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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eintrag im Reisepass



Karin Langereih
04.12.2009, 10:52
Hallo,
meine Mutter hat in ihrem Danziger Reisepass von den Russen einen Eintrag am 16.04.1945 bekommen, registriert im Danziger Bezirk.
Sie war also zu diesem Zeitpunkt noch in Danzig.
Weiß jemand im Forum, warum die Russen das gemacht haben?

Gruß Karin L.

Erwin-Danzig, + 17.06.2017
04.12.2009, 17:37
Hallo Karin und an Alle,

an solchen Fragen merkt man, wie man älter wird
und das Kriegsende nur noch von wenigen alten
Danzigern bewußt geschilldert werden kann.
In meinen Erlebnisberichten, über den 28.03.1945,
habe ich unter dem Titel INFERNO in Danzig
beschrieben, wie es uns ergangen ist und wie man sich
an uns unschuldigen Zivilisten gerächt hat. -
Wer das noch nachlesen will, der kann über Google
unter Suchbegriff ERWIN VÖLZ einiges finden.
Damals war ich 13 Jahre alt, wir wurden zusammen
mit den wenigen Überlebenden erst ausgeplündert,
dabei ging es hauptsächlich um Gold und Schmuck,
teilweise auch um Stiefel und Pelzmäntel. Dann die
für uns unbekannten Vergewaltigungen, unter
schreien und ohne Rücksicht auf Kinder.
Meine Mutter wurde vor uns drei Kinder mit
der Pistole bedroht, weil sie ihren goldenen Ehering
nicht schnell genug von ihrem Finger bekam.
Weitere Grausamkeiten der Sieger habe ich
nachlesbar beschrieben.
Nun zu den Stempeln in Ausweisen in jener Zeit:
Am Vormittag wurden wir vom Haupbahnhofs-
Vorplatz in Richtung Langfuhr gewiesen.
Der Weg nach Praust, nach Süden war gesperrt.
Die zivilen Männer standen in einem bewachten
Block auf dem Bahnhofs-Vorplatz, dort sahen wir
unseren Vater mit ungewisser Zukunft das letzte Mal.
Drei Monate später wurde er als Totkranker, vor
an einem Morgen, das Lagertor geworfen.-
- Mit dawei, dawei, gingen die Gruppen der
Alten und Frauen mit Kindern, in Richtung Nord
zur Allee nach Langfuhr.- Es war wie ein großer
Korridor, aus dem man erst nicht ausweichen konnte.
Dann kamen Kontrollpunkte mit Schlagbaum, an
denen mit "idi zuda" (gehe hier her), mit Maschinen-
pistolen bewaffnete (weibliche) Sowjetsoldatinnen,
mit "Dokument" nach Ausweisung fragten.
Wir hatten alles verloren und nur was wir noch
verdreckt und stinkend auf dem Leibe hatten,
war unsere Erscheinung. Meine Mutter hatte in
ihrer Manteltasche noch ihre Kleiderpunktekarte.
Wer von den Nachkommen kann noch wissen
was das ist ? - Im Kartenhintergrund, im Papierdruck,
war ein "Pleitegeier" mit Hakenkreuz sichtbar.
Die Schriftführerin machte dort mehrere Eintragungen,
mit Datum und Unterschrift versehen, nun kam das
Wichtigste, mit einem Hammerstempel knallte sie
den Sowjetstern mit Hammer und Sichel auf die
Karte. Wir konnten nichts entziffern, es waren die
kyrillischen Buchstaben. Sicher ein Text: "Mutter mit
drei Kindern". - Weil ich eine Feldeisenbahnermutze,
mit gelacktem schwarzem Schild auf dem Kopf
trug, (meine Kopfbedeckung war mir im Bunker
verloren gegangen), wurde gefragt "du Faschist ?"
Natürlich nicht und die warf ich weg, und zog mir
einen gefundenen, alten Wollsocken als Mütze über.
So wurde ich zu Malinki (Kleiner). ---
ALSO:
Aus solchen Kontrollen hinter der vorrückenden
Front, stammen Eintragungen in Dokumenten.
Sie wurden auch später wieder zur Vorlage
verlangt. Dabei wurden auch immer wieder
Personen als Zivilgefangene verhaftet.
Meine Großeltern Völz, damals schon 70 J. alt,
konnten passieren. Auch viele Frauen die keine
Kinder hatten, wurden festgehalten.
Meine Tante Minna Buß (siehe Gaststätte Hevelius),
eine Schwester meiner Mutter, kinderlos,
damals 45 Jahre alt, kam durch weil sie sichtbar
kank war durch eine Verschüttung in Trümmern.
Wer etwas über das Leid der verhafteten
Frauen nachlesen will der siehe:
"Verschleppt ans Ende der Welt" von Freya Klier.
Schicksale deutscher Frauen in sowjetischen
Abeitslagern. ISBN 3 550 07094 2.
Freya Klier, eine mutige Frau, geb. 1950 in Dresden,
Studium Theaterhochschule Leipzig, schrieb:
"Die Sowjets leugneten die Massenverschleppungen
bis 1989, als böswillige Erfindung des Westens.

Gruß von Erwin Völz

Karin Langereih
04.12.2009, 18:17
Hallo Erwin,
vielen Dank für Deine erschütternden Ausführungen.
Mir lief es kalt den Rücken herunter.
Das Buch von Freya Klier habe ich gelesen.
Ich wußte nicht, dass meine Mutter zu dieser Zeit noch in Danzig war und das Inferno miterleben mußte.
Es lag sicher daran, dass meine Mutter im Februar 1945 meinen kleinen Bruder bekommen hat und nicht wußte wohin. Leider ist mein Bruder auf dem Weg von Danzig über Stralsund nach Rostock im September 1945 gestorben.

Ich kann mich auch erinnern, dass meine Mutter und ihre Schwester (damals 25 Jahre) erzählten, dass sie sich mit Russ beschmieren, um häßlich auszusehen. Sicher sind sie immer wieder kontrolliert worden.
Meine Mutter ist mit 52 Jahren gestorben.
Meine Oma und Opa sind in Langereih geblieben, sie wurden dann Anfang 1946 vertrieben.

Gruß Karin L.

Erwin-Danzig, + 17.06.2017
04.12.2009, 19:12
Hallo Karin,

wenn Du Dich über Frontverlaufs-Linien im
Danzig-Westpreußischen Raum informieren
möchtest und weitere Info's bis zum Ende
des Krieges nachsehen möchtest, dann
ist das Buch UNVERGÄNGLICHER SCHMERZ
sehr informativ. Buch incl. Porto kannst
Du von mir für 10 € beziehen.
Format DIN A4, 400 Seiten.

Freundliche Grüße Erwin Völz
Es sind dort auch Karten und Bilder

Karin Langereih
04.12.2009, 20:03
Hallo Erwin,
dieses Buch habe ich mir vor Jahren schon gekauft und es jetzt schon dreimal gelesen.
Ich kann es auch nur weiter empfehlen.
Gruß Karin L.

Rahmenbauer14, + 1.11.2021
06.12.2009, 13:57
Hallo Erwin,

ich wäre an dem Buch interessiert. Falls noch vorhanden, meine Anschrift hast Du doch.

Einen schönen 2. Advent wünscht

Rainer aus Rerik

Erwin-Danzig, + 17.06.2017
11.12.2009, 00:52
Lieber Rainer aus Rerik,

ich kann mich zwar an Kontakte mit Dir erinnern,
aber Deine Adresse habe ich nicht greifbar.
Schreibe mir bitte eine eMail an meine
private ADR: erwin.voelz (at) online.de (Bitte " (at) " durch ein "@" ersetzen)

Auch Rerik an der Ostsee ist mir ein Begriff.
Von 1954-1959 lebte ich in Rostock.
Dort arbeitete ich als Bauingenieur in der
Planung, im Entwurfsbüro für Ingenieurbau.
Bis Kühlungsborn bin ich gekommen, aber Rerik
war damals Stützpunkt der "Baltiski Flott",
und somit militärisches Sperrgebiet.
Bin damals mit dem Zug "Molli" von
Bad Doberan aus gefahren und auch mit
meinem Fahrrad. - Vor zwei Jahren war ich
ein parr Tage in Warnemünde und habe mir
die Entwicklung des Rostocker Hafens im
Breitling angesehen.

Wenn Du auch noch bestimmte Kopien aus
Alt-Danzig, auch von Kartenausschntten
oder Bildern haben möchtest, kann ich mich
bemühen, Dir zu helfen.

Mit Grüßen zum Advent, von Erwin Völz