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Wolfgang
01.09.2009, 18:30
Sommerende in Heubude

Sonntag, 30. August 2009, nachmittags

„Nein, wir fahren mit dem Auto, mit der Tram dauert das zu lange!“ Kinga möchte schnell nach Heubude, denn dort wollen wir bei diesem schönen Wetter jede Minute genießen. Es stimmt: Eine gemächlich vor sich hinschaukelnden Tram kostet Zeit die wir lieber am Strand verbringen wollen.

Mit dem Auto geht es von Saspe aus nach Danzig. Vorbei am Hauptbahnhof, Hohem Tor und Stockturm, fahren wir vom Karrenwall über eine Hochbrücke auf den Vorstädtischen Graben. Weiter geht es über Alte und Neue Mottlau an alten Kasernengebäuden vorbei. Nach einer weit geschwungenen Kurve halten wir an einer Kreuzung kurz an. Zur Linken das Langgarter Tor, fast verdeckt durch eine Straßenbrücke. Rechts ginge es weiter nach Richtung Elbing, aber wir wollen ja gerade aus nach Heubude. Wir folgen den Straßenbahngleisen, überqueren die Breitenbachbrücke und biegen in die Röttgerstraße ein. Ich möchte Kinga kurz zeigen wo mein Urgroßvater Ferdinand Trosin, ein Zimmermann, lebte. Heute umgeben Hochhäusern zwei alte Backsteinziegelbauten, Doppelhäuser, in denen früher in jeweils einer Haushälfte zwei Parteien lebten. Im Haus Nr.1 wohnte mein Urgroßvater der gegen Ende des Krieges in Danzig starb.

Aus einer der Hochhauswohnungen schallt ohrenbetäubende Musik. Die ganze Gegend wirkt nicht sonderlich vertrauenerweckend. Junge Männer mit bissigen Hunden halten glücklicherweise Distanz zu uns. Wir wollen nicht auffallen, nicht provozieren und so fahren wir weiter. Die Sonne strahlt und wir wissen, dass es am Strand viel schöner sein wird.

In Heubude angekommen, halten wir uns Richtung Strand. Nach dem Ortsende liegt versteckt hinter dichtem Baum- und Buschbewuchs der Heidsee. Direkt am Strand parken wir unseren Wagen auf einem bewachten Parkplatz – sicher ist sicher!

Mehrere Straßenbahnen warten an der Schleife. Es sind trotz herrlichen Wetters nicht sonderlich viele Leute unterwegs, Die Badesaison ist fast vorbei und in wenigen Tagen wird hier vollkommene Ruhe einkehren.

Als erstes fällt ein neues Strandrestaurant auf. Braune Holzfassaden, ein verwegenes Dach mit „Carlsberg“-Bierreklame, großflächig verglast, und das Ganze umgeben von einem Rohrmattenzaun. Einige Stufen hinauf zum gepflasterten Weg der direkt zum Strand führt. Ein Bau mit Toiletten, Duschen, alles neu, alles sehr gepflegt, kein Vergleich zu dem was noch vor wenigen Jahren hier (nicht) war.

Aber trotz herrlichen Wetters mit Wärme, Wind und Wolken sind die meisten der kleinen Zeltbuden bereits verweist. Heute ist letzter Tag der Badesaison, heute endet der Badesommer 2009. Links und rechts des Pflasterweges Maschendrahtzaun, der die Dünenlandschaft vor herumtrampelnden Badegästen und Sonnenhungrigen schützen soll. Kleine Bänke laden zum Verweilen ein. Am Ende des Pflasterweges eine Rettungsstation, ein Würfel, unten Sichtbeton, oben Holz. Gekrönt wird die Station von einem Aussichtsraum mit runden Fenstern und einer Funkantenne. Ein interessanter, ein schöner Bau, der ein wenig an einen Leuchtturm erinnert.

Am Strand führt ein Holzplankenweg weiter zum Wasser. Links, fast zum Greifen nahe, Silos, Container, Kräne des nahen Danziger Hafens. Das stört ein wenig, in meiner Erinnerung war das früher viel weiter weg. Aber es gibt ja auch noch den Blick nach Osten. Und dort öffnet sich das Paradies! Weite weiße Strände, eine herrliche Dünenlandschaft, klares Wasser in allen Blau- und Grüntönen, fliegende Wolken. Ein Traum, ein Sommertraum!

Ich bitte Kinga, einen Augenblick zu warten, ziehe mir Sandalen und Socken aus, kremple die Hosenbeine um. Und nun lasse ich den Sand singen, lasse meine Füße mit Schwung über den Sand gleiten, der mit einem hellen Sirren antwortet. Nirgendwo anders ist so unvergleichlich diese Musik zu hören. Ich liebe sie, ich träume von ihr und ich sehne mich danach wenn ich fern des Meeres bin.

Der Sand ist heiß, meine Füße tragen mich zum Kühlung verheißenden Wasser. Leise plätschern leichte Wellen an den Strand, umspülen die Füße, lassen sie im Sand versinken. Der warme kräftige Wind weht ablandig, aber trotzdem werden einige Medusen angespült. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen? Ist das Wasser sauber oder könnte es noch klarer sein?

Für mich herrschen Idealtemperaturen. Knapp über 20 Grad, starker Wind, wunderbare Wolkengebilde, die sich glücklicherweise hin und wieder vor die doch noch sehr sommerliche heiße Sonne schieben. Am ganzen langen Strand nur wenige Strandgäste, nur hie und dort ein badendes Kind. Leere deutet sich an, Ruhe, die Einkehr verheißt. Kinga und ich stapfen durch den Sand, lassen ihn durch die Zehen quellen. Ich denke mir, hier bist du alterslos, hier mischen sich Gefühle und Empfindungen aus Kindheitszeiten mit Sehnsüchten die auch im Alter nicht vergehen. Ich bedaure, meine Badehosen nicht mitgenommen zu haben.

In der Ferne machen wir den Weichseldurchbruch zwischen Östlich und Westlich Neufähr aus. Plötzlich fragt mich Kinga, ob der uns entgegen kommende Mann ohne Badehosen sei. Ich schaue genauer hin, stelle fest, dass sie Recht hat. Vollkommen nackt und nahtlos gebräunt kommt uns ein älterer Herr entgegen. Und plötzlich bemerken wir, dass wir uns mitten auf einem Nacktbadestrand befinden. Hier ist ein Refugium der FKK-Anhänger. Hinter Windschutzzeltbahnen verborgen, einige nur auf dem Handtuch liegend, etliche jedoch splitterfasernackt in den geschützten und eigentlich nicht begehbaren Dünen flanierend. Kinga ist ein wenig irritiert, aber ich schmunzel nur.

Westlich Neufähr ist nicht mehr weit, aber meine Knie schmerzen und ich frage Kinga, ob wir nicht langsam umdrehen sollten. Sie stimmt zu und plötzlich haben wir es mit einem uns kräftig entgegen blasenden, fast stürmischem Wind zu tun. Trotzdem ist es warm, die Sonne scheint uns frontal entgegen, Und doch scheine ich einer der ganz Wenigen zu sein, denen diese Temperatur noch fast zu hoch ist. Denn viele Standgänger haben sich bereits herbstlich verpackt: Windweste, Schal, Mütze. Für mich unverständlich, denn ich liebe die Frische, die Kühle, das Windige, das Herbstliche, die mir nach zu heißen Sommern lang erwartete Erfrischung und damit neue Kräfte bringen.

Hin und wieder Treibholz und Stämme am Strand, angeworfen von kräftigerem Seegang, blank poliert von Wasser, Sand und Wind, silbern gleißend in der klaren Nachmittagssonne. Ich bin befreit, ich bin frei, es ist heute der schönste Strandtag des Jahres,

Wir kommen gut voran, passieren die Seeretter die am heutigen letzten Strandarbeitstag einen Bootsmotor putzen. Auf den Holzplanken laufen wir noch barfuß, dann setzen wir uns auf eine Bank, wischen den Sand von den Füßen, schlüpfen in die Schuhe.

Heubude, Stogi. Sonntag, 30. August 2009. Die Sommersaison ist vorbei. Unser Spaziergang hat ein Ende gefunden. Eigentlich ein Moment, an dem leise melancholische Gefühle aufkommen können. Aber es war heute so schön, so wunderschön, dass ein erster Gedanke daran sofort wieder geht, verweht, mit dem warmen Wind davon getragen wird.

Heibuder
01.09.2009, 19:02
Danke, Wolfgang
Zur Untermalung gibt's bei Youtube ein paar passende Videos:
Ton laut und Bild gross stellen!
Nach zwei Jahren bekomm direkt wieder Heimweh!

http://www.youtube.com/watch?v=F34LxBNESnE
http://www.youtube.com/watch?v=mGvTFsiIEYM
http://www.youtube.com/watch?v=-JVeuPGkcok
http://www.youtube.com/watch?v=0eKS81z3OcU

Wolfgang
01.09.2009, 20:10
Hallo Heibuder Wolfgang,

danke für die Kurzfilmlinks bei Youtube. Ich schrieb: "Und nun lasse ich den Sand singen, lasse meine Füße mit Schwung über den Sand gleiten, der mit einem hellen Sirren antwortet. Nirgendwo anders ist so unvergleichlich diese Musik zu hören. Ich liebe sie, ich träume von ihr und ich sehne mich danach wenn ich fern des Meeres bin."

Und Du antwortest mit dem Link: http://www.youtube.com/watch?v=-JVeuPGkcok

Wenn die Füße mit langem langsamen Schwung über den Sand gleiten kann man die Töne sogar ein klein wenig variieren. Wunderbar ist das!!!

Helga_Claassen, +12.10.2010
01.09.2009, 21:32
lieber Wolfgang!
Ich war auch noch in den Kriegsjahren in Heubude,manchmal dort und manchmal in Broesen.

Hat sich der Sand veraendert?Vielleicht waren meine Fuesschen zu klein,aber ich habe den Sand glaube ich nicht singen gehört.

Ich glaube es ist zu spaet nach Danzig zu gehen.Ich hoffte jahrelang,aber es ist zu spaet fuer mich elleine zu gehen. Schade ich werde den Sand nicht mehr singen hoeren koennen.Heute ist ein schlimmer Tag fuer mich.

Helga Claassen

Helga +, Ehrenmitglied
01.09.2009, 21:39
Hallo Heibuder,

schön, diese Filme. Da ist sofort Sehnsucht da.

Wolfgang
02.09.2009, 18:07
Und hier sind noch einige Strandfotos zum Saisonende zu finden: http://forum.danzig.de/album.php?albumid=142