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Wolfgang
07.11.2009, 11:55
Aus „Unser Danzig“, 05.10.1964, Nr.19, Seite 8

Dies war einmal Danzig
Von Wolfgang Federau

Dies war einmal Danzig: eine Stadt, grau von Alter und Geschichte, die ihre Türme und Mauern, ihre reich gegliederten Giebel und das Dächermeer ihrer Häuser einem schon nordisch anmutenden Himmel entgegen hob. Eine Stadt, viel umkämpft, viel umfehdet, mit wechselndem Glück schließlich doch immer wieder sich behauptend, sich den mannigfachen Bedrohungen im Laufe von sieben Jahrhunderten immer wieder entziehend, oft in tödlicher Gefahr, aber zuletzt dann doch wieder siegreich, weniger durch kriegerische Tat als durch das politische Geschick der Männer, die sie regierten, durch die Einigkeit ihrer Bürger.

Die Gegensätze politischer Art, in die sich mit dem gesamten deutschen Osten auch Danzig hineingestellt sah, waren anderer Art als die Eifersüchteleien, die dynastischen Kämpfe, die dem Westen das Gepräge gaben. In diesem weiten Raum des Ostens prallten Völker aufeinander, rangen neben dem deutschen Ritterorden, Polen und Schweden und Russen und auch Preußen um den Besitz dieser Königin an der Weichselmündung. Immer wieder aber gelang es Danzig - selbst in der Zeit der Personalunion mit der polnischen Krone - sich seine politische Unabhängigkeit zu wahren, nicht zuletzt weil die großen nordischen Seemächte, England, die Niederlande und Dänemark, Wert darauf legten, sich den ungehinderten Zugang zu diesem wichtigen Umschlaghafen zu erhalten. Der Anschluss Danzigs an Preußen wurde deshalb wohl dem urdeutschen Charakter dieser alten Hansestadt gerecht, dem politischen Weg Danzigs aber nur insoweit, als mählich die Zeit selbständiger Städtepolitik ohnehin überholt und überlebt war.

Dieser kerndeutsche Charakter Danzigs spiegelte sich nicht nur in seiner zu 96 Prozent deutschen Bevölkerung - viele ihrer Bewohner konnten ihre Vorfahren in dieser Stadt über Hunderte von Jahren zurückverfolgen -, sondern auch, und auf den ersten Blick bereits überzeugend, in seinem architektonischen Bild. Es war ja nicht nur die übersteigerte Heimatliebe des Danzigers, die ihn seine Vaterstadt als eine der schönsten deutschen Städte lieben ließ. Jeder Fremde, der mit offenen Augen die Straßen und Plätze durchwanderte, diese Straßen, die sich alle so bescheiden Gassen nannten, war des Lobes und des Rühmens voll.

Jede Stadt hat ihre Wahrzeichen. Bei Danzig waren es deren viele. So viele, dass man in Zweifel geraten konnte, was man als eigentliches Sinnbild und Zeichen gelten lassen sollte. Die Marienkirche vielleicht? Diesen größten gotischen Dom Norddeutschlands, der seinen massigen, gewaltigen und stumpfen Turm wie eine drohende Faust gen Himmel reckte? Oder des Rathauses nadelspitzes, feingliedriges Filigran? Die prunkende Fassade des Artushofes? Das Zeughaus etwa, diesen herrlichen Renaissancebau? Oder schließlich die einmalige, nirgendwo auch nur halbwegs ähnlich wiederkehrende Silhouette des Krantores? Ach, wollte man alles aufzählen, was in seiner Gesamtheit das architektonische Gesicht Danzigs ausmachte, es gäbe eine lange, lange Reihe, und man wüsste kaum, wo man anfangen, wo man aufhören sollte. Die vielen alten und schönen Tore gehörten ja dazu und die Brücken, die Speicher längs der Mottlau und die Gassen bei Sankt Marien mit den Beischlägen, die Türme der vielen Kirchen und das Glockenspiel von Sankt Katharinen, die Kanzelhäuser und der Lange Markt und die verschwiegene Verträumtheit stiller, nur dem Ortskundigen bekannter Winkel.

Danzig wurde trotzdem kein Freilichtmuseum, wie etwa Rothenburg ob der Tauber. Allzu sehr, allzu innig war es dem Leben und dem Kampf ums Leben verbunden. Und die politische Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg machte ihre Bewohner wieder so weiten Blickes, so weltoffen, wie sie es einst, in der Zeit ihrer stolzesten Blüte und städtischen Selbstherrlichkeit, gewesen waren. So war denn auch der lange Heinrich, der gewaltige Hebekran der Schichauwerft, der weit über die Stadt hinweg schaute, bis in die Niederung, bis ins Werder, ein Wahrzeichen, ein Sinnbild der Stadt. Diesmal nicht aus Stein und Mörtel, sondern aus Eisen.

Doch wenn man Danzig nennt, und wenn man Danzig kennt, dann denkt man nicht nur an die Stadt. Ihr ward nämlich vom Schicksal das Glück, die Gnade zuteil, mit ihrer aus Menschenwerk und Menschengeist in Jahrhunderten gewachsenen Schönheit in eine Landschaft, in einen Raum hineingestellt worden zu sein, wie sie ähnlich kaum eine andere Stadt Deutschlands in solcher Nähe kennt.

Mottlau und Radaune, die durch die Stadt strömten, die Weichsel, der sie ihr Wasser entgegen trugen, waren ja nur eine Seite dieser Landschaft. Als Handelsstadt, als Hafenstadt war Danzig dem Meer, der Ostsee, dem „mare balticum“, seit jeher eng verschwistert und verbunden. Und der Mann, dessen Name durch vier Jahrhunderte am innigsten von Sage und Märchen und stolzer Erinnerung umwoben wurde, Paul Beneke - über ihn berichtet ja ausführlich auch die alte Chronik des Lübeckers Reimar Kock -, war ein Seemann, ein Kapitän, Befehlshaber der hansischen Flotte.

Das Meer! Man schmeckte seinen salzigen Hauch auch noch an den heißesten Hochsommertagen mitten in der Stadt, man hörte das zornige Brausen der Brandung beim winterlichen Nordost bis in die Häuser und Wohnungen der vielen Vororte hinein. Es war so nah, so herrlich nah. Es war der ewige Jungbrunnen aller Danziger, die den Kranz schöner, dicht aneinandergeschlossener Bäder - von Zoppot über Glettkau, Brösen, Westerplatte, Heubude bis Bohnsack - in einer knappen halben Stunde oder schlimmstenfalls in einer Stunde erreichen konnten.

Und da war der Wald, tief, märchenstill, ein herrlicher, wohlgepflegter Mischwald, der hügelauf, hügelab in sanftem Bogen der Danziger Bucht folgte, sich dicht an die Stadt heran schob. Mit Tälern und Schluchten und Höhen, von denen man weit, weit hinüber sehen konnte über diese ganze lachende, strahlende Erde. Derselbe Wald, in dem einst Joseph von Eichendorff, der Schlesier, seine schönsten Lieder ersann, der in sein Zimmer hinein rauschte auf dem alten Gut Silberhammer, wenn er dort nächtens an seinem „Taugenichts“ schrieb. Und war nicht eigentlich auch Oliva, diese einstige Gründung des Zisterzienser-Ordens, mit der alten Kathedrale, mit dem schönen Rokokoschloss, das sich ein kunstsinniger Abt erbauen ließ und das so sehr an Sanssouci erinnerte, mit dem wundervollen Park, darein es gebettet lag, noch ein Teil dieses Waldes? Den man doch, von den Straßen am Rande Olivas aus, in fünf Minuten erreichte... und schon umfing einen Abendfrieden und Waldeinsamkeit, und man sah am Hügelhang die Rehe aus dem Schatten der Bäume treten, um sich auf den Feldern äsend gütlich zu tun.

Dies alles ist nun nicht mehr! Es ging, zum allergrößten Teil wenigstens, kurz vor dem Ende eines sinnlosen Krieges in zwei, drei Nächten und Tagen in Rauch und Flammen auf. Zehntausende, ungezählte Zehntausende gingen mit der Stadt unter, die sie geboren hatte, denen ihre Liebe, wahrlich eine Liebe bis zum Tode, gehörte. Die andern machten sich auf ihren weiten, weiten Weg.

Doch da ist noch ein Hoffen, ist eine Sehnsucht und auch ein Glaube, die immer wieder stark machen: dass die Heimat, die geliebte, nicht für immer, nicht für alle Zeit verloren sein kann. Und dass, mag die Stadt irgendwie anders geworden sein, doch die Erde da ist, die Heimaterde, in der man einmal wieder wird Wurzel schlagen können.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Helga +, Ehrenmitglied
07.11.2009, 12:16
Wunderschön. Danke. Dieses "Es war einmal" macht irgendwie wehmütig..