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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bund der Dt. Minderheit Danzig/Typhus im Gefängsnis 1945



Mariolla
23.11.2009, 02:06
Liebe Danziger, Danziger Freunde und Danziger Nachfahren,

lange war ich nicht mehr in diesem Forum. Mein liebster Paps
erkrankte schwer und wurde zum Pflegefall 3.Stufe und da war
meine Zeit sehr knapp bemessen.
Nun versuche ich seit heute Vormittag viele Themen zu lesen und
zu verdauen.

Durch Zufall bin ich auf ein Thema hier im Forum gestoßen, wo
auf die Internetseite http://www.dfk-danzig.de/ aufmerksam
gemacht wird. Leider finde ich den Beitrag nicht mehr.
Diese Internetseite habe ich aufgerufen und mir den Beitrag
"Die Typhus-Epidemie im Danziger Gefängnis" aufgerufen und
die Liste der Verstorbenen Deutschen Häftlinge in polnischen
Gefängnissen.
Der Bruder meines Urgroßvaters wurde 1945 in Danzig verschleppt
und gilt seitdem als verschollen bzw.vermißt.

Entschuldigung, mir wird jetzt noch schlecht und ich komme
seitdem nicht mehr zur Ruhe, habe auch jetzt wieder Gänsehaut. In dieser Liste steht der Bruder meines Urgroßvaters. Aus Kadatz wurde Kadacz und aus Paul wurde Pawel. Unter Nr. 336-Spalte A.
Lange habe ich heute mit mir gerungen, ob ich das dem einzigen Sohn
des 1945 in Danzig inhaftierten mitteile. Mein Verwandter ist mittlerweile 89 Jahre alt. Ich habe angerufen, persönlich ging leider nicht, da uns 650 km trennen. Er war sehr gefaßt und hatte bereits einmal über die Epidemie im Gefängnis gehört, er konnte es sich denken und vermutete es, dass sein Vater dabei war.
Aufklärung eines Schicksals und das am Totensonntag.
Tränen nach 64 Jahren Ungewißheit, Tränen, der man sich nicht schämen braucht.
In meiner Familie gibt es immer noch vermißte und verschollene Angehörige seit 1945.

Es ist sehr spät, aber ich bin zu aufgewühlt um zu schlafen.

Liebe Grüße
Marion alias Mariolla

Wolfgang
23.11.2009, 02:22
Liebe Marion,

es zeigt sich, dass es nie zu spät ist zu versuchen, Schicksale zu klären.

Wir sind es auch den Vermissten und den Toten schuldig. Ohne sie wären wir nicht. Wirklich tot sind sie erst, wenn sich niemand mehr an sie erinnert.

Gute Nacht!
Wolfgang

Familie Lowitsch
23.11.2009, 13:04
Hallo Marion, deine Worte, deine Empfindungen denke ich, teilen viele hier.Mein Vater (1936 geboren in Danzig) hat erstmals über seine Geburts- und Heimatstadt vor ca. sechs Jahren geredet und noch heute bin ich gleichermaßen stoltz als auch gerührt, das ich, als jüngstes seiner fünf Kinder, ihm gewissermaßen in die seelischen Karten schauen durfte und darf. Er verließ als Vollweise mit fünf Geschwistern 1945 Danzig für immer. Die Kinder wurden durch das DRK getrennt und wuchsen in zwei deutschen Staaten auf. Später standen sich zwei Brüder an der innerdeutschen Grenze als Soldaten zweier ferfeindeter Systeme gegenüber. So krank ist die jüngste deutsche Geschichte!
Im kommenden Frühjahr werden drei Generationen (meine Eltern, mein Bruder und meine beiden Ältesten) mit mir nach Danzig fahren. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und dennnoch wäre es schön, wenn ich meinem Papa einen Ort zeigen könnte, an dem sein Vater (NARVIK-Lager) oder seine Mutter, eine von tausenden Thyphus-Toten 1945, begraben sind.
Mir wird schon jetzt heiß und kalt zugleich, wenn ich daran denke, dass ich als Sechzehnjährige in den 1980ern im damaligen Wolgograd, auf dem Mamajew-Hügel stand und ich Gänsehaut bekam, weil ich innerlich eine Stimme zu höhren dachte, welche mich rief... Ich glaubte und glaube nicht an höhere Mächte und doch war und ist mein Inneres erschüttert...nach der Wende, wurde meiner Mutter im Zuge der Öffnung sowjetischer Archive mitgeteilt, dass ihr Vater den sie, 1942 geboren, nie kennenlernen durfte, in der Kriegsgefangenschaft in Stalingrad (später eben dieses Wolgograd)verstorben ist...

Wolfgang
23.11.2009, 14:10
Schönen guten Nachmittag,

der Bericht über die Grabstätte ist zu finden unter
http://www.dfk-danzig.de/index.php?option=com_content&task=view&id=87&Itemid=40

Ich nahm vor 6 Jahren an den Trauerfeierlichkeiten teil. Beigefügt sind einige Fotos von der Gedenkstätte.

DSC00325: Der Gedenkstein mit Mahnwache
DSC00328: Der kath. Erzbischof Goclowski und der evang. Bischof Warczynski
DSC00335: Der deutsche Konsul Rolf Wagner
DSC00338: Gedenkstunde mit Trauergemeinde
DSC00339: Deutsche Inschrift auf dem Gedenkstein

Heute ist das eine sehr gepflegte und würdige Anlage.

Helga +, Ehrenmitglied
23.11.2009, 16:42
Ich glaubte und glaube nicht an höhere Mächte und doch war und ist mein Inneres erschüttert.

Hallo Mandy,

ich glaube an eine höhere MAcht und beim lesen deines Beitrages bekam ich wirklich eine Gänsehaut. So etwas muß doch irgendwo einen Sinn haben, ein Zeichen sien:confused:

Familie Lowitsch
23.11.2009, 16:53
So etwas muß doch irgendwo einen Sinn haben, ein Zeichen sien...hallo Helga, das da etwas sein könnte, dazu gibt es eine(?) Theorie, welche da besagt:"Nichts geht im Universum verloren"(Albert Einstein)und in aller Kürtze bedeutet: Laute, Geräusche,Worte,Schreie...sind Wellen und diese gehen eben nicht verloren.
Eine These, über die ich häufig nachdenke, gerade weil diese Gänsehaut- Erlebnisse immer mal wieder auftreten (z.B. auch bei meiner Mom) und immer im gleichenZusammenhang. Teilweise beängstigend, verwirrend...

Helga +, Ehrenmitglied
23.11.2009, 17:20
Im kommenden Frühjahr werden drei Generationen (meine Eltern, mein Bruder und meine beiden Ältesten) mit mir nach Danzig fahren.

Hallo Mandy,

das ist eine ganz tragische Geschiche, 2 Brüder die sich als Feinde gegenüber stehen. Ich kann gut verstehen, dass es dir nahe geht, wenn dein Vater mit dir über all diese Erlebnisse spricht. Eure gemeinsame Reise nach Danzig wird das alles noch sehr vertiefen.

Ich war ja vor drei Jahren auch mit meinem Vater und meiner Tochter in Danzig und diese Reise ist und bleibt eine der wichtigsten in meinem Leben. Ich habe dort so vieles gesehen, so vieles erfahren, so vieles besser verstehen können. AUch so viel Trauer und Tränen bei meinem sonst immer starken Vater.

Unsere Beziehung zueinander ist sehr viel intensiver geworden und bis heute reden wir bei jedem Besuch wieder über Danzig, über damals, über die Schrecken des Krieges und auch über den Schmerz, der immer noch da ist.

Mariolla
23.11.2009, 22:52
Hallo Wolfgang, hallo Mandy und hallo Helga,

danke für Eure Beiträge.
Wolfgang Dir danke ich für die eingestellten Fotos
und für den Hinweis zur Webseite.

Mir geht soviel durch den Kopf. Die Wahrnehmungen
kenne ich auch, aber nur wenige Menschen verstehen
einen, wenn man darüber berichtet.
Ist es die Seele einer Familiensippe, die fest und innig
sich verbunden fühlt ?
Ich finde keine Erklärung dazu, es ist wie ein magischer
Drang nach Antworten auf viele
unbeantwortete Fragen zu suchen.

Liebe Grüße
Mariolla alias Marion

Helga +, Ehrenmitglied
23.11.2009, 23:17
Ist es die Seele einer Familiensippe, die fest und innig
sich verbunden fühlt ?

Hallo Marion,

ich denke, es hat etwas mit Seele zu tun. Etwas, dass tief drinnen ist, oft unentdeckt um sich dann irgenwann bemerkbar zu machen. Bei mir war es z. B. der schon lange vorhandene WUnsch, dieses Danzig kennen zu lernen. Wir waren dann ja auch da und bereits beim 1. Besuch dieser Stadt fühlte ich mich dort zuhause, hatte ich das Gefühl mich auszukennen. Warum? Woher? Eine Verbundenheit der Seelen, der Seelen meiner Familie, die hier gelebt hatte?

Nach diesem Besuch wollte ich dann für meinen Vater herausfinden, wo sein Bruder gefallen ist und wo er vielleicht begraben liegt. Beim Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge wurde ich fündig. Nun wissen wir, er ist im Februar 1945 in Königsberg gefallen und in Kaliningrad begraben.

Ich habe über den Volksbund dort Blumen hinlegen lasen und Fotos des Grabes erhalten. Es war gut für meinen Vater, abschließen zu können. Es ist wichtig für Seele und Herz zu wissen, wo die Gedanken den Bruder, die Eltern finden können. Glaube ich jedenfalls.

Familie Lowitsch
24.11.2009, 10:16
Es war gut für meinen Vater, abschließen zu können. Es ist wichtig für Seele und Herz zu wissen, wo die Gedanken den Bruder, die Eltern finden können. Glaube ich jedenfalls. ...oh ja, davon bin ich fest überzeugt.Und letztlich hilft es auch vielen endlich über ihr Trauma zu reden. Das aber ist erst die Grundlage aufzuarbeiten. Ich habe mich erst kürtzlich mit einer Freundin (Heilpsychologin) darüber unterhalten.
Ich wünschte,die Generation Kriegskinder des 2. WK würden sich einbringen, den heutigen Kriegskindern aus Bosnien, Afganistan...zur Seite zu stehen. Denn die Paralelen der seelischen Verstümmelung und der daraus erwachsenden Probleme der Integration in ein "normales" Leben sind unübersehbar. Dieser (Solidarisierungs-) Prozess, so denke ich, wäre nicht nur für beide Seiten heilsam, sondern auch vorbildlich für das erstrebte friedliche Miteinander auf diesem Planeten!!!
Nachdenklich grüßt

Erwin-Danzig, + 17.06.2017
24.11.2009, 20:42
Hallo Mandy und Alle,
Vor einigen Wochen erstand ich ein Taschenbuch, 287 Seiten,
herausgegeben vom Piper Verlag, 2. Auflage 2009
"Die Vergessene Generation" von Sabine Bode.
Untertitel: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen.
"Sie haben den Bombenkrieg miterlebt oder die Verteibung,
ihre Väter waren im Feld, in Gefangenschaft oder sind gefallen......"
Was habe ich hier in der alten Danzig-Liste und nun im FORUM,
schon alles gelesen, Berichte die zu Streit ausarteten und
den Sinn für objektiven Umgang mit der schwersten Zeit des
20. Jahrhunderts verließen.
Das hier immer wieder auftauchende Thema NARWIKLAGER
1945 in Danzig, hat bei mir auch noch keinen Abschluß gefunden.
Schon in den neunziger Jahren habe ich davon berichtet. Inzwischen
sind aus der Erlebnisgeneration auch schon einige Zeugen verstorben.
An den Tag, irgendwann Anfang Juni 1945, als am Abend die Arbeitskolonnen von der Werft zum Lager maschierten, standen wir,
meine Mutter und ich, am zerstörten Zaun der Bahngleise, auf der
Westseite der Schichaugasse. Für meinen Vater hatte ich ein "Fresspaket"
unterm Arm. Um eine bessere Übersicht zu haben, war ich einige
Gitterstäbe in einem Eisenbahnsignalmast hoch geklettert.
So habe ich den Vater früher erkennen können, er war sehr abgemagert.
Alle Zivilgefangenen zogen schleppenden Schrittes in Richtun Nord
zum Narwiklager. Als ich von meinem erhöhten Aussichtspunkt
den Marschblock erkannte, in dem sich mein Vater befand, war ich
schnell heruntergeklettert und stürmte in Richtung Kolonne auf den
Vater zu. Alles schrie, die Frauen und Kinder am Straßenrand und die Gefangenen. Die Wachtposten gaben Schüsse ab und so "wachte" ich erst auf in meinem Lauf. Auf mich zu kam ein junger Sowjetsoldat mit aufgepflanzten Bajonett und brüllte "stoi-dawei-dawei", so stoppte ich und warf das "Fresspaket" zur Kolonne. Mein Vater erzählte mir später, das es sofort zerteilt in der Gefangenengrüppe aufgerissen und verspeisst wurde.
In meinem Schreck angesichts des Wachpostens, es war ein kleiner Jüngling in langem braunen Militärmantel, machte ich kehrt und flüchtete hinter den Zaun. Nach kurzer Zeit fand ich mit meiner Mutter zusammen. Sie war völlig verweint und fertig, schloß mich in ihre Arme. Wir zogen dann den Kolonnen hinterher, bis zum Lagertor an der Straße nach Neufahrwasser.
Es waren mehrere Trupps, vieleicht immer bis 100 Mann. Am Ende jedes Trupps schleppte man die Kranken, die sich noch schleppen konnten,
von zwei Gefangenen gestützt und auch einige, die schon von vier Gefangenen auf Planken getragen wurden.
Am Lagertor befanden sich Holzwachttürme. Vor dem Lager in Abstand,
der von den Posten durch Schüsse gehalten wurde, lagerten Frauen, Kinder und Alte in Erwartung auf ein Lebenszeichen der Gesuchten.
Ab diesem Tage ist von unserer Famillie, meine Mutter, Tanten und
Kusinen, immer eine Beobachtung dort gewesen. Von Praust bis dort hin,
waren es eine Strecke von ca. 13 km.
Völlig erschöpfte, nicht mehr arbeitsfähige Männer warf man vor das Tor.
In der Nacht gestorbene Gefangene kamen auf LKW-Anhänger, zum
Abtransport zum "Müllberg", dort wurden sie "lagenweise" verscharrt.
Das berichtete mir mein Vater, das er von Mitgefangenen erfahren hatte.
Wer in den Baracken in der Nacht austreten mußte, durfte es nur in einem Kübel in der Baracke erledigen. Wer sich ins Freie begab wurde erschossen.
Nach einer schon früher geführten Diskussion über dieses dunkelste
Thema, hatte ich Kontakt zu einem Danziger Freund, der dort früher in
der Nähe gewohnt hat. Ich muß meine Unterlagen sichten und mich
intensiver darum kümmern. Ich besitze einen ganzen Ordner voller
Karten, aus verschieden Zeiten, so daß es vielleicht die letzte Möglichkeit ist, diese Totenstätte einzugrenzen.
Mein Vater hat nach dem Tage seiner Gefangennahme als Eisenbahner,
Lokführer und gelernter Maschinerschlosser, nach dem 28. März 1945,
den sogenannten Todesmarsch nach Graudens mitmachen müssen.
Darüber gibt es auch in dem Buch -UNVERGÄNGLICHER SCHMERZ- einige
Erlebnisberichte. Am 15.05.1988 lernte ich Peter Poralla in Hannover kennen und erwarb das e.g. Buch, (mit Widmung) -
Auf jenem Marsch sind viele erschossen worden, wenn sie nicht mehr
weiter konnten. Es gab auch Frauenkolonnen - die meisten wurden in Graudenz verladen und nach Sibirien abtranspoetiert.
Mein Vater hat diesen Weg vermeiden können, weil er Schlosser war.
Erst zur Reparatur zerstörter Weichselbrücken eingesetzt wurde und dann
nach Danzig zurück mußte, um bei der Demontage auf den Werften
eingesetzt zu werden. Auch dieser Weg von Danzig nach Graudenz ist mit Toten belastet. "Die man dann nicht mehr vertreiben mußte !"
Wer nicht mehr weiter konnte oder einen Fluchtversuch machte, wurde erschossen. Eine Schwester meiner Mutter, die keine Kinder mehr hatte,
(zwei waren tot) hat mein Vater, bei einer Marschkolonnen-Überholung,
noch mehrmals gesehen. An einer Pontonbrücke über die Weichsel sind
einige Gefangene ins Wasser gesprungen. Die Wachen schossen hinterher.
Sie war danach nicht mehr dabei -
Sehr viele Tote werden vermisst bleiben.
Die man in Marienburg vor einem Jahr noch fand, liegen nun
namenlos in Westpommern.
Und die Lage der Narwiklager-Toten sollten wir noch suchen.

Es grüßt Euch, in aufgewühlter Stimmung
Erwin Völz

Wolfgang
24.11.2009, 22:01
Hallo Erwin,


Vor einigen Wochen erstand ich ein Taschenbuch, 287 Seiten,
herausgegeben vom Piper Verlag, 2. Auflage 2009 . "Die Vergessene Generation" von Sabine Bode.
vielen Dank für den erneuten Hinweis auf dieses wirklich bemerkenswerte Buch über das ich vor einem knappen Jahr eine Kurzrezension schrieb! Diese ist zu finden unter http://forum.danzig.de/showthread.php?t=2786


Was habe ich hier in der alten Danzig-Liste und nun im FORUM, schon alles gelesen, Berichte die zu Streit ausarteten und den Sinn für objektiven Umgang mit der schwersten Zeit des 20. Jahrhunderts verließen.
Tja, das Forum ist ja dazu da, einander zuzuhören um sich besser zu verstehen. Und da gibt's sicherlich noch viel zu tun. Aber, Erwin, DEINE Erlebnisberichte wurden bisher nicht ein einziges Mal kritisiert und es gab noch NIE irgendwelchen Streit darüber. Übrigens, die heftigsten Diskussionen finden häufig unter unseren älteren Teilnehmern statt - während viele Jüngere nur staunend-schweigend zuschauen (siehe Diskussion/Thema um "Erika Steinbach")