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Wolfgang
21.06.2009, 16:28
Aus Unser Danzig, 1966, Hefte Nr. 17, vom 05. September 1966


Erinnerungen an Heubude
von Walter Witt

In meiner frühesten Jugend war das Ostseebad Heubude ein stilles Fischerdorf, in dem man jeden Tag die alten Fischer vom Strande kommen sehen konnte, mit springlebendigen Fischen. Die Flundern lebten fast noch in der Hand, wenn schon die Köpfe fehlten.

Wollte man nicht die stündlich verkehrenden Dampfer der Weichsel AG benutzen, so musste der Weg nach Heubude bis zur Ganskrugfähre und von dort am Weichselufer entlang zu Fuß zurückgelegt werden, bis dann im Jahre 1912 die Breitenbachbrücke, an deren elektrischen Einrichtungen - ausgeführt von der Fa. Siemens & Schuckert, Danzig - ich damals als Volontär mitarbeiten durfte, in Betrieb genommen wurde und den schnelleren Verkehr mit der Straßenbahn ermöglichte.

Herrliche frische Seeluft wehte dort, die uns Danzigern fehlte, wenn wir längere Zeit im Binnenlande weilten. Wie oft sind wir schon als Schuljungen auf diesen abwechslungsreichen Pfaden durch den stillen, geheimnisvollen Wald, in dem nur das ferne Rauschen der Ostsee und ein vielstimmiges Gezwitscher der bunt gefiederten Waldsänger vernehmbar waren, gewandert - unter hohen Kiefern, dunklen Tannen, dann wieder lichten Birken, aber immer von Neuem Kiefern. Mitten drin ruhte unser Heidsee, an windstillen Tagen eine spiegelglatte Fläche, in etwa einer Stunde zu umwandern. Am westlichen Ausläufer des Sees lag schon damals das beliebte und viel besuchte Kurhaus, das abends immer hell erleuchtet war. Man konnte dort Ruderboote mieten, und das Konzert aus dem Kurgarten war für die "Seefahrer" und die Wanderer von besonderem Reiz. Die schönen Militärkonzerte der 128er, der Leibhusaren unter ihrem Musikmeister Peters und später dann der Schutzpolizeikapelle unter Ernst Stieberitz mit ihren zackigen Märschen und altbekannten Walzermelodien, sowie tägliche Kurkonzerte während der Badesaison und die auf dem Heidsee abgebrannten Brillantfeuerwerke lockten unzählige Danziger in den Kurgarten. Dazu mangelte es nie an ausgesuchten, kulinarischen Genüssen aus der Küche des bewährten Gastronomen Schönwiese.

Überschritt man die Dünen, so war man unmittelbar am Strande. Ein wunderbarer Rundblick bot sich dort dem Auge: die kristallklaren Fluten der Ostsee mit ihren weithin ausrollenden Wogenkämmen, auf denen schneeweiße Schaumkronen tanzten, der im Nordwesten weit ausgeschwungene Bogen der Danziger Bucht mit den Seebädern Brösen, Glettkau, Zoppot, Adlershorst und - fern am Horizont - der Halbinsel Hela, im Vordergrund die neu erbaute, mit prächtigen Rasenteppichen und Parkanlagen eingefasste Strandhalle und rechts daneben die modern eingerichtete Seebadeanstalt. Welch geistige Ausspannung brachte ein Spaziergang auf der gepflegten Strandpromenade am "Dünenschlösschen" vorbei bis nach Weichselmünde mit sich. Breit lagerte sich der Strand von Heubude bis zum Wasser hin. Es war eine Lust, dort in dem sauberen und feinkörnigen Sande zu liegen oder in einem der Schatten spendenden Strandkörbe der Ruhe pflegen zu dürfen. Oftmals musste man auch nach einem erquickenden Bade sein Bündel unter den Arm nehmen, wenn die glühenden Sonnenstrahlen es allzu gut meinten, und ein schattiges Plätzchen im nahen Walde aufsuchen. Auch dort war dann überall Lachen, Singen und Musik zu hören.

Kein Ort an der Danziger Bucht konnte sich eines solchen Strandes rühmen und nichts auch nur ähnliches kann uns unser heutiges Gastland an Naturschönheiten bieten, mit welchen unsere Heimaterde in so überreichem Maße beschenkt war. - Später, als man die Straßenbahn durch eine Waldschneise bis zum Strande führte und während der Badesaison Wagenzüge mit zwei Anhängern im Fünfminutenverkehr einsetzte, belebte sich Heubude mehr und mehr. Aus dem stillen Fischerort war inzwischen ein Luftkur- und Badeort geworden. Manch ein Sommergast, der die Stille und Einsamkeit geliebt hatte und alljährlich wiedergekommen war, blieb nun fort und zog weiter, vielleicht nach Bohnsack, wo es noch etwas stiller geblieben war.

Ferienkinder waren vom frühen Morgen bis zum späten Abend am Strande, bauten Sandburgen und Kanäle, fischten aus den kühlen Fluten die kleinen, flinken "Stachlinskis" und tummelten sich in der Sonne, bis ihre Haut sich mehr und mehr bräunte. War es ein recht heißer Tag, so sagte man wohl in vielen Danziger Familien: "Wir wollen schnell machen und dann nach Heubude fahren", denn in kaum einer halben Stunde konnte man aus der Stadt heraus und direkt bis an den Strand fahren. Herrliche Spaziergänge und köstliche, unwiederbringliche Stunden der Erholung werden uns in steter Erinnerung bleiben und wehmütigen Herzens bangen wir uns nach dem, was wir mit unserer schönen Heimat verloren haben: Sonntagsausflüge über Neufahrwasser - Fähre Weichselmünde - zur Strandhalle und dann nach einer kurzen Rast weiter durch den heidekrautbestandenen, duftenden Dünen-und Kiefernwald nach Heubude mit einem abschließenden Tässchen Kaffee oder einem "Bierchen", dazu von Hause mitgebrachte Stullen. Oder Streifzüge, bei lachendem Sonnenschein oder auch im Sturm und frostklirrender Winterkälte kreuz und quer durch den Wald, an den gesprengten Bunkern der ehemaligen Küstenartillerie vorbei, auf der Suche nach braunen Schilfkolben, Weidenkätzchen oder "Kruschkes" als Zierrat für die Vasen daheim, aus dem Dickicht der versteckten, sumpfigen, oft auch vereisten Tümpel, deren einer — am Fahrweg vom Dünenschlösschen nach den Rieselfeldern - besonders in der Erinnerung fortlebt. So manches Stückchen Bernstein, das man aus dem angespülten Seetang bei Wanderungen am Strande mühsam gesammelt hatte, füllte daheim Kästchen und Tüten.

Welch eine vorweihnachtliche Stimmung und Romantik aber auch für die angsterfüllten und doch hoch beglückten Kinderherzen, wenn man in der Adventszeit durch den tief verschneiten Wald streifte und den Kleinen erzählte, dass in einem jener geheimnisvollen Unterstände der Weihnachtsmann seinen ständigen Wohnsitz habe! Ja, das Danziger Volk und besonders der schaffende Mensch liebte sein Heubude und blieb ihm treu - je dichter das Getümmel am Strande, desto schöner, es war ja Platz für alle! An den Waldwegen saßen Fischfrauen vor ihren Körben und boten ihre ausgeräucherten Flundern und Aale feil, die sie dank ihrer Redegabe auch immer absetzten. Im Dorfe, in Crolls Gaststätte, ließ man die Gäste wissen, "Der alte Brauch wird nicht gebrochen, hier können Familien Kaffee kochen!" Auch "Albrecht Hotel", wo das Geschwisterpaar Albrecht mit der gelben Dogge "Artus" um den stillen Genießer bemüht war, gehört zu den unvergessenen Erinnerungen.

Allmählich hatte sich das Dorf vergrößert, und ganz neue Straßen waren entstanden, so z. B. "Am Eulenbruch", wenn auch nur einseitig bebaut, überschritt man diese Straße, war man schon im Walde. Manch einer von uns wird heute wohl noch um sein dort verlorenes Häuschen weinen. So bin ich denn wieder bei der Klage um Verlorenes angelangt, und meinte doch, aus dem Walde nur Singen und Lachen zu hören! Doch die Meereswogen rauschen heute wie damals und singen ihr ewiges Lied vom Bernstein, der auf dem Grunde des Meeres im Verborgenen ruht.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Heibuder
21.06.2009, 21:11
Vielen Dank, Wolfgang, ein schönes, wehmütig endendes Essay über mein "Dorf",
eine wertvolle Zusammenfassung des Lebens in "alter Zeit".
Fast alles darin Geschilderte lebt in meinen Erinnerungen wieder auf - in meinen wenigen eigenen,
doch am meisten in solchen an die vielen sehnsuchtsvollen Erzählungen meiner Eltern und Großeltern.

Ich werde diese Erinnerungen in großer Schrift ausdrucken und meiner Mutter zu lesen geben,
auch wenn die Zeilen durch ihre Tränen wieder verschwimmen.

ps.: Bei der Websuche nach Walter Witt fand ich übrigens diese interessanten, seinen Namen nennende Links :
http://www.ins-db.de/autor-werke.php?ID=1467&START=1&ORD=JAHR
http://pom-wpru.kerntopf.com/orte/zarnowitz.htm
http://loll-fritz.de/sageritz.htm