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Wolfgang
22.02.2009, 23:55
Aus "Unser Danzig", 24. Jahrgang, Nr. 15, vom 5. August 1972, Seiten 6-7


Pest, Pocken und Cholera in Danzig
von Dr. Hans B. Meyer


Abgesehen von dem Inferno des Jahres 1945 hat Danzig im Verlauf seiner langen Geschichte weit mehr Menschen durch Seuchen verloren als durch Kriege und Belagerungen, zumal es vom Dreißigjährigen Krieg überhaupt nicht berührt wurde, sondern „Die Friedensinsel“ blieb, wie unser Dichter Max Halbe es denn auch in seinem letzten, unvollendeten Werk genannt hat.

Die schon im Altertum gefürchtete und seit dem frühen Mittelalter sich über ganz Europa ausbreitende Pest war es denn auch, die im 14. Jahrhundert in deutschen Landen als der „Schwarze Tod“ aufzutreten begann. Ihr erst 1894 entdeckter Erreger bildete im Lymphdrüsensystem rasch zunehmende Schwellungen. Das waren die am Hals, in den Achselhöhlen, in der Leisten- und Schenkelbeuge auftretenden Knoten, die gefürchteten Pestbeulen oder Bubonen, die mit Fieber und heftigen Kopfschmerzen einher gingen und meist zu Vereiterungen, zur Sepsis, zum Herzkollaps und zum Tode führten, und das in wenigen Tagen.

Von dieser Pestilenz sollen in Danzig 1352 schon dreizehntausend Menschen dahin gerafft worden sein. Im Jahre 1427 kehrte sie wieder und erfasste auch die umliegenden Landgebiete, so dass eine allgemeine Hungersnot hinzukam. Außerdem trat auch noch die Weichsel über ihre Ufer und überschwemmte nicht nur die Niederung, sondern noch etliche Straßen der Stadt. Dieser Katastrophe sollen an 40 000 Personen zum Opfer gefallen sein. Diese hohe Verlustziffer kann indes nur stimmen, wenn man bei der Zählung noch Opfer in weiteren Teilen des Ordenslandes miteinbezogen hat.

Eine andere Seuche war der „Englische Schweiß“. Dabei handelte es sich um eine zuerst 1485 in England ausgebrochene Infektionskrankheit, die sich allmählich über ganz Nordosteuropa ausbreitete. Sie brachte unter heftigen Herzbeschwerden mit Schweißausbrüchen sowie Ausschlag auf Brust und Bauch etwa 90 Prozent der Befallenen einen qualvollen Tod. Wie wir aus Chroniken wissen, starben an ihr 1529 allein in Danzig 3000 Menschen. Weiter, so heißt es, ist durch sie im Jahre 1538 „zwischen Pfingsten und Michaelis zu Danzig ein großes Sterben gewesen und sind an 6000 Personen an dieser Pestilenz gestorben“. Der Bericht schließt mit den Worten: „Dieserhalb wurde der Kirchhof zum Heiligen Leichnam gemacht.“
Das wird schon deshalb zutreffen, weil die Hl.-Leichnam-Kirche zum „Pockenhaus“ gehörte, das am Olivaer Tor lag, und man die vielen Leichen, die ja auch ansteckend waren, nicht innerhalb von Wällen und Mauern bestatten wollte.

Es ist kaum festzustellen, welchen Bruchteil der Gesamtbevölkerung die verschiedenen Epidemien dahin gerafft haben, denn das Mittelalter kannte keine Statistik im heutigen Sinne. Erst seit der Mitte des 14. Jahrhunderts flössen die Quellen reichlicher, denn damals legte man z. B. ein „Erbbuch“ für die Rechtstadt Danzig an, man begann eine Liste aller Neubürger und schließlich ein „Schoßbuch“ mit den Namen sämtlicher Bürger der Rechtstadt. An Hand dieser erhalten gebliebenen Archivalien hat man z. B. errechnet, dass im Jahre 1416 die Bevölkerung der Rechtstadt allein etwa 15 00Ö Personen betrug. Mit der Altstadt, Jungstadt und Niederstadt zusammen mögen es 20 000 gewesen sein. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung Danzigs im 16. Jahrhundert nahm die Zahl der Neubürger immer mehr und rascher zu, allein in den drei Jahrzehnten von 1570 bis 1600 um etwa zehntausend Köpfe, und so haben Historiker die Gesamteinwohnerzahl um die Jahrhundertwende auf rund 50 000 geschätzt, ein Forscher kam sogar auf über 70 000 Personen.

Gleich, welche Angaben man gelten lassen will, wenn ein neuer Pestausbruch im Jahre 1564 schon wieder 24 000 Menschen hinwegraffte, wenn im Jahre 1602 in Danzig 1387 Menschen getauft, aber 16 919 begraben wurden und wenn allein in der zweiten Hälfte des Jahres 1620 abermals 10 715 Todesfälle durch die fürchterliche Seuche zu verzeichnen waren, so erstaunt man über dies ungeheure Sterben und wundert sich vielleicht sogar, dass 1624 „nur“ 8856 Opfer zu beklagen waren. Aber dafür forderte die Pest ein einziges Jahr später schon wieder 3323 Menschenleben.

Nach noch keinem ganzen Jahrzehnt der Erholung kam das „Pockenjahr“ 1634, das diesen Namen erhielt, weil in ihm mehr als 2000 Menschen allein innerhalb der Stadtmauern an den „Schwarzen Pocken“ sterben mussten. Diese Infektionskrankheit, die im Orient wie in Afrika schon im Altertum gewütet hatte, kam im 6, Jahrhundert nach Südeuropa, aber erst tausend Jahre später gelangte sie zu uns. Ihr Kennzeichen war ein Hautausschlag, der unter Bildung roter Flecken und von Bläschen zu Geschwüren führte, die auffällige Narben hinterließen. Wurde durch den Inhalt der Bläschen die Blutbahn infiziert, kam es zu den gefürchteten „Schwarzen Pocken“. Fieber, Schüttelfrost und Bluthusten waren die Symptome dieser Epidemie, an der etwa ein Drittel der davon Befallenen starb.

Ein halbes Jahrzehnt nach dem Pockenjahr brach wieder die Pest aus. Unter ihren 7466 Opfern war auch der aus Schlesien stammende berühmte Dichter Martin Opitz, der in der Marienkirche beigesetzt wurde und an dessen Grabplatte im nördlichen Seitenschiff, unweit des Korkenmacherportals, sich manche alten Danziger noch erinnern werden.

Immer neue Pestausbrüche und die Anzahl ihrer Opfer aufzuführen, ist weniger wichtig als die Frage, ob überhaupt und was man eigentlich dagegen unternommen hat. Das konnte damals leider nur herzlich wenig sein. Mit Inbrunst beteten die Gemeinden ja seit dem Mittelalter, der Herr möge sie „vor Krieg und Pest, Feuer- und Wassersnot“ bewahren, und die katholischen Gläubigen riefen entweder die vierzehn Nothelfer insgesamt an, oder, gerade in Danzig, insbesondere die Heiligen Katharina, Barbara und Christopherus. Medizinische Mittel von Bedeutung zur Heilung dieser Seuchen konnte es nicht geben, weil man ja von ihren Erregern noch nichts wusste. So blieb den Ärzten nichts übrig als der Versuch, die Erkrankten von den anscheinend noch Gesunden zu isolieren, soweit das in den engen Häusern möglich war. Der Rat verlangte überdies, dass aus den Häusern, wo Kranke lagen, Laken gehängt wurden, auf denen auch die Anzahl der schon Gestorbenen zu vermerken sei. Natürlich versuchten Ärzte und mit Hausmitteln vertraute ältere Frauen, den Leidenden mit Kräutern, Salben und Pulvern zu helfen. Manche versuchten es auch mit dem Besprechen der Geschwüre und Wunden, während die Geistlichen beider Bekenntnisse tapfer und treu von der Fürbitte bis zur Darreichung des Heiligen Abendmahls bzw. der letzten Kommunion an die Sterbenden sich aufopferten und so sehr bald selbst dahin gerafft wurden.

Wie es zur Pestzeit im 18. Jahrhundert mitten in der Stadt, genauer zwischen dem Langgasser Tor und dem Stockturm, aussah, zeigt uns ein zeitgenössischer Kupferstich, in dessen Mitte der Tod mit seiner Sense dahin schreitet. Nur wenige Personen überqueren den Platz gleich unbeteiligt. Vorn links und ganz hinten rechts liegt je ein Toter am Boden, auf der, rechten Bildseite, hinter dem großen Planwagen, wird ein Zusammenbrechender von einem mit ihm in die Knie Gegangenen aufgefangen. Im Hintergrunde rechts und links sind Leichenbegängnisse zu sehen, daneben werden von zwei oder vier Männern ohne,alles Gefolge Särge getragen, und auf dem kleinen Wagen ganz vorn rechts stehen zwei vermutlich leere Särge. An vier Stellen sind Sänften zu erkennen, die in Danzig ja Portechaisen hießen. Offenbar wurden auch in ihnen nicht mehr Angehörige der gutbürgerlichen Gesellschaft getragen, sondern Verstorbene, denn es fällt auf, dass die Träger, ebenso wie die Kutscher der mit Planen überdeckten Leichenwagen, und etliche andere Männer Pfeife rauchen.

Man hielt das Rauchen nämlich für ein gutes Mittel gegen eine Infektion. Ein damals sehr bekannter Spruch lautete denn auch: „Raucht Tabak und Bibernell, und ihr sterbet nicht so schnell!“ Mit Bibernell ist Pimpinella gemeint, eine alte Arzneipflanze. Der im Dreißigjährigen Krieg angeblich durch spanische Soldaten nach Deutschland gekommene Tabak wurde zunächst auch erst als Heilkraut geraucht. In einem Kräuterbuch von 1656 heißt es u. a. folgendermaßen: „Der Tabak macht niesen und schlafen, reinigt Gaumen und Haupt, vertreibt Schmerzen ... behütet den Menschen vor der Pest,... heilet Grind, Brand, Geschwüre und Wunden.“ So ist es wohl nicht verwunderlich, dass auch eine andere zeitgenössische Darstellung von ganz ähnlicher Eindringlichkeit wieder Pfeife rauchende Männer zeigt. Hinter Stadtgraben und Wällen sieht man Danzig und im Vordergrunde das Hagelsbergmassiv, wo sich der Friedhof befand. Ganz vorn links liegt ein Sterbender, hinter ihm wird ein feierlich verhangener Sarg von acht gleich bemäntelten Leichenträgern herangebracht. Unmittelbar dahinter tragen zwei Männer eine Pestleiche auf der Bahre, weiter rechts zwei andere wieder eine allerdings mehr kasten- als portechaisenartige Sänfte, und ganz vorn rechts birgt ein verdeckter Wagen vermutlich mehrere Leichen. Von den Baracken für Pestkranke, die man auf dem Holm errichtet hatte, und von dem dort auch angelegten Seuchenfriedhof sind keine bildlichen Darstellungen bekannt.

Glaubte man nach dem letzten Pestausbruch des 18. Jahrhunderts, dem kein neuer mehr zu folgen schien, endlich für immer von Seuchen erlöst zu sein, brach im Jahre 1831 in ganz West- und Ostpreußen und darüber hinaus eine neue aus, die asiatische Cholera. Bei ihr handelte es sich um eine Infektion des Darmkanals. Die sehr bald nur noch wässerigen Magen- und Darmentleerungen ließen den Kranken trotz großen Durstes und vielen Trinkens gleichsam ausdörren. Bei fast der Hälfte der Fälle trat schließlich ein Versagen des Herzens ein und führte zum Tode, zumal zweckmäßige Medikamente und vor allem die Serumtherapie ja noch unbekannt waren. An dieser Seuche erkrankten von Mai bis Oktober 1831 allein in Danzig selbst 1456 Personen und starben 1063. Die Cholera brach bis zum Jahre 1873 noch neunmal aus, wobei über 6500 Patienten den Tod fanden.

Natürlich versuchte man auch gegen diese Seuche mit Pillen, Tees und Mixturen aller Art anzugehen, woran geschäftstüchtige Leute viel verdienten. Zu ihnen gehörte z. B. der Heubuder Schuster Hamann, zu dem die Danziger in Scharen hinaus zogen, um seine gegen die Cholera angeblich schützenden Tropfen zu kaufen, die aber nur dann helfen sollten, wenn man ganz fest daran glaubte.

Der Stadtphysikus Dr. Barchewitz, ein furchtloser Mann, der den Kranken wenigstens Linderung verschaffte und die Aufhebung der bisherigen Wohnungssperre erreichte, veranlasste auch die Auflösung des zur Pestzeit angelegten Barackenlagers auf dem Holm, weil der weite Transport den Patienten doch nur schadete. Auf dem Holm durfte auch nicht mehr beerdigt werden. Dafür wurde auf dem Stolzenberg ein besonderer Cholerafriedhof angelegt.

Elf Jahre nach dem letzten Ausbruch der Seuche, im Jahre 1884, entdeckte Robert Koch, der Begründer der modernen Bakteriologie, auch den Bazillus der asiatischen Cholera und entwickelte die Serumtherapie, durch die nun auch dieser Epidemie künftig ihre Schrecken genommen waren.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

mibu4
03.03.2009, 16:52
Hallo Wolfgang,
Ganz viel Gänsehaut bekam ich beim Lesen dieses Beitrags und hab mal wieder gespürt, mit welch schlimmen Plagen unsere Vorfahren leben mussten!

Gruß von Birgit

Rainer Franz
20.10.2010, 15:15
Hallo
Ich habe eine Frage an Wolfgang.
Habe ebenfalls deinen langen Beitrag Pest, Pocken und Cholera in Danzig gelesen.
Ist dir zufällig bekannt, ob speziell im Jahr 1805 in Danzig eine Epedemie grassiere?
1807 gab es Typhus, vielleicht hereingeschleppt durch Soldaten.

Danke
Tainer Franz

vklatt
20.10.2010, 21:00
So ein Ausmaß der Epidemien hatte ich nicht vermutet, obwohl mir schon lange die Frauen Leid tun, die damals 10-15 Kinder geboren haben und manchmal nur eins überlebt hat.
Da lebe ich doch lieber in der heutiges Zeit, trotz meiner schlimmen Kindheit.

Vera

Martin Schlicht
09.11.2011, 22:04
Ich habe da mal ein interessantes Buch zum Thema Cholera in Danzig entdeckt. Allein schon wegen dem Alter des Buches ein sehr schöner Fund...

http://www.archive.org/stream/geschichtedercho00schu#page/n1/mode/2up

Gruß

Martin

Wolfgang
09.11.2011, 23:35
Schönen guten Abend,
hallo Martin,

ganz herzlichen Dank für den Link auf das Buch! Langsam entwickel ich mich zum Eichhörnchen... :) Alles sammeln was man vielleicht mal brauchen könnte.

Noch ein kleiner ergänzender Hinweis auf die herunterladbare PDF-Datei des Buches: http://ia700509.us.archive.org/3/items/geschichtedercho00schu/geschichtedercho00schu.pdf

Viele Grüße aus dem spätherbstlichen Danzig
Wolfgang