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Wolfgang
07.02.2009, 21:03
Aus „Unser Danzig“, Nr. 2 vom 20.01.1965, Seite 8-9


Lieber in der Niederung versaufen als auf der Höh' vertrocknen
von Gustav Penner

Vorbemerkung der Redaktion:
Der nachstehende Beitrag ist, ungeachtet seines derben, volkstümlichen Titels, ein außerordentlich wertvoller Beweis für die ungeheuer komplizierte Entwässerungsarbeit, welche deutsche und holländische Bauern im Werder und in der Niederung geleistet haben. Bekanntlich wurden besonders holländische Mennoniten vom Rat der Stadt Danzig im 17. Jahrhundert hierher geholt und haben einen Großteil dieser Kulturarbeit geleistet. Die Holländer sind seit eh und je Fachleute in der Entwässerung und Trockenlegung von Sumpflandschaften, liegt ja doch ein erheblicher Teil von ganz Holland unter dem Meeresspiegel. Dies ist auch im Weichselmündungsgebiet der Fall, sodass wir hier auch im Osten Deutschlands von einem echten Marsch- und Poldergebiet sprechen können. Die Kriegsereignisse haben einen großen Teil dieser Jahrhunderte hindurch geführten Arbeit vernichtet. Zahlreiche Danziger haben aus den Monaten des Jahres 1945 noch die weithin unter Wasser stehenden Niederungsflächen vor Augen. Die Vertreibung der deutschen Bauern aus diesem Gebiet hat den heutigen Bewohnern keinen Segen gebracht. Erst unlängst haben Besucher, die früher im Werder und in der Niederung zu Hause waren, berichtet, wie trostlos es dort aussieht, einfach aus der Unkenntnis der komplizierten Probleme, ein derartiges Land gesund und ertragreich zu erhalten. Der Bericht schildert mit großer Anschaulichkeit die mühsamen, unausgesetzten Arbeiten in diesem Raum und ist daher ein wertvoller Beitrag zur deutschen Kultur dieses Raumes.


"Lieber in der Niederung versaufen als auf der Höh' vertrocknen". Dieses ist ein altes Werderaner Sprichwort, das immer seine Gültigkeit gehabt hat. Der Kampf mit dem Wasser war dem Werderaner seit eh und je eine Selbstverständlichkeit.

Im Schatten des Marienburger Hochschlosses verband zur früheren Zeit die sogenannte Schiffsbrücke beide Nogatufer. Über Winter wurde diese Brücke eingezogen, und man verankerte die Kähne im Mühlengraben. Die Kanalisierung bannte für die Nogat die Überschwemmungsgefahr für das „Kleine Werder“! Zum letzten Mal gab es hier Ende des vorigen Jahrhunderts eine große Überschwemmung. Die Durchbruchstelle wurde später aufgeforstet. Dadurch entstand ein kleiner Wald im sonst nicht bewaldeten Werderland.

Immer war, auch in der letzten Zeit, die Überschwemmungsgefahr bei ungünstiger Witterung vorhanden, und der Deichschutz unter Führung des Deichhauptmanns und der Deichgeschworenen war keine unnütze Angelegenheit. Zu Zeiten großer Gefahr, besonders beim Eisgang, standen die Männer des Deichschutzes mit Pferdegespannen, Faschinen, Dung und mancherlei Gerät in den Wachbuden bereit, um sofort auftretende Deichschäden beheben zu können. Das Hauptquartier des Deichhauptmanns befand sich in der sogenannten Götterburg in Liessau. Aber auch auf dem flachen Land wurden Maßnahmen getroffen, dass bei Durchbruchsgefahr das Vieh auf die Stallböden geschafft werden konnte. In früherer Zeit stand immer ein brauchbarer Kahn bei Notzeit im Schatten der Scheune zur Verfügung.

War die Wassergefahr von der Weichsel die Wassergefahr Nr. 1, so trat gleich hinterher die Entwässerung des flachen Werderlandes sehr stark in der Vordergrund. Unsere Vorfahren hatten schon ein Grabensystem geschaffen, um das überschüssige Wasser in das Frische Haff zu befördern. Vorbildlich waren in dieser Beziehung hierin die ihres Glaubens halber aus Holland vertriebenen Mennoniten. Sie brachten aus der alten Heimat die Wasserwindmühlen und manche Erfahrung betr. Entwässerung ins Werderland und förderten den Kulturzustand desselben ganz erheblich. Dadurch wurde sogar das unter dem Meeresspiegel liegende Land zu einem Teil der Kultur nutzbar gemacht.

Natürlich musste diese Deichschutzorganisation finanziert werden, und nicht unerhebliche Beträge wurden jedes Jahr in der Hauptsache von den Bauernhöfen oder anderen Land besitzenden Kreisen ans Deichamt abgeführt. Aber nicht dieses allein wurde zur Bekämpfung des reichlichen Wassers benötigt. An zweiter Stelle betr. Beitragszahlung standen die Vorfluten und das sogenannte Lienauwerk. An dritter Stelle galt es die Landfläche des Dorfes zu entwässern, und viertens die Gräben zwischen den eigenen Feldstücken zu erneuern, evtl. Dränagen anzulegen und nach Gefälle Wasserausläufe zu den Gräben zu schaffen. Nach der Feldbestellung mussten Wasserfurchen dort gezogen werden. Alles dieses machte viel Arbeit und verursachte mehr oder weniger große finanzielle Unkosten. In nicht gar so ferner Zeit erstand hier im Großen Werder das sogenannte Lienauwerk. Ich glaube, etwa die Hälfte des Großen Werders war diesem Kanal und Vorflutsystem mit der Entwässerung angeschlossen.

Von der Elbinger Weichsel aus in der Nähe des Dorfes Kalteherberge wurde ein breiter Kanal bis zur Lienau gebaggert. Bei Kalteherberge entstand nun das sogenannte Pumpwerk mit mehreren Auspumprohren, die einen Durchmesser von 1,50 Meter hatten. Die Lienau ist ein ehemaliger Mündungsarm der Weichsel, der nach der See zu zum Teil verschüttet war und nun als Kanal des Lienauwerkes eingeplant worden ist. Von der Lienau aus wurden dann die schon vorhandenen Vorfluten weiter ausgebaggert und später durch Handarbeit mit Handkarren weiter vorangetrieben. Durch das Lienauwerk ging nun der Weichselhaffkanal ein. Die hohe Schleuse desselben im Weichseldamm musste entfernt werden und der Kanal, der auch dem Dampferverkehr Tiegenhof-Danzig gedient hatte, war trockengelegt. Durch dieses Werk dürfte der Grundwasserstand der entwässerten Gebiete um etwa 2 Meter gesenkt worden sein. Was dieses für das betreffende Kulturland bedeutete, ließ sich gar nicht finanziell errechnen. Vor allen Dingen waren die Ernteerträge für alle Kulturfrüchte erheblich gestiegen.

Wie hatte es früher damit ausgesehen? In regenreichen Jahren schafften es die flachen Vorfluten nicht, dass das Wasser genügend abfließen konnte. Die Entwässerungsmühlen (Dampfpumpen) der einzelnen Gemeinden hätten wohl besser arbeiten können, wenn das ausgepumpte Wasser hätte abfließen können. Dieses konnte unter den obwaltenden Umständen jedoch nicht stattfinden. So versauerte das Land zum Teil, und die Ernteerträge sanken. Es ist typisch für das Werderland, dass jedes Feldstück von Gräben umgeben ist. Diese müssen nach gewisser Zeit wieder vertieft werden. Die systematisch nach Gefälle vorhandenen Abzugsgräben wurden zweimal im Jahr vom Schilf und anderen Unkräutern befreit. Der Name für diese Funktion war Krauten. Das mit der sogenannten Krautsense abgemähte Unkraut wurde dann mit dem Rechen auf die Grabenborte gezogen. Diese Prozedur wurde auch an den Vorfluten des Lienauwerkes vollzogen. Es sollte dadurch das Abfließen des überflüssigen Wassers gefördert werden.

Im Frühjahr kam es häufig vor, dass alle Gräben während des Winters vom Schnee zugeweht waren. Da galt es nun, besonders die Hauptabzugsgräben vom Schnee frei zu schaufeln, damit das auftretende Schneewasser abfließen konnte. Ein nasser Sommer, oder vielmehr noch ein nasser Herbst, brachte den Bauern schon einige Kopfschmerzen. Die Feldwege waren dann mitunter unpassierbar, und besonders die Abfuhr der vielen Zuckerrüben war häufig unmöglich. Es war manchmal schon eine Menschen und Pferdeschinderei mit dem werderschen Blott oder auch Modd, der die Räder der Wagen verklebte, so dass es kaum ein vorwärts oder rückwärts fahren gab. Das Pflügen war mitunter nicht mit fünf Pferden zu bewerkstelligen. Ein Passieren der Feldwege, auch hin zu den Abbauten, war manchmal unmöglich. Nur zu Fuß oder zu Pferde war ein Verkehr noch aufrecht zu halten. Vorsorglich wurden im Herbst die Fußsteige mit Sand befahren. Immer war es das Wasser, das alle diese Plagen und Schwierigkeiten verursachte. Es war mitunter schon zum Verzweifeln.

Und doch liebte der Werderaner seine Scholle. Er war ihr verfallen, trotz aller Mängel, die sie hatte. Denn nach vielen witterungsmäßigen Plagen kam doch der Frühling mit Sonnenschein und frohem Leben in der Natur. Er brachte fette Weiden mit prächtigen Rinderherden und reichliche Ernten. Die Störche klapperten froh auf ihren Nestern, und die Nachtigallen trillerten schmelzend ihre Lieder in den Kämpen des breiten Weichselstromes. Ein Dauerkonzert aber veranstalteten hoch in den blauen Lüften die vielen Feldlerchen. - Das Werderland war wie eine beglückende Sinfonie. Dem Werderaner zeigte sich seine Heimat dann in schönster Harmonie. Hier war er zu Hause; hier lachte ihm das Glück, vergessen war Modd und Blott und die harte Arbeit mit dem schweren Ackerboden, überzeugend ging ihm da die Erkenntnis auf: „Lieber in der Niederung versaufen, als auf der Höh' vertrocknen."

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang