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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Erinnerungen an die Rosengasse in Oliva



Christkind
04.07.2009, 20:45
Frühling 1945.
In den Wäldern hatte wir uns versteckt.
Ich wusste nicht, warum, denn ich war ein kleines Kind. Immer in Tuchfühlung zur Mutter. Bis dahin war doch alles schön. Ich hatte Geschwister und Papa und Mama. Papa war nicht im Krieg, denn er war krank. Ich merkte es nicht, aber ich wusste auch nicht, dass andere Väter im Krieg waren. So freute ich mich, wenn wir sonntags zu den Großeltern nach Dirschau fuhren. Oder an den Strand. Oder nach Renneberg. Oder ich spielte vor dem Haus in der Fleischergasse mit Mausi, meiner liebsten Freundin. Einmal hopste ich ganz allein bis an die nächste Straßenecke. Huch, war da ein Verkehr, und schnell peesd ich zurück .Mama wollte nicht, dass ich so weit wegging vom Haus. Meine Oma war bei uns in der Wohnung. Manchmal bekam sie Besuch, dann kam Tante Pauline die Treppe hoch, setzte sich auf den Stuhl neben der Tür, plachanderte ein Weilchen, und dann ging sie wieder fort, das alte Muttchen mit den dunklen Röcken. Oder war es eine Pellerine? Tante Pauline hat mir immer viel von den Engeln im Himmel erzählt.
Nun war das alles so anders. Aus dem Schlaf wurden wir gerissen, wir Kinder, weil wieder Fliegeralarm war. Dann schnell schnell alle angezogen, die Großen die Kleinen, und runter in den Luftschutzkeller. Ich muss die Zeit wohl verschlafen haben, denn davon weiß ich nichts mehr. Einmal saßen alle Einwohner das Hauses voller Angst im Schankraum des Gastraumes zusammengedrückt.. Die Russen kommen! Das Geschrei der Frauen habe ich noch im Ohr. Mit zerfetzten Kleidern kamen sie aus dem anderen Raum.
Als wir wieder in unserer Wohnung waren, kamen immer wieder Russen an: Uri ! Uri dawei..
Dann kam ein russsicher Soldat oder Offizier und gab meinen Eltern den Rat, sofort aus der Stadt zu gehen und sich zu verstecken., es würde noch schlimmer werden.
Nun kam eine Nacht oder zwei im Wald nach St. Albrecht.
Es war eine wunderschöne Nacht, ein ganz klarer Himmel, die Sterne leuchteten.
Und der Himmel wurde glutrot. Danzig brannte. Die Erwachsenen, es waren mehrere, weinten schrecklich.
Als wir am Tag wieder in die Fleischergasse kamen, war unser Haus, die Nummer 37, weg.
Alles weg. Es stank ganz so unheimlich .Die Nachbarhäuser standen, aber waren verlassen. So gingen wir in irgendeine hinein. Alles war durcheinander gewühlt, zerstreut.. Im Haus an der Ecke, wo der Frisör Schimmelpfennig seinen Laden hatte, da gingen wir hinein. Ich wollte nicht, denn da lag eine Leiche im Flur. Und da musste ich immer dran vorbei. Die Leiche wurde abgedeckt mit einer hellblauen Steppdecke.
In der Stadt konnten wir nicht bleiben, denn da waren wir gar nicht sicher. Bloß raus.
Wir gingen nach Oliva. Und in der Rosengasse waren Gärten und feste Gartenhäuser. Auch alles von den Eigentümern verlassen. Hier blieben wir also den Sommer über. Nicht in der Sommerfrische, denn der tägliche Kampf um Nahrung muss hart gewesen sein.
Wir erkrankten an Ruhr. An Typhus. Nacheinander. Mein Bruder hatte so schweres Nasenbluten, dass meine Mutter nur noch weinte aus Angst. Dann wurde sie selbst krank. Ich glaube, sie wurde von den Nonnen im Kloster gepflegt. Diese Nonnen haben schwer gelitten beim Einmarsch der Russen. Sie haben ausgeharrt bei ihren Kranken, und sind übel zugerichtet worden. Ein Gedenken an ihre Leiden , gibt es das?
Schließlich kam die Aufforderung: Entweder für Polen optieren oder raus.
Meine Mutter wäre gern geblieben, denn ihre Eltern und Geschwister waren in Dirschau. Aber der Vater wollte nicht. Und so sind wir dann alle im Viehwaggon hinaustransportiert worden. Mein Vater hat seine Heimat nicht wieder gesehen, denn er starb 1947.
Meine Mutter besuchte Dirschau noch mal, aber da lebte ihre Mutter nicht mehr.
Und bin ich in Danzig, gehe ich auch nach Oliva.
Rosengasse.
Dies meine Erinnerungen in losen Gedanken, aber nicht gedankenlos.
Viel Fragen wurden mir im Leben beantwortet, aber nicht alle.
_____
Christkind

Helga +, Ehrenmitglied
04.07.2009, 21:07
Meine Mutter wäre gern geblieben

Hallo Christa,

wie traurig und wie schrecklich. Für die Erwachsenen natürlich, das brennende Danzig zu sehen und beim Verlassen der Heimat ahnen, es wird für immer sein.
Aber für kleine Kinder, die ja sicher gar nicht begriffen, was da los ist. Da brach doch die ganze sichere Kinderwelt zusammen.

Hast du mal überlegt, wie es alles gekommen wäre, wenn Ihr damals in Danzig geblieben wäret?

Wolfgang
04.07.2009, 21:28
Liebe Christa,

was soll ich sagen? Ich fasse mich kurz: Danke für Deinen erschütternden Bericht. Es ist ein Zeitdokument das die Zeiten überdauern sollte.

Christkind
04.07.2009, 22:11
Ich glaube, Anna hatte mich zum Aufschreiben verleitet, Wolfgang.;)

Helga, die Frage haben wir (meine Geschwister ) uns immer wieder gestellt.
Wir waren aber immer froh, dass wir nicht geblieben sind.
Wegen der politischen Verhältnisse. Außerdem fanden wir, dass es uns immer besser ging, als unserer Verwandtschaft in Polen.
Und nun im Alter, da zählt nich mehr so sehr die finanzielle Sicherheit, da ist die Sehnsucht aller meiner Geschwister nach Hause so stark geworden.Jedes Telefonat untereinander geht immer wieder in Richtung Danzig.
_______
Christa grüßt.

Helga +, Ehrenmitglied
04.07.2009, 22:19
Jedes Telefonat untereinander geht immer wieder in Richtung Danzig.

Hallo Christa,

So ist es bei meinem Vater auch. Seine Geschwister leben leider nicht mehr, aber er hat ja mich als aufmerksame Damals-in-Danzig-Zuhörerin.

wenzkauer
04.07.2009, 22:30
Hallo Christa,
großen Respekt von mir, meine Vater und seine Eltern wohnten in der Georgstr. in Oliva. Sie verkrochen sich nach Wenzkau und kamen erst 1958 nach Deutschland. Uns Kindern erzählten sie nie irgendetwas und deswegen besonders vielen Dank an Dich.
Gute Nacht und Grüße Michael

villaoliva
28.07.2009, 10:06
Vielen Dank für die Aufnahme einer solchen Geschichte!
Kann ich diese memoiren zu www.staraoliwa.pl (http://www.staraoliwa.pl) in die polnische Sprache?

Christkind
28.07.2009, 10:51
Ich habe nichts dagegen.
Im Gegenteil.Es freut mich, wenn wir uns durch Lebensberichte einander näherkommen.
_______
Gruß von Christa

villaoliva
21.08.2009, 15:35
Also bitte, und danke Ihnen nochmals :)
link: http://www.staraoliwa.pl/historia_wspomnienia_z_ulicy_kwietnej_1945.html

Christkind
23.08.2009, 14:34
Sicher hast du "villaoliva" ganz bewusst diese idyllische Ansicht aus der Rosengasse zu dem Bericht ausgesucht. Und ich muss sagen:es ist gut. Seit eh und je eine wunderschöne Natur.
Die Menschen sollten sich und ihr (der Natur) nicht wehtun.

Ein bisschen habe ich auch auf der Seite herumgebättert. Da gefiel mir sehr das Video aus dem Olivaer Park.
Ich freue mich schon, wenn ( wann? :( ) ich dort wieder herumwandern werde.
Und auch die schönen alten Aufnahmen vom Karlsberg habe ich entdeckt.
In der Nähe des Karlsberges muss auch der Renneberg sein.Dorthin sind wir oft an Sonntagen hingewandert, denn meine Eltern hatten dort Freunde.Es standen nur ein paar Häuschen dort.Und am Renneberg war auch eine Zollstation zu Zeiten des Korridors.
Ich habe ein Foto davon, weil mein Vater dort beim Zoll war.
Wenn du es gebrauchen könntest, schicke ich es dir.

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Es grüßt Christkind Christa

villaoliva
24.08.2009, 10:09
Ich werde sehr dankbar für das Foto und vielleicht eine andere Geschichte. Es ist sehr interessant für die heutigen Generationen.

Christkind
26.08.2009, 00:31
Ich darf keine Fotos hochladen, lese ich gerade.
Privat geht es vielleicht.
Ich melde mich.
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Christkind grüßt.

Beate
26.08.2009, 07:54
Guten Morgen Christa, schau mal da, Post von Wolfgang, Nr 5; dann klappt das auch!

http://forum.danzig.de/showthread.php?p=21794&highlight=fotos+hochladen#post21794

Freu mich schon auf Bilder, ja? Liebe Grüße Beate:)

Christkind
26.08.2009, 11:57
Ehrlich, Beate, ich fühle mich manchmal überfordert wegen der vielen Klickerei.
Das gehört jetzt wieder nicht hier rein, ich weiß, aber ich möchte mich eigentlich nur entschuldigen, wenn ich nicht auf dem neuesten Stand der Gebrauchsanweisungen bin.War mir bisher nicht wichtig.
Also Erlaubnis einholen, Bilder suchen ... u. s. w.
Dir auch einen schönen Tag!
Christa

Christkind
26.08.2009, 19:26
Auf dem Foto, das ungefähr 1938/39 aufgenommen sein muss,steht links mein Vater. Vor ihm mein Bruder Hans. Die anderen Kinder kenne ich nicht.
Wie meine Mutter immer erzählte, kamen an dieser Stelle oft Kirchgänger aus dem polnischen Korridor, die zum Gottesdienst in die Kathedrale wollten.Und da wurde nicht viel gefragt von den Zollbeamten, die wurden durchgelassen.
Ob alle so handelten, das weiß ich nicht, aber zunmindest wirkt das Foto doch ziemlich familiär.
Ob die Uniform etwas aussagt über die Tätigkeit an der Grenze,kann ich nicht sagen.
Mein Bruder hat ein kleines Töpfchen in der Hand. Für Blaubeeren, nehme ich an.Mein Vater hat den Jungens immer die Haare geschnitten. Glatze mit Schiebedach war damals modern.:D
Nun will ich sehen, ob es ankommt. Das Foto.
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Gruß von Christakind.

Christkind
26.08.2009, 19:31
Na ja, hätte mich fast gewundert.
Muss noch üben!:confused:
Es lag wohl am Format (psd).
Christa

villaoliva
27.08.2009, 11:05
Meine E-Mail olivaer@gmail.com