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Wolfgang
21.11.2009, 23:09
Aus „Unser Danzig“ Nr. 03 vom 01.02.1957, Seite 18

Vom Wilhelmtheater zur Danziger Scala
Von K.-H. Jarsen

An das Wilhelmtheater kann ich mich nur schwach erinnern, war ich doch damals ein Dreikäsehoch. Jedes Jahr, wenn Krantor und Marienkirchtum eine Schneehaube trugen, eilte ich Hand in Hand mit meinen Eltern von Mattenbuden nach Langgarten, Richtung Wilhelmtheater. Dort erlebte ich die Weihnachtsmärchen: „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ - „Hänsel und Gretel“ - „Der Struwwelpeter“.

Jahre vergingen. Das altertümliche Theater wurde umgebaut und modernisiert. Die Danziger Scala entstand, überdurchschnittliche Leistungen von weltbekannten Variete-Künstlern erfreuten die Besucher. Auch Revuen mit dürftig bekleideten Mädchen und kessen Gigolos à la parisiens rollten auf der imposanten Bühne ab und prickelten das leichte Blut der Danziger Lebemänner. Kellner und Verkäuferinnen reichten Erfrischungen. Das Geschäft blühte. Die Danziger Scala wurde Stadtgespräch. Obwohl wir Jugendlichen - jeder von uns war ja noch feucht hinter den Ohren - Karten für jene Sex-Appeal-Revuen nicht bekamen, durften wir des öfteren Nachmittagsvorstellungen besuchen. Ein Musical-Clown spielte verschiedene Instrumente: Geige, Saxophon, Trompete. Und endlich Mundharmonika - ach, was sage ich! - ein winziges, streichholzlanges Mundharmonikachen. Jetzt wandte er sich zu uns Jungen und fragte, wer denn Mut habe, herauf zu kommen und ein Lied zu singen. Jeder Junge, wenn er gesungen hätte, bekäme als Belohnung jene Mikro-Mund-harmonika. Das gab den Ausschlag. Auch ich kletterte auf die Bühne, hatte Lampenfieber wie meine Kollegen. Kaum angekommen, wollte ich wieder verschwinden. Doch unser Clown streichelte jedem Sänger, bevor er sein Opus darbrachte, jovial die puterrote Wange. Ich sang das „Heideröslein". Meine Stimme, kindlicher Sopran noch, zitterte merklich. „...Röslein auf der Hei-hei-hei-den." Das junge Publikum jedoch applaudierte. Schmunzelnd drückte mir der Clown eine Reklame-Mundharmonika, Marke Hohner, in die bebende Hand. Für jene quecksilbrige, gutgewachsene Chanson-Sängerin, die anschließend auftrat und nach jedem Lied hinter einem mit Scheinwerfern grell beleuchteten Spanischen Schirm sich umzog, wobei der Schattenriß ihres wohl proportionierten Körpers deutlich zu erkennen war, konnten wir uns nicht begeistern. Der Clown aber blieb unser Idol.

Während der Wahlperiode hielten führende Persönlichkeiten verschiedener Parteien auf der Scala-Bühne ihre Propagandareden. Am Rednerpult hing vorwiegend das Banner mit dem Hakenkreuz. Ende der dreißiger Jahre, in einer Nacht, brannte die Danziger Scala ab. Man sprach von Kurzschluss, aber auch von Sabotage. Die wahre Ursache jenes Brandunglücks jedoch hat niemand ergründen können.

Als Schutt und verkohlte Trümmer weggeräumt waren, wurde das öde Gelände Parkplatz reparaturbedürftiger Autos. Ein Wiederaufbau der Danziger Scala schien den Stadtbehörden unrentabel. Dadurch erlitt Niederstadt, besonders Langgarten, finanzielle Einbußen. Der Anfang des Krieges im „Deutschen Haus" eröffnete „Eulenspiegel" vermochte die Danziger Scala nicht zu ersetzen.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
Bund der Danziger
Fleischhauerstr. 37
23552 Lübeck

Bei vom Bund der Danziger genehmigten Veröffentlichungen ist zusätzlich ist die Angabe "Übernommen aus dem forum.danzig.de" erforderlich.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Belcanto
22.11.2009, 19:11
Hallo Wolfgang
Ein sehr interessanter Bericht.Wo lag das Wilhelmtheater und die Danziger Scala? Und ist K.-H. Jarsen ein Sänger geworden, wenn er als Junge über einen Knabensopran verfügte. Kannst du mir du Fragen beantworten?
Viele Grüße
Belcanto

Wolfgang
22.11.2009, 19:59
Hallo Joachim,

nix Genaues weiß ich nicht, aber vielleicht geben folgende Vermutungen einige Anhaltspunkte:

Aus dem Wilhelmtheater entwickelte sich durch Umbauten und Modernisierungen die Danziger Scala. Das Wilhemtheater befand sich auf Langgarten 31 (das ist sicher). Wenn sich auch die Scala dort befand, dann muss das Theater bereits vor 1937 abgebrannt sein, da es im Einwohnerbuch 1937 nicht mehr aufgeführt wird. Stattdessen wird dort u.a. die Autoreparaturwerkstatt Bruno Mazurkiewicz genannt. Der Bericht von Jarsen liefert auch Hinweise darauf, da er schreibt "Als Schutt und verkohlte Trümmer weggeräumt waren, wurde das öde Gelände Parkplatz reparaturbedürftiger Autos".

Karl-Heinz Jarsen war höchstwahrscheinlich der Sohn des Kolonialwaren-, Spirit- und Weinhändlers Emil Jarsen auf Mattenbuden 19. Von ihm stammen noch mehrere andere Artikel die hier in unserem Forum veröffentlicht sind.

Ein paar Häuser weiter lebte auf Mattenbuden Henry Peter Weide. Vielleicht kann er sich erinnern?

Belcanto
23.11.2009, 10:25
Hallo Wolfgang
Vielen Dank für deine Auskunft und einen schönen Tag.
Belcanto

Wolfgang
07.02.2010, 18:11
Schönen guten Abend,
hallo Joachim,

ich habe auf einem alten Stadtplan von 1912 die exakte Lage des Wilhelmtheater gefunden. Auf der Höhe des Kirchturms von St.Barbara ging auf der anderen Seite von Langgarten rechtwinklig ein schmaler Weg ab der zum Theater führte. Als Anlage füge ich einen Kartenausschnitt bei.

Marc Malbork
07.02.2010, 18:47
Achja, "bevor ich vergess zu erzählen":

Danziger Hauskalender 1960, "Kalendarium Juni 1933":

(...) Die Danziger Scala wurde durch Feuer vollkommen vernichtet. Nur das Maschinenhaus und Theaterbüro konnten gerettet werden. Als Ursache der nächtlichen Brandkatastrophe wird von dem Besitzer Kurzschluss vermutet (...)

Belcanto
07.02.2010, 19:26
Hallo Wolfgang, hallo Rüdiger
Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Kulturstätten es in Danzig gab.
Viele Grüße
Belcanto

Wolfgang
29.02.2012, 20:54
Schönen guten Abend,

Ausschnitt aus "Danzig und seine Bauten" von 1908, Seite 212:

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Das Wilhelm-Theater.

Dieses ständige Theater für Spezialitätenaufführungen steht an etwas entlegener Stelle auf einem eingebauten Grundstück am Langgarten und ist beachtenswert durch die geschickte Bodenausnutzung sowie durch die eigenartige Holzkonstruktion der Ränge und der Decke.

Im Erdgeschoß befindet sich außer der Kasse und den Garderoberäumen an der Durchfahrt ein geräumiges Restaurant nebst den Wirtschaftsräumen. Die in den Gebäudeecken liegenden Treppen führen zum eigentlichen Theatersaal, welcher später mit seitlichen Nottreppen versehen ist, weil die Treppen den polizeilichen Anforderungen nicht genügten. Der rechteckige Saal mit etwa 30 m Länge und 18 m Breite faßt rd. 550 Personen, außerdem finden im ersten Range und auf den seitlichen Galerien etwa 460 Personen Platz.

Die Bühne ist über der Durchfahrt angeordnet und hat nur etwa 9 m Tiefe.
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Marc Malbork
07.03.2012, 23:55
Im Danziger Hauskalender 2009 gibts einen Plan vom Innenraum des Theaters. Und ein Zitat aus einem Reiseführer 1900:

"...Varietévorstellungen durch Kräfte ersten Rangs. Entnimmt man die Billets für das Wilhelmtheater auf den Wagen der elektrischen Bahn, dann ist die Fahrt dahin frei"

Geschickte PR-Arbeit.

Interessant auch die im selben Hauskalender 2009 abgedruckte Annonce des Wilhelmtheaters für die Weihnachtsfeiertage eines nicht genannten Jahres, in der es heißt:

"Nach der Vorstellung in die 3-Groschen-Bar bis 4 Uhr geöffnet. Am heiligen Abend: Große Weihnachtsfeier in der 3-Groschen-Bar, billigste Vergnügungsstätte der Stadt."

Alt-Danzig: Heiligabend in der billigsten Vergnügungsstätte, einer Bar ? Wäre ja doch mal ganz interessant, Heimatvertriebenenerinnerungen an diese Seiten der Stadt kennen zu lernen :)


P.S. Das schöne Buch "Danzig und seine Bauten" kann man aus der Pommern Digital-Bibliothek herunterladen.
http://pbc.gda.pl/dlibra/docmetadata?id=311&showContent=true

djjack
29.12.2014, 14:44
Alte Ansichtskarten von 1904 Jahre.
https://www.facebook.com/opowiadaczehistorii/photos/a.321986977872246.72706.279328785471399/565449046859370/?type=3&theater