PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Flüchtlinge aus dem Korridor



sinus
03.01.2010, 17:56
Hallo, liebe Forumsfreunde,

ich habe gehört, dass junge Männer deutscher Nationalität aus dem Korridorgebiet zwischen 1920 und 1939 häufig illegal in das Gebiet der Freien Stadt Danzig geflüchtet sind, um sich der Einberufung zur polnischen Armee zu entziehen und bei Verwandten unterzutauchen. Der spätere Ehemann einer Tante, der aus Bojahnstammte, ist ebenfalls diesen Weg gegangen. Diesen Flüchtlingen durfte in Danzig kein Pass ausgestellt werden. Sie wurden allerdings geduldet.
Ich würde hierzu gern mehr erfahren. Gibt es hierzu amtliche Quellen?
Hat Polen dagegen interveniert?

Herzliche Grüße aus Mecklenburg
sinus

Mariolla
03.01.2010, 18:33
Hallo Sinus,

in meiner Familie optierte ein Bruder meines Urgroßvaters
nach dem Versailler Vertrag für Deutschland. Er verkaufte
regulär sein Grundstück im poln.Korridor sowie Hab und Gut und
verzog Richtung Neumark.

Umgekehrt verhielt es sich genauso, es gab viele
Familien, die im deutschen Gebiet nach dem 1.Weltkrieg/
Versailler Vertrag wohnten und dann für die poln.Staatsbürgerschaft optierten.

Vielleicht interessant:
http://www.kinematographie.de/POLEN.HTM

Liebe Grüße
Mariolla alias Marion

karsch
05.01.2010, 23:59
Ich weiß, das es andersrum so war, daß Polen, die in dem von Deutschen besetzten Gebiet lebten, ein "Eindeutschungspapier" besassen, was etwa 80% der einheimischen Polen betraf. Diese Papiere waren hauptsächlich gefälscht(in London). Es gab einige dieser Polen, die sich den polnischen Partisanen anschlossen, welche beim Vormarsch der Russen, gegen die Deutschen kämpften. Diese Reichsdeutschen Deserteure und der Rest der Partisanen, im vormaligen Korridor, wurden aktiver, als sich die Niederlage der Deutschen abzeichnete, raubten aber in der Hauptsache Lebensmittel von entlegenen Gehöften, schlachteten Schweine und zwangen die Bauern, vor dem Hitlerbild niederzuknien, um sie dann zu verprügeln. Sie gelangten später auch in Dörfer und steckten Häuser in Brand. Natürlicherweise wurden auch hin und wieder Trecks überfallen, die ja allerorts unterwegs waren, um an Lebensmittel und Werttsachen zu kommen. Die einsetzenden Vergeltungskämpfe von SS-Einheiten waren heftig und verlustreich, für beide Seiten, und änderten nichts.

karsch
06.01.2010, 00:15
Soweit ich weiß, war Danzig(und andere deutsche Orte), bz.w. Deutschland, dazu angehalten, diese nicht weiter zu dulden, und Danzig ist diesem zunächst wohl etwas nachgekommen, hat sich aber dann geschickt verhalten, um dies zu umgehen; und es bestand weiterhin dieser Weg. Trotzdem war diese Situation für diese Männer nicht leicht, und sie konnten nicht sicher sein. Irgendwann war das Rechtsgeschehen ausgereizt, Danzig hat sich aber da rausgehalten, um nicht schlecht dazustehen. Verpfiffen wurden sie wohl nicht, aber angehalten, auszuweisen, wenn sie kontrolliert wurden.

karsch
06.01.2010, 03:01
Ich muß mich korrigieren:
sie kamen von der Rechtslage nicht mehr drumrum(die Städte), es bestanden auch Kontrollen, in die men geraten konnte. Es wurde aber wohl nicht so drauf angelegt. Also einfach war es trotzdem nicht. Wenn man erwischt wurde...
Sie wurden dann auch angehalten, auszureisen.

sinus
06.01.2010, 21:14
Hallo, Karsch,

inzwischen weiß ich, dass der polnische Staat über sein Danziger Konsulat versucht hat, die Deserteure ausfindig zu machen. Diese wurden dann sogar ins Konsulat vorgeladen. Aber die Polen hatten keine Vollstreckungsmacht in Danzig. Man ging also einfach nicht hin. Aber illegal war es dennoch. Und der Völkerbundskommissar hätte von Amts wegen die polnischen Interessen durchsetzen müssen, aber er war, speziell nach 1933, auch nur noch ein Papiertiger. Ich hatte mal die Erinnerungen des letzten Hohen Kommissars C. J. Burckhardt "Meine Danziger Mission 1937-1939" gelesen, da kommt das deutlich zum Ausdruck.
Nach 1933 erhielten die Flüchtlinge dann auf Antrag auch Danziger Pässe.
Mein Onkel war bereits 1925 geflüchtet und hatte dann in Danzig eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht.

Herzliche Grüße aus Mecklenburg
sinus

karsch
07.01.2010, 02:18
Hallo Sinus,
ja, so war es; und auch das gab es wohl, mit der Machtlosigkeit des Völkerbundes, später muß es sich aber dann geändert haben, zum Krieg hin. Hitler krallte sich ja immer mehr. War dieser Burckhardt von 37-39 Kommissar, oder ist das Buch aus der Zeit?
Soweit ich weiß, hatte der Paß eine besondere Bedeutung, war aber schwer zu kriegen. Wer den hatte, war wohl ziemlich aus dem Schneider. Ansonsten mußte man sich ja mehr verstecken(zum Krieg hin).
Hundertprozentig informiert bin ich nicht, es gab mal einen Bericht darüber, den ich im Kopf habe.
Viele Grüße aus Hamburg,
Olaf

sinus
07.01.2010, 14:35
Hallo Karsch,

Carl Jacob Burckhardt war der letzte Hohe Kommissar des Völkerbundes für Danzig. Seine Amtszeit ging von Februar 1937 bis zum Kriegsausbruch 1939. Er schildert in seinen Erinnerungen, die mit viel Zitaten und Quellen untersetzt sind, den Weg bis zum Kriegsbeginn und auch den fehlenden Rückhalt seitens des Völkerbundes und besonders Großbritanniens. Für die beschränkten Möglichkeiten hat er einiges erreichen bzw. manches auch hinauszögern können, stand aber letztlich auf verlorenem Posten und mußte zusehen, wie Gauleiter Forster (der weder Danziger Bürger noch Mitglied der Danziger Regierung (des Senats) war) immer offener gegen die Danziger Verfassung verstieß. Was sollte er auch machen? Nach dem Versailler Vertrag wurde Danzig außenpolitisch durch Polen vertreten. Polen hatte aber nach dem Nichtangriffspakt mit Deutschland kein Interesse an Streit mit dem großen Nachbarn.

Gruß
sinus

karsch
07.01.2010, 20:55
Hallo Sinus,
ach so, dann kann es sein, daß es überwiegend so war, ich dachte, die letzte Zeit, bis zum Kriegsbeginn hin, nicht.
Dann war es wohl zwischendurch mal anders. Ich erinnere jetzt auch, daß es mit einem Mal leichter ging, das aber mit der schwierigeren, spannungsreicheren Zeit in Europa, kurz vor der Sache mit der Okkupierung Polens.
Viele Grüße,
Olaf