Wolfgang
04.08.2010, 23:52
Aus "Unser Danzig", 1956, Heft Nr. 10, vom 01. Oktober 1956
Schulen im Danziger Land: Evangelische Volksschule Schöneberg
von Frida Borchardt, geb. Weinert
"Es war in Schöneberg ...", so kann auch ich von meiner Jugendzeit singen. In Schöneberg im Großen Werder habe ich sie erlebt. In seiner Schule war es, wo ich 1903 das Licht der Welt erblickte. In dem alten Schulgebäude — damals bald 100 Jahre alt — verlebte ich eine sehr glückliche frohe Kinderzeit im Kreise vieler Geschwister. Meine Mutter war leider allzu früh (1909) von uns gegangen. Mein Vater, "der alte Weinert" in der ganzen Umgegend genannt, war Hauptlehrer und Organist und lebte 40 Jahre lang in dem großen Werderdorf an der Weichsel. Noch zwei junge Lehrer wohnten in dem Schulhaus, die ebenfalls auf dem Bild zu sehen sind (rechts am Barren). Der jüngere (ganz rechts) hieß Paul Mattern, dessen Todesanzeige in der Juli-Ausgabe von "Unser Danzig" wehmütige Erinnerungen in mir wachrief. Ich möchte es nicht versäumen, dieses meines einstigen guten Lehrers besonders zu gedenken. Ich war Abc-Schützin bei ihm und weiß noch, dass wir Kleinsten aus tiefstem Herzen trauerten, als er unsere Schule verließ, denn er galt als der beste unserer jungen Lehrer. Mit viel Geduld und Güte leitete er uns. Als meine Mutter tot war, nahm er mich oft auf den Arm, um mich durch liebe Worte froh zu machen. Wie strahlten meine Augen, wenn er mich aus seinem offenen Fenster (1. Etage) rief; ich hielt dann meine Schürze auf, denn ich wusste, dass bald von oben etwas Süßes oder sonstiges Schönes hineinfiel. Nie mehr habe ich ihn gesehen, seit wir Erstklässler Abschiedstränen um ihn weinten. Erst nach 45 Jahren las ich seine Todesanzeige, in der er als Schulrat betrauert wird.
Nun noch einiges über meinen Vater, den schon 27 Jahre lang die Heimaterde deckt, denn ich glaube, daß viele der älteren Generationen (der 45- bis 85jährigen) gern mit mir in Gedanken in und um unsere alte Schule wandern. So manch einer wird hinter einem der Fenster seinen einstigen Platz sehen, auf dem er als Schüler gesessen hat. Die Vorliebe meines Vaters galt der Musik. Er selbst verfügte über ein feines musikalisches Gehör, und so gab er besonders gute Gesangstunden in den oberen Klassen. Wie wundersam wusste er die Adventszeit zu gestalten, indem er ein reichhaltiges Weihnachtsprogramm für den Heiligen Abend in der Kirche vorbereitete. Ein ganz besonderer Tag war sein Geburtstag: Tags zuvor wurden Girlanden und viele Kränze gewunden; vor allem aber wurde nie vergessen, den Rohrstock zu bewinden. Als dann der für mich stets große Tag anbrach, wurde ich von meinen Mitschülern beauftragt, meinen Vater, wenn alle Vorbereitungen getroffen waren, ins Klassenzimmer zu geleiten, in dem es ganz feierlich roch; ich spüre heute noch den Kerzenduft von den 60 Kerzen, die um ein großes Lebenslicht im Sand eines großen Tellers steckten. Einige Mädchen, die es besonders treu meinten, sagten Gedichte auf, die viel Liebe zeigten. Mein Vater bedankte sich bei diesen Gratulanten stets mit einem Kuss auf die Stirn. Bis vor drei Jahren hielt ich noch ein großes Bild in Ehren, das die großen Schüler der Schöneberger evangelischen Volksschule zu einem solchen Ehrentage meinem Vater geschenkt haben; leider musste ich dieses liebe Andenken bei unserer Flucht aus der Sowjetzone zurücklassen.
Als mein Vater 1917 von seinem langjährigen Amt an der dreiklassigen Volksschule schied, sangen wir ihm zum Abschied das Lied: "Aus der Jugendzeit." Unser damaliger Pfarrer und Komponist, Dr. Maerklenburg (1945 in Danzig verstorben), verabschiedete meinen Vater, der all seine Kraft, Liebe und Treue seiner alten Schule gewidmet hat. Meine Gedanken wandern überall, wohin mich auch das Schicksal geführt hat, immer wieder hin in das Haus, das all mein Kinderglück umschloss, in dem ich mich wohlgeborgen fühlte und das mir für meinen ganzen schweren Lebensweg den festen Grund gab und immer noch gibt.
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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang
Schulen im Danziger Land: Evangelische Volksschule Schöneberg
von Frida Borchardt, geb. Weinert
"Es war in Schöneberg ...", so kann auch ich von meiner Jugendzeit singen. In Schöneberg im Großen Werder habe ich sie erlebt. In seiner Schule war es, wo ich 1903 das Licht der Welt erblickte. In dem alten Schulgebäude — damals bald 100 Jahre alt — verlebte ich eine sehr glückliche frohe Kinderzeit im Kreise vieler Geschwister. Meine Mutter war leider allzu früh (1909) von uns gegangen. Mein Vater, "der alte Weinert" in der ganzen Umgegend genannt, war Hauptlehrer und Organist und lebte 40 Jahre lang in dem großen Werderdorf an der Weichsel. Noch zwei junge Lehrer wohnten in dem Schulhaus, die ebenfalls auf dem Bild zu sehen sind (rechts am Barren). Der jüngere (ganz rechts) hieß Paul Mattern, dessen Todesanzeige in der Juli-Ausgabe von "Unser Danzig" wehmütige Erinnerungen in mir wachrief. Ich möchte es nicht versäumen, dieses meines einstigen guten Lehrers besonders zu gedenken. Ich war Abc-Schützin bei ihm und weiß noch, dass wir Kleinsten aus tiefstem Herzen trauerten, als er unsere Schule verließ, denn er galt als der beste unserer jungen Lehrer. Mit viel Geduld und Güte leitete er uns. Als meine Mutter tot war, nahm er mich oft auf den Arm, um mich durch liebe Worte froh zu machen. Wie strahlten meine Augen, wenn er mich aus seinem offenen Fenster (1. Etage) rief; ich hielt dann meine Schürze auf, denn ich wusste, dass bald von oben etwas Süßes oder sonstiges Schönes hineinfiel. Nie mehr habe ich ihn gesehen, seit wir Erstklässler Abschiedstränen um ihn weinten. Erst nach 45 Jahren las ich seine Todesanzeige, in der er als Schulrat betrauert wird.
Nun noch einiges über meinen Vater, den schon 27 Jahre lang die Heimaterde deckt, denn ich glaube, daß viele der älteren Generationen (der 45- bis 85jährigen) gern mit mir in Gedanken in und um unsere alte Schule wandern. So manch einer wird hinter einem der Fenster seinen einstigen Platz sehen, auf dem er als Schüler gesessen hat. Die Vorliebe meines Vaters galt der Musik. Er selbst verfügte über ein feines musikalisches Gehör, und so gab er besonders gute Gesangstunden in den oberen Klassen. Wie wundersam wusste er die Adventszeit zu gestalten, indem er ein reichhaltiges Weihnachtsprogramm für den Heiligen Abend in der Kirche vorbereitete. Ein ganz besonderer Tag war sein Geburtstag: Tags zuvor wurden Girlanden und viele Kränze gewunden; vor allem aber wurde nie vergessen, den Rohrstock zu bewinden. Als dann der für mich stets große Tag anbrach, wurde ich von meinen Mitschülern beauftragt, meinen Vater, wenn alle Vorbereitungen getroffen waren, ins Klassenzimmer zu geleiten, in dem es ganz feierlich roch; ich spüre heute noch den Kerzenduft von den 60 Kerzen, die um ein großes Lebenslicht im Sand eines großen Tellers steckten. Einige Mädchen, die es besonders treu meinten, sagten Gedichte auf, die viel Liebe zeigten. Mein Vater bedankte sich bei diesen Gratulanten stets mit einem Kuss auf die Stirn. Bis vor drei Jahren hielt ich noch ein großes Bild in Ehren, das die großen Schüler der Schöneberger evangelischen Volksschule zu einem solchen Ehrentage meinem Vater geschenkt haben; leider musste ich dieses liebe Andenken bei unserer Flucht aus der Sowjetzone zurücklassen.
Als mein Vater 1917 von seinem langjährigen Amt an der dreiklassigen Volksschule schied, sangen wir ihm zum Abschied das Lied: "Aus der Jugendzeit." Unser damaliger Pfarrer und Komponist, Dr. Maerklenburg (1945 in Danzig verstorben), verabschiedete meinen Vater, der all seine Kraft, Liebe und Treue seiner alten Schule gewidmet hat. Meine Gedanken wandern überall, wohin mich auch das Schicksal geführt hat, immer wieder hin in das Haus, das all mein Kinderglück umschloss, in dem ich mich wohlgeborgen fühlte und das mir für meinen ganzen schweren Lebensweg den festen Grund gab und immer noch gibt.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang