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Wolfgang
26.05.2009, 20:25
Von Wolfgang Federau, dem großen Danziger Dichter, der auch wunderbare Bücher über seine Heimat schrieb, stammt die nachfolgende wehmütig stimmende "Liebeserklärung" an Oliva.


Aus „Unser Danzig“, Heft Nr. 09 vom Oktober 1949

Oliva
von Wolfgang Federau

Oliva - die drei Vokale, zu süßem Wohllaut zärtlich vereinigt, sie bilden ein Wort, das förmlich auf der Zunge zerschmilzt, wenn die Lippen es sprechen. Eine kleine Umstellung nur, und aus Oliva wird Viola, wird das Veilchen, das seinen sanften, süßen Duft verströmt. Als ein Veilchen, das heilenden Balsam haucht über klaffende Wunden, bezeichnete ein zeitgenössischer Dichter Oliva nach dem Friedensschluss vom 3. Mai 1660, der den Krieg zwischen Polen, Schweden und Brandenburg beendete. Alexander von Humboldt aber, der so viel gesehen, der die halbe Welt bereist hatte, nannte Oliva den drittschönsten Ort der Erde.

Dies war Oliva: die Gartenvorstadt Danzigs, erwachsen aus einem ehemaligen Marktflecken, im Westen eng umschlossen von den herrlichen, hügelauf und hügelab sich hinziehenden Wäldern, von tiefen, schattenkühlen Wäldern, die mit Berg und Tal, mit vielen Einschnitten und Schluchten den Hebungen und Senkungen des weit ausladenden Höhenzuges folgten, ihre singenden, rauschenden Wipfel dem nordischen Himmel entgegen hoben. Mit den alten, gediegenen Patriziersitzen, den sogenannten Pelonker Höfen - deren einer die Kindheitstage des großen Philosophen Arthur Schopenhauer behütete - die sich längs des Waldrandes südwärts fast bis Langfuhr erstreckten. Mit der Klosterkirche, die dann die Kathedrale des Bistums Danzigs wurde und in ihrer Entstehung bis aufs dreizehnte Jahrhundert zurückgeht. Mit dem aus einer goldenen Krone nadelspitz aufsteigenden Turm der Erlöserkirche. Ostwärts aber, gar nicht weit, ach nein, verlockend nahe, gleißte, schimmerte, glänzte das Meer, spiegelte die klare Flut der Danziger Bucht den blauen Himmel des Hochsommers oder den dunklen Wolkenzug des Herbstes und die grauen Nebelschleier des November, starrte die Kälte und die feierliche Erhabenheit winterlicher Tage. Und zwischen Wald und Meer Häuser und der Blütenüberschwang der Gärten, wogende Kornfelder und weit gedehnte, fruchtbare Wiesen. Durch Felder, Wiesen und Wälder aber schlängelte sich, in vielfachen Windungen, bald beschaulich verweilend, bald hurtig dahin eilend, ein Bach meerwärts, dessen Wasser, da und dort kunstvoll gestaut, stark genug waren, Mühlen und Eisenhämmer und wieder Mühlen zu betreiben. Man konnte ihn nicht übersehen. Man konnte sich seinen kraftvollen Leistungen nicht verschließen. Denn immer wieder, bald früh am Morgen, wenn die Hähne krähten, bald durch die Stille des sinkenden Abends, hörte man vom Walde her das Pochen des Eisenhammers in Ernsttal, wo berußte, schwarze Gesellen die sterbende Kunst übten, unter dem sogenannten Schwanzhammer Pflugscharen und anderes aus freier Hand zu schmieden.

Das Herz Olivas schlug in seinen tiefen, stillen, Frieden und Entspannung schenkenden Wäldern, die bald ein sanftes Tal mit ihrem satten Grün begleiteten und umrahmten, bald zu den Hügeln emporklommen, die so stolz als Berge sich spreizten: Winterberg, Wächterberg, Karlsberg, Dreiherrenspitze und wie sie alle heißen mochten. In diesen Wäldern war schon der größte der deutschen Romantiker, war schon Joseph von Eichendorff umher gewandert, hatte sich dort einige der schönsten Kapitel seines „Taugenichts“ und einige seiner unvergänglichsten Lieder ergangen.

Aber die Seele Olivas war das Schloss, war der Park, der dieses Schloss umgab, der sogenannte „Königliche Garten“. Ein kunstsinniger und der Schönheit des Lebens zugewandter Abt, Rybinski hieß er, hatte dieses großflächige, heiter strahlende Rokokoschloss mit der langen Reihe deiner schön gegliederten, hohen, spiegelnden Fenster vor nun fast genau zweihundert Jahren erbauen lassen - fast um die gleiche Zeit, als mitten aus märkischem Sand des Großen Friedrich Sanssouci erblühte Und er hatte dies Schloss mit einem Park umgeben, der noch nach anderthalb und mehr Jahrhunderten das Entzücken und die Begeisterung seiner vielen Besucher immer aufs neue erweckte. War doch hier eine Schöpfung gelungen, die man vollkommen nennen könnte, wenn es etwas Vollkommenes in unserem irdisch-menschlichen Bereich gäbe. Wenn man sich zu der Überzeugung bekennt, dass die Bändigung der regellosen Natur zu der bewussten Schönheit eines Parks ein Ausdruck höchster Würde der Menschheit sei, dann war ein solches Vorhaben hier in erstaunlichem Maße gelungen. Die verspielte, von Frankreich übernommene Zierlichkeit gepflegter Bosketten und prunkender, farbenprächtiger Blumenrabatten, beschnittener Hecken, wohl überlegter Terrassenanlagen und mit der Schere des Gärtners zu Kegeln, Kugeln und Pyramiden umgebildeter Bäume ging mählich über in die weiträumige Landschaft eines englischen Parks mit mächtigen, weithin ausladenden Bäumen, mit grünem Waldboden und von Mummeln und Seerosen überblühten Teichen, mit der verträumten Schönheit schmaler Wasserläufe und sanftem Gemurmel eines Bachs. Der Blick über die sommerliche Rosenfülle oder den Farbenprunk der Dahlien im Frühherbst auf die Fassade des Schlosses blieb jedem völlig unvergesslich. Nicht minder unvergesslich auch die vielen fremdartigen Bäume und Sträucher mit ihren seltsamen und schwierigen Namen, die im Laufe der Jahrzehnte, ja Jahrhunderte den Park bereichert haben. Ganz erschloss sich diese Seele Olivas freilich nur jenen, die das Glück und die Möglichkeit, die die Möglichkeit und damit das Glück hatten, den Park am Abend oder in einer vollmondüberglänzten Sommernacht zu durchwandern, zu einem Zeitpunkt also, wo er für die Öffentlichkeit gesperrt war. Dann gab es nichts Störendes, dann versank der Alltag hinter einem, als wäre er nie gewesen. Dann zwitscherten die Vögel schlaftrunken in Hecken und Büschen, dann stand der Himmel groß und dunkel und geheimnisvoll über jener Baumallee die als „Fürstliche Aussicht“ in geschickter Verwendung der Gesetze der Perspektive den Blick direkt auf die See lenkte, so als führe dieser Weg unmittelbar ins Meer und in die Unendlichkeit hinein. Vergangenes wurde wach und lebendig, und man wähnte, im nächsten Augenblick müsse aus jener Grotte da, aus dieser Hecke hier eine zierliche, festlich gewandete Rokokoschöne hervortreten oder die geflegte Gestalt eines hohen geistlichen Würdenträgers. Das Schloß, das schöne, ist dem Kriege zum Opfer gefallen. Und es blieb den Polen vorbehalten, quer durch den Park eine Straßenbahn zu legen, die mit Lärm und Geklingel alle guten Geister dieses Platzes vertrieb. So scheint es fast, als wäre Olivas Seele zerstört und vernichtet worden. Aber kann das sein? Wir glauben es nicht. Wir glauben, dass es wiederkehren wird, da doch alles, was Seele heißt, etwas Ewiges und völlig Unzerstörbares ist.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Heinzhst
27.05.2009, 01:18
Hallo Wolfgang, danke für die Beschreibung Federau`s über meinen Heimatort - Oliva!
Deinem Namensvetter - Wolfgang - ist leider ein Fehler unterlaufen:
Quer durch dem "Park" haben die Polen keine Straßenbahnlinie gebaut.
Er meinte wohl die kleine Parkanlage, mit Springbrunnen, an der Ecke Hauptstr. und "Am Schloßgarten". Dort wurde die neue Straßenbahnlinie nach Zoppot gebaut. Dann gab es noch in der Nähe des alten Markts den Hindenburg-Park. Der ist nun voll in den Schloßgarten integriert.
Der Schloßgarten wurde von uns "Eingeborenen" nie "Park" genannt.
Es war der Schloßgarten oder der Königliche Garten.

Die Straße von der Hauptstr. zum alten Markt hieß ja auch offiziel "Am Schloßgarten"

Dies soll nun keine Kritik an dem Bericht sein nur einfach eine Info wie wir Oliver in Danzigs Vorort lebten.

Schöne Grüße, Heinz