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Wolfgang
26.04.2009, 15:37
Aus „Unser Danzig“, 1960, Heft Nr. 19, Seite 14-15, vom 05. Oktober 1960

Die Lehrer der Staatlichen Oberrealschule
von Karl-Heinz Jarsen

Rückblickend sehen wir ehemaligen Schüler der Staatlichen Oberrealschule unsere Penne, diesen wuchtigen Backsteinbau, in der Weidengasse (früher Königliches Gymnasium). Die Jünglinge ab Sekunda tragen schwarze Samtkappen mit einem oder mehreren goldblanken Streifen. Der Pedell betrachtet stirnrunzelnd eine zerbrochene Fensterscheibe unserer Miniaturturnhalle, dann geht er, den Glaser zu holen. Die Klingel schrillt. Wir steigen Treppen hoch, trappeln Flure entlang, deren schachbrettartig geordnete Fliesen wiedertönen, und betreten unsere Klasse.

Wir gedenken jener Lehrer, die uns das Rüstzeug gaben für den Weg, der vor uns lag, verheißungsvoll, so glaubten wir; denn jeder von uns hoffte ja, dass seine Blütenträume reiften.

Oberstudiendirektor Dr. Bechler, Schulleiter, oft bewährter Sportsmann, stets weltoffen, erteilte Englisch und Französisch-Unterricht. Bei ihm Grammatik oder unregelmäßige Verben zu lernen, machte Freude: lehrte er doch lebendig und anschaulich. Sprach er von London, spürten wir den berüchtigten Nebel; schilderte er die Bretagne, zerzauste eine frische Brise unseren Schopf, prickelte der Salz, Tang und Seegeruch unsere Nasenschleimhäute. Ja, unser Direx beherrschte die Kunst, Atmosphäre zu verbreiten. Jedes Gespräch - Dr. Bechler liebte das Frage und Antwortspiel - erfolgte fast durchweg in der Fremdsprache. So wurde uns die Sprechweise schnell geläufig. Beschrieb er eigene Europareisen oder Olympiaden, die er aktiv miterlebt, strahlten seine Augen, die auch sonst ihren Glanz behielten, trotz mancher trüben Erfahrung.

Professor Braukhoff, der stellvertretende Prinzipal, ein bescheidener und gütiger Mensch, ein den Tatsachen treuer Historiker, brachte uns die Griechen, die Römer, die Germanen nahe, ließ uns an weltgeschichtlichen Ereignissen teilnehmen. „1521 Reichstag zu Worms“, diesen Satz mussten wir, neben unseren Bänken stehend, soundso oft aufsagen. Der Grund? Wir Faulpelze hatten darüber nicht gelernt. Das „1521 Reichstag zu Worms“ klingt heute noch nach. Während sein Redestrom gemächlich dahin plätscherte, rollte der kleine, ergraute Professor einen Bleistiftstummel zwischen Daumen und Zeigefinger und durchschritt, von den Bankreihen flankiert, die Klasse. Wenn wir fleißig waren, erfüllte er unseren Wunsch und deklamierte, ein Wachstuchheft aufschlagend, selbst geprägte Gedichte. Alle behandelten denkwürdige Begebenheiten: die Schlacht im Teutoburger Wald, Cäsars Tod, der Griechen Sieg bei Platää.

Ein väterlicher Freund, kraft seiner Persönlichkeit Ehrfurcht und Gehorsam weckend, war Professor Rink den ihm anvertrauten Religionsschülern. Herr Schutt leitete pflichtbewusst die Sexta und zeigte auch als Turnlehrer bemerkenswertes Können. Studienrat Petter, groß, besonnen, leutselig, unterrichtete in Deutsch, Englisch und Französisch. Dann und wann schenkte er uns Druckschriften, die der deutsche Sprachverein, dessen Vorsitz er hatte, herausgab. Naturgemäß bemühte er sich, den heimatlichen Wortschatz von fremdem Flitterprunk zu säubern.

Schlank und schneidig, das in Brötchenform geschnitten Blondhaar glatt gekämmt, korrekt gescheitelt, betrat Dr. Franke die Klasse. Seine straffe kerzengerade Haltung, die messerscharf gebügelte Hose, die Brillantnadel, die den exakt geknoteten Markenschlips schmückte, konnte den früheren Offizier nicht leugnen. Zuweilen erzählte er Kasinowitze oder Anekdoten, das preußische Militär betreffend. Sein Lachen klang herzlich und erhielt ihn jung.


Zu jeder Gedenkfeier für das damals noch abgetrennte Saargebiet sprach Studienrat Ney, stammte er doch von drüben. Dr. Wendt, bleich, schmal und kränkelnd, genoss mit seinem volkstümlichen Werk über Danziger Straßennamen den Ruf eines schlichten Gelehrten.

Konrad Krieschen, erster Organist von St. Marien, stets gut gelaunt, schulte unsere Tenor und Bassstimmen. Durch ihn „bühnenreif“ geworden, sahen wir hinter die Kulissen des Danziger Staatstheaters und sangen als Knabenchor in Giacomo Puccinis Märchenoper „Turandot“. Auch durften wir die gewaltige Orgel der St.Marien-Kirche betrachten mit ihrem elektrisch betätigten Blasebalg und den akkurat gereihten Blechpfeifen.

Selbst im Turnanzug oder im Chemikerkittel blieb Dr. Mühlen (Mielinski) ein Grandseigneur, die Schläfen graumeliert, die große Brille hornumrandet. Wenn er vom Drei-Meter-Sprungbrett des Schwimmstadions Danzig-Niederstadt einen Anderthalb-Salto-Vorwärts elegant und sicher ausführte und fast ohne Spritzer senkrecht in die Wasserfläche tauchte, staunten wir und waren stolz, dass er zu unseren Paukern zählte.

Bruno Pätsch, vital und schaffensfroh, lehrte uns zeichnen. Wiederholt haben wir unsere Schule skizziert. Allgemeiner Beliebtheit erfreute sich auch das Krantormotiv, das wir gleichfalls draußen malten, auf dem Plankensteg der Speicherinsel hockend.

Blond und breitschultrig, ein Athlet nach Maß, zeigte Turnlehrer Noack seinen Primanern, wie eine Riesenwelle am Reck zu drehen sei. Dr. Spiller , der Jugend verbunden, gestaltete jede Lektion spannend und wechselvoll und erweiterte unseren Horizont. Studienassessor Kurtz gelang es, Englisch und Französisch schmackhaft zu servieren. Wir mochten ihn gern, diesen jungen Mann, der klug und menschlich war.

Mit wenigen Kreidestrichen entwarf Studienrat Mahlow kühne Algebra-Brücken. Schwefel in Wasser auflösend, schuf er grüngelbe Dämpfe, die nach faulen Eiern rochen und jeden Chemieschüler kräftigen sollten. Im Physikraum ließ er bunt gefleckte Scheiben kreisen und aus einem Metallskelett Funken sprühen. So erfuhren wir Laien, wie Elektrizität erzeugt wird und sahen den Beweis für Newtons Spektrumgesetze. Als Biologe und Pflanzenfreund erklärte er uns seltsame Blumen, Gräser und Sträucher. Beim 400-Meter-Lauf schlug Hänschen Mahlow unsere Staffel. Oh, Schmach! Leseratten empfahl er gediegene Lektüre. Die Wandertage mit ihm sind unvergessen. Und wie viele wohl gemeinte Ratschläge gab er uns, die wir dann später, keine Pennäler mehr, beherzigten.

Dr. Hoffmanns Wirkungsbereich erstreckte sich auf Deutsch, Geschichte und Erdkunde. Ordnungsliebend, gründlich und genau in allem, doch ohne Pedanterie, bildete er uns. Trödelei und Trägheit bekämpfte er. Schlawinern las er die Leviten. Wir schätzten ihn, fühlten aber auch Vertrauen. Er erwartete klare präzise Antworten. Wer drumherum redete, bekam eine schlechte Note und hatte wochenlang nichts zu melden. Während des Krieges erschien ein Buch von ihm: „Danzigs Kampf um seine deutsche Freiheit im Siebenjährigen Krieg.“ Jenen Zöglingen, die 1942 ihre Reifeprüfung machten, zitierte er Wilhelm Raabes Ausspruch: „Schau nach den Sternen, hab' acht auf die Gassen.“

Rückblickend sehen wir unsere liebe alte Penne, den Schulhof, die Turnhalle. Wir träumen, wir schmunzeln und wissen, dass die Schulzeit die schönste unseres Lebens bleibt.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Marc Malbork
26.04.2009, 21:47
Die Lehrer der Staatlichen Oberrealschule
von Karl-Heinz Jarsen

...Rückblickend sehen wir unsere liebe alte Penne ... wir ... wissen, dass die Schulzeit die schönste unseres Lebens bleibt.

Pah, der Verfasser war sicherlich ein Streber. Soviele offensichtlich nur ganz edle Menschen.... :p:)

Aber was ich bei der Gelegenheit wirklich fragen möchte:

Was war in Danzig eine Oberrealschule - vermutlich Gymnasium ohne Latein ?

Wieviele Oberrealschulen und Gymnasien gab es in der Freien Stadt Danzig insgesamt ? Gab es ein vom Ansehen her führendes Gymnasium, auf dem "man" gewesen sein musste ?

Wie war überhaupt das Schulsystem - vierjährige (?) Volksschule für alle und dann Hauptschule, Realschule, Oberrealschule/Gymnasium ? Aber was war eine Mittelschule, also die Rechtstädtische Mittelschule z. B. ? "Mittlere Reife" ?

Was für eine Schule war in dem von der Architektur sehr fortschrittlichen Bau der "Helene-Lange-Schule" in Langfuhr untergebracht ?