Wolfgang
22.02.2009, 02:36
Aus „Unser Danzig“, Heft Nr.19, vom 05.10.1971, Seite 16:
Vom Fischfang in Neufahrwasser
von Hans Feuersenger
Bereits im Ersten Weltkrieg lernten wir die Lebensmittelkarten kennen. Bis dahin war für uns im Osten Fleisch das beste Gemüse! Dann wurde rationiert. - Aber schließlich lieferte auch die See Fleisch, nein, nicht die Seekuh... sondern Fische. Wenn am Montag die Fischkutter in See gingen, legten sie vor dem Lotsenamt an und nahmen die Bestellungen entgegen; 25 Pfd. bis 1 Ztr. wurden aufgegeben. Nach einigen Tagen, etwa am Donnerstag, Freitag, wenn Vater zum Dienst ging, gab er uns um 7.30 Uhr morgens den Abschiedskuss und sagte: „Heute gibt's Fisch, bring' den Wagen mit!“ Mittags war prompt eine Reihe von kleinen Handwagen am Kai mit den dazugehörigen Jungen und - wenn diese noch zu klein waren - auch Müttern. Die Fischkutter machten fest, eine Kiepe, sprich Korb, wurde hoch gehievt mit einem Zettel, darauf stand der Name, und dann zogen wir, unsere Martha, das Dienstmädchen, und ich einträchtig los, Bliesenstraße, Teufelsbrücke, Richtung Eintrachtstraße 28! Hier waren alle Vorhaben zurückgestellt worden. Keine Kaffeekränzchen, Besuche, Handarbeitsabende. „Heut' kommen Fisch!“ war die Parole. Also Großeinsatz!
Die Waschküche war zur Fischräucherei eingerichtet. Auf den umlaufenden Holzregalen standen zehn bis zwölf große Einmachgläser, sauber ausgebrüht. Über dem Herd, ein Kohleherd mit offenem Feuer und Kaminabzug, war ein Stahlrost mit langen Stangen angebracht. Nun kamen wir mit den Fischkörben. Alle weiblichen Wesen, Mutter, Schwestern, Dienstmädchen säuberten die Fische, Kabeljau, Flundern oder Anchovis. Und dann kam der Zeremonienmeister, der Vater, und hängte die Kabeljau, die Flundern, die Steinbutt über das offene Herdfeuer. Ein kleines Feuer von Holzkohle spendete Rauch, und wir wurden zunächst einmal an die frische Luft geschickt. Die kleinen Fische wurden schön sauber in die mächtigen Gläser verpackt, Schicht um Schicht. Inzwischen war von Mutter eine Spezialbrühe gekocht, mit Pfefferkörnern, Piel, Zwiebeln und vielerlei Gewürzen. Diese ganze Soße wurde nach Abkühlen über die in Gläser gestapelten kleinen Fischchen gegossen und die Gläser verschlossen. Inzwischen räucherten die Flundern stillvergnügt über dem Holzfeuer. Wie lange? Ich weiß es nicht. Vater ging von Zeit zu Zeit in die Waschküche, um festzustellen, ob sie schon gar waren.
Dann und wann hatte sich in einen Korb mit Fischen, die auf Eis lagen, auch ein Aal hinein geschlichen. Diesen fanden dann die lieben Schwestern am Abend im Bett oder, wenn Lotte sich ans Klavier setzte und aus Czernys Klavierschule spielte, guckte der Aal hinter dem Notenbuch hervor. Das Geschrei war herrlich! „Eine Schlange, eine Schlange!“. Übrigens: die Ernährung mit Fischen hat uns sehr geholfen. Sechs Köpfe auf Lebensmittelkarten satt zu kriegen, ist nicht einfach, und Kabeljau mit Senfsoße schmeckt nicht schlecht. So habe ich mir das Fischessen in jeder Form, d. h. geräuchert, gekocht und eingelegt natürlich auch, angewöhnt. Man muss in Zeiten der Not das Beste daraus machen. Dabei war keine Schiebung. Fische waren frei im Verkauf. Die Fischer hatten einen flotten Absatz und wir einen guten Mittagstisch. Allerdings war es ein Mehr an Arbeit, und können muss man's auch! Es gab viel Freunde und Bekannte, die sehr gern zu uns zum Fischessen kamen, z. B. unsere Freunde vom Ottominer See, die dann meistens einen Hasen oder einen Rehbraten als Gegengabe brachten. Denn was dem einen sin Uhl, is dem andern sin Nachtigall!
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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang
Vom Fischfang in Neufahrwasser
von Hans Feuersenger
Bereits im Ersten Weltkrieg lernten wir die Lebensmittelkarten kennen. Bis dahin war für uns im Osten Fleisch das beste Gemüse! Dann wurde rationiert. - Aber schließlich lieferte auch die See Fleisch, nein, nicht die Seekuh... sondern Fische. Wenn am Montag die Fischkutter in See gingen, legten sie vor dem Lotsenamt an und nahmen die Bestellungen entgegen; 25 Pfd. bis 1 Ztr. wurden aufgegeben. Nach einigen Tagen, etwa am Donnerstag, Freitag, wenn Vater zum Dienst ging, gab er uns um 7.30 Uhr morgens den Abschiedskuss und sagte: „Heute gibt's Fisch, bring' den Wagen mit!“ Mittags war prompt eine Reihe von kleinen Handwagen am Kai mit den dazugehörigen Jungen und - wenn diese noch zu klein waren - auch Müttern. Die Fischkutter machten fest, eine Kiepe, sprich Korb, wurde hoch gehievt mit einem Zettel, darauf stand der Name, und dann zogen wir, unsere Martha, das Dienstmädchen, und ich einträchtig los, Bliesenstraße, Teufelsbrücke, Richtung Eintrachtstraße 28! Hier waren alle Vorhaben zurückgestellt worden. Keine Kaffeekränzchen, Besuche, Handarbeitsabende. „Heut' kommen Fisch!“ war die Parole. Also Großeinsatz!
Die Waschküche war zur Fischräucherei eingerichtet. Auf den umlaufenden Holzregalen standen zehn bis zwölf große Einmachgläser, sauber ausgebrüht. Über dem Herd, ein Kohleherd mit offenem Feuer und Kaminabzug, war ein Stahlrost mit langen Stangen angebracht. Nun kamen wir mit den Fischkörben. Alle weiblichen Wesen, Mutter, Schwestern, Dienstmädchen säuberten die Fische, Kabeljau, Flundern oder Anchovis. Und dann kam der Zeremonienmeister, der Vater, und hängte die Kabeljau, die Flundern, die Steinbutt über das offene Herdfeuer. Ein kleines Feuer von Holzkohle spendete Rauch, und wir wurden zunächst einmal an die frische Luft geschickt. Die kleinen Fische wurden schön sauber in die mächtigen Gläser verpackt, Schicht um Schicht. Inzwischen war von Mutter eine Spezialbrühe gekocht, mit Pfefferkörnern, Piel, Zwiebeln und vielerlei Gewürzen. Diese ganze Soße wurde nach Abkühlen über die in Gläser gestapelten kleinen Fischchen gegossen und die Gläser verschlossen. Inzwischen räucherten die Flundern stillvergnügt über dem Holzfeuer. Wie lange? Ich weiß es nicht. Vater ging von Zeit zu Zeit in die Waschküche, um festzustellen, ob sie schon gar waren.
Dann und wann hatte sich in einen Korb mit Fischen, die auf Eis lagen, auch ein Aal hinein geschlichen. Diesen fanden dann die lieben Schwestern am Abend im Bett oder, wenn Lotte sich ans Klavier setzte und aus Czernys Klavierschule spielte, guckte der Aal hinter dem Notenbuch hervor. Das Geschrei war herrlich! „Eine Schlange, eine Schlange!“. Übrigens: die Ernährung mit Fischen hat uns sehr geholfen. Sechs Köpfe auf Lebensmittelkarten satt zu kriegen, ist nicht einfach, und Kabeljau mit Senfsoße schmeckt nicht schlecht. So habe ich mir das Fischessen in jeder Form, d. h. geräuchert, gekocht und eingelegt natürlich auch, angewöhnt. Man muss in Zeiten der Not das Beste daraus machen. Dabei war keine Schiebung. Fische waren frei im Verkauf. Die Fischer hatten einen flotten Absatz und wir einen guten Mittagstisch. Allerdings war es ein Mehr an Arbeit, und können muss man's auch! Es gab viel Freunde und Bekannte, die sehr gern zu uns zum Fischessen kamen, z. B. unsere Freunde vom Ottominer See, die dann meistens einen Hasen oder einen Rehbraten als Gegengabe brachten. Denn was dem einen sin Uhl, is dem andern sin Nachtigall!
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang