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Wolfgang
22.02.2009, 14:20
Aus "Unser Danzig", 1973, Heft Nr.2, 20.01.1973, Seite 15:


Zur Winterszeit an der Weichsel
von Bruno Schmidt


Wenn Winterszeit unsere Gedanken zurückgehen in den deutschen Osten und in vergangene Zeiten, die wir dort einst in unserer geliebten Danziger und westpreußischen Heimat verlebt haben, so vergleichen wir wohl oftmals unsere früheren Erlebnisse und Erinnerungen mit den neuen Verhältnissen, unter denen wir heute, fast drei Jahrzehnte nach dem Kriegsende von 1945, rund 600 bis 800 km westlicher, d. h. zwischen Elbe und Rhein, leben. Die Winter an der unteren Weichsel von Thorn bis Danzig waren doch allgemein erheblich härter und kälter, als wir sie hier im Westen unseres Vaterlandes zu verzeichnen haben. Es braucht dabei nicht nur an besonders strenge Winter erinnert zu werden, wie z. B. den von 1928/29, als bei uns daheim längere Zeit Temperaturen von minus 30° C gemessen wurden und der Frost in Danzig bis zu 1,75 m tief ins Erdreich gedrungen war, was dann eine anomal hohe Anzahl von Wasserrohrbrüchen zur Folge hatte, und als z. B. in Danzig-Langfuhr eine große Pfirsichplantage restlos Vernichtet wurde. Der deutsche Osten lag nämlich allgemein im Einflussbereich des osteuropäischen Festlandklimas, während an unseren neuen Wohnorten in Westdeutschland das Wetter vom Atlantischen Ozean und vom Golfstrom bestimmt wird, allerdings auch einmal zeitweilig durch Luftströmungen aus dem nördlichen Polarraum usw. beeinflusst werden kann.

Das Naturgeschehen auf dem unteren Weichselstrom war zur Winterszeit besonders eindrucksvoll. Es wird berichtet, dass die Eismassen dort so stark anwachsen konnten, dass bis zu drei Meter Packeis gemessen worden sind. Die Zahl der Frosttage ist für die obere, mittlere und untere Weichsel fast gleich und beträgt durchschnittlich 110 bis 115 Tage in jedem Jahr. Zeitlich liegen diese Frosttage in den Weichselgebieten aber verschieden. So ist in der Regel die südliche, obere Weichsel um die Wende vom Februar zum März bereits frostfrei, die mittlere Weichsel und der San Mitte März, während die nördliche, untere Weichsel aber noch Frost zeigt, der erst Ende März aufhört. Zur Zeit' plötzlicher Schneeschmelze im Quellgebiet und im Oberlauf des Weichselstromes haben die rechten Nebenflüsse dort große und schnelle Hochwasser zu verzeichnen. Zu Beginn des Frühlings tritt häufig im Gebiet der oberen und mittleren Weichsel eine frühere Erwärmung ein, als im Unterlauf des Stromes. Die Folge davon ist, dass am Ober-und Mittellauf, in Polen, bereits Eisschmelze, verbunden mit großer Wassermengenführung, Eisaufbruch und Eistreiben ist, während im Unterlauf (Westpreußen/Danzig) noch Eisstand besteht. Solche Verhältnisse sind dann nicht nur für die Schifffahrt, sondern vor allem für den sicheren Bestand der in den eingedeichten Weichselniederungen (Werdern) vorhandenen Ansiedlungen äußerst Gefahr drohend.

Im Kampf gegen die plötzlichen und hohen Fluten der Frühjahrshochwasser und der Eisstaue und Eisversetzungen während der Schnee- und Eisschmelze sind bekanntlich seit 650 Jahren durch den Deutschen Ritterorden, die zugewanderten Mennoniten und durch die preußische Weichselstrombauverwaltung Eindeichungen von der Landesgrenze bei Thorn bis zur Ostsee durchgeführt worden. Seit dem Jahre 1888 wurden dann noch zusätzlich Eisbrechdampfschiffe auf dem Unterlauf der Weichsel zur Winterzeit eingesetzt. Die graphische Darstellung lässt erkennen, dass nach der Beendigung der Stromregulierungsarbeiten und seit dem Einsatz der Eisbrecher (beides i. J. 1888) die Eisverhältnisse auf der unteren Weichsel auffallend günstig geworden sind. Die Fahrrinnen, die die Eisbrecher schufen, ermöglichten den ungehinderten Abfluss der Eis- und Hochwassermengen in dem dafür ausgebauten Strombett, so dass Deichbrüche und Überschwemmungen der Werdergebiete hinfort vermieden werden konnten. Hierzu ist zu bemerken, dass die Hochwassermassen das elffache der Mittelwassermengen und das 43fache der Niedrigwassermengen betrugen, nämlich maximal 10 000 Kubikmeter Wasser je Sekunde! Das hatte zur Folge, dass der Wasserspiegel des Stromes bei Hochwasser bis zu 7 m höher anstieg, als beim normalen Mittelwasser. Für diese riesigen Mengen des Frühjahrshochwassers war der Unterlauf des Weichselstromes in jahrhundertelanger Arbeit reguliert und ausgebaut worden. Für die Bewohner der Niederungsdörfer und -höfe hatte der Strom seine früheren Schrecken seit dem Jahre 1888 verloren, ihre Sorgen und Nöte zur Winterzeit hatten aufgehört.

Wie es vordem war, hat uns Max Halbe, unser im Jahre 1865 in Güttland bei Dirschau geborener Landsmann, der einer der großen Dichter des Naturalismus war, unter dem unvergessenen Eindruck der winterlichen Erlebnisse seiner Jugendzeit an der unteren Weichsel, in den beiden Dramen „Eisgang" (1892) und „Der Strom" (1903) sehr eindringlich geschildert, desgl. vor ihm der poln. Maler und Dramatiker Stanislaus Wyspiansky (1869—1907).

In dem Frühwerk „Eisgang" begnügte sich Halbe nicht damit, die heimatliche Welt zu schildern, sondern er wollte noch zusätzlich Zeitprobleme darstellen, wofür er den Begriff Sozialismus benutzte. Es geht um den großen Weichseldurchstich bei Siedlersfähre, der dem Strom einen direkten Ausgang nach Norden zur Ostsee schuf. Die Landarbeiter seiner Heimat wurden zu Stromarbeitern, der junge Hofbesitzer Tetzlaff ist nicht nur nervös, er leidet auch an den damals aufkommenden sozialen Ideen. Der Strom und der Eisgang bleiben mehr im Hintergrund; der Eisgang am Ende, der den Helden mitreißt und vernichtet, bleibt ohne Notwendigkeit.

Ganz anders ist „Der Strom" gestaltet, der elf Jahre später entstanden ist, nämlich wesentlich straffer, wirksamer. Er überträgt — mit einigen Erinnerungen an Theodor Storms „Schimmelreiter" — den Widerstreit in den Bereich einer Familie. Drei Brüder kämpfen um ein Erbe und um eine Frau. Der Jüngste will in seinem Zorn den Weichseldamm durchstechen, gerade als der Eisgang beginnt; der Älteste hindert ihn daran und sühnt, vom Strom davon gerissen, was er den andern beiden Brüdern angetan hat.

Wer Max Halbes „Der Strom" einmal im Danziger Staatstheater, von dessen ausgezeichnetem Ensemble dargestellt, gesehen und gehört hat, kann dieses einmalig große Erlebnis bis heute noch nicht vergessen. Es ist erfreulich, dass dieses Stück auch heute noch ab und an durch Laienbühnen zur Aufführung gelangt.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Hans-Joerg +, Ehrenmitglied
22.02.2009, 14:40
Aus "Unser Danzig", 1973, Heft Nr.2, 20.01.1973, Seite 15:


Zur Winterszeit an der Weichsel
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Sehr schön Wolfgang......naja zur Zeit ist ja in Danzig auch "Winter".....es schneit.....!

Viele Grüße
Hans-Jörg

Wolfgang
22.02.2009, 15:16
naja zur Zeit ist ja in Danzig auch "Winter".....es schneit.....!
Hallo Hans-Jörg,

zur Zeit bin ich wieder in Deutschland, aber in diesem Winter war ich bereits mehrere Male an der Strom-Weichsel.

In den vergangenen Jahren habe ich sie nie vollkommen zugefroren gesehen. Das letzte Mal war es Anfang Januar 2003 als monatelang strenge Fröste herrschten und die Weichsel lange Zeit vollkommen zugefroren war. Fuhr einmal ein Eisbrecher die Weichsel hinauf, froren die Eisschollen in kürzester Zeit wieder zusammen. Darüber habe ich seinerzeit ein "Streiflicht" geschrieben, dass ich gerade ins Forum gestellt habe unter http://forum.danzig.de/showthread.php?p=16452

Trotzdem ist es auch heute noch so, dass auf der Weichsel Eis zu sehen ist sobald es im Winter einige Tage Frost hat. Die Fließgeschwindigkeit des Stromes scheint dann deutlich nachzulassen. Von den Ufern her, von den Buhnen, wächst das Eis langsam zur Strommitte. Je näher man jedoch dem Weichseldurchstich kommt, bei Schiewenhorst und Nickelswalde etwa, desto stärker macht sich dann wieder auch die Strömung bemerkbar, die die Schollen rasch der Ostsee zutreiben lassen.

Es ist immer ein Schauspiel, vor allem auch, weil die Wintersonne phaszinierende Lichtverhältnisse schafft.

sophia24
03.03.2009, 16:48
Das hört sich ja bezaubernd an. Ich würde gerne ein paar Fotos von diesem Schauspiel sehen - oder mal selbst dort hin fahren.