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Wolfgang
07.11.2009, 15:15
Aus „Unser Danzig“ Nr. 15 vom 05.08.1964, Seite 14

Ganz dicker Schmant aus dem Werderland
Nahrungssuche in den Danziger Wäldern
Von Gustav Penner

Ein großer Feinschmecker bin ich nie gewesen, auch habe ich mich noch selten mit der Kunst des Kochens und Backens befasst. Trotzdem möchte ich es versuchen, einmal die markantesten Rezepte des Kochens und Backens in Erinnerung zu bringen, wie dieselben in unserm lieben Werderland zur Anwendung gelangten. Ich möchte mich hierbei möglichst nur an die sogenannte Hausmannskost halten.

Ganz früher, in meiner Kinderzeit, wurden auch die verheirateten Knechte auf den Höfen beköstigt. Bei diesem großen Arbeitsanfall für die Hausfrau, bzw. Köchin, konnte natürlich keine Extrawurst gebraten werden, und die Verpflegung war nur einfach, aber kräftig. Als Standardmittagsmahlzeit konnte man wohl die Kartoffelkeilchen (Erdschockekielke) ansprechen. Sie bestand aus Salzkartoffeln, selbst gefertigten Nudeln (Keilchen), etwas Schweinefett und einem recht ordentlichen Stück Speck oder einer dicken Scheibe Schweinepökelfleisch. Solch ein Pökelstück vom Schweinebauch wurde auch Schrode genannt.

Diese Mahlzeit gab es so dreimal wöchentlich. Unserm alten Knecht Kersch war dies aber noch zu wenig. Als eines Tages diese Mahlzeit nicht auf der Speisekarte stand, schimpfte er empört: „De dieweluck, gefft it nich boald waeder eenmoal Erdschockekielke?“

Hierbei erinnere ich mich an eine Begebenheit in Holstein nach der Vertreibung. Ich war als ambulanter Händler tätig und kam hierbei in viele Häuser. Da entdeckte ich in einem Haus auf dem Mittagstisch das bewusste Gericht. Von den Einwohnern war niemand sichtbar. Da ging mir plötzlich ein Licht auf: Wo es Erdschockekielke zu Mittag gab, dort wohnen auch bestimmt Werderaner. Und richtig, eine Frau mit ihren drei Kindern aus dem Großen Werder war hierher geflüchtet.

Da ich nun gerade bei dem Begriff „Kielke“ angelangt bin, so möchte ich noch folgende Mahlzeiten erwähnen: Pluumekielke, Aepelkielke und Beerekielke! Ihre Grundstoffe waren Backpflaumen, Äpfel und Birnen, teils frisch, teils gedörrt.

Nun wende ich mich dem Begriff Mus zu. Da gab es Pluumemos und Appelmos von frischen Früchten. Sehr schmackhaft war auch die Chressbeermos (Christorbeeren, Stachelbeeren). Als Milchsuppen waren gebräuchlich: Seetmaelksche Mehlklietermos und Bottermaelksche Mos. Sehr beliebt war die Bottermaelksche Grett (Gerstengrütze) mit einem ordentlichen Schuss Schmant.

Auch die sogenannte Bottersupp kam häufig auf den Tisch. Es war so eine Art Kartoffelsuppe. Bei dem Gedanken an letztere rebelliert noch heute mein Magen. Ich konnte diese Mahlzeit nicht verknusen. Vergessen habe ich noch die beliebten Schmantkeilchen. Auch gab es noch die Eiermos mit Eierklieter. Landläufig gab es witte Oarwte (weiße Erbsen), graue, grüne und die Suppe von der großen Viktoria-Erbse. Dazu gehörte natürlich ein Stück geräucherter Speck oder sonst etwas von der toten Sau und die üblichen Salzkartoffeln. Erdschockebrie (Kartoffelbrei) mit heißem Fett und gebratenem Speck als Beigabe war eine häufige Mittagsmahlzeit.

Im Spätherbst nach den Hasentreibjagden gab es hin und wieder Hasenbraten. Richtige Kenner äußerten sich hierüber, dass der Hase erst einmal einige Wochen draußen an der frischen Luft an der Hausgiebelwand aushängen müsse, ehe er als genießbar gelten könne. Zu seiner Zubereitung wurden mindestens ein halbes Pfund Speck, ein Pfund Butter und ein Liter saure Sahne benötigt.

Um die Martinizeit stand der Begriff Gans zur Debatte. Dieser Braten war Höhepunkt des Jahres betreffs Genussfreudigkeit. Hierbei fällt mir nun etwas ein, was diese Ansicht bedeutend erhärtet. In Neuteich lebte seinerzeit ein Mann, der eine Unmenge gut schmeckender Speisen verdrücken konnte. Er hatte in dieser Beziehung auch schon bei seinen Mitbürgern eine gewisse Berühmtheit erlangt. Als nun einmal ein Martinsvogel die Prozedur der Bratpfanne erleiden musste, wurde der Hausherr, diese oben geschilderte Person, während die anderen Mitglieder der Familie in der Kirche waren, zum Begießen dieses bratenden Wunders angestellt. Gierig betrachtete er das werdende Mahl, während dasselbe sich langsam bräunte. Nun probierte er heißhungrig ein Stück der köstlichen knusprigen Haut der Gans. Nach diesem Vorgeschmack jedoch war sein Heißhunger nicht mehr aufzuhalten, und bald lag nur ein klägliches Knochengerippe in der Pfanne. Die zehn Pfund schwere Gans war verschwunden wie vom Winde verweht. Welche Freude dieses Meisterwerk der Fresslust im engsten Familienkreis hervorgerufen hat, ist nie so recht bekannt geworden.

Ab und zu gelang es auch einmal, ein Gericht Süßwasserfische aufzutreiben. Das gab dann eine echte Suppe, wobei mit Schmant nicht gespart werden durfte. Aale, Hechte, Schlaffke und auch der Wels eigneten sich hierfür besonders. Eine begehrte Delikatesse waren die Neunaugen, die geröstet oder gekocht, auch in Essig eingelegt, einen wunderschönen Geschmack hatten. Nur als Suppe waren sie ihres hohen Fettgehalts wegen nicht geeignet. Pomuchel und Flundern sind ja wohl jedem Danziger bekannt, sei es geräuchert oder auf den Danziger 5- und 10-Pfennig-Stücken. Das Danziger Dittchen war überall beliebt und kaufkräftig.

Im Zusammenhang mit Weichselfischen und Fischfang erinnere ich mich an eine humoristische Begebenheit, die der alte Fischer Leschoak erlebt haben will. Er hat nämlich beim Fischen auf der Stromweichsel ein U-Boot gesichtet, das mit herausgefahrenem Periskop, halb aufgetaucht, in seiner unmittelbaren Nähe die Weichsel stromabwärts gefahren sei. Beinahe hätte das U-Boot seinen Kahn gerammt. Später jedoch konnte durch Zeugenaussagen bewiesen werden, dass es ein Großbulle gewesen ist, der an der Tränke in den Strudel der Weichsel abgerutscht und nun mit steil hochgehobenem Schwanz schnaubend stromabwärts geschwommen war. Ja, Voader Leschoak konnte schon mit viel Phantasie ein richtiges Seemannsgarn spinnen.

Doch nun wollen wir uns einmal der Backkunst widmen, die die alten Werderaner ausübten. Da war wohl in erster Linie das Schwarzbrot (Groawet Brot), dem unser besonderes Interesse gilt. Mit Sauerteig im großen Backtrog eingeteigt und im eigenen Backhaus recht kräftig durchgebacken, war es einige Wochen haltbar und hielt Zähne, Magen und Darm in bester Ordnung.

Am Silvester und Wochen darüber hinaus waren es die Porzeln, die dem Feinschmecker zusagten. Davon wurde schon immer eine ordentliche Portion in Fett gebacken und laufend morgens über Wasserdampf frisch gemacht. Noch heute kann ich mir ihren vorzüglichen Geschmack, auch mit Äpfeln oder Rosinen, lebhaft vorstellen. Leider verbietet mir die Gesundheit ihren Genuss. Sehr aktuell waren ferner süße Raderkuchen mit ihrer länglichen Form und dem durchgedrehten Mittelteil. Aber auch die hohlen Raderkuchen waren eine Delikatesse und schnell auf der Pfanne mit Fett hergestellt. Nur eine rechte Portion Schmant gehörte dazu. Wer aus dem Werder kennt nicht die Mehlflinsen (Pannkoke)? Auch Apfel- und Kirschflinsen waren eine begehrte Sache. Eine rechl alte Pfannkuchenspezialität war der Rollplatz. Dick ausgerollter Teig und nicht zu wenig Fett waren seine schmackhaften Merkmale.

Wenn ich nun noch an die hohe Backkunst appelliere, dann sage ich nur: Apfelblech mit Schlagsahne! Es war ein Blätterteig, der es in sich hatte. Ferner soll nicht vergessen werden der Pflaumenkuchen mit dem schmackhaften Überguss. Als Nachtisch ist mir seit der Jugendzeit die sogenannte Pracherspeise (Bettlerspeise) ein großer Genuss gewesen. Geriebenes Schwarzbrot mit etwas Schokoladenpulver und schichtweise Schlagsahne bringen die Zunge zur hellen Begeisterung.

Bei jedem großen Essen wird wohl in der Regel zum Abschluss Käse serviert. Hierbei will ich an den beliebten Werderkäse erinnern. Er wurde auch mit Kümmel oder Kräutern hergestellt. Die kleinen Kümmelkäschen, sogenannte Zwerge oder Dwoarg, mögen die Speisekarte aus dem Werderland beenden.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang