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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Danziger Bürger wurde 1939 staatenlos



Gerhard Jeske
03.08.2009, 22:13
1939 Danzig – Ohra Bericht des Fahrdienstleiters Gerhard Knoff geb. 3.5.1914

Mit Beginn des Frühjahres 1939, vor allem vom Moment ab, als Adolf
Hitler im Reichstag während seiner Rede vom 28. April den Nichtangriffspakt mit Polen abgebrochen hatte, zugleich den Anschluss Danzig zum Reich verlangte, ab der Zeit, von Tag zu Tag, mehrten sich Schikanen und Überfälle auf polnische Bürger.
In den warmen nächsten Sommertagen erschienen auf den Straßen immer mehr verschiedene Kriegsfahrzeuge, sowie uniformierte Männer,gab es zu sehen. Jedenfalls, kurz gesagt, die politische Lage im August sah schon ganz brenzlig aus.

Infolge der anwachsenden Spannungen war der Zugverkehr auf der Strecke Gdingen-Danzig-Dirschau eingeschränkt und sehr unregelmäßig. Einige Züge, auf Anlass der deutschen Behörden, verkehrten überhaupt nicht. Aus diesem Grund hatte ich Schwierigkeiten mit der Hin- und Rückfahrt zum Dienst nach Lissau. Letzten Endes war es sogar unmöglich, denn beispielsweise musste ich bei meiner Hinfahrt von Ohra zweimal die Polnisch-Danziger Grenze passieren, erstmals in Hohenstein, dann nochmals in Liessau. Eines Tages wurde sogar, von den deutschen Beamten, beim Grenzüberschreiten in Liessau, mein Danziger Reisepass einbehalten. In Anbetracht dieser Lage habe ich mich an den Amtsvorstand des Betriebs- und Verkehrsamtes, Herrn Józef Schulz, gewendet, um mich zu einer anderen Dienststelle leiten zu lassen.
Daraufhin wurde ich zur Arbeit, zum Bahnhof Danzig-Oliva, eingeteilt, wo ich den Platz vom Fahrdienstleiter Tylewski einnehmen sollte, der aus Furcht vor Inhaftierung nach Orlowo-Adlershorst gefahren ist. Als ich auf meiner neuen Dienststelle ankam, wunderte sich der deutsche Eisenbahner Neumann, fragte wer ich bin und fügte auch gleich hinzu, dass meine Anwesenheit nicht erforderlich ist. Ich erwiderte ihm, dass ich von Amtswegen hierher abkommandiert worden sei und laut Anweisung meinen Dienst verrichten muss.
Die allgemeine Lage war überaus kritisch. Verschiedene deutsche Eisenbahnbedienstete trugen auf ihrer Dienstuniform offen nationalsozialistische Abzeichen.
Ebenfalls in Ohra, auf dem Schönfelderweg, hatte sich unsere Lage deutlich verschärft. Wir wohnten als einzige Polen auf dieser Straße. Die aus Anlass der polnischen Nationalfeiertage von uns ausgehängte Flagge, war stets für die Nazis ein Dorn im Auge. Etwa 2-3 Tage vor Kriegsausbruch warfen die Nazirowdys große Feldsteine in unsere Wohnung. Durch zerbrochene Fensterscheiben wurde dabei einiges Mobiliar demoliert. Auf den Schutz der Polizei konnten wir nicht zählen. Trotzdem habe ich den Vorfall förmlich im Polizeirevier vorgelegt.
Trotz alledem, was uns wunderte, erschien ein Schupo, hatte sich alles angesehen und machte sich sogar einige Notizen in sein Dienstbuch. Als er beabsichtigte wegzugehen, auf meine Anfrage, was er darüber meint, erwiderte er zum Schluss, es sei ja kein Wunder, denn so ähnlich verfahren ja die Polen mit den Volksdeutschen in Polen.
Von dem Ereignis hat mein Bruder Paul gleichfalls dem Generalkommissariat der Republik Polen, in Gdansk, in Kenntnis gesetzt. Aber das hatte keinen Widerhall, weil schon zu viele ähnliche Vorkommnisse in jener Zeit auf Polen, in Danzig, zu verzeichnen waren.
In gleicher Zeit, auf unserer Straße, haben wir von Chauvinisten drohende Ausrufe zu hören bekommen: "Wie lange gedenkt ihr hier zu bleiben, ihr Polacken? Wenn ihr nicht verschwindet, hängen wir euch an dem vor eurem Haus stehenden Laternenpfahl auf!"
Hierbei möchte ich noch bemerken, dass in diesem Zeitraum unser Haus fast ständig unter Polizeiaufsicht war. Unter diesen Umständen, aufregender, keinesfalls normaler Nächte, konnten wir uns zum Schlafen nicht ins Bett legen. Nur in Kleidung, voller Spannung, schlummerten wir in Erwartung nochmaliger Provokationen.
In den letzten Tagen vermehrten sich Verhaftungen von Polen. Demzufolge, am letzten Augusttag, überließen wir unsere Wohnung seinem Schicksal. Zeitweilig hielten wir uns bei meinem Schwager, Józef Blaszk, in Langfuhr, Adolf-Hitler-Str. 128, auch Ritterhof genannt, auf. Hier, am nächsten Tag, am frühen Morgen, erweckten uns mächtige Detonationen. Im ersten Augenblick konnte ich mich nicht zurechtfinden, wusste nicht was los ist, aber schnell genug habe ich begriffen, dass der Krieg begonnen hatte.
Wir wissen, damals war schönes Wetter, daher schlief ich auch bei geöffnetem Fenster. Von draußen, aus Lautsprechern, hörte ich die mir gut bekannte Stimme des Gauleiters Albert Forster. Er verkündigte, dass Danzig keine "Freie Stadt" mehr ist und von nun an ein Bestandteil des Deutschen Reiches sei. Sofort habe ich den Radioempfänger eingeschaltet, wo der Text der Proklamation veröffentlicht wurde. Nahezu unaufhörlich war Marschmusik zu hören, von Zeit zu Zeit unterbrochen für Sondermeldungen von Vormarscherfolgen der Wehrmacht ins polnische Gebiet. Ich kann mich auch noch gut erinnern, dass vom selben Tag an der Rundfunkansager, statt wie bisher - "Landessender Danzig" -, den Wortlaut - "Reichssender Danzig" -, benutzt hatte.
Aus Neugierde, so vor 10 Uhr, wagte ich auf die Straße hinauszugehen. Ich habe bemerkt, dass infolge der entstandenen Ereignisse, die Stadtbewohner aufgeregt und eilends auf den Straßen schreitend, aber an und für sich auch die Nachricht der Einverleibung Danzigs mit Großdeutschland mit Genugtuung empfingen.
Ich stieg in die Straßenbahn ein und fuhr nach Danzig. In der Bahn, aus mitgehörten Gesprächen von Passagieren, habe ich erfahren, dass die "Polnische Post" angegriffen worden ist und um dieses Gebäude auf dem Heveliusplatz vom frühen Morgen an harte Kämpfe geführt wurden. Man sprach auch von Verhaftungen polnischer Einwohner Danzigs. Bedrückt stieg ich vor dem Hauptbahnhof aus. Gleich fiel mir ein langes Transparent mit dem Wortlaut auf: "Widerstände sind nicht dazu da, dass man vor ihnen kapituliert, sondern dass man sie bricht"
Das Bahnhofsgebäude war mit roten Hakenkreuzfahnen behängt. Vor und auf dem Bahnhofsgelände wimmelte es von bewaffneten Soldaten und der Schutzpolizei, die den Zutritt dorthin nicht zugelassen haben. Einer von denen stand sogar auf der Straßenbahninsel und hielt in der Hand eine Tafel mit der Aufschrift: "Halt, es wird scharf geschossen!"
Vor dem Haupteingang des Bahnhofsgebäudes und anderswo waren polnische Briefkästen nicht mehr zu sehen. Polnische Anschriften waren teilweise schon beseitigt. Nach diesen ersten Ereignissen bin ich zur Einsicht gekommen, dass alles vorzeitig und sorgfältig vorbereitet worden war.
Von Zeit zu Zeit erschallten Schüsse in der Stadt, die zweifellos von der "Polnischen Post" und der Westerplatte her kamen. Nach kurzer Zeit bin ich in die Innenstadt gegangen, in Richtung polnisches Postamt. Unterwegs erblickte ich eine inhaftierte Gruppe von Männern, die von bewaffneten Sturmtrupps abgeführt wurden. Je näher ich zur polnischen Post kam, desto mehr begegneten mir Zivilisten mit Handgepäck, vorwiegend Frauen mit Kindern. Es hat sich schnell erwiesen, dass diese Einwohner aus den naheliegenden Häusern der "Polnischen Post" evakuiert worden waren. Auf den Straßen ringsum des polnischen Postamtes wimmelte es von Wehrmachtsangehörigen, SS-Heimwehr und Schutzpolizei. Nach kurzer Ansicht aus bestimmter Entfernung habe ich mich zurückgezogen und bog in die Tischlergasse ein. Gegen Mittag kehrte ich nach Langfuhr zurück. Am selben Tag bin ich mit meiner Mutter wieder nach Ohra in unsere Wohnung zurückgekehrt. Hier angekommen, stellten wir fest, dass jemand versucht hatte sich hier ranzumachen. Als wir uns umsahen, stellten wir fest, dass nichts verschwunden war. Später haben wir erfahren, dass der patrouillierende Schupo den Eindringlingen das Plündern untersagt hat.

Es dauerte nicht lange, bis dann Zellenleiter Metz mit noch jemandem in unser Wohnung eintrat und die Frage stellte, wo wir vorher gewesen waren? Daraufhin zeigte ich mit dem Kopf auf die noch im Zimmer liegenden Steine und Glasscherben, gleichzeitig antwortete ich ihm, in Langfuhr. Er sah uns erstaunt an, denn wie er uns zu verstehen gab, hatte er angenommen, wir seien nach Dirschau gefahren. Nach dieser Unterhaltung gab er noch hinzu: "Verhaltet euch gut und macht keine Dummheiten mehr!"
Bevor beide die Wohnung verließen hat Metz uns noch Lebensmittelkarten ausgegeben, worüber wir sehr überrascht waren. In der nachfolgenden Zeit hat er uns in Ruhe gelassen.

Am nächsten Tag, gemäß ausgegebener Anordnung, als ich auf dem Weg zum örtlichen Polizeirevier war, begegnete ich meinem Schulfreund Paul Grzegowski. Wir beschlossen uns im Polizeirevier immer gemeinsam zu stellen. Hier wurden wir belehrt, dass wir und alle noch auf freiem Fuß befindlichen Polen, ab heute täglich verpflichtet sind sich persönlich auf dem Polizeirevier zu melden, und zwar zweimal, um 8 Uhr und um 18 Uhr. Anfangs haben die Polizeibeamten noch für Pünktlichkeit Sorge getragen, jedoch im Laufe der Zeit sich immer mehr liberal verhalten. Später, als ich die Pflichtarbeit aufgenommen hatte, brauchte ich mich nur einmal am Tag, morgens oder abends, im Polizeirevier zu melden.

Im Herbst mussten meine Schwester Wanda mit ihren Kindern in Langfuhr, sowie mein Bruder Edmund nebst Familie, welcher im Erdgeschoß unseres Hauses in Ohra, auf dem Schönfeldweg wohnte, die Wohnungen räumen.
Die untere Wohnung meines Bruders hatte ein SS-Mann namens Schlicht eingenommen. Von dieser Zeit an wohnten wir nun alle im oberen Stockwerk, in zwei kleinen Zimmern.

Bürger polnischer Nationalität, die sich im Arbeitsamt zur Arbeit gemeldet hatten, wurden zur Pflichtarbeit bei verschiedenen Aufräumung Arbeiten in der Stadt- eingeteilt. Da ihnen nur ein geringer Wochenlohn von etwa 6 bis 10 RM gezahlt wurde, blieb ich bis zum Frühjahr zu Hause. Nebenbei gesagt, von meiner Seite aus war dies riskant und ich hätte deswegen Unannehmlichkeiten haben können. Trotz allem hatte ich Glück, dass niemand mich als Drückeberger zur Verantwortung gezogen hatte. Weiterhin blieb ich in Kontakt mit einzelnen Leidensfreunden, die noch auf freiem Fuß geblieben waren. Unter diesen Umständen war das tägliche Dasein nicht leicht. Fortwährend bestand die Gefahr von Freiheitsberaubung und in Stutthof zu landen.

Im Frühjahr 1940 erhielten wir eine Vorladung, meine Mutter und ich, uns vor einer Kommission, welche im damaligen Werftspeisehaus am Fuchswall amtierte, zu stellen. Diese Kommission wurde von allen "Kassenkommission" genannt. Sie hatte entschieden, wie ich mich gut erinnern kann, diese oder jene Familie entweder ins Generalgouvernement zu deportieren, zur Umschulung nach Riesenburg - jetzt Prabuty - abzuschieben, oder weiterhin in Danzig zu belassen. Die Kommission bestand ungefähr aus 8 Personen und hat einzelne Familien im Saal, der sich links hinter der Eingangstür des Werftgebäudes befand, empfangen. Hinter den Tischen saßen einige Zivilisten, aber auch mehrere uniformierte Parteifunktionäre. Unter anderem haben sie meiner verwitweten Mutter vorgeworfen, dass sie als einheimische Danzigerin, ihre Kinder im polnischen Sinne erzogen hatte. Wiederum wurde mir vorgehalten, dass ich ein Jahr vor dem Krieg die Einberufung zum staatlichen Hilfsdienst/Reichsarbeits-
dienst verweigert hatte. Andererseits war es ihnen auch nicht recht, dass ich als junger Eisenbahner der polnischen Staatsbahnen, durch meine Verdienste schon in kurzer Zeit zum Eisenbahnassistenten befördert worden war.
Als zum Abschluss des Verhörs meine Mutter sich erlaubte anzufragen, was denn weiter mit uns geschehen würde, empörte sich einer von denen und hat uns fast aus dem Zimmer geworfen.
Nachdem folgten ungewisse Tage für uns, in der Befürchtung ausgesiedelt zu werden. Tage und Wochen waren inzwischen vergangen, doch ließ man uns in Ruhe.
Eines Tages traf ich wieder einmal meinen Kollegen Alfons Ferderski. Wir gingen auf die Suche nach entsprechender Arbeit. Wir waren uns einig, dass wir nur noch als Arbeiter Beschäftigung bekommen könnten. Infolge dessen sind wir zum Arbeitsamt gegangen und haben die Zuweisung zum Holzbauwerk A. Geissler KG erhalten.
Ich möchte noch anführen, dass ich bald nach Kriegsausbruch ein Schreiben vom Eisenbahnkommissar erhalten hatte. Unterzeichnet vom Staatsrat Büttner wurde mir mitgeteilt, dass aufgrund der Übernahme der Eisenbahn des Danziger Gebietes, ab 1. September 1949 auf meine Dienstleistung sofort verzichtet wird.
Ferner, es war wohl Anfang 1940, erhielt meine Mutter eine schriftliche Nachricht vom Stadtkommissar, dass wegen ihrer polnischen Volkstums Angehörigkeit, ihr Grundstück beschlagnahmt, enteignet ist. Jetzt mussten wir Miete zahlen.
Noch möchte ich hinzufügen, leider weiß ich nicht in welchem Monat es war, dass ich vom Polizeipräsidium ein Schriftstück erhalten hatte, in dem mir mitgeteilt wurde, dass mir die Danziger Staatsangehörigkeit aberkannt wurde..
In Anbetracht dessen bin ich staatenlos geworden.
Im Untersuchungsgefängnis saß ich drei Monate ein. In einer überlegten Zelle voller Wanzen. Wegen angeblicher Sympathie mit einem französischen Kriegsgefangenen, der später floh. Mir wurde dazu eine Verbindung nachgesagt. Ab 1943 wurde ich ins KZ-Stutthof eingeliefert. Von dort wurde ich verlegt zur Danziger Werft und hatte auf der Werft im U-Boot Bau bis zum März 1945 Zwangsarbeit geleistet
Gerard Knoff,
Gerhard Jeske ergänzt. Ein Mitglied der Familie Knoff ist in der Historischen Beschreibung der Stadt Danzig von Curicke 1422 als Schöppe erwähnt. Der Vater des Gerhard Knoff war ein Vetter der Mutter des berühmten Schriftstellers Günther Grass. Das hatte die Familie nicht davor bewahrt, ausgebürgert zu werden.