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Wolfgang
17.10.2009, 19:37
Aus „Unser Danzig“, 20.02.1963, Nr.7, Seite 12

Badeleben auf der Westerplatte um 1900
von Alice Irmer

Die badefreudigen Danziger brachten die Dampfer der „Weichsel“ (Danziger Schifffahrt- und Seebad-Aktiengesellschaft) zur Westerplatte. Die Neufahrwasseraner ließen sich mit dem Fährboot zur Westerplatte übersetzen. Damals gab es auf der Westerplatte noch kein Familienbad, nur ein Damenbad, ein Herrenbad und ein Warmbad existierten. In letzterem konnte man medizinische Bäder nehmen, unter denen das Moorbad das bekannteste war. Das Warmbad lag zwischen dem Herrenbad und der Strandhalle. Ein sogenanntes Freibad gab es natürlich auch. Es lag hinter der Schmiede der Hafenbauinspektion und zog sich längs des Strandes nach der Weichselmünde zu hin.

Von der Dampferanlegestelle auf der Westerplatte führten schattige Wege an der Försterei vorbei durch den Kurgarten zu den Badeanstalten. An der Kasse dort löste man seine Eintrittskarte und durfte dann eine von den Badezellen 45 Minuten lang belegen. An heißen Tagen war der Andrang besonders groß, und man musste Schlange stehen, um eine freigewordene Badezelle zu ergattern.

Nach dem Baden gingen die meisten Badegäste an der Strandhalle vorbei zum Seesteg. Von hier aus hatte man einen prächtigen Blick auf die Danziger Bucht. Brösen, Glettkau und Zoppot grüßten herüber, und besonders am Abend war die Lichterkette von den dortigen Seestegen ein hübscher Anblick.

Um den Seesteg herum entfaltete sich ein geschäftiges Leben und Treiben. Die Jugend war eifrig dabei, tiefe Gruben auszuschaufeln oder Burgen zu bauen. Strandkörbe waren damals noch eine Seltenheit, und Väter und Mütter ließen sich im Schutze von Sonnenschirmen in den Burgen häuslich nieder. Die Kinder gruben dicht am Ufer ihre kleinen Seen, in denen sie die mit Eimern oder Keschern gefangenen Stichlinge schwimmen ließen.

Nicht weit vom Seesteg war am Strand ein hoher Mast errichtet mit verschiedenen Segelstangen und Strickleitern daran. Alljährlich wurde hier im Sommer eine Übung von der Lebensrettungsgesellschaft veranstaltet; eine Rettung aus Seenot wurde dann vorgeführt. Auf der See befand sich ein großes Boot mit Schiffbrüchigen, die mit Hilfe einer Hosenboje, die vom Mast bis zum Boot abgefeuert worden war, gerettet wurden. Es war klar, dass dieses Rettungsmanöver stets eine große Schar Zuschauer heranzog.

Ein beliebter Spaziergang war vom Seesteg am Strande entlang zum Leuchtturm auf der Steinmole. Besonders an stürmischen Tagen war es ein besonderes Vergnügen, über die Mole zu gehen, wenn die Wellen dort hoch aufspritzten. Nasse Füße gab es dann natürlich auch. Dafür ging man dann vom Leuchtturm zurück über die Holzmole, die parallel zur Steinmole lief. Von der Mole aus konnte man direkt in die Hafeneinfahrt sehen und die ein- und auslaufenden Schiffe beobachten.

Ging man weiter am Hafen entlang, so grüßte auf der rechten Seite der Lotsenturm herüber. An seiner Spitze befand sich der Zeitball. Kindern machte es immer besonderen Spaß, wenn dieser Ball mittags um 12 Uhr fallen gelassen wurde und so die genaue Zeit anzeigte.

An heißen Sonntagen herrschte auf der Westerplatte Hochbetrieb. Schon früh brachten die Bäderdampfer die Danziger zur Westerplatte, und um die Mittagszeit setzte ein Rekordbesuch ein. Die Dampferanlegestelle erwies sich als zu klein, - da legte ein Dampfer neben dem anderen an, und die Passagiere kletterten von dem kleineren Dampfer, sei es „Lachs“, „Forelle“ oder „Phönix“, über den größeren „Blick“, „Greif“ oder „Schwan“ zum Ausgang an der Anlegestelle. Jeder wollte so schnell wie möglich an die See kommen.

Ein farbenfrohes Bild ergaben die hübschen Sommerkleider der Frauen, auf deren Köpfen die großen Strohhüte prangten, die entweder mit bunten Blumen oder Schleifen geziert waren. Hüte waren damals noch große Mode. „Hutlos“ war noch nicht modern.

An einem Nachmittag zogen am Himmel plötzlich dunkle Wolken auf, und bald hörte man das dumpfe Grollen eines nahenden Gewitters. Da setzte auch schon die Flucht der Badegäste zum Dampferanlegeplatz ein. Dicht gedrängt standen sie nebeneinander, um so schnell wie möglich auf den Dampfer zu kommen. Da fielen auch schon die ersten Regentropfen, und gleich darauf ergoss sich ein heftiger Gewitterregen auf die Wartenden. Und nun der schöne Sonntagsstaat! Da wusste eine Schöne aus der Menge sich Rat. Kurz entschlossen stülpte sie sich ihren Kleiderrock über Hut und Gesicht und stand nun in ihrem Unterrock als vermummte Gestalt da. Die Kleider hatten damals eine Länge, die bis zu den Knöcheln reichten, und die Weite war dementsprechend. Das resolute Verhalten dieser Frau machte Schule, und viele andere Ausflüglerinnen machten es ebenso. Da standen nun viele solcher Vermummten und versuchten, sich und ihren Staat dadurch vor dem Regen etwas zu schützen. Es war ein unsäglich komischer Anblick!

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Babsy
18.10.2019, 09:51
Wow. Als ich das gelesen habe, war ich direkt in dieser Zeit. So schön geschrieben. Und auch aus der damaligen Zeit wieder etwas erfahren. Danke

HoMaSa49/I
04.11.2019, 15:42
Eine tolle, lebendige und zudem emotionale Beschreibung. Man fühlt sich direkt in die Zeit und an den Ort versetzt. Ich hatte leider nicht das Glück, jemals dort gewesen zu sein, aber empfinde viel Glück beim Lesen!
Vielen Dank für diese Eindrücke
Horst