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Wolfgang
08.11.2009, 14:17
Aus „Unser Danzig“ Nr. 10 vom 20.05.1970, Seite 10

Gottfried Ernst Groddeck 1762-1823
Der Schöpfer der klassischen Philologie in Polen
von Martin Porath

In den polnischen Lehrbüchern findet man stolzgeschwellte Abschnitte über die hervorragende Bedeutung der Wilnaer Universität in den Jahrzehnten vor dem Novemberaufstand 1830, also kurz nach den Teilungen des alten Doppelstaates Polen-Litauen, mit Hinweisen darauf, dass diese Hochschule zahlreiche geistige Führer des vorigen Jahrhunderts ausgebildet hat. Nun sagt der bekannte polnische Schriftsteller Adolf Nowaczynski in der Zeitschrift „Prosto z mostu“ (1936, Nr. 46) im Zusammenhang mit dem Dichter Vinzenz Pol (von Pollenburg): „Und als er an die Wilnaer Universität kam, musste er zeitweise in der deutschen Bildung untergehen oder doch darin baden. Waschechte deutsche Professoren waren dort 17 (siebzehn) und die Sitten, Gebräuche und Manieren genau von den deutschen Universitäten übernommen. Das wird bei uns verschwiegen. Es ist nicht bekannt, warum man schweigt, dass die ganze Blüte der Wilnaer Universität mit ihrem Philarethentum und der Romantik ihrer Studenten ein Werk und Verdienst der Deutschen ist!“

Nur einer aus dieser Reihe, nämlich Gottfried Ernst Groddeck, soll uns hier beschäftigen. Wenn auch schon mancherlei über ihn geschrieben worden ist, so ist uns die Bedeutung dieses Mannes durch ein dickes, polnisch geschriebenes Sammelwerk deutlich geworden. Anton Szantyr, der den umfangreichsten Beitrag dazu geliefert hat, beginnt ihn so: „Die geschichtliche Bedeutung G. Ernst Groddecks in der Geschichte der polnischen Kultur liegt in dem ungeheuren Einfluss, den er einesteils unmittelbar auf seine Schüler ausgeübt hat, anderseits dank ihnen auf das gesamte Geistesleben in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts“, und weiter: „Die enge Verknüpfung der erziehlichen Wirkungen der Wissenschaft mit den Hochzielen rein wissenschaftlicher Forschungswerte gibt der ganzen Tätigkeit Groddecks ihr besonderes Gepräge“ ... „Gelehrter, Lehrer und Organisator in einer Person, das ist der geistige Schattenriss Groddecks.“

Gottfried Ernst Groddeck entstammte einer aus Schlesien um ihres evangelischen Glaubens willen um 1630 ins Danziger Gebiet geflohenen Familie, aus der bis zur Gegenwart eine ganze Reihe tüchtiger Männer wie Danziger Bürgermeister, Ratsherren, Reeder usw. hervorgegangen sind. Die gelehrten Berufe waren schon vor ihm durch zwei Professoren am Danziger Akademischen Gymnasium vertreten, von denen Gabriel Groddeck auch Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften war und der als Orientalist bekannte Benjamin Groddeck der Vater unseres Gottfried Ernst wurde. Seine Mutter war die Kaufmannstochter Beate Constantin, geb. Ehlert. Am 17. November 1762 geboren, besuchte er das angesehene Akademische Gymnasium seiner Heimatstadt. Der Einfluss des jungen Danziger Professors Trendelenburg ließ ihn die Göttinger Universität aufsuchen, wo er einer der neun Teilnehmer an dem berühmten Seminar Heynes wurde. Schon 1785 erhielt er für seine theologische Arbeit - die klassischen Philologen gehörten bei der alten engen Verbundenheit des Geistlichen- und Lehrerberufes zu dieser Fakultät - eine Goldmünze. Im folgenden Jahr ebnete ihm seine Doktorarbeit über die Fragmente der homerischen Gesänge die Hochschullaufbahn. Es sah so aus, als ob der begabte und fleißige junge Gelehrte eine Zierde der dortigen Hochschule werden sollte, wo er offenbar schon Vorlesungen abhielt.

Doch es kam anders. In Pulawy an der Weichsel, das Fürst Adam Czartoryski und seine kunstverständige Gemahlin, die geborene Gräfin Flemming, zu einem Sitz der Musen umgestaltet hatten, wurde die von einem dänischen, übrigens auch in Göttingen ausgebildeten Hauslehrer Schow besetzte Hauslehrerstelle für klassische Literatur frei, und Herder vermittelte dem Fürsten 1786 durch eine Anfrage bei Heyne den Großes versprechenden Groddeck als Nachfolger für Schow. Obwohl damit vorläufig die erträumte Universitätslaufbahn ins Wasser fiel, siedelte Anfang 1787 der junge Groddeck nach dem Osten über. Das war die Schicksalswende in seinem Leben; denn bis zu seinem Tode 1830 wirkte er nun im Gebiet des damaligen Doppelstaates Polen-Litauen, zunächst bis 1793 als Hauslehrer in Pulawy und bis 1797 in Landshut (Lancut) in Galizien beim Fürsten Lubomirski, dann wieder als Bibliothekar in Pulawy. Durch den hochgebildeten General Fürst Czartoryski kam er persönlich oder brieflich mit vielen in- und ausländischen Gelehrten in Verbindung und begann hinein zuwachsen in die ihm vom Fürsten zugedachte Aufgabe, das geistige Leben Polens zu heben!

1804 wurde er als Professor der griechischen Sprache und Literatur an die erneuerte Hochschule in Wilna oder „in der Wilda“, wie deutsche Bewohner es nannten, berufen, und dieser letzte Lebensabschnitt, in dem er auch Kaiserlich Russischer Staatsrat wurde, bedeutet den Höhepunkt seiner Wirksamkeit für die neue Wahlheimat.

Eine Riesenarbeit wartete hier auf ihn. An der Universität der Hauptstadt des ehemaligen Großfürstentums Litauen, die aus einer alten Jesuitenakademie hervorgegangen war, fehlte es an wissenschaftlichen Mitteln und Einrichtungen. Ihr Stand war niedrig, wie der verdienstvolle polnische Darsteller der Tätigkeit Groddecks, Szantyr, feststellt. Manche von den hingeholten ausländischen, meist deutschen Professoren fanden sich nur schwer hinein, andere wagten überhaupt nicht anzutreten oder verließen die Stadt bald wieder, aber einige, wie Groddeck, fesselte gerade die große Aufgabe, die erschwert wurde durch viele zeitraubende Nebenbeschäftigungen. So war Groddeck zeitweilig Dekan, Mitglied des Ausschusses für Satzungen, für Zensur, Schulbücher usw., da ja der Universität das sonstige Schulwesen unterstand. Er gründete ein philologisches Seminar, dessen Leitung er unentgeltlich innehatte. „Nicht nur von Studenten ging der erste Anstoß zur Gründung von wissenschaftlichen Vereinen an der Hochschule Wilna aus; die erste humanistische Verbindung gründete Professor Groddeck“, so schrieb man damals. Die größtenteils nur längst veraltete theologische Werke umfassende Bücherei der Jesuitenakademie, aus der die kaiserliche russische Universität erwuchs, wurde durch ihn größtenteils in mühevollster Arbeit erst neu aufgebaut. Er machte sie auch der Allgemeinheit zugänglich. Die Wilnaer Hochschule konnte dank der großen Arbeit Groddecks bald mit den bekannten ausländischen Universitäten wetteifern! Er schrieb auch für deutsche Zeitschriften Aufsätze und Besprechungen. Bei seiner Vielseitigkeit brachte er auch religionsgeschichtlich-methodologische Arbeiten heraus und setzte sich mit den geographischen Systemen des Altertums von Joh. Heinr. Voß auseinander. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten standen aber wohl Geschichte und Theorie des alten Schrifttums, die er mit philosophischer Vertiefung anpackte. 74 gedruckte und 14 handschriftliche wissenschaftliche Arbeiten und Besprechungen sind verblieben.

Nebenher führte er einen regen Briefwechsel. Die Jagellionen-Bücherei in Krakau besitzt 553 in deutscher, polnischer, französischer, englischer, italienischer und lateinischer Sprache an ihn gerichtete Briefe, die ein Bild seiner weitreichenden Beziehungen geben. Kein Wunder, dass er verschiedene Ehrungen erfuhr.

Während ihn seine Amtsbrüder in menschlicher Beziehung z. T. als selbstsüchtig, hochmütig und unerfreulich bezeichneten, wobei wohl manchmal das Gefühl der eigenen geistigen Unterlegenheit mitgesprochen haben wird, verehrten ihn seine Studenten geradezu. 1821 ließen sie auf eigene Kosten seine Bronzebüste nach einem von dem Wilnaer Universitätsprofessor Rüstern gemalten Bilde herstellen mit der Inschrift (auf lateinisch): „In Dankbarkeit Ihrem Lehrer für seine Verdienste, auch als Freund und Mensch ...“

Sein Bibliothekar Marcinkiewicz schreibt polnisch über ihn: „Jetzt erst, wo ich ihn von nahe sehe, wage ich und kann ich die Huldigung der Bewunderung gegenüber dieser schönen, rastlosen und großen Seele darbringen. Was ist das für eine Liebe zur Wissenschaft! Welches Herz und welche edlen Wünsche für das Land seiner Wahl! Welch unbeugsame Gewalt über den armen gequälten Körper! Was für ein Vater, Freund, Kenner und sorgsamer Richter der Studenten, was für ein Gefühl, eine Seele, was für ein Mensch!“ Weiter heißt es über ihn: „Groddeck hemmte in Polen die französischen Einflüsse, in seiner Wissenschaft war er gründlich, so im Schrifttum stellte er den wirklichen Klassizismus, den Neuhellenismus heraus.“

Viele andere begeisterte Urteile liegen über ihn vor, und zwar von Angehörigen verschiedener Völker. Anerkennend schreibt später einer von ihnen z. B.: „Die Philologie hatte in ihm einen Gelehrten ersten Ranges, die Jugend einen erfahrenen und leidenschaftlichen Führer durch die Welt des alten Hellas und Roms. Er stellte auf der Universität die klassische Bildung dar, und durch seine persönliche Würde gab er diesen Studien den Ton an. Ihm verdankt die klassische Philologie ihre Wiedergeburt und ihr Aufblühen. Groddeck ist eigentlich der Schöpfer der klassischen Philologie in Polen. Er lehrte neuzeitliche philologische Verfahrensarten und schuf so den Grundstein zu einer weiteren normalen Entwicklung. In wie vielen Gebieten - genannt seien nur Geschichte, Erdkunde, Götterlehre, Münzkunde - bahnte er neue Wege, kennzeichnete erstmalig Ziel, Umkreis und Wert dieser Wissenschaften. Er war in Polen der Rechtsetzer für ein ganzes Geschlecht von Gelehrten. Groddeck ist der Vorkämpfer neuer literarischer Begriffe und neuer Anschauungen über die Sprache und Schrifttumsgeschichte. In einer Nation, die ihre Freiheit verloren hatte, spielte dieser Mann eine recht nützliche Rolle, fast der größte Gelehrte und Ästhetiker in einer Person.

Uns als Deutsche aber freut besonders, dass er in der Stadt seines Wirkens, in der sich mehrfach eine vorurteilslosere Einstellung gegenüber dem Deutschtum als anderswo gezeigt hat, die bisherigen Vertreter seines Hauptfaches ihm durch ein stattliches Buch ein würdiges Denkmal ihrer Dankbarkeit gesetzt haben. Das sei auch ihnen hoch angerechnet!

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Peter von Groddeck
08.11.2009, 15:24
Lieber Wolfgang,
herzlichen Dank, dass Du diesen Bericht über einen Familienangehörigen hier veröffentlicht hast. Ich kannte den Bericht nicht und werde ihn als Anlage in unsere Familienchronik aufnehmen.
Viele Grüße Peter