum Beispiel eine Schilderung der Danziger Speicher von ihr, die in ihrer Anschaulichkeit uns ein gutes Bild von den hoch aufragenden Schatzhäusern Danziger Handelsfleißes geben, das in der nachstehenden Anekdote aus Johannas Niederschrift festgehalten ist.

„Nach Einbruch der Nacht bezog eine Schar grässlicher Ungeheuer unter den Speichern die Wache. Seit undenklicher uralter Zeit wurde auf Kosten der Stadt eine Anzahl sehr grimmiger Hunde von einer besonders wilden blutdürstigen Rasse in festen Zwingern gehalten, von dazu angestellten Wächtern mit rohem Fleisch gefüttert, um sie noch unbezähmbarer zu machen, und mit eintretender Nacht auf der Speicherinsel losgelassen, die dann verschlossen wurde. Wehe dem Verwegenen, der unbegleitet von einem ihrer Wächter und dessen stets knallender Peitsche das ihnen eingeräumte Gebiet betrat!

Herr Umbach, ein zu meiner Zeit allbekannter, im Aufspielen zum Tanz unermüdlicher Violincellist, fand einst in Langgarten im Weinglase den kecken Mut, spät nach Mitternacht es allein mit den Speicherungeheuern aufnehmen zu wollen. Die Wärter ließen ihm den Willen, und Umbach trat kühnlich durch das Tor, doch kaum hatte er auf der gefährlichen Bahn einige Schritte zurückgelegt, als die fürchterlichen Hunde in hellem Haufen auf ihn los stürzten.

Was konnte er tun? Er retirierte, retirierte langsam, immer rückwärts, um den Feind im Gesicht zu behalten, stieß mit dem Rücken an die Mauer, kam darüber ins Stolpern und endlich auf einen großen Stein am Eingang eines Speichers zu sitzen. Den Rücken behielt er dadurch frei, das Instrument senkte sich wie aus Instinkt ihm zwischen die Füße. Da saß er in gewohnter musikalischer Stellung und strich in der Angst, ohne sich dessen bewusst zu sein, mit dem Bogen einmal über die Saiten. Die Hunde stutzten und spitzten die Ohren, er wiederholte den Versuch, kein Hund regte sich.

Umbach spielte nun mutig darauf los: Polonaisen, Mazurkas, Menuetts, rasch hintereinander fort, wie es ihm eben in die Finger kam; der Erfolg übertraf alle Erwartung. Das vierbeinige Auditorium entschlug sich jedes feindseligen Gedankens, setzte sich dicht um ihn her und begleitete ihn einstimmig mit lautem Geheul.

Doch nur so lange er spielte, hielten diese friedlichen Gesinnungen vor. Erlaubte der neue Orpheus sich nur die kürzeste Pause, gleich regten sich die Zuhörer und zeigten ihm knurrend die Zähne, zum feindlichsten Angriff bereit. Er musste spielen, rastlos spielen, bis er den Augenblick kommen sah, wo der Bogen seiner entkräfteten Hand entsinken würde, und traf schon Anstalten, seine arme Seele Gott zu empfehlen. Da kamen die Wächter, die dem wunderlichen Konzert lange zugehört hatten und jetzt einsahen, dass es die höchste Zeit sei, demselben ein Ende zu bereiten.“

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang