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Anna Nyma
06.07.2009, 11:13
Wiederaufbau nach 1945

Hier mal für die, die es interessiert, aus an anderer Stelle genannter authentischer Quelle einige Details, die die vorgefundenen Zerstörungen und polnischen Aufbauleistungen in GDANSK aus den ersten Nachkriegsjahren beschreiben. Wer befragt wurde, und welche Antwort von wem genau nachher gegeben wurde, habe ich an den meisten Stellen für weniger wichtig erachtet und daher weitgehend herausgelassen; es ergibt sich aber an manchen Stellen aus dem Text. Wo ich einzelne Sätze gekürzt bzw. umformuliert habe, sind diese in Klammern gesetzt. Ansonsten sind die verwendeten Passagen im Original (deutsch) belassen.


[Prof. Bukowski von der Technischen Hochschule in Gdansk-Wrzeszcz (früher Danzig-Langfuhr) berichtet:]

Ich kam am 8. April 1945 aus Warschau mit einem Lastauto, andere Beförderungsmittel gab es ja nicht. Zunächst wollte ich mir natürlich die Hochschule ansehen. Ich war sehr enttäuscht, denn schon von weitem sah ich, daß der Dachstuhl beinahe ganz abgebrannt war. Ich ging in das Innere hinein, da war die Haupthalle eingestürzt. Sämtliche Zeichensäle waren innen ausgebrannt, Türen und Fenster zerschlagen.

[Der Lehrstuhl für Eisenbeton und Statik, der vor dem Krieg von Professor Lührs geleitet worden war, war dagegen noch ziemlich intakt.] Aber die Bibliothek lag leider auf dem Fußboden verstreut, alle Instrumente waren ausmontiert. Alle Manometer, alle Mikrometer und andere Meßinstrumente waren verschwunden. Überall lagen nur leere Kästen und Kisten herum. Mit einem Wort, sich hinsetzen und weinen, das war die erste Reaktion. Doch machten wir uns gleich an die Arbeit und innerhalb eines Monats brachten wir das Gebäude mehr oder minder in Ordnung. Ich übernahm meinen Lehrstuhl sofort. Vom Herbst 1945 an begannen schon die Vorlesungen. Ich hatte damals zwei Assistenten. Seitdem haben wir unseren Lehrstuhl ziemlich ausgebaut. Das Gebäude ist weiter bedeutend vergrößert worden. Wir haben ein großes Laboratorium eingerichtet, eine Versuchsanstalt für Materialprüfungen und eine chemische Untersuchungsanstalt. Heute arbeiten an unserem Lehrstuhl etwa 14 wissenschaftliche Mitarbeiter.

Ich könnte vielleicht auch noch von mir erzählen, ich habe in Danzig von 1913 bis 1922 studiert, also ich kenne noch die Verhältnisse vor dem ersten Weltkrieg. Ich habe aus meiner Studienzeit nur die besten Erinnerungen. Mit meinen deutschen Kollegen habe ich sowohl vor wie auch nach dem ersten Weltkrieg immer die besten Beziehungen unterhalten. Erst später, etwa 1930, ging eigentlich der nationalsozialistische Rummel los, und es wurde auf der Hochschule in Danzig unangenehm, aber ich war da schon längst weg. Ich habe dann seit 1925 in Warschau gearbeitet, war an der Warschauer Hochschule als Assistent und Dozent tätig und bin von Warschau aus nach dem Krieg wieder nach hier zurückgekommen.

[Prof. Wieloch studierte hier an der Technischen Hochschule in Danzig erst Architektur von 1931 bis 1935 und dann von 1935 bis Ende 1937 Bauingenieurwesen.] Mein Professor war eben Professor Lührs. Spezialist für Eisenbetonbau. Er ist ja auch in Deutschland bekannt. Dann war ich in Stalowa Wola während des Krieges, wo ich Speicher baute und unmittelbar nach dem Kriege kam ich zurück, arbeitete im Konstruktionsbüro und seit 1950 bin ich dann am Lehrstuhl für Eisenbetonbau tätig.

Prof. Wieloch: Wenn man in Gdansk [am Hauptbahnhof] aussteigt, sehen wir einen ganz großen Platz. Gegenüber dem Hauptbahnhof ist das große Hotel Monopol, es ist architektonisch vielleicht nicht schön, aber neuzeitlich gebaut, dahinter sieht man schon die Altstadt. Also vor allen Dingen sieht man die Bartholemäi-Kirche. Ich muß hier erwähnen, daß Professor Bukowski einer der Konstrukteure war, der die ganze Kirche in der Tat gerettet hat. Es lag ganz klar auf der Hand, daß die Kirche in zwei bis drei Jahren zusammenstürzen könnte, weil die Hauptmauern sehr zerstört waren. Was die Marienkirche anbetrifft, sie ist ja eine der größten Kirchen in Osteuropa, könnte man sagen, daß sie 1945 ein ganz grausames Bild bot. Nicht ein Quadratmeter Dachfläche war mehr vorhanden und die Gewölbe waren ungefähr zu 70 % zerstört. Aber auch die Haupt- und Nebenpfeiler waren sehr zerstört. Es sah aus, als ob die Kirche in absehbarer Zeit zusammenstürzen würde. Herr Professor Bukowski könnte einiges sehr Interessantes über die Rettung der Pfeiler erzählen, weil er eben bei diesen Rekonstruktionsarbeiten selbst tätig war.

Prof. Bukowski: Die Marienkirche ist - wie bekannt - eine sehr alte Kirche. Sie ist rund 500 Jahre alt. Die gemauerten Pfeiler sind schon ziemlich morsch. Es wurden schon vor 1913 Befestigungsarbeiten durchgeführt, und als wir die Kirche 1945 übernahmen, da sahen die Pfeiler überhaupt so aus, als wenn sie jeden Augenblick zusammenbrechen wollten. Und es kam auch wirklich dazu.

Eines Tages wurde ich aus dem Bett geholt, um einer Baukatastrophe vorzubeugen. Ein Pfeiler war mitten durchgebrochen, das heißt er war geknickt und in halber Höhe zeichnete sich deutlich ein Keil von zerquetschten Ziegelsteinen ab. Wir hatten nun die Wahl, zu versuchen, die Kirche zu retten mit dem Risiko, daß der Pfeiler jeden Augenblick zusammenbricht, dann wären selbstverständlich auch die anderen Pfeiler zusammengebrochen, oder aber die Kirche sich selbst zu überlassen und wir wären um ein Baudenkmal ärmer. Wir wählten das Erstere und nach 24 Stunden angestrengter Arbeit unter großer Arbeitsbereitschaft seitens der Arbeiter wurde der Pfeiler mit einem Mantel aus Beton umhüllt, wobei es uns gelang, auf diese Weise den Pfeiler zu retten.

Die Kirche ist heute schon wieder vollkommen aufgebaut. Zwar sind die Wände innen noch völlig kahl, denn es war ja alles ausgebrannt. Da blieb auch nicht ein einziges Stück Holz übrig. Die Grabsteinplatten wurden im Mittelschiff zusammengetragen. Dort liegt eine neben der anderen, alle mit ihren deutschen Aufschriften, denn selbstverständlich ist es niemandem eingefallen, die deutschen Aufschriften aus unseren Kirchen oder sonstigen Baudenkmäler jemals zu entfernen.

Der Artushof war vollkommen ausgebrannt. Natürlich kam es darauf an, die noch übriggebliebenen Bauteile, vor allen Dingen die Fassade und auch das Gewölbe wieder instandzusetzen. Vom konstruktiven Standpunkt aus gesehen, war die Sache nicht so einfach und zwar deshalb, weil die hohen, sehr steilen Gewölbe auf fast labilen Granitsäulen standen. Diese Granitsäulen wurden natürlich durch Bomben und Artilleriegeschosse teilweise vernichtet. Es kam nun darauf an, diese eben auszuwechseln und an deren Stelle neue einzusetzen, außerdem die übriggebliebenen Gewölbe abzufangen und dann die neuen Granitsäulen einzubauen. Ungefähr 30 bis 40 % dieser Gewölbe wurden neu hergestellt und - um nicht denselben Fehler zu machen, den die alten Baumeister begangen haben - haben wir diese Granitsäulen gegen Horizontalschub geschützt, indem wir oben auf dem Dach eine ganz besondere Eisenbetonkonstruktion, also ganz moderne Konstruktion anwandten. Innen sind die Wandgemälde und sonst alles zerstört worden, aber es soll in kurzer Zeit, in 5 bis 10 Jahren alles wieder so hergestellt werden, wie es damals war.

Der Ratskeller ist noch nicht im Betrieb. Da die Gewölbe zum Teil eingedrückt sind, ist die Rekonstruktion nicht einfach. Aber wahrscheinlich wird auch im nächsten Jahr der Ratskeller in Ordnung gebracht und wieder in ein Restaurant umgewandelt werden.

Interessant ist, daß das bekannte Krantor jetzt gerade im Aufbau ist. 50 % ungefähr sind schon aufgebaut und binnen zwei Jahren soll das Gebäude vollkommen wieder hergestellt werden. Der Neptunbrunnen ist vollkommen hergestellt worden. Natürlich sind die polnischen Adler schön wieder angebracht worden, die damals 1933/34 von den Nazis ganz einfach abgerissen worden sind. Jetzt sind sie wieder da, schön vergoldet.

[Dluga-Straße (früher Langgasse) und Dlugi Targ (früher Langer Markt) sind genauso rekonstruiert worden, wie es im 17. und 18. Jahrhundert war. Das bunte Ensemble erinnert an die alten Stiche, die man im Museum sehen kann.]

Eines ist sehr wichtig, daß das schöne Rathaus in der Dluga-Straße wieder wunderbar aufgebaut worden ist, ganz modern. Modern in der Hinsicht, daß innen fast alles in Stahlkonstruktion ausgeführt wurde, um den Helm zu halten. Die Figuren und die ganzen schönen Kuppeln usw. sind getreu den alten Zeichnungen nach wieder hergestellt worden. Mit der Statue des polnischen Königs Zygmunt August an der Spitze, vergoldet. Ungefähr 2 ½ Kilogramm Gold wurde dazu verbraucht.

Leider ist es bis jetzt noch nicht gelungen, das alte Uhrwerk wieder herzustellen. Aber es soll sich ja ein Meister finden, der es wieder herstellt. Diese Uhr, das wird ja das schönste sein.

Vielleicht noch etwas über die Katharinenkirche. Auch sie war ein Wahrzeichen von Danzig, vor allen Dingen der Turm. Wir haben die Katharinenkirche insofern wieder hergestellt, als das ganze Dach im vorigen Jahr vollkommen aufgebaut worden ist. Der Turmhelm selbst und das schöne Glockenspiel sollen in den nächsten 4 bis 5 Jahren hergestellt werden.

Auch die Johanniskirche ist ein interessantes Gebäude. Wie bekannt, war die Giebelwand schon zu deutschen Zeiten etwa einen Meter aus dem Lot gekommen. Nachdem der Dachstuhl abgebrannt war, fing die Giebelwand an, weiter abzusacken, wir haben sie aber abgefangen. Jetzt gehört die Johanniskirche der evangelischen Gemeinde.

Wenn wir schon bei den evangelischen Kirchen sind, möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß die evangelische Kirche in Sopot, die unten am Meer liegt, auch in den Händen der evangelischen Gemeinde ist. Dort finden regelmäßig jeden Sonntag und vor allen Dingen an hohen Feiertagen, Gottesdienste statt, an denen viele evangelische Polen teilnehmen, evangelische Polen aus verschiedenen Gebieten, Masuren usw.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß Gdansk selbst nach dem Kriege eigentlich ein einziger Trümmerhaufen war. Als ich einmal in den ersten Jahren nach dem Krieg mit dem Flugzeug über die Stadt flog, sah man unten nur ein einziges Trümmerfeld, beinahe sogar ohne Ruinen, es waren eigentlich nur große Haufen von Ziegeln und Schutt und darin standen hin und wieder die hohen Wände großer Kirchengebäude, meistens ohne Dach und ohne Turm.

Natürlich sprechen wir selbst bei uns kritisch darüber, daß vielleicht noch zu wenig aufgebaut wird. Doch in Anbetracht der unheimlich großen Verwüstungen in ganz Polen, nicht nur in Gdansk, sondern auch in Warschau, Wroclaw, Poznan usw., kann man sagen, daß der Aufbau hauptsächlich in Gdansk spontan vor sich geht.

In der Walowa-Straße, früher Am Jakobsdorf / Ecke Schüsseldamm, im großen Gebäude aus rotem Backstein, befindet sich die "Biblioteka Gdanska Polskiej Akademii Nauk" (Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Gdansk).

Deren Direktor Dr. Pelczar berichtet: Die Lage nach der Übernahme der Bibliothek im Jahre 1945 war natürlich schwer. Das Gebäude war vollkommen leer. Alle Fensterscheiben in den Arbeitsräumen, im Lese- und Katalogsaal, im Magazin waren zerschlagen. Der Boden voller Scherben, abgebröckeltem Kalk und aus den Schubladen herausgeworfene Katalogkarten. Die Magazinräume waren vollkommen leer. Die Bücher waren tief im Luftschutzraum in großen Haufen aufgetürmt. Glücklicherweise waren nur die auf den Regalen an der Außenseite stehenden Bücher ein bißchen angesengt. Ich konnte mich nicht orientieren, wieviel vom Bücherbestand geblieben war. Allmählich kamen die Mitarbeiter. Mehrere von ihnen stammten aus den Reihen meiner Schüler und Schülerinnen der früheren Polnischen Handelsschule in Danzig, wo ich bereits in den Jahren 1935 bis 1939 als Lehrer tätig war. Man begann mit Räumungs- und Ordnungsarbeiten. Das Gebäude war im allgemeinen verschont, hatte aber doch drei Treffer erhalten.

Die Bibliothek ist eine vorwiegend humanistische. Ihr Bestand umfaßt im allgemeinen bis 400.000 Bände. Es sind sehr wichtige Werke zur Geschichte des pommerellischen Gebietes und von Gdansk. Ober 3.000 Handschriften betreffen hauptsächlich die alte Geschichte von Gdansk und das Küstengebiet.

Wir besitzen über 50.000 alte Drucke, darin 750 Inkunabeln. Diese entstammen den berühmtesten europäischen Druckereien des XV. Jahrhunderts. Im Jahre 1955 wurde der Katalog der Inkunabeln der Bibliothek von Gdansk veröffentlicht. Zu den interessantesten alten Drucken gehören zum Beispiel die Ordnungen der Bürgermeister und des Rates der Stadt Danzig, zahlreiche in Danzig gedruckte Lehrbücher der polnischen Sprache, deutsch-polnische Wörterbücher mit Redensarten und deutsch-polnischen Dialogen. Dann haben wir eine reiche Landkartensammlung, sehr wertvolle Zeichnungen, Porträts, Medaillen und mehrere hundert alte polnische Münzen von Danzig.

So ist die Bedeutung von Gdansk, Sopot und Gdynia - der drei Städte, die ja nach dem Kriege mehr und mehr verschmelzen - auch als wissenschaftliches Zentrum im Lande selbst sehr gewachsen. Wir besitzen zwei akademische Hochschulen, die Technische Hochschule und die Medizinische Akademie. Außerdem noch die Pädagogische Hochschule, die ökonomische Hochschule, die Hochschule für Musik und die Hochschule für bildende Künste. Es sind Professoren aus fast allen Teilen Polens gekommen. Wir haben jetzt auch eine Reihe von jungen Wissenschaftlern aus eigenem Nachwuchs, die sehr tüchtig arbeiten.

Wieviel zerstört und wieviel inzwischen aufgebaut wurde, bestätigt ein Gespräch unseres Reporters mit Herrn Edwin Kuffel, Mitarbeiter des DBOR, des Büros für Siedlungsbau, ebenfalls alter Einwohner der Stadt:

Ja, es war ein Elend, Gdansk 1945 in Trümmern zu sehen. Ich sah es so zum ersten Mal im August 1945. Es ist nicht übertrieben, wenn man die Zerstörung der Mittelstadt auf etwa 90 % schätzt. Für Wrzeszcz (ehemals Langfuhr) nimmt man ungefähr 60 % an.

In Gdansk selbst verschonte die Kriegsvernichtung nur hier und da einige Häuser und Bauten. So blieb der Bahnhof fast unbeschädigt, das altstädtische Rathaus, der Sitz des ehemaligen Völkerbundkommissars, die Markthalle, das Haus der Bank von Danzig, das Polizeipräsidium, die Landesversicherungsanstalt, das ehemalige Steueramt an der 3-Maja-Straße, der ehemaligen Nordpromenade, die Eisenbahndirektion, das Haus der AEG an der Elisabethkirche.

Von den kirchlichen Bauten ist die St. Nikolaus-Basilika mit nur einem Loch im Dach davongekommen. Ziemlich heil blieb auch das Franziskanerkloster, leider aber nicht die Trinitatiskirche.

Die Straßen waren voll Trümmer und Schutt, meist bis zur Höhe des ersten Stocks. Fast keine Straße war befahrfähig geblieben. Überall gähnten einem die leeren Fensternischen der ausgebrannten Häuser entgegen. Aus den Trümmerhaufen ragten hier und da die verkrüppelten steinernen Säulen besserer Zeiten empor.

Fast wie ein Wunder blieb die frontale Ansicht des Steffenshauses heil, obwohl das ganze Haus selbst in Trümmern lag und auch von den rechts daneben stehenden Häusern blieb nur ein Schutthaufen übrig. Die reich und zierlich geschmückte einzigartige Ansicht hätte wohl nicht mehr rekonstruiert werden können.

Obwohl ich aus Gdansk stamme, konnte ich mich an einigen Stellen und nach nur 6-jähriger Abwesenheit nicht sogleich zurechtfinden. Natürlich ist auch die Speicherinsel gründlich zerstört und ebenso Dolne Miasto, das heißt die Niederstadt und Siedlce. Selbstverständlich war auch der Straßenbahnverkehr zerstört.

Als ich nach Gdansk zurückkam, verband nur die Elektrische das frühere Oliver Tor mit der Endstation Wrzeszcz bei der al. Wojska Polskiego (ehemals "An der Kurve"). Wrzeszcz erhob damals, weil weniger beschädigt, den Anspruch auf das Zentrum der Stadt. Hier wohnten 1945 die meisten Einwohner, hier begannen die ersten Kaufleute, Handwerker und Genossenschaften ihr Werk. Aber die Behörden, sowohl die der Stadt als auch die der Woiwodschaft, wählten ihren Sitz trotzdem in Gdansk.

Es fanden sich unverhofft viele in die Schönheit des alten Gdansk blindlings verliebte Verehrer und bald entflammte der heilige Streit: Gdansk, dessen Aufbau fast unmöglich erschien, oder Wrzeszcz?

Dann weiter: Gdansk alt oder neu im Aufbau? Einige wollten die Rechtsstadt oder gar die ganze Mittelstadt als Denkmal der Kriegsvernichtung als ein lebendiges und abschreckendes Moment des Faschismus sehen, andere stellten sich Gdansk als eine ganz neuzeitlich angelegte Stadt vor, in der nur hier und da ein Überrest der alten Zeiten verbliebe. Schließlich fanden sich auch solche, die Gdansk genauso haben wollten, wie diese Stadt unmittelbar vor dem Kriege aussah.

Wie und wo, das waren die heiß umstrittenen Fragen. Im Jahre 1950 kam der Beschluß der Partei und Regierung zu einer schöpferischen Rekonstruktion der städtebaulichen und architektonischen Werte des Gdansk aus dem XVI. beziehungsweise XVII. Jahrhundert. Inzwischen waren die meisten Wohnhäuser ausgebessert, natürlich da, wo es noch nach den Kriegsbeschädigungen möglich war.

Neubauten sah man noch wenig, da alle Anstrengungen gemacht worden sind, zuerst den Hafen und die Industrie aufzurichten. Dennoch gelang es, den Neuaufbau der ersten Bürohäuser am Dlugi Targ (früher Langer Markt) schon 1947 zu beginnen.

Die Rechtsstadt von Gdansk ist systematisch rekonstruiert worden.

Alle Baupläne, wo sie nur vorhanden waren, Abbildungen, ja selbst Ansichtskarten sind sorgfältig geprüft worden, um das Wertvolle und Wichtige von der einzigartigen Architektur dieser Stadt wieder aufleben zu lassen. Dort, wo kein Material vorhanden war, mußte das Können und Wissen des Architekten schöpferisch helfen. Bisher sind schon zumindest drei Viertel der Stadt wieder aufgebaut.

Natürlich ist es nicht ganz die Stadt, die wir 1939 hier verlassen mußten. Der größte und wesentlichste Unterschied liegt meines Erachtens im Erdgeschoß. Vor dem Krieg sah man hier in der Rechtsstadt fast überall Läden mit großen Schaufenstern: Freymann, Sternfeld, Walter & Fleck, Stumpf & Sohn und wie sie da alle hießen. Heute sind hier zwar auch Läden und Schaufenster, aber alles der Architektur der einzelnen Häuser angepaßt und unterordnet. Das ist manchmal für den Kaufmann, oft leider auch für den Kaufenden nicht sehr günstig.

Viel Raum und Licht, so wichtig für einen neuzeitlichen Laden, paßt einfach nicht in die Patrizierhäuser des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Dann sind auch die Meinungen darüber geteilt, ob die getroffene Wahl einer solchen Art des Wiederaufbaus richtig war. Ob es nicht besser wäre, einen neuen oder zumindest mehr liberalen Weg der Rekonstruktion einzuschlagen. Das Klima des alten Danzig soll sich bis zur Szeroka (früher Breitgasse ) erstrecken.

Auf dem Gebiet der Altstadt entstand seit 1954 ein neuzeitlicher Bauplatz mit Kränen und vorgefertigten Bauelementen. Aber schon werden hier und da Stimmen laut, daß dieses Viertel zu eintönig geformt wird. Es entstanden schon drei solche Siedlungen und zwar die Marx-Siedlung in der Gegend der Marx-Straße (früher Ostseestraße), die Siedlung al. Wojska Polskiego hinter der Straßenbahnremise in Wrzeszcz und Siedlce beiderseits der Kartuska-Straße (ehemals Karthauserstraße). Im Zentrum von Gdansk hat allein das Bauunternehmen ZOR etwa 8.000 Wohnzimmer aufgebaut, im Zentrum von Wrzeszcz und den Peripheriesiedlungen ungefähr je 2.500 bis 3.000 Zimmer.

In nächster Zukunft wird Gdansk die Vorkriegszahl seiner Einwohner überschreiten. Für 1965 schätzt man die Einwohnerzahl auf etwa 318.000. Somit muß natürlich eifrig weitergebaut werden. Der nächste große Wohnungsbauplatz ist Oliwa-Przymorze. Das ist das Gebiet östlich von der Eisenbahn bis Jelitkowo (früher Glettkau) und südlich von der zur See führenden Straßenbahn, es war glaube ich die Nummer 4 vor dem Kriege, bis zu den Grenzen des Flughafens. Hier soll ein neuer Stadtteil für etwa 30.000 Einwohner entstehen.

In weiterer Zukunft sieht man die Drei- beziehungsweise Fünfstadt als eine unbedingte Notwendigkeit an. Die Konzeption der Dreistadt (Gdansk, Gdynia und Sopot) ist den Hörern wohl schon bekannt. Es soll nun noch Orunia und Pruszcz, das ehemalige Praust, dazukommen. Diese Fünfereinheit soll gegen 1975 etwa 750.000 bis 800.000 Einwohner haben. Diese Einwohnerzahlen haben ihre Wurzel im starken natürlichen Zuwachs. Wir haben heute schon etwa 65.000 junge Eingeborene der Stadt Gdansk, nicht eingerechnet die in Vorkriegszeiten hier Ansässigen. Das Gebiet der zukünftigen Fünfstadt oder des Fünfstädte-Bundes wird für diese Aussicht natürlich zu eng sein. Deshalb plant man auch noch eine Ausbreitung der Gebiete westlich nach dem Binnenland hin, wo weitere Siedlungen für etwa 150.000 Einwohner entstehen sollen. Es ist also nicht nur ein Wunsch, sondern eine Notwendigkeit, die Zukunft dieser Stadt so zu gestalten.


Die Werft

Die Werft war im Jahre 1945 fast total vernichtet. Nach ungefährer Schätzung war sie zumindest zu 75 % zerstört. Aus dem Gebiet der Werft haben wir 23.000 Kubikmeter Schutt und Asche herausgefahren. Außerdem befanden sich in den Ausrüstungsbassins und in den Gewässern der Werft Minen und versenkte U-Boote die hier während des Krieges erzeugt wurden usw. Außerdem war es ziemlich schwer, mit dem Schiffbau zu beginnen, weil Polen bekanntlich vor dem Kriege - außer einem einzigen Schiff "Olza" in Gdynia - überhaupt keine Schiffe gebaut hat.

Wir besaßen also kein erfahrenes Personal. Keine Schiffbauarbeiter, keine Schiffbauingenieure. Begonnen haben wir mit der Montage von Traktorenschleppern, dann erst mit der Reparatur von Schiffen und weiter mit dem Bau von stählernen Konstruktionen usw. Im Jahre 1948 wurde dann das erste polnische Schiff nach dem Kriege gebaut. Wir hatten einige Leute, die hier früher bei Schichau bzw. in der Danziger Werft gearbeitet haben. Es waren hier in Danzig geborene Leute, darunter auch Polen. Außerdem gab es einige polnische Ingenieure, die im Ausland oder an der früheren Technischen Hochschule in Danzig studiert haben.

Außerdem haben wir gleich nach dem Kriege mit der Schulung von Ingenieuren hier an der Technischen Hochschule angefangen. Es haben uns auch russische Spezialisten beraten, das heißt, sie kamen aus der Sowjetunion zu uns und haben uns 5 Jahre lang geholfen.

Es ist vielleicht interessant zu erwähnen, daß wir im Jahre 1957 Schiffe mit insgesamt 108.000 Tonnen Tragfähigkeit gebaut haben. Nach den Bulletins von Lloyd's Register of Shipping nimmt Polen im Jahre 1957 den 10. Platz in der Weltproduktion von Schiffen ein, und unsere Werft steht auf dem 17./18. Platz in der Welt. Also wir sind eine der größten Werften in der Welt. Im allgemeinen bauen wir ungefähr 35 Schiffe verschiedener Größe im Jahr. 1957 haben wir 36 Schiffe gebaut.

Es gibt in unserer nächsten Nachbarschaft eine Reparaturwerft in Gdansk. Sie befindet sich auch auf der Insel Ostrów (früher Holm) und führt Reparaturen an polnischen und ausländischen Schiffen durch. Weiter gibt es eine Werft in Gdynia, welche jetzt eine Kapazität von ungefähr 40.000 Tonnen Tragfähigkeit jährlich hat.

Ziemlich klein also, aber wir haben große Pläne mit dieser Werft vor und zwar soll sie sogar sogenannte Supertanker bauen. Die Werft in Gdynia wird sich beträchtlich entwickeln und zwar aus dem Grunde, weil unsere Werft nur für Schiffe bis zu 40.000 Tonnen Tragfähigkeit ausreichend ist. Der Hafenausgang in Gdansk ist nicht breit genug, um größere Schiffe zu bauen. Es gibt weiterhin zwei kleinere Werften in Gdynia. In Szczecin gibt es die Odra-Werft und die Vulkanwerft, die beide nach dem Kriege wieder aufgebaut wurden. Die Kapazität der Odra-Werft in Szczecin beträgt 20 % unserer Werft.


Oliwa

Die alte Königskathedrale in Oliwa wurde während der Kriegshandlungen schwer hergenommen. Alle Dachstühle, sowohl über dem Hauptschiff als auch über den Seitenschiffen, sind aus den Fugen gegangen. Die Dachziegeln wurden zertrümmert. Ein Artilleriegeschoß ging durch das Dach über dem nördlichen Seitenschiff sowie dem Hauptschiff. Es zerstörte das Dach auf einer Oberfläche von 150 Quadratmetern und den Glockenstuhl. Das Gewölbe wurde an mehreren Stellen beschädigt. Zwei 25 Meter hohe Helme der vorderen Türme wurden zerstört. Die Fenster, die durchwegs in Blei gefaßt sind, wurden zertrümmert und standen einige Jahre mit Bretterverschlägen, in die man provisorische Scheiben eingefügt hatte. Dasselbe Schicksal traf die ebenfalls in Blei gefaßten Fenster im Kreuzgang des ehemaligen Klostergebäudes.

Fast alle Altäre wurden demoliert. Die alten Antependien aus Korduanen - Korduane sind altertümliche Ledertapeten mit eingepreßter farbiger oder versilberter Musterung - wurden schwer beschädigt oder ganz vernichtet. Nur wenige von ihnen blieben erhalten. Die Paramente in der Sakristei, wie reichgestrickte Kaseln, Pluviale und dgl. wurden schwer beschädigt oder gingen überhaupt verloren.

Bereits zwei Wochen nach der Beendigung der Kampfhandlungen im Jahre 1945 begannen die Restaurierungsarbeiten. Schon während ihrer Dauer wurden in der beschädigten Kirche Gottesdienste abgehalten, wobei der Staat bei den Instandsetzungsarbeiten großzügige Hilfe leistete.

[Die weltberühmte Orgel, größte in Europa, ist ein Werk des Mönchs Michal Wulf.] Der Bau der Orgel dauerte insgesamt 25 Jahre und wurde 1755 beendet. Die Orgel befand sich nach dem Kriege in schwerbeschädigtem Zustand. Das elektrische Regierwerk war zerrissen, ein Teil der Orgelpfeifen zerschlagen oder verbeult.

Im Jahre 1946 begannen die Instandsetzungsarbeiten an der Orgel, die mehrere Monate dauerten. Gegenwärtig funktionieren alle die 101 Register und 6.000 Orgelpfeifen wieder einwandfrei.

Im Jahre 1945 wurden in die Orgel 20 Glocken einmontiert. Es sind dies Stahlrohre verschiedener Länge, die mit der Klaviatur verbunden sind und beim Anschlag einen Ton hervorbringen, der dem Glockengeläute täuschend ähnlich ist. In der Kathedrale werden jetzt auch Kirchenkonzerte veranstaltet, die immer einen großen Hörerkreis versammeln. So ein Konzert ist nicht nur ein musikalisches Erlebnis, auch der Prospekt der Orgel mit seinen reichen in Holz geschnitzten barocken Dekorationen und den vielen Engelsgestalten mit den beweglichen Musikinstrumenten bietet einen herrlichen unvergeßlichen Anblick.

Der im Rokokostil erbaute ehemalige Palast der Abte, der später als Schloß diente, ging im Jahre 1945 leider in Flammen auf. Das Schloß ist von einem herrlichen Park umgeben, der insgesamt 10 Hektar zählt. Mit seinen schartigen Alleen, seinen Teichen, Wasserfällen und den Ziervögeln bietet er dem Spaziergänger immer eine angenehme Erholung. Der Park ist teilweise im französischen und teilweise im englischen Stil angelegt. Er wird sorgfältig instand gehalten und ist eine bekannte Sehenswürdigkeit. Im Jahre 1946 wurde an einem stillen Plätzchen des Parks die Büste des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz enthüllt, nach dem auch der ganze Park benannt wurde.

Die Klosterbibliothek enthält jetzt nur noch einen verschwindend kleinen Teil ihres ursprünglichen Bücherbestandes, und zwar ausschließlich Werke religiösen Inhalts. Nach der Kassation des Klosters im Jahre 1831 überführte die preußische Regierung alle wertvollen Bücher nach den Bibliotheken in Berlin, Königsberg und Pelplin. Während der Kriegshandlungen hat die Bibliothek große Schäden davongetragen und ein Teil der Bücher ist leider verbrannt.

Das Kloster und die Kathedrale Oliwa sind aufs engste mit der polnischen Geschichte verknüpft. Alle polnischen Könige mit nur wenigen Ausnahmen weilten in Oliwa, wo sie Gäste der dortigen Abte waren. König Wladyslaw Lokietek "Ellenlang" war sogar dreimal in Oliwa und Danzig. König Kazimierz der Jagellone, der der Stadt Danzig sehr gewogen war, traf im Jahre 1455 in Oliwa mit König Karl von Schweden zu wichtigen politischen Gesprächen zusammen. Im Jahre 1577 befahl König Stefan Batory anläßlich seines Besuches in Oliwa der Stadt Danzig, an die Kirche und das Kloster Oliwa 20.000 Taler als Entschädigung für die durch Danzig verursachten Schäden auszuzahlen. König Zygmunt III Wasa, der zur Thronbesteigung im Jahre 1587 von Schweden nach Polen kam, hielt sich in Oliwa auf, um hier den Eid auf die "Pacta conventa" [Das Übereinkommen, das die Könige von Polen vor ihrer Wahl mit den Ständen abschließen mußten.] zu leisten.

Auch König Jan Sobieski weilte im Jahre 1677 in Oliwa, ferner der Prinz von Condé als polnischer Thronkandidat im Jahre 1697 und August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen im Jahre 1698.

Die große Kapelle der Mutter Gottes, durch die man jetzt eigentlich hier in die Kathedrale hineinkommt, ist durch ein schönes schmiedeeisernes Gitter Danziger Arbeit im Stil der späteren Renaissance vom Hauptschiff getrennt. Sie wurde vom Abt Dawid Konarski gestiftet. In preußischer Zeit wurde sie "Polnische Kapelle" genannt, da der Gottesdienst dort in polnischer Sprache gehalten wurde.

[Am Chorambitus des Hauptaltars im nördlichen Schiff steht das Grabmal der Herzöge von Pommerellen.] Sehr beachtenswert ist auch dieser große berühmte Barockaltar, der im Jahre 1688 vom polnischen Abt Antoni Hacki gestiftet wurde. Er ist mit 14 Marmorsäulen, die korinthische Kapitelle tragen, geschmückt. Das von dem Danziger Andrzej Stech gemalte Altarbild zeigt die Mutter Gottes vor der Abtei, von knieenden Mönchen umgeben.

Die Fresko-Gemälde an den Wänden des Presbiteriums zeigen die Bildnisse der Stifter und Förderer des Klosters. Auf der Evangelienseite die Bildnisse der Herzöge von Pommerellen: Subislaw I., Sambor II., Mszczuj I., Swieopelk II. und Mszczuj II., die von 1148 bis 1245 über Gdansk herrschten. Darüber das Bildnis von König Stefan Batory, eines besonderen Förderers der Abtei. Auf der Lektionsseite sehen wir die Bildnisse anderer Förderer der Abtei, darunter des Königs Wladyslaw Lokietek "Ellenlang", des Königs Kazimierz des Jagellonen und darüber des Königs Zygmunt Wasa, dem die Abtei ebenfalls viel verdankt.

[Der am Ende stehende Exkurs in die weiter zurückliegende Geschichte ist nur zum Beweis belassen worden, daß diese Dinge unbeschädigt geblieben sein dürften, da es sonst wohl von Domviakar Zaremba, der alle Auskünfte zu Oliwa gab, nicht unerwähnt gelassen worden wäre. Oliwa ist heute wieder, wie einstmals, Bischofssitz.]