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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Warum haben die Eltern so wenig erzählt?



Geigersohn
23.02.2010, 12:22
Liebe Freunde,
seit einiger Zeit beschäftigt mich die oben gestellte Frage. Zumindestens für mein Zuhause glaube ich diese Einschätzung geben zu können. Wollten die Eltern uns Kinder
nicht belasten? War es so günstiger ein neues Verhältnis mit dem neuen Zuhause/ der Heimat aufzubauen? Jetzt wo bei mir das Interesse an der Heimat meiner Eltern gewachsen ist, glaube ich, dass die jeweiligen Gesellschaftsverhältnisse einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Verarbeitung des Heimatverlustet hatten.
Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Bei uns gab es keinerlei Vereine , Gemeinschaften, Zeitschriften usw..Dies alles war verboten und nicht geduldet.
Natürlich hatten meine Eltern zum Großteil Freunde , die ebenfalls aus Danzig waren.
Aber einen alten Stadtplan von Danzig erinnere ich nicht , dass es ihn bei uns gab.
Bei der Wahl für das neue Zuhause haben meine Eltern bewußt eine Region ausgewählt, die der verlorenen Heimat sehr ähnelte ( Hafen, Flussmündung, Strandleben, Sprache, Mentalität des Menschenschlages usw.).
Vordergrund hatten Wohnung, Arbeit und Überleben in der ersten Zeit.
Damals als Kind hat mich dieser Umstand gar nicht interessiert.
Heute bin ich " eifersüchtig " darauf, dass Kinder hinter der Grenze einen unverkrampfteren Umgang haben durften und dann noch viele Hilfsmittel, Zeitdokumente, Schriften usw. betrachten konnten.
Wie habt Ihr es erlebt?
Ist meine Sichtweise zu einfach?
Schöne Grüße
Geigersohn

vklatt
23.02.2010, 13:00
Hallo Geigersohn,

Du fragst warum die Eltern so wenig erzählt haben? Viele, wie auch ich, hätten gern etwas erzählt, aber leider hatten die Kinder kein Interesse.
Wann immer ich von früher, so auch von Danzig und Kriegserlebnissen erzählen wollte, wollten meine Söhne es nicht hören. Deshalb bin ich froh, daß ich dieses Forum gefunden habe. Danke Wolfgang!
Dann gibt es noch die Eltern die ganz schreckliche Dinge erlebt haben. Die konnten einfach nicht darüber sprechen. Das ging auch vielen Soldaten und Kriegsgefangenen so. Es gibt sicher viele, die ihre Erlebnisse bis heute noch nicht verarbeitet haben, denn psychologische Betreuung, wie heute für Rettungssanitäter, Feuerwehrleute usw., gab es nicht. Jeder mußte sehen, wie er mit seinen Erlebnissen fertig wurde

Viele Grüße
Vera.

JuHo54
23.02.2010, 13:45
Hallo Geigerssohn,
auch ich bin jetzt mühsam dabei, die Geschichte meiner Ahnen in und um Danzig herum aufzuarbeiten. Mein Vater hat von seiner Familie nichts erzählt. In den 30gern ist er mit seinen Erltern nach Potsdam gezogen, trotzdem wusste ich nicht , dass sein Opa Müller war und ich weiß bis heute nicht, wer Oma und Opa seiner Mutter waren. Er hat einfach nichts erzählt. Meine Oma konnte ich auch nicht fragen, sie war genauso verschlossen wie er und lebte bis zu ihrem Tod in Babelsberg. Es gab irgendein Geheimnis, das haben sie nun mit ins Grab genommen.Das einzige , was mein Vater mal erzählte ist, dass sein Vater starb als er 12 war, wie ich nun im Nachhinein feststellen musste , war es 1944 und da war mein Vater 17. Ob er etwas mit dem Tod seines Vaters zu tun hatte, das frage mich mich nun . Es ist durchaus nicht so, dass wir Kinder nicht gefragt hätten, wir bekamen nur keine Antwort. Wir sahen ja in unserer Nachbarschaft, dass viele Oma und Opa in der Nähe hatten, diese erzählten oft und gerne aus ihrer Kindheit, nur mein Vater blieb bis zu letzt stumm - er starb 2004 - Seine Kindheit blieb ein großes Geheimnis...warum, ich weiß es nicht, schade ist es allemal, vielleicht würde man dann einiges besser verstehen..
Viele Grüße
Jutta

bass911
23.02.2010, 13:49
Hallo Geigersohn,
das was Vera schreibt glaube ich auch, meine Oma hat immer angefangen zu weinen wenn ich Sie fragte und mein Vater hat jetzt erst Interesse seit ich mich angemeldet habe im Forum. Doch er kann mit dem Computer nichts anfangen und jetzt fragt er immer was ich so raus bekommen habe. Obwohl er in Danzig geboren wurde.
Viele Grüße
Dagmar

Belcanto
23.02.2010, 17:33
Hallo Geigensohn
Diese Frage kann nur jeder, individuell für sich alleine beantworten. Nach meiner Erfahrung war es tatsächlich so, dass die Eltern, insbesondere die starken Mütter, Leid von ihren Kindern fernhalten wollten.Wenn die Kinder damals schön älter waren, sieben Jahre und mehr, brauchte man nichts mehr zu erzählen. Sie hatten alles selbst miterlebt. Die Traumatischen Wunden, die insbesondere die Jüngeren Kinder, dramatisch erlebten, sind bei vielen bis zum heutigen Tage nicht verheilt. Viele, nicht nur die Kinder, können bis heute nicht darüber sprechen, da Sie zwar sprechen können , ihnen aber die Sprache fehlt. Man möchte verdrängen. Schlimme Erinnerungen unterdrücken. Keine alten Wunden aufreißen.Ruhe finden.Viele Frauen und Mädchen die vergewaltigt wurden, haben erst in letzter Zeit darüber sprechen können-manche nie. Zurück bleibt Schweigen, bis in unsere Tage.
Viele Grüße
Belcanto

Renata
23.02.2010, 19:03
Hallo Geigersohn,
ich bin erst 10 Jahre nach dem Krieg geboren. Meine Mutter die aus Stutthof kam, hat relativ viel mit uns geredet. Leider fehlte ihr oft die Zeit dafür, weil meine Eltern selbständig waren. Später hatte wir wenig Intersse dafür. Sie starb, als wir 17 Jahre alt waren. Als wir selbst Kinder hatten, fehlte uns die Zeit , sich mit der Vergangenheit zu befassen. Erst als meine Tochter aus dem Haus war, habe ich mich mit der Vergangenheit unserer Familie beschäftigen können. Jetzt ist meine Stiefmutter pflegebedürftig und die Zeit sich intensiv mit der Familienbiografie auseinander zu setzen, wird wieder knapper. Dabei habe ich bis jetzt nur die Familie meiner Mutter erforscht und bin im Danziger Forum hängen geblieben, weil ich die Berichte spannend finde. Von meiner Patentante, die direkt aus Danzig kommt, erfahre ich sehr viel. Sie ist auch immer bereit meine Fragen zu beantworten. Hoffendlich bleibt sie noch lange gesund.
Sonnige Grüße Renata
Meine Tochter ist an unserer Familiengeschichte sehr interesiert und bittet mich, das ich alles aufschreibe.

Helga +, Ehrenmitglied
23.02.2010, 19:39
In meiner Kindheit ist eigentlich viel und oft über die Heimat meines Vaters gesprochen worden. An jedem 2. Wochenende besuchten wir die Famlie der Schwester meines Vaters oder sie besuchten uns. Dazu kamen viele Bekannte meiner Eltern, die auch aus dem Osten kamen.

Danzig, Mottlau, Langgasse und Häkertor, Angerburg und Ostpreussen waren mir immer vertraute Begriffem ebenso wie Danziger und Ostpreussentreffen. Wenn mein Opa mir z. B. eine Karte in die Jugendherberge schickte, waren immer Danziger Motive darauf zu sehen. Vieles habe ich aber auch so recht erst während unserer 1. Danzigreise gehört. Ich habe noch 3 Geschwister, aber merkwürdigerweise war ich die einzige, die an all den Erzählungen immer interessiert war.

Uwe
23.02.2010, 20:31
Ich glaube das hängt von mehreren Umständen ab, wieviel erzählt wurde. Zum einen ist es sehr persönlich wie man das erlebte verarbeitet, der eine erzählt gerne und viel, der andere verarbeitet das eher in seinen Gedanken, der andere verdrängt es. Außerdem muss man den Kopf dafür frei haben, sich über diese Dinge zu unterhalten und nicht mit dem normalen überleben belastet sein.

Ich habe einiges von meiner Mutter bisher erfahren, weil bei meinen Großeltern war das Thema wohl tabu und ich war noch zu klein um mir darüber Gedanken zu machen. Man muss sich aber auch für dieses Thema interessieren, dann erfährt man viel beim nachfragen aber nicht jeder hat Interesse an dem Thema. Heute finde ich es schade, dass ich meinen Opa nie danach gefragt habe als ich es noch konnte. Meine Oma ist bereits verstorben, da war ich erst 4,5 Jahre alt. Ob mein Opa mir hätte etwas erzählen wollen, ist dann auch die zweite Frage, weil er sich dann wohl mit seinem eigenen Taten während der Zeit auseinandersetzen hätte müssen. Ich habe meinen Opa trotz seiner Vergangenheit (die ich erst heute genauer kenne) nie als unmenschlich empfunden, er bleibt trotdem mein Opa. Vielleicht hat er sich nach 1945 sehr kritisch mit sich selbst auseinandergesetzt und ich weiß es nur nicht.

Wenn man aber Interesse hat wie die meisten hier, kann man auch heute noch viele Dinge erfahren und so sich ein besseres Bild von damals machen.

Herzliche Grüße

Uwe

sinus
23.02.2010, 23:41
Ich kann Geigersohn nur bestätigen. In der DDR war das ganze Thema schwierig. Integration durch Abschneiden der Wurzeln war die Methode. Als ich in der Schule mal sagte, mein Vater sei aus Danzig, wurde ich gleich korrigiert. "Dein Vater ist aus Gdansk. Das ist in Polen."
Für offizielle Erinnerung an die Heimat war kein Platz in der Gesellschaft. Da wurde man sofort mit dem Begriff des Revanchismus gebannt. Die Heimat lag im alten Preussen, dem Hort des Militarismus, der Wurzel allen Übels. Damit konnten keine positiven Erinnerungen verbunden sein.
Wir waren die Guten. Wen wundert es da, wenn die Eltern ihre Kinder nicht belasten wollten mit Erzählungen aus der Heimat.
Alles was ich heute über Danzig weiß, habe ich erst nach der Wende erfahren. Zum Glück lebt Vater`s Schwester noch und freut sich, dass ich mich für die Geschichte interessiere. In ihrer neuen Heimat, im Badischen hatte auch niemand Interesse daran.
Gruß
sinus

Mariolla
24.02.2010, 00:34
Einen schönen guten Morgen ;),

Sinus, Dir und Geigersohn gebe ich vollkommen recht.
Mir ist in den letzten Jahren viel bewußt geworden.
Heute weiß ich warum Oma für ihren verstorbenen Bruder
in Oldenburg/Oldbg. keine Sterbeanzeige im Danziger Hauskalender
setzen konnte und ihr Name durch Freunde des Verstorbenen eingesetzt
wurde. Der Kalender war bei uns unbekannt, genauso die starke
Verbundenheit der Danziger. Gern hätte Oma Kontakt zu ehemaligen
Danzigern gehabt, aber unter vorgehaltener Hand im Osten suchen ?
Unmöglich, man mußte aufpassen mit wem und was man
erzählt. Damals entstand ja auch die witzige Redewendung:
Zwei Stecknadeln unterhalten sich angeregt, da sagt die eine Stecknadel: "psssssst sei ruhig, hinter uns läuft eine Sicherheitsnadel"
Danzig gab es nicht-nur Gdansk, genauso gab es keine Vertriebenen im SED Staat. Es wurde alles nur beschönigt.
Lieben Gruß
Mariolla alias Marion

guntramnies
24.02.2010, 07:32
Hallo Zusammen,

meine Mutter hat mir sehr viel erzählt und daher wußte ich eigentlich auch einiges über ihre alte Heimat. Meine Großeltern, die viel mehr hätten erzählen können, haben dies allerdings auch nie getan. Meine Mutter hat mir auch über eine Schulfreundin erzählt, die in Danzig geblieben war und in einem russischen Zwangsbordell 1945 gelandet ist. Dort hat sie ein junger Pole rausgeholt, der sie dann geheiratet hat. Diese haben uns in den 90igern auch mit besucht. 1997 habe ich dann mit meiner Mutter diese Familie in Danzig besucht und auch seine Mutter kennen gelernt. Diese Frau hatte bei den Nazis in einem KZ gesteckt und trotzden zugelassen, dass ihr Sohn eine Deutsche heiratete. Also gesprochen wurde bei uns schon über die Vergangenheit, aber es gab auch Familienmitglieder, die das nicht taten. Ach ja, übrigens hat meine Mutter mir auch einmal erzählt, dass sie kurz vor der Aussschiffung auf Hela ( April 1945) beinahe von einem deutschen Soldaten vergewaltigt worden währe, aber andere Soldaten haben das verhindert. Das hat Sie mir aber auch erst vor kurzen erzählt. Also auch diese Seite hat es gegeben

lg

guntram

Jantar
17.03.2010, 14:50
Lieber Geigersohn,

meine Mutter und Großtante haben auch sehr wenig erzählt und konnten gar nicht verstehen, warum ich immer wieder frage. Die Großtante hat sogar ein Geheimnis mit ins Grab genommen. Ich bin liebevoll hartnäckig geblieben und habe immer mal wieder ein kleines Detail erfahren. Nun fahre ich schon das dritte Mal in die Heimat meiner Mutter.
Wenn du besser verstehen willst, warum unsere Vorfahren manchmal nicht reden könen und so Eigenarten haben, die teilweise auch auf uns übergegangen sind, lies mal die Bücher von Sabien Bode, Kriegskinder und Kriegsenkel.
liebe Grüße Heike