PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kindeheitserinnerungen einer Danzigerin in Langfuhr und Zoppot (06)



Wolfgang
27.02.2008, 22:51
Folgenden Beitrag schrieb meine Mutter im Dezember 2003 in unserem alten Forum Danzig-L:

Liebe Danziger und Freunde, ich weiß jetzt im Augenblick nicht wer es schrieb: Aber er sagte: Meine Mutter hat nie über die Zeit der Flucht gesprochen!! Und da will ich mich auch äußern: Mein Sohn machte mir denselben Vorwurf, dass ich zu wenig über die Zeit der Flucht sagte. Wahrscheinlich machen sich die Jungen zu wenig Gedanken warum? Und auch ich frage mich warum? OK, ich weiß die Antwort schon lange. Es ist soviel Schreckliches damals passiert und ich war mit 15 Jahren alleine auf der Flucht. Die Menschenkenntnis die ich damals erwerben musste hat mein ganzes Leben geprägt. Sollte ich diese meinen Jungen weitergeben? Heimat, Familie, Vater im Krieg von Panzern überrollt, Mutter im Juni 45 aus Danzig totkrank vertrieben. Omas verhungert, Tante erschossen usw. Das sind Erfahrungen mit denen man ohne Hilfe fertig werden musste. Mein Bruder, 69, kann heute noch nicht nach Danzig fahren weil er die Toten, die in der Allee an den Baeumen hingen, nicht vergessen kann. Er war damals 7 Jahre alt!! Er fragte mich neulich ob der Baum noch in Zoppot steht an dem er einen jungen Soldaten erhängt gesehen hat. Er steht noch!!!!! Heute sind Psychologen da um Leuten zu helfen die ein ähnliches Trauma erlebt haben. Ich nehme an, dass ich vieles verarbeitet habe denn ich bin nicht verbittert und sehe die Welt so wie sie nun mal ist. Aber reden - über die Zeit meiner
Flucht aus Rippin in Polen wo ich im Landdienst war, und über den Abschied von meiner Mutter die in Zoppot bleiben musste -wollte-, kann ich nicht. Ich glaube... auch heute noch... wäre der Schmerz zu gross!!! Und eine Mahnung an die Jungen, rührt nicht daran!!! Ich fühle mich zu alt um diese Dinge fachmännisch aufzuarbeiten. Und -mit bloß darüber reden- ist es einfach nicht abgetan. Ich kann und will nicht mehr darüber reden. Diese Vergangenheit ist tabu...

Aber demnächst werde ich über Weihnachten , wie es in unserer Familie
in Danzig war, schreiben und die Weihnachtszeit war immer wunderschön.

Grüße aus dem halbfreundlichen, sonnigen Freudental im Schwabenländle, Ruth

PS. Jetzt ist es stockdunkel.